Von H. W. Bailey-Cambridge *
Im folgenden gebe ich einen kurzen Bericht über diei
Durchsicht von siebzig Handschriften in chotan-sakischerl
Sprache. Die Formate der Handschriften sind sehr verschieden.'
Einige sind abgerissene Fetzen, die ein paar aksara's ent-i
halten, andere sind umfangreiche, vollständige Werke. WiH
haben beispielsweise einen zweisprachigen Text in Sanskritj
und Chotan-Sakisch von 70 Blättern, einen unvollständigen!
medizinischen Text von 65 Blättern und ein buddhistisches^
Gedicht von 39 Blättern. Eine Liste von ungefähr 500 Worten'
konnte im Bulletin of the School of Oriental Studies Bd.VIII,!
S. 117—142 gegeben werden ; es handelt sich weitgehend umi
Worte, die in den bisher veröffentlichten religiösen Texten!
nicht bezeugt sind. In London werden chotan-sakische Hand-'
Schriften hauptsächlich im Britischen Museum und im India'
Office aufbewahrt. Sie sind von Reisenden und Beamten inj
Zentralasien nach London gebracht worden, in erster Liniei
aber von den Expeditionen Sir Aurel Stein's. Vorläufige!
Listen sind in seinen Werken Ancient Khotan, Serindia und!
Innermost Asia veröffentlicht worden. i
Zu den von Hoernle und Sten Konow behandelten da-!
tierten Handschriften sind andre hinzugefunden worden, die'
sowohl die Zahl des ksuna (Regierungsjahres) als auch den«
Namen des zyklischen Jahres angeben. Drei Königsnamen sind;
notiert worden: Visa Dharma, Visa Sära und Visa Klrtti.\
Eine Bezugnahme auf Visa Klrtti ist in einer Versfolge erhal-,
ten, die sein sechzehntes Regierungsjahr erwähnt. ;
1) Vortrag beim 8. Deutschen Orientalistentag in Bonn 1936;
deutsch von H. H. Schaedeb.
Zeitschrift d. DMG. Bd. 90 (Neue Folge Bd. 15) 38
Folgende Übersicht läßt sich über den Inhalt der Hand¬
schriften, soweit untersucht, geben.
1. Religiöse Lehrtexte im Sütra-Stil. Neben einer Anzahl
von noch nicht identifizierten Sütras in der spätesten Gestalt
des Chotan-Sakischen sind 14 etwas beschädigte Blätter
des Sürarngama-samädhi-sütra in schöner Buchschrift und
11 Blätter des Suvarna-hhäsa-sütra vorhanden.
2. Religiöse Poesie. Es findet sich ein Gedicht, betitelt
Jätaka-stava, von 39 Blättern. Die Orthographie ändert sich
unerwarteterweise gegen Ende des Textes, wo z. B. bese für
bisä eintritt. Das Gedicht ist dem Preis des Bodhisattva mit
besonderer Rücksicht auf seine Kraft der Ausdauer {dhairya)
während seiner früheren Geburten (jätaka) gewidmet. Ein
Text mit demselben Titel findet sich im Derge-Tanjur. Eine
große Anzahl von Jätakas wird angeführt. Als Beispiel er¬
wähne ich die Geschichte vom König Mahäprabhäsa. Sie
wird eingeleitet mit den Worten: khu rre yai mahäprabhäsa
sarvarnna baysa „als du der König Mahäprabhäsa warst,
allwissender Herr". Der Text fährt dann mit 20 Zeilen
beschreibender Verse fort, endend mit der Anrufung: ttane
tta orga buda ssa byärä jäna ,,so Verehrung, mehr, hundert
Myriaden mal".
Ein andres noch nicht identifiziertes religiöses Gedicht
ist erhalten, teilweise in drei Abschriften.
3. Omen-Texte. Ein Fragment verzeichnet, nach der Art
indischer Omen-Bücher, die Bedeutung des Zuckens (spal-)
in verschiedenen Körperteilen. Ein zweiter vollständiger Text
von 56 Zeilen, der im nächsten Heft des Bulletin veröffentlicht
werden wird, erklärt den Charakter und das Schicksal des
Menschen je nach dem Jahre des Tierzyklus, in dem er geboren
ist. Der Text ist daher von Bedeutung für die vollständige
Liste der 12 Namen des Tierzyklus.
