• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Die Gesundheitserziehung ist weitgehend krankheitsorientiert" (11.03.1983)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Die Gesundheitserziehung ist weitgehend krankheitsorientiert" (11.03.1983)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Aufsätze • Notizen

Heft 10 vom 11. März 1983

Die Gesundheitserziehung

ist weitgehend krankheitsorientiert

Ergebnisse einer Umfrage

Thomas Henkelmann und Dieter Karpf

Die Wichtigkeit von Gesund- heitserziehung ist grund- sätzlich nahezu unbestritten, ihre Bedeutung wächst in dem Maße, als unser Ge- sundheitssystem „unbezahl- bar" wird. Die Verfasser un- tersuchen den Ist-Zustand der Gesundheitserziehung, das heißt Umfang, Inhalte und Ziele gegenwärtiger Ge- sundheitserziehung, um so Trends und Schwerpunkte festzustellen, die künftige Maßnahmen sinnvoll leiten könnten. Der Artikel basiert auf einer am Institut für Ge- schichte der Medizin an der Universität Heidelberg in den Jahren 1980/81 durch- geführten Studie zur Lage der Gesundheitserziehung in der Bundesrepublik Deutschland.

Zur Methodik der Umfrage Gesundheitserziehung wird auf Bundes-, Länder- und Gemeinde- ebene von einer Vielzahl privater sowie gemeinnütziger Institutio- nen betrieben. Die Grundgesamt- heit der gesundheitserzieherisch tätigen Organisationen ist unbe- kannt, eine repräsentative Stich- probe deshalb kaum zu ziehen.

Unsere Umfrage sollte möglichst viele Organisationen erfassen, wo- bei davon ausgegangen werden kann, daß mit hoher Wahrschein- lichkeit die bekannten „meinungs- führenden" Institutionen mit der größten Breitenwirkung erfaßt wurden, so daß die Untersuchung die wesentlichen Züge gegenwär- tiger Gesundheitserziehung abbil- den dürfte.

Wir entschlossen uns zu einem formlosen Rundschreiben, in dem die angeschriebenen Organisatio- nen gebeten wurden, möglichst al- le Informationen über Art und In- halt ihrer Aktivitäten zuzusenden, weil wir zum einen davon ausgin- gen, daß die Resonanz höher sein würde — eine Rücklaufquote von rund 55 Prozent gab uns recht —, zum anderen Fragebögen über- wiegend Einstellungen (attitudes) messen und kaum etwas über kon- kretes Verhalten aussagen. Aus ei- nem Adressenpool wurden rund 500 Organisationen ausgewählt und angeschrieben, die eintreffen-

den Materialien nach den Merk- malskategorien Präventionsart, In- halt, Zielgruppe durch zwei „Ra- ter" und mit Hilfe eines eigens zu diesem Zweck entwickelten Aus- wertungsschemas klassifiziert. Er- faßt wurden in dieser Weise etwa 3000 unterschiedliche Aktivitäten.

Zielbereiche gegenwärtiger Gesundheitserziehung

Im Kontinuum von gesund und krank, das als Zielbereich der Ge- sundheitserziehung gelten kann, hat sich die Einteilung in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention eingebürgert. Abweichend von dem nicht immer eindeutigen Ge- brauch des Begriffs primäre Prä- vention, wollen wir nur krankheits- unspezifische Maßnahmen als pri- märpräventive anerkennen und verstehen unter primärer Präven- tion: alle gesundheitserzieheri- schen Maßnahmen und Aktivitä- ten, die nicht direkt auf bestimmte Risiken und/oder Erkrankungen gerichtet sind, sondern auf die Er- haltung und den Schutz der Ge- sundheit zielen, indem sie Mög- lichkeiten und Wege gesunder Le- bensführung aufzeigen. Die

„krankheitsspezifischen" Maß- nahmen wollen wir als sekundär- präventive bezeichnen: Alle ge- sundheitserzieherischen Maßnah- men und Aktivitäten, die den Ab- bau bestimmter Risiken (Risiko- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ausgabe A 80. Jahrgang Heft 10 vom 11. März 1983 79

(2)

Spektrum der Woche Aufsätze · Notizen Gesundheitserziehung

faktoren) bezwecken, von denen man weiß oder annimmt, daß sie das Auftreten bestimmter Krank- heiten fördern oder mitverursa- chen, und die bei akuter oder la- tenter Gesundheitsgefährdung zur Anwendung kommen, sind sekun- därpräventiver Art. Vorsorgeunter- suchungen und Maßnahmen zur Früherkennung werden nicht wie sonst üblich der sekundären, son- dern vielmehr der tertiären Prä- vention zugeordnet, da sie sich weniger im noch diffusen Vorfeld von manifesten Erkrankungen bewegen als vielmehr auf das Er- kennen bestimmter Krankheiten fi- xiert sind.

