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Archiv "Weder Programm noch Köpfe" (28.05.1986)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

DER KOMMENTAR

D

ie SPD hat gegenwärtig weder ein Wirtschafts-Programm noch Persönlichkeiten anzu- bieten, die für eine klare wirt- schaftspolitische Grundlinie ein- treten und diese auch in der Partei durchsetzen könnten. Diese Schlußfolgerung ist aus dem Ver- lauf des Hamburger Wirtschafts- kongresses der SPD und aus den diversen und sich widersprechen- den Programmentwürfen zu zie- hen. Der Kanzlerkandidat, Johan- nes Rau, hat bislang nicht erken- nen lassen, daß er über ein eige- nes wirtschaftspolitisches Kon- zept verfügt. Er balanciert zwi- schen den Flügeln der Partei und weiß nicht so recht, ob er sich eher den Thesen der Programm-Kom- mission unter Wolfgang Roth oder der Linken Fundamentalkritik am marktwirtschaftlichen Ordnungs- system anschließen soll.

Wahrscheinlich neigt Rau eher den Thesen Roths zu, der für ein Mischsystem eintritt, das die Ele- mente Markt, Staat, soziale Siche- rung und Wirtschaftsdemokratie verbindet. Jedenfalls hat sich Rau in Hamburg nicht die Pauschalkri- tik des nordrhein-westfälischen

Fraktionsvorsitzenden, Friedhelm Farthmann, über das Versagen der Marktsteuerung zu eigen ge- macht. Aber Rau ist dieser Absage an den Markt auch nicht entge- gengetreten. So warnte er vor ei- nem „dogmatischen Streit" über die Rolle des Marktes und des Staates in der Wirtschaftspolitik;

so ließ er offen, ob das Ergebnis der SPD sein solle, den Staatsan- teil am Sozialprodukt wieder zu er- höhen; so befürwortete er eine

„dynamische Kooperation" zwi- schen Ökonomen und Ökologen;

„technische Produktivität" sei nur human, wenn sie in „soziale Pro- duktivität" überführt werde. Vieles bei Rau ist deutungsfähig und er- klärungsbedürftig. Er hält sich da- mit den Weg frei, im Wahlkampf jene Wirtschaftspolitik zu vertre- ten, auf die sich die Partei auf dem Nürnberger Parteitag Ende August einigen wird. Rau führt die Diskus- sion nicht, er wird deren Ergebnis- se übernehmen. So jedenfalls

Die SPD auf der Suche nach einem

(wirtschaftspolitischen) Konzept

Weder

Programm noch Köpfe

Der Wirtschaftskongreß der SPD hat Bedeutung weit über die engere ökonomi- sche Themenstellung hin- aus, gab er doch einen Ein- druck von den Richtungen, die in der Partei heute vor- dringen und zurückgedrängt werden. Gerade die wirt- schaftspolitischen Aussagen geben zudem auch Auf- schluß über ideologische Vorstellungen, die bei den Sozialdemokraten gepflegt werden. Selbstverständlich ist die Wirtschaftspolitik, die die SPD betreiben will, so sie wieder ans Regieren kommt, auch wegen der Verflechtun- gen mit der Gesundheits- und Sozialpolitik von größ- tem Interesse — ganz abge- sehen davon, daß auch jeder Arzt — und der freiberufliche insbesondere — unmittelbar etwa von der Steuerpolitik betroffen sein kann.

sieht es nach dem Hamburger Kongreß aus.

Bemerkenswert war, daß dort jene Diskussionsredner, die kämpfe- risch für die sogenannte „ökologi- sche Erneuerung" eintraten und

das „Wachstums-Dogma" ablehn- ten, die mehr Mitbestimmung, hö- here Staatsausgaben und höhere Steuern sowie drastische Arbeits- zeitverkürzungen forderten, mehr Beifall erhielten als Rau oder Roth. Eher kritisch wurde die Mah- nung des Hamburger Bürgermei-

sters Klaus von Dohnanyi aufge- nommen, auf die Erfordernisse der Unternehmen Rücksicht zu nehmen. Solche Hinweise waren nicht gefragt. Ehemalige Minister wie Apel, Matthöfer oder Lahn- stein schwiegen. Helmut Schmidt war erst gar nicht gekommen. Die Genossen hörten Karl Schiller re- spektvoll zu. Aber nur Politiker, die aus ihrem linken Engagement kein Hehl machten, wie IG Metall- Vorstandsmitglied Hans Janßen oder Prof. Hoimar von Dittfurth, vermochten Emotionen und Auf- bruchstimmung zu mobilisieren.

