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Archiv "Impfen: Noch immer gibt es Defizite" (17.01.2003)

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T H E M E N D E R Z E I T

A

A92 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003

E

s gibt eindrucksvolle Impf-Erfolge in Deutschland: Noch kurz vor dem Zweiten Weltkrieg starben hier mehr als 10 000 Kinder pro Jahr – meist Säuglinge oder Kleinkinder – an Masern (1 569), Pertussis (2 522) oder Diphthe- rie (6 484) (1). Allein im Jahr 1941 wur- den mehr als 200 000 Fälle von Diphthe- rie registriert, 5 306 Fälle von Poliomye- litis und 4 767 Fälle von „Meningitis“.

Impfungen haben diese Situation dra- matisch zum Besseren verändert. Die Poliomyelitis gilt als eliminiert; Diphthe- rie-Fälle sind eine Rarität geworden;

Keuchhusten ist – dank der neuen azel- lulären Pertussis-Impfstoffe – im Klein- kindesalter selten geworden. Der letzte große Erfolg: Die Anzahl der Fälle von Haemophilus influenzae b (Hib)-be- dingter Meningitis und Epiglottitis ist von rund 1 600 pro Jahr auf etwa 50 ge- sunken (1).

Ziel einer Impfung ist es, ein „immu- nologisches“ Gedächtnis zu induzieren.

Bei einem späteren Kontakt kann der je- weilige Erreger dann nicht oder nur kurzfristig in oder an dem Geimpften haften und daher keine Krankheit auslö- sen. Das „epidemiologische Korrelat“

der Gedächtniszelle ist ein niedriger Ba- sisreproduktionskoeffizient Ro. Diese Kennzahl besagt für jeden Mikroorga- nismus in einer bestimmten Population, wie viele Empfängliche von einem Keimträger durchschnittlich infiziert werden. Von einer Epidemie spricht man, wenn Ro im Durchschnitt größer eins ist; Ro gleich eins definiert eine En- demie. Für Erreger, deren einziger Wirt der Mensch ist und für die ein Impfstoff eine langfristige stabile Immunität indu- ziert, kann man durch ausreichendes und frühzeitiges (!) Impfen Ro kleiner eins bringen und den Erreger so aus einer Po- pulation eliminieren oder gar weltweit eradizieren. Pocken sind bereits eradi- ziert, die Poliomyelitis soll bis 2007 fol-

gen. Potenziell eradizierbar sind auch Masern und weitere Infektionskrank- heiten (Tabelle). Voraussetzung: Die Durchimpfungsraten liegen je nach Er- reger zwischen 85 und 95 Prozent. Neben dem Individualschutz ist daher ein wich- tiger weiterer positiver Effekt des Imp- fens, dass bei ausreichend hohen Impfra- ten auch ungeimpfte Personen geschützt sind. Man spricht von „Herdenimmu- nität“. Sie nützt vor allem Säuglingen, bei (konnatalen) Röteln sogar Ungebo- renen sowie Personen mit Abwehr-

schwäche, mithin jenen, die durch Infek- tionskrankheiten besonders gefährdet sind und die gleichzeitig durch eine Imp- fung nicht adäquat geschützt werden können.

Optimale Ergebnisse werden mit Impfungen nur dann erreicht, wenn frühzeitig (!) hohe Durchimpfungsraten erzielt werden. Beides ist in Deutschland nicht der Fall (2). Die Impfraten mit drei Dosen Pertussis-Impfstoff liegen zwar bei etwa 85 Prozent, sie werden aber viel zu spät erreicht, nämlich erst mit zwölf Monaten. Würde fachgerecht geimpft, wäre diese Impfrate bereits mit fünf bis

sechs Monaten erzielt, und es ließen sich viele pertussisbedingte Hospitalisierun- gen und wahrscheinlich auch Todesfälle im Säuglingsalter vermeiden. Invasive Hib-Infektionen in Deutschland sind heute praktisch ausschließlich Folge feh- lenden oder unzureichenden Impfens (3). Todesfälle wurden zuletzt nur noch bei Ungeimpften dokumentiert.

Säuglinge und Kleinkinder sind noch vergleichsweise „gut“ geimpft. Die zwei- te Masern-Mumps-Röteln-(MMR-)Imp- fung wurde auf das späte zweite Lebens- jahr verlegt, vor allem weil man vor dem Schul- eintrittsalter inakzeptabel niedrige Impfraten von etwa 70 Prozent verzeich- net. Die Impfungen Ju- gendlicher gegen Hepati- tis B und gegen Pertussis werden gar zu weniger als 30 Prozent wahrgenom- men (4). Bei Erwachse- nen geht man von 10 000 bis 30 000 durch Influenza und Pneumokokken be- dingten Todesfällen pro Jahr aus (5). Es kann da- her nur erstaunen, dass selbst Angehörige defi- nierter „Risikogruppen“

bestenfalls zu 30 Prozent gegen diese beiden Erreger geimpft sind.