4. Medizinische Texte. Es finden sich zwei umfangreiche
Texte in pustaka-Form, eine Rolle und einige Fragmente.
Eins von diesen enthält ungefähr die Hälfte des Siddhasära —
eine Variante in den Handschriften gibt Siddhisära — von
Ravigupta. Zwei nepalesische Handschriften des Sanskrit-
originals sind bekannt. Der Tanjur enthält die tibetische
Version. Das Verhältnis der Sanskrit-, chotan-sakischen und
tibetischen Texte zueinander ist noch im einzelnen zu bestim¬
men. Gewöhnlich stimmen der tibetische und der chotan-
sakische Text Wort für Wort zueinander, aber gelegentlich
kommen zusätzliche Abschnitte im chotan-sakischen Text
vor. Die Sanskrittexte sind länger, wahrscheinlich interpoliert,
und weichen voneinander ab. Wie in indischen medizinischen
Texten allgemein, werden die Monatsnamen verzeichnet.
Ihre Liste ist die folgende:
1. hamdyaji{ = Skt. srävana) 7. skarhvära
2. rarüya 8. rrähaja
3. ttämjära 9. cvätaji
4. brakhaysdya 10. kaja
5. mutcaci 11. hamärlji
6. mumnamja 12. simjsimja
Ein Faksimile dieses kalendarischen Abschnitts mit Über¬
setzung wird im nächsten Heft des Bulletin erscheinen.
Ein weiteres bemerkenswertes Moment an dem Siddhasära
ist dies, daß sich im Eingang Verse finden, denen in den
tibetischen und Sanskrit-Texten nichts entspricht.
5. Amtliche Urkunden. Sie sind aufschlußreich für das
tägliche Leben von Chotan und den umliegenden Gegenden.
Wir haben hier geographische Namen wie citnga ,China',
sacü, karnmicü, phimäna kitha (Loc. Sing.) ,in der Stadt
Phimäna', erma, zu vergleichen mit ermvä bisä karntha des von
Prof. Konow herausgegebenen Sacü-Dokuments.
Eine Reihe von Urkunden ist vorhanden, die die Amts¬
geschäfte des Späta Sudärrjäm — späta ist , General' — und
seines Korrespondenten Sämdara verzeichnet. Ersterer scheint
als spa ■sor • zon in einer Unterschrift in tibetischen Zeichen
auf einer der Urkunden erwähnt zu werden.
Eine der Urkunden zählt Gaben auf, die einem äcärya
dargeboten werden. Unter den Gaben sind verschiedene
Arten von kambala , Decken' und Fellen, so die Felle von
Kamelen und Wölfen, ferner rüskagi ,Fell des rüs-', womit
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vielleicht ovis Poli gemeint ist. Eine weitere Gabe ist ein
breites (hväha-), dickes (baysga-) kämmadi, hergestellt aus
kambala (kabalija). In diesem kämmadi möchte ich auch das
kamamta oder kamumta der Kharosthi-Urkunden von Niya
erkennen, das mit goni ,Sack' und ped'a ,Korb' verbunden
auftritt. Falls diese Gleichsetzung sich bestätigt, so würde es
kaum möglich sein, die Bedeutung von neupers. kamand
, Schlinge' zur Erklärung der beiden Worte heranzuziehen').
Wir hören von der Ablieferung von Maßen (küsa und samga)
von Hirse, Gerste und Weizen; auch von Stücken Tuch,
gemessen in chä (möglicherweise dasselbe Wort wie chai Nom.
Sing., wenn man die Bedeutung von englisch yard und neupers.
gaz in Betracht zieht) und tsäna, von chin. -^J- t'sun (Karlgren
1113 ts'usn) ,Zoll'.
