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Archiv "Konsequenzen der Rezession: Steuerausfälle und Defizite werden immer größer" (04.06.1993)

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POLITIK KURZBERICHTE

Konsequenzen der Rezession

Steuerausfälle und Defizite werden immer größer

Nürnberger 20-Milliarden-Loch/Rentenbeitrag 19,3 Prozent

Die Konjunktur hat ihren Tiefpunkt noch nicht erreicht. Das signali- sieren die aktuellen Wirtschaftsdaten und prognostizieren die wirtschaftswissenschaftlichen Institute. Die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft ist aber nicht nur konjunkturell bedingt, struk- turelle Nachteile kommen hinzu. Das gilt für West- und Ostdeutsch-

land. Mit einer Wende zum Besseren wird in den westlichen Län- dern allenfalls gegen Jahresende gerechnet. Dagegen scheint sich in Ostdeutschland die Wirtschaftslage allmählich auf dem niedrigen Niveau zu stabilisieren; als Konjunkturmotor könnte sich die Bau- wirtschaft erweisen.

Die Konsequenzen der Rezes- sion werden immer sichtbarer: Die Zahl der Arbeitslosen steigt; die Ein- kommen wachsen kaum noch, real sinken sie sogar; die Einnahmen aller Zweige der Sozialversicherung blei- ben hinter den Erwartungen zurück;

die Schätzungen über die Steuerein- nahmen von Bund, Ländern und Ge- meinden müssen dramatisch nach unten korrigiert werden; die Defizite in den öffentlichen Kassen werden immer größer; die Rechengrundla- gen für das „Föderale Konsolidie- rungs-Programm" sind Makulatur, noch ehe das Gesetzespaket verab- schiedet ist.

Die neuen Schätzungen über die Steuereinnahmen sagen allein für 1994 Ausfälle von etwa 45 Milliarden gegenüber der letzten Steuerschät- zung vom November 1992 voraus; da- von entfallen etwa 24 Milliarden Mark auf den Bund. Für 1995 und 1996 werden zusätzliche Defizite der öffentlichen Hand von mehr als 55 und mehr als 66 Milliarden Mark ge- genüber den Ansätzen in der bisheri- gen Finanzplanung erwartet; nur ein Teil davon ist bereits im Konzept des

„Föderalen Konsolidierungs-Pro- gramms" berücksichtigt. Im laufen- den Jahr werden sich Gebietskörper- schaften und Sondervermögen (zum Beispiel Fonds „Deutsche Einheit") mit etwa 140 Milliarden Mark nach etwa 105 Milliarden Mark 1992 ver- schulden. Bezieht man die Sozialver- sicherung ein, so ergibt sich für den

öffentlichen Sektor insgesamt ein Defizit von rund 200 Milliarden Mark. Zunehmend besteht die Ge- fahr, daß solche Beträge nicht aus dem inländischen Kapitalaufkom- men zu decken sind. Damit ist zwei- felhaft, ob sich die Zinssenkungsten- denz an den Kapitalmärkten fortset- zen wird.

Kohl:

es soll ernsthaft gespart werden

In dieser Lage ist guter Rat teu- er. Bundeskanzler Kohl hat angekün- digt, daß jetzt in allen Haushalten ernsthaft gespart werden müsse. Fi- nanzminister Waigel hat ergänzt, daß auch alle sozialen Leistungsgesetze überprüft werden müßten. Zunächst einmal ist der Beschluß über die Re- form der Agrarsozialpolitik vertagt worden. Diese hätte den Bund 1994 mit 240 Millionen Mark und von 1995 an mit jährlich mehr als 700 Millio- nen Mark belastet. Die Folgen des Strukturwandels in der Landwirt- schaft sollten wie im Bergbau voll auf den Bund abgewälzt werden. Kohl hat mit seiner Entscheidung zunächst einmal ein Signal gesetzt. Nach den bisherigen Erfahrungen ist es gera- ten, die Sparbemühungen der Politik mit Skepsis zu begleiten. Zu überse- hen ist nicht, daß die Politik sich in ein finanzpolitisches Dilemma ma- növriert hat. Sie hat dem Bund und dem Steuerzahler zu viel an Bela-