Tertiäre Prävention wird folgen- dermaßen definiert: alle Maßnah- men und Aktivitäten gesundheits- erzieherischer Art, die auf Früher- kennung bestimmter Erkrankun- gen zielen oder die schädliche Folgen von Erkrankungen durch den "optimalen" Umfang mit Er- krankungen bzw. Behinderung mildern oder abwenden wollen.

Eine weitere Einteilung gesund- heitserzieherischer Maßnahmen gelingt hinsichtlich der Intentiona- lität, ob individuelles Verhalten be- einflußt werden soll oder gesell- schaftliche Gegebenheiten verän- dert werden sollen. Entsprechend betriebe man "individuelle" bzw.

"allgemeine" Prävention.

Der Anteil allgemeinpräventiver Maßnahmen in unseren Materia- lien betrug 4 Prozent, der der indi- viduellpräventiven 96 Prozent.

Dieses Ergebnis zeigt schlagend den individuell-präventiven Cha- rakter gegenwärtiger Gesund- heitserziehung. Am häufigsten wurden bei der allgemeinen Prä:

vention noch gesundheitliche Ge- fahren und Risiken der Arbeitswelt angesprochen, was angesichts de- ren Bedeutung nicht überrascht.

Interessanter sind eher die Berei- che, die vernachlässigt werden, wie Wohnwelt, Luftverschmut- zung, Nahrungsmittelhygiene. Im folgenden wird nur noch von individueller Prävention gespro- chen.

Dabei ergaben unsere Analysen diese Anteile:

primäre Prävention 21 Prozent sekundäre Prävention 41 Prozent tertiäre Prävention 38 Prozent Nur ein Fünftel aller Aktivitäten findet im primärpräventiven Be- reich statt, alle übrigen im Vorfeld oder bei manifesten Erkrankun- gen. Zwei wichtige Resultate, die den Zielbereich der Gesundheits- erziehung charakterisieren, kön- nen an dieser Stelle festgehalten werden.

IJI- Gesundheitserziehung setzt an der Veränderung individuellen Verhaltens in bezug auf die Ge- sundheit an, ohne dessen weitere Bedingungen zu reflektieren und einzubeziehen.

IJI- Gesundheitserziehung ist weit- gehend krankheitsorientiert in der Weise, daß sie die jeweils aktuel- len Bedrohungen durch Krankheit zu neutralisieren trachtet.

Besonders dieses zweite Ergebnis bedarf weiterer Vertiefung durch die Analyse der Inhalte.

Inhalte gegenwärtiger Gesundheitserziehung

Bei der Untersuchung der Inhalte war zu beantworten, welches überhaupt die Themen der Ge- sundheitserziehung sind, wie um- fangreich der Themenkatalog aus- fällt. An der Spitze der Häufigkeit stehen Aktivitäten bei Suchter- krankungen bzw. Suchtgefähr- dung (16 Prozent), gefolgt von chronischen Erkrankungen (14 Prozent), Ernährung (12 Prozent) und psychosozialer Gesundheit (1 0 Prozent), die allein schon die Hälfte aller Maßnahmen ausma- chen. Im mittleren Häufigkeitsbe- reich bewegen sich die Inhalte Un- fall (8 Prozent), Bewegung (7 Pro- zent), allgemeine Themen (7 Pro- zent), Infektionskrankheiten (5

Prozent), Zähne (4 Prozent) und

Sexualität (3 Prozent), die zusam- men nochmals 37 Prozent der Ak- tivitäten ergeben. Erwartungsge- mäß ist der Anteil der übergreifen- den Themen im Sinne einer um- fassenden Prävention gering (7 Prozent allgemeine Themen). Da- bei ist noch zu beachten, daß die Mehrzahl der in diese Kategorie fallenden Aktivitäten nur aus der Kombination von zwei (!) Inhalten besteht, zum Beispiel die Kombi- nation von Ernährung und Bewe- gung gemäß dem Slogan: Essen und Trimmen, beides muß stim- men! Von einem umfassenden Konzept der Gesundheitsbildung, das mehrere relevante Aspekte von gesunder Lebensführung inte- griert, kann nicht die Rede sein.