Bewegungen von Soldaten auf Beobachtungsdienst werden
vermerkt, in einem Falle mit Angabe der Daten, an denen sie
ausgesandt worden sind. Das dabei verwendete Wort ist
spasaüa, zu vergleichen mit dem spasa der Niya-Urkunden.
Verträge, die Geldgeschäfte zum Gegenstand haben, sind
durch Beispiele vertreten.
6. Lyrische Texte. Außer dem Stück, das Prof. Konow
am Ende des Sacü-Dokuments veröffentlicht hat, sind meh¬
rere kurze Stücke gefunden, in denen vom Singen der Vögel,
vom Blühen der Blumen, von Perlen und Liebenden die Rede
ist. Die Zeit ist jedenfalls jühänai bädi-
7. Ein Text, der in diesem Jahre in Acta Orientalia 14,
258—267, veröffentlicht worden ist, hat geographisches
Interesse. Leider ist er einstweilen vereinzelt. Er enthält den
Bericht über eine Reise vom Norden nach Kaschmir im
10. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung. Gewisse Einzelheiten
sind seit der Veröffentlichung des Textes deutlicher geworden.
Er ist dadurch interessant, daß er wahrscheinlich die älteste
Erwähnung der Städte Gilgit, hier Gldagltti genannt, und
Chilas, hier Sliathasa und Sllathasa, enthält. Der Schreiber
1) H. LijDEBs, Textilien im alten Turlcestan. Abhandlungen der
Preußischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse, 1936, Nr. 3, S. 6, A. 2.
zeigt großes Interesse an Pflanzen und Bäumen, devadäru,
kampllya, Granatapfel, banäoe und tharka; er erwähnt die
Affen. Er zählt die sanghäräma's auf. Wir würden froh sein,
mehr solcher Beschreibungen zu haben.
8. Viele der von den Buddhisten Dhäranl genannten
heihgen Formeln sind gefunden worden. Im allgemeinen sind
sie von geringem Interesse, aber gelegentlich wird die einzelne
Dhärani von einem beschreibenden Abschnitt eingeführt.
Dies ist insbesondere bei der Sumukha-dhäranl der Fall. Im
Vergleich mit den chinesischen und tibetischen Texten hat sie
wertvolle Aufschlüsse gehefert. Es finden sich am Ende der
Dhärani's Kolophone.
9. Eine umfangreiche Rolle enthält die Namen der
Buddhas des Bhadrakalpa. Die chotan-sakische Liste hat
ihre Besonderheiten gegenüber den bekannten Listen in der
von Prof. Weller herausgegebenen fünfsprachigen Polyglotte.
10. In der spätesten Gestalt des Chotan-Sakischen haben
wir eine Version des berühmten Sudhana-avadäna, dessen
Sanskrittext im Divyävadäna bekannt ist. Das Verhältnis
beider Texte ist nicht das wörthcher Entsprechung. Eine
Einzelheit von Interesse ist die Waffe märsala, die Sudhana
führt. Sie entspricht wahrscheinlich dem mudgara, , Hammer',
der Sanskritversion.
In zwei Handschriften kommt sogdische Schrift vor,
davon einmal im Jätakastava. Der Kolophon des Jätaka-stava
zeigt die gewöhnliche Form. Der Mann, der das Werk in
Auftrag gegeben hat, stellt fest, daß er alle seine Verwandten
in das dadurch gewonnene Verdienst einbezieht. Offensichtlich
ließ man für ihn zur Eintragung seines Namens Ravmi frei.
Er schrieb ihn in sogdischer Schrift in der Form kijnü'n.
In dem Teil des Kolophons, der in Brähmi geschrieben ist,
wird der Name klmisana geschrieben. Er wird chinesischen
Ursprungs sein. Der zweite Fall ist ein Beispiel für denselben
Namen: kynü'n ist mit roter Tinte quer über die Hand¬
schrift des medizinischen Textes Siddhasära geschrieben.
Eine dritte Handschrift (Ch. 1, 0021 b, a) ist nach Zeile 46
im Auftrag eines Mannes namens Klmisani geschrieben
worden. Diese Handschrift und die des Jätaka-stava erwähnen
beide den König Visa Sära von Chotan und sind sichtlich
gleichzeitig.