Die SPD-Führung wird also Mühe haben, für den Wahlkampf ein Programm zu formulieren, das einerseits die bürgerlichen Wähler nicht abschreckt und andererseits die Zustimmung der Parteibasis findet. Diese Aufgabe ist nun Roth, Farthmann und von Dohnanyi übertragen worden. Das bedeutet dreierlei: Die eher gemäßigte Linie Roths, der sich auf die Vorlage des Investitionsprogramms „Arbeit und Umwelt" beschränkte, steht wieder zur Disposition. Farthmann wird in die Arbeit eingebunden, er gewinnt dabei an Einfluß, wird aber zugleich diszipliniert. Dohna- nyi hat jene Elemente beizusteu- ern, die Unternehmen und bürger- liche Wähler zu beruhigen vermö- gen. Rau hat also eine typisch po- litische Lösung gefunden. Ob die Rechnung aufgeht, wird sich erst auf dem Nürnberger Wahlpartei- tag zeigen. Die Parteibasis dürfte sich mit unverbindlichen Sprü- chen kaum zufrieden geben.

Aus dem Bukett der wirtschaftspo- litischen Meinungen, die nach Tschernobyl noch stärker als bis- her „grün" geprägt werden, las- sen sich folgende Positionen be- schreiben:

Kernenergie soll mittelfristig überflüssig gemacht werden. Rau legte sich aber nur auf ein Nein zum Schnellen Brüter in Kalkar und zur geplanten Wiederaufbe- reitungsanlage in Wackersdorf fest. Vom allgemeinen Ausstieg aus der Kernenergie sprach Rau Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 22 vom 28. Mai 1986 (19) 1595

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

SPD-Programmatik DIE GLOSSE

nicht. Das übernahmen dann an- dere, wie zum Beispiel der frühere Bundesminister und jetzige Oppo- sitionsführer in Schleswig-Hol- stein, Engholm, der einen verbind- lichen Zeitplan für die Abschal- tung der Kernkraftwerke forderte.

Für die Entsorgung wird die direk- te Endlagerung der Brennstäbe gefordert. Der SPD-Spitzenkandi- dat in Niedersachsen, Schröder, unterstützte das, machte jedoch die Einschränkung, daß der Salz- stock im niedersächsischen Gorle- ben ungeeignet sei. Die Energie- lücke soll durch Energiesparen, durch alternative Energien und durch die Kohle geschlossen wer- den. Über die Umweltgefahren, die damit verbunden sind, wurde nicht geredet. Ablehnung zeigte sich nicht nur gegenüber der Kernenergie; die Skepsis der Ge- nossen richtet sich auch gegen die Chemie.

0 Durch Investitionen soll nicht nur die Umweltqualität sondern auch die Beschäftigung verbes- sert und die Arbeitslosigkeit ver- ringert werden. Farthmanns The- se, daß die Arbeitslosigkeit nicht durch Marktsteuerung sondern nur durch verstärkte staatliche In- vestitionen bekämpft werden kön- ne, fand allgemeine Zustimmung.

Die SPD nähme es in Kauf, wenn dadurch die Staatsquote wieder stiege. An Geld dafür fehle es nicht, meinte zum Beispiel Farth- mann. Man müsse es eben jenen wegnehmen, die es nicht für pro- duktive Investitionen einsetzten.

Das vorgesehene Beschäftigungs- programm soll durch eine Ergän- zungsabgabe zu Lasten der Bes- serverdienenden, durch eine Ener- gieabgabe und andere die Um- weltverbesserung steuernde Ab- gaben finanziert werden. Der Ab- bau der hohen Steuerquote gehört jedenfalls nicht zum Konzept der SPD. Sie will, wenn sie die Mehr- heit gewinnt, die zweite Stufe der Steuerentlastung, die für 1988 be- schlossen ist, verändern. Die Ent- lastung soll auf die kleinen und mittleren Einkommen konzentriert

werden, was zwangsläufig zu ei- ner Verschärfung der Progression im oberen Tarifverlauf führen müßte. Es gibt aber auch Stim- men, die sich generell gegen steu- erliche Entlastungen wenden.