Der überwältigende Teil aller ge- sundheitserzieherischen Aktivitä- ten ist thematisch eng umgrenzt, d. h. auf ein Thema bzw. auf einen Inhalt bezogen. Die Häufigkeits- verteilung der Themenbereiche verdeutlicht, daß Gesundheitser- ziehung an den gegenwärtig am stärksten die Gesundheit bedro- henden Krankheiten (Zivilisations- krankheiten) und Krankheitsrisi- ken (Risikofaktoren) orientiert ist.

Die Rangfolge der Häufigkeit spie- gelt die heute als gesundheits- schädlich anerkannten individuel- len Verhaltensweisen und die im Vordergrund stehenden Krankhei- ten wider: Suchtverhalten (Dro- gen, Alkohol, Nikotin), Ernäh- rungsgewohnheiten und Eßverhal- ten (falsche Ernährung, Überge- wicht), chronische Erkrankungen (Herz- und Kreislauferkrankungen, Bluthochdruck, Krebs, Diabetes), psychosoziale Themen (Angst, An- spannung, familiäre und partner- schaftliche Konflikte, Erziehungs- probleme), Unfälle (vorwiegend Verkehrsunfälle) und Bewegung (Bewegungsmangel) sind die häu- figsten Themen und machen zu- sammen fast 70 Prozent der gesamten gesundheitserzieheri- schen Aktivitäten aus. Nimmt man die Bereiche Zähne (Karies, Paro- dontose), Behinderung und StreB hinzu, so kommt man auf annä- hernd 80 Prozent. Daß demgegen- 80 Heft 10 vom 11. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(3)

über die Gefahren durch Infek- tionskrankheiten relativ gering be- wertet werden, zeigt sich daran, daß Vorsorge- und Verhaltens- maßnahmen in bezug auf Infek- tionskrankheiten nur mit 5 Prozent vertreten sind. Überraschend er- scheint uns der geringe Anteil an Materialien zum Thema StreB, ob- wohl StreB (Dis-StreB) als ein we- sentlicher pathogenetischer Fak- tor angesehen wird.

Das derzeitige Spektrum gesund- heitserzieherischer Aktivitäten steht in eindeutigem Zusammen- hang zu den real vorhandenen Krankheitsgefahren. Falsch wäre aber die Behauptung, daß gegen- wärtige Gesundheitserziehung dem tatsächlichen Morbiditätsrisi- ko Rechnung trage; Krankheiten des rheumatischen Formenkrei- ses, die in den Morbiditätsstatisti- ken an führender Stelle stehen, sind ganz im Gegensatz zu ihrer weiten Verbreitung im Spektrum gesundheitserzieherischer Aktivi- täten relativ wenig repräsentiert.

Richtig dagegen ist, daß Gesund- heitserziehung an den Mortalitäts- statistiken, den "Killern" (Infarkt, Bronchitis, Lungenkrebs, Leber- zirrhose, Verkehrsunfälle), orien- tiert ist. Die Analyse der Themen- bereiche der individuellen Präven- tion unterstreicht eindrucksvoll den Charakter der Prävention als einer unmittelbar an Krankheit orientierten. Gesundheitserzie- hung hat, so darf man folgern, das heutige Krankheitsspektrum in seinen schwerwiegenden Konse- quenzen voll erkannt und zum Ge- genstand einschlägiger Maßnah- men gemacht. Wie schon das Er- gebnis der Präventionsarten nahe- legte, ist sie ihrem Charakter nach krankheitsorientiert und muß als Verlängerung und Kompensation der kurativen Medizin verstanden werden. Sie setzt dort ein, wo die- se an ihre Grenzen stößt. Gesund- heit, ihre weitgehende Erhaltung, die Erforschung und Beschrei- bung gesundheitsfördernder Be- dingungen, ist weder zentrales An- liegen noch wesentliches Thema.

