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Archiv "FDP: Weder noch" (21.11.2003)

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viele Versicherte, die bisher innerhalb des GKV-Systems von der Umverteilung profitieren, Hemmungen haben, sich als bedürftig einstufen zu lassen. Generell gilt: Deutlich mehr Bürger als bisher werden zum Bittsteller beim Staat. Ver- fassungsrechtlich gibt es zudem eine Dis- kussion darüber, ob es rechtens ist, einen sozialen Ausgleich über Steuern zu fi- nanzieren. Angesichts der angespannten Haushaltslage stellt sich auch die Frage, ob der Staat den sozialen Ausgleich über Steuern überhaupt bewerkstelligen kann. So meint CSU-Chef Edmund Stoi- ber: „Wenn der Chef dieselbe Kopfpau- schale bezahlt wie der Hausmeister, dann ist das schwierig. Und das alles über Steuern auszugleichen, da sehe ich im Moment große Probleme.“

Herzogs Kopfprämien

Ansatz: Die von der CDU als Antwort auf die „Rürup-Kommission“ eingesetzte Kommission „Soziale Sicherheit“ hat En- de September 2003 ihren Endbericht vor- gelegt. Kommissionsvorsitzender Prof.

Dr. Roman Herzog plädiert wie Rürup für ein Kopfprämiensystem – allerdings erst nach einer zehnjährigen Übergangs- zeit. Eine Ausweitung des Versicherten- kreises der GKV auf alle Bürger lehnt das Gremium ab. Die GKV solle vielmehr weiterhin nur alle sozialversicherungs- pflichtig Beschäftigten versichern, deren Einkommen die jeweils geltende Versi- cherungspflichtgrenze nicht überschrei- tet. Dabei sollen zur Ermittlung der indi-

viduellen Versicherungspflicht nur das Erwerbseinkommen, zur Bemessung des GKV-Beitrags (in der Übergangszeit) je- doch auch Einkünfte aus anderen Quel- len herangezogen werden. Das heißt, die Beitragsbemessungsbasis wird verbrei- tert, indem auch andere Einkunftsarten als bisher beitragspflichtig werden – je- doch nicht so weitgehend wie bei der Bür- gerversicherung, in der darüber hinaus auch andere Beitragszahler erschlossen werden. Kinder und Ehegatten bleiben im Herzog-Modell mitversichert. Die Kommission spricht sich dafür aus, die pa- ritätische Finanzierung einzuschränken:

Der Arbeitgeberanteil am GKV-Beitrag solle auf 6,5 Prozent gesenkt und auf die- sem Niveau langfristig festgeschrieben werden. Anders als Lauterbach und Rürup plädiert Herzog dafür, die GKV mittelfristig in ein kapitalgedecktes Sy- stem zu überführen. Die Versicherten müssten dann, wie im Rürup-Modell, risi- koadäquate Kopfprämien für ihren Kran- kenversicherungsschutz entrichten. Da- mit ältere Versicherungsjahrgänge nicht durch unzumutbar hohe Prämien belastet werden, müsse – möglichst bald begin- nend – über einen Zeitraum von zehn Jah- ren ein gesonderter Kapitalstock aufge- baut werden. Im Jahr des Umstiegs, frühe- stens 2013, soll dieser Übergangs-Kapital- stock dann aufgelöst werden, um mit den Mitteln die höheren Prämien Älterer zu subventionieren. Der soziale Ausgleich für Bezieher niedriger Einkommen soll aus Steuermitteln erfolgen. Die Aufwen- dungen dafür schätzt die Kommission auf jährlich 27,3 Milliarden Euro.

Beitragssätze: Nach der Übergangs- zeit zum kapitalgedeckten System hat die Herzog-Kommission für einen neu in die GKV eintretenden 20-jährigen Ver- sicherten eine lebenslang konstante Prä- mie in Höhe von 264 Euro berechnet.