Konsens besteht wohl nur über die Forderung nach Erhöhung der Grundfreibeträge, nach Verlänge- rung der proportionalen Ein- gangsstufe des Steuertarifs, die Abschaffung der Kinderfreibeträ- ge und, damit verbunden, die Er- höhung des Kindergeldes.

Die SPD meidet bis zur Wahl den Streit über die Rolle des Mark- tes. Man bekennt sich nicht offen zur Marktwirtschaft, man lehnt sie aber auch nicht so kategorisch ab wie Farthmann. Beifall findet die Forderung, daß der Staat durch ei- ne verschärfte Fusionskontrolle und Entflechtungsregelungen den Wettbewerb sichern wolle. Eine Politik der Verbesserung der An- gebotsbedingungen, wie sie vom Sachverständigenrat befürwortet und von der Bundesregierung be- trieben wird, begegnet großer Skepsis, auch wenn Karl Schiller die SPD dazu aufforderte, sich doch eine „Angebotspolitik des langen Atems" zuzutrauen. Die keynesianischen Instrumente der Globalsteuerung hätten nach wie vor ihre Bedeutung für die Kon- junktursteuerung; gegenwärtig gehe es aber vor allem um die An- passung der Wirtschaft an Struk- turveränderungen. Statt dessen setzt sich die SPD für den Ausbau der Mitbestimmung auf allen Ebe- nen und eine schärfere Kontrolle der Macht der Banken ein.

o

Als wichtigstes Mittel zur Be- kämpfung der Arbeitslosigkeit wird die Verkürzung der Wochen- arbeitszeit angesehen. Die SPD wird die Forderungen der Gewerk- schaften nach Einführung der 35-Stunden-Woche und nach Be- grenzung der Überstunden voll unterstützen. Da half es auch Doh- nanyis Warnung wenig, daß für die privaten und öffentlichen Unter- nehmen der „große Sprung" zur 35-Stunden-Woche nicht zu ver- kraften sei. wst

Sinnlose Drohappelle

„Der freie Bürger soll selbst ent- scheiden, ob er im Auto den Gurt anlegt. Ich halte nichts von Zwang und Bußgeld!". So sprach einst der Verkehrsminister und setzte auf die Vernunft. Vergeblich, wie alle Welt weiß. Alle Appelle fruch- teten wenig. Erst als das Bußgeld kam, stieg die Anlegequote und sank die Todesrate auf den Stra- ßen.

Obwohl die Beispiele des Aus- lands vorgewarnt hatten, wartete man zu lange. In England bei- spielsweise ging man früh mit saf- tigen Strafen an das Problem her- an — mit der makabren Folge, daß

„Ersatzteil-Mediziner" über feh- lende Unfalltode Klage führten.

Werbeprofis wissen es schon lan- ge: Die Drohung mit der Angst be- wirkt wenig. Sonst hätte etwa der Zigarettenkonsum drastisch ab- nehmen müssen. Die Werbung macht deshalb auf positiv. So zei- gen beispielsweise Versicherer, Banken und alle, die mit der Zu- kunft zu tun haben, nur glückliche Familien. Selbstredend alle jung, dynamisch und fröhlich.

Nichts ist schwerer, als eingefah- rene Verhaltensweisen zu ändern, so, wie es fast unmöglich ist, Vor- urteile anzubauen. Deshalb ist der jüngste Vorschlag, all diejenigen, die nicht an der jährlichen Krebs- vorsorge teilnehmen, finanziell zu benachteiligen, durchaus diskus- sionsfähig.

Drohen allein zieht nicht. Bei den Amerikanern ist das, mentalitäts- bedingt, etwas anders. Dort ist es nichts Ungewöhnliches, wenn et- wa eine Unfallversicherung in ei- nem Werbebrief schreibt: „Unser Kunde X. schloß letzte Woche eine Unfallversicherung ab. Gestern wurde er tödlich überfahren. Sei- ne Frau erhielt 100 000 Dollar.

Schon morgen können Sie der Glückliche sein ... " UM 1596 (20) Heft 22 vom 28. Mai 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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