Die inhaltsanalytische Untersu- chung gegenwärtiger Gesund-

heitserziehung führt zu weiteren vier Thesen:

~ Das Spektrum der Themenbe- reiche von Gesundheitserziehung unterstreicht den Panoramawan- del von den Infektionskrankheiten zu den chronischen Krankheiten.

~ Nicht dem Morbiditätsrisiko, sondern dem (statistischen) Mor-

talitätsrisiko wird Rechnung ge-

tragen.

~ Gesundheitserziehung er- scheint überwiegend als ange- wandte Theorie der Risikofakto- ren, deren verkürztes ätiologi- sches Konzept sie übernimmt, oh- ne sie jedoch als Gesamtmodell in die Praxis umzusetzen.

~ Gesundheitserziehung hat kein umfassendes Konzept (vgl. Anteil der allgemeinen Themen); sie be- zieht sich auf gesundheitsriskante isolatorische Bezirke, die additiv aneinandergefügt sind.

Präventionsarten und Inhalte Bei der primären Prävention domi- nieren vier Themen. Eine Informa- tion über die angemessene Ernäh-

rung, ein störungsfreies Verhältnis

zur Sexualität, psychisches und soziales Wohlbefinden sowie ein ausreichendes Körpertraining sind die Garanten der Gesunder- haltung. Lenken wir den Blick auf den sekundären Zielbereich, so bemerken wir die größere Spann- weite der insgesamt 18 Themen.

Dennoch bestimmen auch hier nur wenige Inhalte: Sucht, Unfall, Er- nährung, psychische Gesundheit und Bewegung machen rund 70 Prozent aller sekundärpräventiven Themen aus. Im Tertiärbereich gar entfallen auf die Inhalte Sucht und chronische Krankheiten 51 Pro- zent aller Aktivitäten.

Dies konkretisiert die geäußerte Ansicht, Gesundheitserziehung sei eine angewandte Theorie der Risikofaktoren, dahingehend, daß dies für den sekundärpräventiven Bereich zutrifft, während die The-

men des Tertiärbereichs an den sechs "Killern" ausgerichtet sind.

Zielgruppen

der Gesundheitserziehung Zielgruppen werden verstanden als Zusammenfassung von Perso- nen nach den Merkmalen Schicht- zugehörigkeit, Alter und Ge- schlecht, wobei davon ausgegan- gen wird, daß diese "Zielgruppen- merkmale" einen systematischen Einfluß auf das Gesundheitsver- halten der Merkmalsträger aus- üben. Alle Materialien, die keiner dieser und auch keiner anderen Zielgruppenkategorie zugeordnet werden konnten, wurden als un- spezifisch Betroffene klassifiziert.

Der Begriff "Betroffene" soll zum Ausdruck bringen, daß es sich bei diesen Aktivitäten um Maßnahmen handelt, die sich direkt an die End- adressaten richten, im Gegensatz zu denen, die indirekt, d. h. über

"Mittler" oder Mediatoren, die quasi als Gesundheitserzieher fungieren sollen, an das Publikum gelangen.

Bei den mittlerorientierten Maß- nahmen waren vor allem Eltern (21 Prozent) und Lehrer (23 Prozent) angesprochen. Neben diesen bei- den Gruppen wird auch den Ärz- ten (15 Prozent) eine wichtige Rol- le bei der Gesundheitserziehung eingeräumt. Vorgesetzte, Politiker und Beamte zieht man deutlich seltener in Betracht, und nur ver- einzelt werden Arbeitgeber, nicht- ärztliches Heilpersonal, Kosmeti- kerinnen, Psychologen und Köche in Erwägung gezogen. 28 Prozent der Aktivitäten, Informations- schriften, Broschüren zielen ganz unspazifisch auf alle Personen, die als Mittler in Frage kommen könnten.

Die Zusammensetzung der Betrof- fenengruppe weicht hiervon inso-

weit ab, als der Anteil der unspezi-

fischen Maßnahmen mit 68 Pro- zent beträchtlich höher ausfällt, auch zeigt der Vergleich die Be- troffenengruppe im Gegensatz zur Ausgabe A DEUTSCHES ARZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 10 vom 11. März 1983 85

(4)

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Gesundheitserziehung

Mittlergruppe als weniger diffe-

renziert. Über zwei Drittel der be-

troffenen orientierten Maßnahmen richteten sich an die Bevölkerung allgemein und nicht an bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wäh- rend etwa ein Drittel bestimmte Al- tersgruppen, Geschlechter oder die Familie ansprechen. Andere Zielgruppenmerkmale wie zum Beispiel sozialer Status (Bildung, Einkommen) spielen fast keine Rolle, unter den insgesamt 2998 untersuchten Aktivitäten fanden sich nur drei schichtspezifische.