Dies entspricht etwa 11,6 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens eines Arbeitnehmers.

Sozialer Ausgleich: Ähnlich wie bei Rürups Kopfpauschalen ist der Grad der Umverteilung auch bei Herzog davon abhängig, welche Haushalte in welchem Umfang steuerfinanzierte Prämienzu- schüsse erhalten und wie die Gegenfi- nanzierung dieser Zuschüsse über Steu- ern erfolgt. Die CDU-Kommission be- tont, dass der Solidarausgleich im Kopf- prämiensystem höher sei als in der heuti- gen GKV, weil sich über die Steuern alle Bürger an der Unterstützung der sozial Schwachen beteiligen – also auch die bis- her Privatversicherten.

Die Kritiker argumentieren wie ge- genüber Rürups Gesundheitsprämien:

Es drohe eine Umverteilung nach der Kassenlage des Staates. Zudem würden Geringverdiener über die sie härter tref- fende Verbrauchsteuer übermäßig bela- stet. Norbert Blüm (CDU) warnt vor Gleichmacherei: „Die Kopfprämie schert P O L I T I K

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A3072 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003

Herzog gibt Kurs vor

Fast schien es, als drohte der CDU eine innerparteili- che Zerreißprobe wegen der umstrittenen Vorschlä- ge der Herzog-Kommission. Mit seiner Forderung, das bisherige System auf ein kapitalgedecktes Prä- mienmodell umzustellen, verprellte

Herzog insbesondere gewerkschafts- nahe Sozialpolitiker in den eigenen Reihen und stieß auch bei der CSU auf

Ablehnung. Parteichefin Angela Merkel reagierte schnell und brachte zumindest die eigene Partei auf Linie. Auf eilig einberufenen Regionalkonferenzen warb sie bei der Parteibasis erfolgreich für das Re- formkonzept. Nun wird es den Delegierten des CDU- Parteitages Anfang Dezember in Leipzig zur Ab- stimmung vorgelegt. Allerdings in abgeschwäch-

ter Form. So hat die Parteispitze an Änderungsvor- schlägen des hessischen und des niedersächsischen Landesverbands für das Herzog-Konzept mitgear- beitet. Diese sehen unter anderem vor, dass die ge- planten Kopfprämien mit monatlich 200 Euro deut- lich niedriger ausfallen als von Herzog vorgeschla- gen (264 Euro). Kinder sollen beitragsfrei mitversi- chert werden. Mit den Änderungen wurde nach den Worten des nieder- sächsischen Ministerpräsidenten Chri- stian Wulff (CDU) die „soziale Symme- trie“ im Herzog-Konzept hergestellt. Hessens Sozial- ministerin Silke Lautenschläger (CDU) sagte, so wür- den Familien zusätzlich entlastet. Wird das Modell vom Parteitag angenommen (was wahrscheinlich ist), wird die Bundestagswahl 2006 auch zu einem Votum über die künftige Ausgestaltung der sozialen

Sicherungssysteme. SR

Weder noch

Weder die Bürgerversicherung noch die Kopfpauschale sei ge- eignet, die anstehenden Pro- bleme im Gesundheitswesen so zu lösen, dass eine qualitativ gute Gesundheitsversorgung bei zahlbaren Bei- trägen auch in ein paar Jahren noch gewährleistet ist, sagt der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Dr. Dieter Thomae. Lang- fristig plädiert die FDP dafür, so steht es in der Po- sitionsschrift des Parteivorsitzenden Guido We- sterwelle, die GKV vollständig in private Kranken- versicherungen zu überführen. Die Bürger sollen frei entscheiden können, wo und wie sie sich ge- gen das Risiko einer Erkrankung versichern. Der Staat müsse außen vor bleiben. Grundvorausset- zung für diese Patientensouveränität sei die Aus- zahlung des Arbeitgeberanteils als Lohnbestand- teil. Dadurch hätten Versicherte mehr Geld, privat vorzusorgen. Als erster Schritt in Richtung Privati- sierung sollen gut abgrenzbare Leistungskomple- xe, wie zum Beispiel die zahnmedizinische Be- handlung, das Krankengeld oder private Unfälle, aus der Gesetzlichen Krankenversicherung ausge-

gliedert werden. MM

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alle über einen Kamm. Sie ist rücksichts- los gegenüber unterschiedlichen Lei- stungsfähigkeiten.“