Ursachen für die unzureichenden Impfraten wurden auf zwei Symposien des Robert Koch-Instituts zusammenge- tragen. Ein Zehnpunkteprogramm zur Abhilfe wurde erarbeitet (6), das breite Unterstützung findet (7). „Impfmüdig- keit“ ist in Deutschland keinesfalls Ursa- che von Impfdefiziten. In einer repräsen- tativen Befragung lehnten lediglich 1,5 Prozent der Eltern in den neuen Bun- desländern und bis drei Prozent in den alten Bundesländern Impfungen strikt ab (8). Mehr als 50 Prozent der Befrag-

Impfen

Noch immer gibt es Defizite

Nur mit einer hohen Durchimpfungsrate ist ein ausreichender Schutz der Bevölkerung möglich.

´ TabelleCC´

Zusammenhang zwischen mittlerem Alter bei Infektion, Zyklus von Epidemien, Ro und der für eine Elimination notwendigen Durchimpfungsrate (nach Anderson und May, 1994)

Mittleres notwendige

Infektion mit Alter bei Zyklus Ro Durchimpfung

Infektion (Jahre) (%)

Masernvirus 4–5 2 15–17 92–95 B. pertussis 4–5 3–4 15–17 92–95 Mumpsvirus 6–7 3 10–12 90–92 Rötelnvirus 9–10 3–5 7–8 85–87 C. diphtheriae 11–14 4–6 5–6 80–85 Poliovirus 12–15 3–5 5–6 80–85

„Ärztliche Präventionstage 2002“

Schwerpunktthemen:

Bewegung Ernährung Stressbewältigung Konsum von Tabak

und Alkohol Impfprophylaxe

(2)

ten gab aber an, über das Impfen unzu- reichend informiert zu sein. Nach Infek- tionsschutzgesetz ist es eine Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes, diese Informationsdefizite zu beseitigen. In ei- nigen Bundesländern wurden hierzu kürzlich bemerkenswerte Initiativen ge- startet. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte organisierte am 6. No- vember 2002 den „1. Deutschen Impf- tag“. Auch bei den Ärztlichen Präventi- onstagen 2002 stellt das Thema „Imp- fen“ einen Schwerpunkt der Aktivitä- ten dar.

Empfehlungen der STIKO

Das Paul Ehrlich-Institut (PEI) ist neben der entsprechenden europäi- schen Behörde (EMEA) in London für die Zulassung und Überwachung von Impfstoffen verantwortlich. Jeder in Deutschland zugelassene Impfstoff darf bei entsprechender Indikation (siehe unten) auch angewendet werden. Eine spezielle Empfehlung ist hierfür nicht notwendig. Die Ständige Impfkommis- sion am Robert Koch-Institut in Berlin (STIKO) gibt Empfehlungen, die den

Ländern als Vorlage für ihre „öffentli- che Impfempfehlung“ dienen sollen. Da Gesundheit in Deutschland Ländersa- che ist, können nur diese eine solche

„öffentliche Empfehlung“ aussprechen.

Der Staat sagt damit den Bürgern, wel- che Impfungen im besonderen Interesse der Gemeinschaft liegen. Er bietet für den Fall eines Impfschadens auf Antrag beim zuständigen Landesversorgungs- amt eine Rente an. Alle Ärzte, die Pati- enten betreuen, sind aufgefordert, Impflücken zu erkennen, diese unver- züglich zu schließen sowie über einzelne Impfungen individuell zu beraten.

Im Vergleich zu vielen anderen Län- dern in Europa oder zu den USA ist der STIKO-Impfplan dank Verfügbarkeit moderner Kombinations-Impfstoffe ge- radezu simpel. Für Säuglinge sind Imp- fungen gegen sechs Krankheiten ab ei- nem Alter von zwei Monaten empfohlen (Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Hib, Hepatitis B, Polio-Totimpfstoffe). Ab elf Monate wird gegen drei Viruskrankhei- ten geimpft (Masern-Mumps-Röteln- Lebendimpfstoff). Diesen „Sechs-plus- Drei“-Impfungen für Kinder stehen die Booster-Dosen gegen Tetanus und ge- gen Diphtherie (alle zehn Jahre) sowie die jährliche Impfung gegen Influenza und die Pneumokokken-Impfung (alle sechs Jahre) beim Erwachsenen gegen- über („Zwei-plus-Zwei“-Impfungen).