Es darf das interessante Ergebnis festgehalten werden, daß der überwiegende Teil gesundheitser- zieherischer Maßnahmen nicht zielgruppenspezifisch ist, das heißt, weder Mittlergruppen wie Eitern, Ärzte, Lehrer, noch perso- nale Daten wie Alter, Geschlecht oder Familienzugehörigkeit be- rücksichtigt und anspricht. Eine nähere AufschlüsselunQ verrät, daß meistens "Patienten" genannt werden, was sich mit den großen Anteilen sekundär- und tertiärprä- ventiver Maßnahmen deckt.

Innerhalb der recht homogenen Betroffenengruppe fällt weiter die Gruppe der Jugendlichen auf aus dem einfachen Grunde, weil hier Aktivitäten zur Suchtbekämpfung eine große Rolle spielen. Es sind hier keineswegs allgemeine, eine gesunde Lebensweise lehrende Informationen, die über Lehrer oder Eitern vermittelt werden.

Auffällig und bezeichnend scheint uns die geringe Aufmerksamkeit, die dem alten Menschen in der Gesundheitserziehung geschenkt

wird. Drei Befunde können festge-

halten werden:

..,. Gesundheitserziehung ist ziel- gruppenunspezifisch und pro- blemgruppenorientiert (Beispiel: Jugendliche).

..,. Die Mittlergruppe ist strukturell stärker differenziert als die Betrof- fenengruppe, die imaginäre Mitt- lerpersönlichkeit klarer umrissen als die Betroffenenpersönlichkeit

..,. Schichtvariablen und subkultu- reile Normen finden keine Beach- tung.

Demgegenüber stellt die einschlä- gige Sozialmedizinische For- schung fest, daß Zielgruppenspe- Z'ifität der Gesundheitserziehung das wesentliche Moment ihres Er- folges ausmacht.

Präventionsart und Zielgruppe Dieser Trend verstärkt sich, wenn man den Zusammenhang von Präventionsart und Zielgruppe un- tersucht. Die eindeutigen Ziel- gruppen im Bereich prrmarer Prävention sind Kinder und Ju- gendliche (bei der Mittlerkategorie entspricht dem der Anteil der Ei- tern und Lehrer). Dies darf als Schritt in die richtige Richtung ge- wertet werden, nämlich daß primä- re Prävention vorzugsweise dort einzusetzen hat, wo gesundes Ver- halten aufgebaut werden kann, ohne daß zuerst schon einge- schliffenes Mißbrauchsverhalten abgebaut werden muß. Diese Ten- denz ist aber nur sehr schwach ausgeprägt, der größte Teil der Maßnahmen im primärpräventiven Bereich wird eben von unspazifi- schen Aktivitäten beherrscht. Alle übrigen Zielgruppen (Alte, Fami- lien etc.) sind relativ schwach ver- treten. Versucht man den steigen- den Anteil von unspazifischen Maßnahmen innerhalb der Betrof- fenenkategorie zu verstehen, so läßt sich folgendes annehmen:

..,. Vom primären zum tertiären Zielbereich wird Gesundheitser- ziehung immer konturloser, sie differenziert ihre Zielgruppen im tertiären Zielbereich ganz über- wiegend nach krankheitsspezifi- schen statt nach personalen (Ge- schlecht, Alter, Schicht usw.) Merkmalen der Betroffenen.

Kritik gegenwärtiger Gesundheitserziehung

Das weitgehende Fehlen einer all- gemeinen Prävention unter-

streicht, daß Gesundheitserzie- hung fast ausschließlich auf eine Verhaltensmodifikation am Indivi- duum zielt, nicht jedoch auf eine Veränderung von Umwelteinflüs- sen im Sinne einer ökologischen Gesundheitspolitik. Das Individu- um, um das Gesellschaftliche ver- kürzt, wird nun aber keinesfalls als Individuum wahrgenommen, an- gesprochen undzur Verhaltensän- derung aufgefordert werden der Raucher, der Übergewichtige, der Süchtige um ihrer Gefährdung wil- len; nicht einmal sonderlich diffe- renzierte Persönlichkeitsmerkma- le wie Alter, Geschlecht, Sozial- status sind in ausreichendem Um- fange berücksichtigt.