stungen aufgebürdet und nicht vor- ausschauend ins Kalkül gezogen, daß es mit der Konjunktur auch einmal abwärts gehen könnte. Bezieht man den Nachtragshaushalt 1993 ein, so steigen die Ausgaben des Bundes 1993 um etwa 7,5 Prozent; ursprüng- lich hatte der Bund die Marke von 3 Prozent anvisiert. Das hängt auch da- mit zusammen, daß der Bund der Nürnberger Anstalt mit Zuschüssen von 18 Milliarden Mark beispringen muß, damit diese die wachsenden Anforderungen an die Arbeitslosen- versicherung und die Arbeitsmarkt- politik erfüllen kann. Tatsächlich wird bei der Bundesanstalt mit einem Defizit von mehr als 20 Milliarden Mark gerechnet, das vom Bund ge- deckt werden muß. Dies ist nicht im Nachtragshaushalt berücksichtigt worden, um die Neuverschuldung im laufenden Jahr vorläufig noch unter der Marke von 70 Milliarden Mark halten zu können.

Schuldenpolitik

Bislang sind die konjunkturbe- dingten Steuerausfälle und die Defi- zite der Nürnberger Anstalt durch Kredite ausgeglichen worden. Das ist in einer Rezession prinzipiell richtig, denn bei einem Ausgleich der Defizi- te durch Kürzen von Leistungen und Investitionen könnte sich leicht der rezessive Prozeß verstärken. Die Fortsetzung der Schuldenpolitik wä- A1-1648 (24) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 22, 4. Juni 1993

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POLITIK

re in dieser schwierigen Lage aber nur zu vertreten, wenn zugleich Klar- heit darüber geschaffen würde, daß nach der Überwindung der Rezes- sion drastisch gespart wird. Diesen Nachweis ist die Politik bislang schul- dig geblieben.

Massive

Steuererhöhungen Sie hat sich für den vermeintlich leichteren Weg der Konsolidierung entschieden, nämlich für massive Steuererhöhungen. So wird mit dem sogenannten Solidarpakt von 1995 an eine unbefristete Ergänzungsabgabe von 7,5 Prozent auf die zu zahlende Einkommen- und Körperschaftsteu- er eingeführt. Der Spitzensatz steigt damit auf fast 57 Prozent; bezieht man die Kirchensteuer ein, so ergibt sich eine Grenzbelastung von mehr als 60 Prozent. Angesichts der wach- senden Defizite ist nicht auszuschlie- ßen, daß die Einführung des neuen Steuerzuschlags doch noch auf 1994 vorgezogen wird, wie dies von der SPD gefordert worden ist.

Die Versicherungssteuer wird in zwei Stufen bis 1995 weiter von 10 Prozent auf 15 Prozent angehoben werden. Die Lebensversicherung bleibt (vorerst?) von dieser Steuer noch freigestellt. Der Steuersatz auf

Belastung der wirtschaftlichen Entwicklung

Diese Perspektive belastet die wirtschaftliche Entwicklung. Sie macht es der Bundesbank schwer, ih- re Zinssenkungspolitik der kleinen Schritte fortzusetzen. Die aktuellen Wirtschaftsdaten geben keinen An- laß, auf eine rasche Wende im Kon- junkturverlauf zu setzen. So sind die bei den Unternehmen registrierten Bestellungen aus dem Inland im er- sten Quartal 1993 noch einmal um 3,5 Prozent unter das niedrige Ni- veau des vierten Quartals 1992 ge- sunken. Die Auslandsnachfrage hat sich zwar stabilisiert; das Vorjahres- niveau wird aber noch immer um 15 Prozent unterschritten. Das Berliner

KURZBERICHTE

die privaten Vermögen wird von 1995 an um 0,5 Prozent erhöht; das bedeu- tet die Verdoppelung des Steuersat- zes auf die privaten Vermögen. Al- lerdings wird der persönliche Freibe- trag von 70 000 Mark auf 120 000 Mark angehoben. Zur Finanzierung der Bahnreform muß 1994 die Mine- ralölsteuer erhöht werden, nur die Höhe des Steueraufschlages steht noch nicht fest. Der Beitrag zur Ren- tenversicherung muß 1994 von der- zeit 17,5 Prozent auf 19,3 Prozent an- gehoben werden; die Mehreinnah- men sind mit annähernd 24 Milliar- den Mark zu veranschlagen. Zu fürchten ist überdies, daß auch noch der Beitragssatz zur Arbeitslosenver- sicherung angehoben werden muß.