Wachstums- und Beschäftigungswir- kungen: Auch die Herzog-Kopfprämien zielen darauf ab, die internationale Wett- bewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu ver- bessern, indem die Lohnnebenkosten sinken. Anders als bei Rürup wird die paritätische Finanzierung aber nicht komplett abgeschafft, sondern der Ar- beitgeberanteil auf 6,5 Prozent eingefro- ren. Aber auch dann erhöhen steigende GKV-Beiträge nicht mehr zwangsläufig die Arbeitskosten. Dies soll den Arbeits- markt entlasten und Wachstumspoten- ziale freisetzen.

Nachhaltigkeit: Anders als Lauter- bach und Rürup plädiert Herzog langfri- stig für eine kapitalgedeckte Finanzierung. Kapitaldeckung hat in der Krankenversicherung die Funktion, die Prämienge- staltung über die Versiche- rungsdauer hinweg zu glätten.

Durch die Bildung von Dek- kungskapital sollen altersbe- dingte Beitragsanpassungen be- grenzt werden. PKV-Vertreter und Anhänger des Herzog-

Konzepts halten die Kapitaldeckung für demographieresistent. Die „Wirtschafts- weisen“ schreiben in ihrem Gutachten 2003/2004, dass bei weiter steigenden GKV-Ausgaben nur eine stärkere Kapi- taldeckung Linderung verschaffen könne.

Aber niemand wisse, wie teuer der me- dizinische Fortschritt in Zukunft sein wird, halten Kritiker dagegen. Deshalb sei das erforderliche Ausmaß des Kapitalauf- baus, der Beiträge voll stabilisieren könn- te, nicht bekannt. Der Rolle der Kapital- deckung in der Krankenversicherung sei- en dadurch Grenzen gesetzt. CSU-Sozial- experte Horst Seehofer warnt zudem vor Inflationsgefahren und Kapitalmarktrisi- ken. Die kriselnde Lebensversicherung, die ihren Garantiezins senken musste, gilt als Beispiel für die Anfälligkeit kapitalge- deckter Versicherungen.

Machbarkeit: Wie das Rürup-Kon- zept hat auch das Herzog-Modell den Beigeschmack, dass mehr Bürger als bis- her zum Bittsteller werden. Dies könnte Widerstände hervorrufen. Relativ un- kompliziert wären der Ein- zug der Prämie und die Zuweisung der Zuschüsse.

Auch die vefassungsrechtli- chen Bedenken, ob der so-

ziale Ausgleich über Steuern finanziert werden darf, decken sich mit der Kritik am Rürup-Modell. Umsetzungsvorbe- halte gibt es darüber hinaus gegen das Kapitaldeckungsverfahren: Es wird bezweifelt, ob es gelingen kann, in

Deutschland mittelfristig, ein kapital- gedecktes Krankenversicherungssystem aufzubauen. Die erforderlichen Finanz- und Kapitalmittel seien dafür in der brei- ten Bevölkerung zu begrenzt, weil das Sparkapital bereits für die gesetzliche Rentenversicherung und die private Al- tersvorsorge benötigt werde.

Richtungsentscheidung

Die GKV steht vor einer Richtungsent- scheidung: Die Bürgerversicherung à la Lauterbach oder das Kopfprämienmo- dell à la Rürup beziehungsweise à la Herzog stehen zur Disposition. Anders als Rürup will die Herzog-Kommission das Kopfprämienmodell erst nach einer zehnjährigen Übergangszeit einführen und plädiert darüber hinaus für eine ka- pitalgedeckte Finanzierung.