Gesundheitserziehung verkürzt - wenn wir es auf eine Formel brin- gen wollen - das Individuum um gesellschaftliche und personale Momente auf einen statistischen Wert, versehen mit den Zielgrup- penmerkmalen "krank" und "ge- fährdet".

Was aber am meisten ins Auge sticht, ist der Eindruck einer krankheitsorientierten Gesund- heitserziehung, die als Verlänge- rung der kurativen Medizin dort angreifen soll, wo diese erfolglos bleibt bzw. zu teuer wird. Diese Diagnose läßt sich hinsichtlich der Präventionsart von Gesundheits- erziehung, vor allem aber durch die Analyse ihrer Inhalte stellen; die Themen werden durch die Be- kämpfung der einschlägigen Zivili- sationsleiden und die Anwendung der Risikofaktorentheorie diktiert, wie es ja auch eine echte Gesund- heitsforschung parallel zur Patho- logie nicht gibt und Gesundheit überwiegend negativ, das heißt als Abwesenheit von Krankheit, defi- niert ist.

Gesundheitserziehung gerät - so dürfen wir folgern- durch schwin- dende therapeutische und finan- zielle Möglichkeiten im System Medizin in eine Lückenbüßerfunk- tion und besitzt derzeit noch kein dem Gegenstand der Gesundheit eigenes Konzept, welches sich in Praxis umsetzen ließe; auf nur vier 86 Heft 10 vom 11. März 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A

(5)

Themen im Bereich primärer Prä- vention schrumpft das zusammen, was im eigentlichen Sinn ein Pro- gramm der gesunden Lebensfüh- rung ergeben müßte.

Auch hinsichtlich der Motivation zu gesunder Lebensweise, in der eher die Motive der Träger von Ge- sundheitserziehung (ineffiziente Medizin) deutlich werden, erweist sich die Orientierung am Krank- heitsmodell als fatal. Nicht wenige gesundheitserzieherische Maß- nahmen arbeiten mit dem „Argu- ment" Angst, indem sie die (wohl- gemerkt statistischen) Folgen von Mißbrauchverhalten (zum Beispiel Rauchen) dem einzelnen drastisch vor Augen führen: Plakate zeigen Raucherbeine auf der Müllkippe oder am Ende des Kettenrauchens die letzte überkreuzte Zigarette.

In dieser moralisierenden Angst- macherei, die in der beschwore- nen Konsequenz für den einzelnen gar nicht zu stimmen braucht, liegt einer der Gründe, weshalb Gesundheitserziehung vielfach ei- nen so schlechten Beigeschmack hinterläßt; hinsichtlich der Angst ist anzunehmen, daß dieser Ver- such einer Motivierung das Ge- genteil von dem erreicht, was er bewirken möchte (Angst macht Verdrängung). Das Ausmalen von Krankheitsgefahren und der per- manente Druck durch die Bedro- hung verhindern aber nach unse- rer Meinung die Entwicklung ei- nes Gesundheitsbewußtseins, wel- ches sich nämlich nur losgelöst vom intendierten Zweck, gesund zu bleiben, im Spaß am Wohlbefin- den und als Teil eines allgemeinen Lebensbewußtseins zu entwickeln vermag.

Literatur:

Henkelmann, Th.; Karpf, D.: „Gesundheitser- ziehung — gestern und heute", Stuttgart 1982.

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Thomas Henkelmann Dipl.-Psych. Dieter Karpf Bergstraße 93

6900 Heidelberg

Die Diskussion über Möglichkei- ten, die Kostensteigerung im Kran- kenhaussektor zu begrenzen, krankt an einem Mangel an Daten, aus denen sich die Gründe für die Entwicklung ableiten ließen. Be- dingt ist dies durch die Komplexi- tät der Materie im stationären Be- reich. Nicht zuletzt deshalb wird das Laboratorium innerhalb des Krankenhauses als derjenige Be- reich angesehen, in dem sich an- geblich Entwicklungstendenzen, kausale Zusammenhänge und Ein- griffsmöglichkeiten am ehesten überblicken lassen. Beispielhaft wird daher das Laboratorium in entsprechenden Kommentaren zu Gesetzestexten angesprochen.