Viele Personennamen haben notiert werden können.
Zweie möchte ich hier erwähnen: sirphäki, noch unerklärt,
und altäm, wohl einem türkischen altun entsprechend (die
chotan-sakische Schrift unterscheidet -äm = -an und -am =
-an).
Drei allgemeine Beobachtungen mögen den Schluß bilden.
Die ganzen chotan-sakischen Texte reflektieren indische
Kultur. Aber gelegentlich schimmert eine frühere Kultur
durch in Worten wie ssandrämata (dient zur Übersetzung des
Namens der buddhistischen Göttin Sri), ssandä ,Erde' und
urmaysde , Sonne'.
Es ist jetzt bekannt, daß wir in den Kharosthi-Urkunden
von Niya eine weitere Quelle für iranische Worte haben. Sie
gehören einer älteren sprachlichen Stufe an als die chotan-
sakischen buddhistischen Texte. So hat suj'inakirta , Nadel¬
arbeit' -kirta im Unterschied von chotan-sakisch käda-.
Fremder Einfluß war in Chotan groß. Zwei Zivilisations¬
ströme trafen aufeinander. Vom Westen kam die vorherr¬
schende indische Kultur. Literatur und Religion wurden
indisch. Die Sprache wurde mit indischen Worten, sei es in
Sanskrit-, sei es in Prakritgestalt überschwemmt. Vom Osten
kam die chinesische Kultur. Wir können ihr Eindringen in den
Worten der Sprache beobachten. Es kommen Titel {ttuttevi,
tslsl), Maße (tsüna, kaba, sirnga) und Erwähnungen des chi¬
nesischen Kaisers vor.
Eine beträchtliche Menge von Material in London ist noch
zu untersuchen; und es ist wichtig, daran zu erinnern, daß
einige vierzig chotan-sakische Handschriften in Paris liegen.
Von J. Lukas
Die Afrikanistik ist eine junge Wissenschaft. Später als
andere orientalische Disziplinen trat sie auf den Plan. Man
kann daher nicht von ihr erwarten, daß sie sich mit der glei¬
chen Virtuosität auf ihrem Felde bewegt wie andere Wissen¬
schaftszweige, etwa die Semitistik. Manches ist noch proble¬
matisch und die Ackerparzelle, die bebaut werden soll, ist
nicht einmal abgesteckt. Am weitesten hat es von den Seiten¬
zweigen der Afrikanistik die Bantuistik gebracht; dies hat
sie den alles überragenden Leistungen Meinhof's zu ver¬
danken. Die Ergebnisse seines Grundrisses einer Lautlehre
der Bantusprachen") sind faszinierend und gewähren einen
nimmer zu überbietenden Einblick in die Weiterentwicklung
menschlicher Sprache. Die Bantuistik ist also eine Disziplin,
deren Grundzüge festgelegt sind. Langsam scheint ein zweiter
Zweig unserer Afrikanistik mehr und mehr aufzublühen und
verspricht uns goldene Früchte zu tragen: die Hamitistik hat
dadurch, daß Zyhlarz ihr durch Zugrundelegung des Alt¬
ägyptischen eine historische Basis gab, in den letzten Jahren
sehr viel an Vertiefung gewonnen»). Sie geht heute ihre
eigenen, aus dem Material heraus gewonnenen Wege. Schlie߬
lich ist aber noch ein dritter Zweig der Afrikanistik da, und
dies ist die Wissenschaft von den zahllosen Sprachen des
1) Vortrag gehalten auf dem Orientalistentag in Bonn 1936.
2) C. Mbinhof, Grundriß einer Lautlehre der Bantusprachen.
Berlin 1910. — Dbrs., Introduction to the phonology of the Bantu
languages. Berlin 1932.
3) Vgl. E. Zyhlabz, Ursprung und Sprachcharakter des Altägyp¬
tischen, Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Eingeborenensprachen
XXIII 1932/33. Berlin 1932. — Dbbs., Das geschichtliche Fundament
der hamitischen Sprachen. Africa IX 1936 S. 433—451.