Die Rürup-Kommission hat sich vor einer Grundsatzentscheidung gedrückt.

Dies sei Aufgabe der Politik. Eine Exper- tenkommission könne nicht festlegen, auf welchem Weg und mit welchem Erfolg Wachstums- und Beschäftigungsfreund- lichkeit und sozialer Ausgleich in der Ge- sellschaft umgesetzt werden und wer da- von in welcher Form und Höhe betroffen ist.Hintergrund ist ein altbekannter Rich- tungsstreit: Befürworter der Bürgerversi- cherung sind der Überzeugung, dass die Wirtschaft in Schwung kommt, wenn der

„kleine Mann“ mehr Geld in der Tasche hat, um über die Konsumnachfrage die Konjunktur anzukurbeln. Anhänger der Kopfprämien wollen die Unternehmen von Lohnnebenkosten entlasten, um de- ren internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Nur so seien positive Be- schäftigungseffekte zu erzielen. Wenig diskutiert wird derzeit eine weitere Alter- native: der Erhalt der bewährten GKV.

Denn trotz aller Schwächen schneidet sie im Vergleich nicht so schlecht ab. Die me- dizinische Versorgung ist in Deutschland nach wie vor vorbildlich. Jens Flintrop P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003 AA3073

Bewährtes erhalten

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzen- de Edmund Stoiber ließ in den vergangenen Wochen keinen Zweifel daran, dass er den Plänen der CDU zur langfristigen Umgestaltung der sozialen Sicherungs- systeme nichts abgewinnen kann. Nach seiner Ein- schätzung hat das von der CDU präferierte Kopfpau- schalenmodell „außerordentliche Pferdefüße“ und würde „Millionen Bürger zu Sozial-

transfer-Empfängern“ machen. Sinn- voller sei es, beim jetzigen Umlagesy- stem zu bleiben. Wie dieses zukunfts-

fest gemacht werden kann, will die Partei in einem ei- genen Reformkonzept darlegen. Der CSU-Sozialex- perte Horst Seehofer, maßgeblich an der Erarbeitung des CSU-Papiers beteiligt, gilt als entschiedener Be- fürworter einer Bürgerversicherung. Er vertritt damit eine Position, die auch bei den Christsozialen nicht mehrheitsfähig sein dürfte und deshalb nicht in die

Reformpläne der Partei eingearbeitet wird. So wird das CSU-Konzept mit großer Wahrscheinlichkeit ein Mischsystem aus privater Kapitaldeckung und Umla- gefinanzierung propagieren. Für unpopulär erachtet Seehofer den von der CDU präferierten sozialen Aus- gleich aus Steuermitteln und sieht ihn deshalb als Ri- siko im nächsten Bundestagswahlkampf an. Ob der Vorstoß der CSU das Unionslager weiter auseinander treiben wird, ist offen. Fest steht, dass Stoiber im Streit mit der Schwesterpartei (für die CSU eher ungewohn- te) Bündnispartner bei den Gewerk- schaften sucht. So trafen sich der bayerische Ministerpräsident und der Vorsitzende des Deutschen Ge- werkschaftsbundes, Michael Sommer, Ende Oktober in München, um über die Zukunft der Sozialsysteme zu beraten. Nach den Gesprächen sagte Stoiber, die ablehnende Haltung Sommers zu der von der Herzog- Kommission vorgeschlagenen Kopfpauschale „findet nicht unseren Widerspruch, um es vorsichtig aus-

zudrücken“. SR

„Der Sozialtransfer über Steuern ist nur zu schultern, wenn es mehr wirtschaftliches Wachstum gibt. Dies ist eine offene Flanke in den Vorschlägen.“

Roman Herzog

Foto:phalanx

Alle im Text genannten Papiere sind im Internet abrufbar unter www.aerzteblatt.de/plus4703.

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