Hinzu kommt, daß die medizin- technische Entwicklung auf dem Laborsektor in der vergangenen Dekade besonders vehement war und somit eine entsprechende Un- tersuchung über die Entwicklung dieses Bereiches sinnvoll er- scheint. Das als Modell gewählte Krankenhaus-Laboratorium eignet sich besonders gut zu einer derar-

tigen Untersuchung, da es keine qualitativen, sondern nur quanti- tative klinisch-chemische Untersu- chungen durchführt und rund um die Uhr an eine EDV-Anlage ange- schlossen ist, deren Speichern die wesentlichen Daten dieses Arti- kels entstammen. Es handelt sich um ein Institut für Klinische Che- mie unter der Leitung eines Arztes für Laboratoriumsmedizin und Kli- nischen Chemikers, das als Zen- trallaboratorium sechs medizini- sche, zwei chirurgische, drei päd- iatrische Kliniken sowie eine Hals- Nasen-Ohren- und eine dermato- logische Abteilung eines kommu- nalen Krankenhauses mit ca. 1900 Betten (Versorgungsstufe III) ver- sorgt. Die Untersuchung be- schreibt den Zeitraum von 1970 bis 1981.

Methodik

der Kostenuntersuchungen Die Kostenrechnung setzt sich zu- sammen aus den Bestandteilen

Kostenentwicklung

im medizinischen Laboratorium

Fallbeispiel: Das kommunale Krankenhaus

Klaus-Dieter Gerbitz

Der Druck der Finanzlage im deutschen Gesundheitswesen hat auch die Kostensituation im Krankenhaus in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Da genauere Untersuchungen über die Gründe für Strukturveränderungen und Kostenentwicklung in den einzel- nen Sektoren des stationären Bereiches fehlen, bewegt sich die Diskussion meist in der dünnen Luft politischer und berufspoliti- scher Interessen statt auf dem Boden von detaillierten Tatsachen.

Der Diskussionsbeitrag ist geschrieben, um zu einer Versachli- chung beizutragen. Er liefert Daten zur Leistungs- und Kostenent- wicklung eines großen Krankenhauslabors innerhalb der vergan- genen Dekade, diskutiert die Gründe für die Entwicklung und versucht, Anregungen für strukturelle Verbesserungen zu geben.

Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 10 vom 11. März 1983 89

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Steigerungsraten der Personalaufwendungen lagen bei 8,2 Prozent in Westdeutschland, bei 32,2 Prozent in Ostdeutschland und im Gesamtdurch- schnitt bei 10,9 Prozent..

In neueren Untersuchungen aus den Vereinigten Staaten wurde eine 3- bis 12-fach reduzierte Erkrankungs- häufigkeit an Herpes Zoster nach Impfung gegen Varizellen gefunden,

In der Bundesrepublik hat sich das Zulassungstempo im Untersu- chungszeitraum verlangsamt: Von 1961 bis 1969 waren jährlich im Durchschnitt noch 15 neue Wirk- stoffe erstmals in

Eine gewisse Werbung für den öffentli- chen Gesundheitsdienst erhofft sich der Verband auch dadurch, daß bereits Studenten besser über die Arbeitsmöglichkeiten infor- miert

Begleitbronchitis bei Infek- tionskrankheiten, Stauungs- bronchitis bei Linksherzinsuffi- zienz, tuberkulöse Bronchitis, pneumonische, infarkt-pneu- monische Bronchitis, Bronchi-

Obwohl derzeit noch nicht alle Gefahren gebannt sind, vor al- lem wenn die Herzerkrankung erst während der Schwanger- schaft oder kurz nach der Ge- burt eintritt, sind die

Nach Professor Murken sind ge- netisch bedingte Leiden, da Er- nährungsstörungen und Infek- tionskrankheiten den Arzt nicht mehr vor unlösbare Probleme stellen, so in den

schwäche, mithin jenen, die durch Infek- tionskrankheiten besonders gefährdet sind und die gleichzeitig durch eine Imp- fung nicht adäquat geschützt werden können.. Optimale