Der STIKO-Plan wird regelmäßig über- arbeitet und ist jeweils aktuell unter www.rki.de abzurufen.

Die STIKO unterscheidet in ihrem Plan Standard-Impfungen mit allgemei- ner Anwendung, Auffrisch-Impfungen, Indikations-Impfungen für Risikogrup- pen, Impfungen aufgrund eines beruf- lich erhöhten Expositions-, Erkran- kungs- oder Komplikations-Risikos, Reise-Impfungen und Impfungen zur postexpositionellen Prophylaxe/Riege- lungsimpfungen. Es wird aber aus- drücklich festgehalten, dass neben den von der STIKO empfohlenen Impfun- gen auf der Basis der existierenden Impfstoff-Zulassungen weitere Impf- indikationen möglich sind, auf die im STIKO-Plan nicht weiter eingegangen wird, die aber für den Einzelnen auf- grund seiner individuellen (gesundheit- lichen) Situation sinnvoll sein können.

Es liegt in der Verantwortung des Arz- tes, seine Patienten auf diese weiteren Schutzmöglichkeiten hinzuweisen. In- sofern hindert auch eine fehlende STIKO-Empfehlung den Arzt nicht an einer begründeten Impfung.

Impfstoffe haben Nebenwirkungen, die man prinzipiell in vier Kategorien unterteilen kann:

Unter dem Begriff „Reaktogenität“

fasst man Schmerz, Schwellung und Rö- tung an der Injektionsstelle sowie Allge- meinreaktionen wie Fieber, Krankheits- gefühl, Appetitlosigkeit et cetera zusam- men.

Eine Anaphylaxie kann grundsätzlich bei jeder Impfdosis auftreten, sie ist mit

rund eins zu 400 000 Dosen aber sehr selten (9).

Technische Fehler sind beispielsweise die Verletzung von Gefäßen oder Ner- ven sowie fehlende Hygiene.

„Impfstoffspezifische Komplikatio- nen“ sind sehr selten und umfassen zum Beispiel das Guillain-Barré-Syndrom nach Influenza-Impfung (etwa eine zu einer Million Dosen) oder das „hy- poton-hyporesponsive-Ereignis“ (HHE) nach Impfung im Säuglingsalter (selte- ner als eins zu 10 000).

Hohe Sicherheit der Impfstoffe

Demgegenüber sind andere Krankhei- ten nach aktuellem Studienstand nicht impfstoffbedingt: Pertussis-Impfstoffe verursachen keinen „Hirnschaden“, Hib-Impfstoffe keinen Diabetes melli- tus, Hepatitis-B-Impfstoff keine multi- ple Sklerose und MMR-Impfstoff we- der Autismus noch Morbus Crohn. Das Problem besteht darin, bei Verdacht auf eine Impfkomplikation zwischen Ko- Inzidenz und Kausalität zu unterschei- den. Nach Infektionsschutzgesetz wur- den den Behörden in der Zeit vom 1. Ja- nuar 2001 bis zum 19. Oktober 2001 ins- gesamt 236 Verdachtsfälle von Impf- komplikationen gemeldet (10). In kei- nem Fall wurde dokumentiert, dass ein bleibender Schaden durch eine Imp- fung entstanden war. Diese Angaben beziehen sich auf geschätzt 30 Millio- nen Impfdosen. Auch wenn man von ei- ner Untererfassung der Komplikatio- nen in unbekannter Höhe ausgehen muss, so belegen diese Zahlen dennoch die hohe Sicherheit der in Deutschland angewendeten Impfstoffe. Hinweise zu Nutzen und Risiken von Impfungen findet man zum Beispiel unter www.

gesundes-kind.de.

Literatur beim Verfasser

Anschrift für die Verfasser*:

Prof. Dr. med. Heinz-J. Schmitt Zentrum Präventive Pädiatrie Johannes Gutenberg-Universität Mainz Langenbeckstraße 1

55101 Mainz T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 317. Januar 2003 AA93

* Heinz-J. Schmitt1, Wilfried Kunstmann2, Justina Engel- brecht2

(1Zentrum Präventive Pädiatrie, Johannes Gutenberg- Universität Mainz,2Bundesärztekammer [Köln]) Die Bundesärztekammer hat gemeinsam mit der

Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung von Vi- ruskrankheiten e.V. ein Impfrepetitorium für Ärzte

„Vor Infektion schützen“zusammengestellt, das soeben in seiner vierten Auflage erschienen ist und über den Deutschen Ärzte-Verlag – Formu- larverlag und Praxisinformationsdienst, Diesel- straße 2, 50859 Köln, unter der Artikel-Nr. 88 813 für eine Schutzgebühr von 10,70 Euro bestellt werden kann.

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