Bezogen auf 1995 werden Steu- ern und Sozialabgaben jedenfalls um mehr als 60 Milliarden Mark erhöht.

Das kann nicht ohne Folgen für das wirtschaftliche Wachstum sein. Nie- mand wird ernsthaft bestreiten, daß der Staat, wenn er nicht in eine Ver- trauenskrise mit unabsehbaren Fol- gen geraten will, „abspecken", daß heißt: Ausgaben und Leistungen kür- zen und privatisieren muß. Der Wohlfahrtsstaat ist an seine Grenzen gestoßen. Das heutige Leistungs- und Ausgabenniveau läßt sich weder mit Krediten noch mit der weiteren Er- höhung der direkten Abgaben durch- halten.

DIW nennt folgende Zahlen für die Entwicklung des Bruttoinlandspro- dukts in den westdeutschen Ländern:

im ersten Quartal minus 3,4 Prozent, im zweiten Quartal minus 2,5 Pro- zent gegenüber Vorjahresniveau. Die Produktion ist also weiter zurückge- gangen. Die Kapazitäten der Indu- strie sind nur noch zu 78,5 Prozent ausgelastet, so niedrig wie seit 1983 nicht mehr.

Das Tempo des Arbeitsplatzab- baus hat sich in den ersten Monaten von 1993 noch beschleunigt. Im April wurden 2,2 Millionen Arbeitslose in den alten Ländern registriert, das sind 25,7 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Kurzarbeiter lag bei 1,04 Millionen, das sind fast 800 000 mehr als vor einem Jahr. In Ostdeutschland waren im April 1,12 Millionen arbeitslos gemeldet; das

sind immerhin 6,5 Prozent weniger als vor einem Jahr. Die Arbeitslosen- quote wird, gemessen an der Zahl der Erwerbstätigen, im Westen mit 7,1 Prozent gegenüber 5,7 Prozent im Vorjahr und im Osten mit 14,7 Pro- zent nach 15,7 Prozent im Vorjahr ausgewiesen. Die Preissteigerungsra- te liegt mit 4,3 Prozent noch immer sehr hoch.

Wachstumsverlust von 1,5 Prozent

Bei dieser Lage kann der Anstoß für die konjunkturelle Wende nur vom Export kommen. Hoffnungen werden auf die Belebung der Wirt- schaft in den USA und Kanada ge- setzt. Die jüngsten Konjunkturdaten in Amerika lassen aber eher einen schwächeren Aufschwung erwarten.

In den anderen EG-Ländern, die für den deutschen Export besonders wichtig sind, sieht die Lage eher noch trister als bei uns aus. Die Konjunk- tur wird sich also nicht rasch erholen.

Derzeit wäre es schon ein gutes Zei- chen, wenn es nicht weiter abwärts ginge. Jedenfalls werden sich die Wachstumsverluste dieses Jahres auch noch in den Statistiken des nächsten Jahres niederschlagen.

Kurzfristig ist es die zentrale Aufga- be der Wirtschaftspolitik, die Rezes- sion im Westen zu überwinden. Dies wäre auch die Voraussetzung_ für ei- nen kräftigeren Aufschwung im Osten.

Die Wirtschaftsforschungsinsti- tute erwarten für 1993 ein Schrump- fen des realen Bruttoinlandspro- dukts. Für den Westen wird ein Mi- nus von 2 Prozent und für den Osten ein Plus von 5,5 Prozent prognosti- ziert. Daraus ergibt sich für Gesamt- deutschland ein Wachstumsverlust von 1,5 Prozent. Die Institute haben damit ihre frühere, optimistischere Prognose recht vorsichtig korrigiert.

Die Institute glauben nicht, daß die strukturellen Schwächen, die sich vielerorts und in zahlreichen Bran- chen zeigen, so gravierend sind, daß sie eine konjunkturelle Erholung ver- hindern könnten. Hier liegt das Risi- ko dieser Prognose, die sich auch diesmal eher als zu günstig erweisen dürfte. wst

A1 -1650 (26) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 22, 4. Juni 1993

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