KOMPENDIUM:
EKG-Repetitorium Röteln und Schwangerschaft Bemerkenswerte Fälle von „Tod im Wasser"
THERAPIE IN KÜRZE:
Das Menkes-Syndrom Infektiöser Fluor
DIAGNOSTIK IN KÜRZE:
Direkte Leberpunktionen
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
EKG-Repetitorium
IX. Intraventrikuläre Leitungsstörungen*)
Hans Jürgen Becker und Gisbert Kober
Aus dem Zentrum der inneren Medizin
Abteilung für Kardiologie (Leiter: Professor Dr. med. Martin Kaltenbach), der Universität Frankfurt am Main
Die von den Vorhöfen über den AV- Knoten und das Hissche Bündel weitergeleitete Erregung ddpolari- siert nacheinander das spezifische Erregungsleitungssystem (Tawara- Schenkel, Purkinje-Fasern) und die Arbeitsmuskulatur der Herzkam- mern (Darstellung 19). In der Peri- pherie erfolgt die Weitergabe der Erregung über die Arbeitsmuskula- tur selbst. Der Anfangsteil des His- schen Bündels verläuft durch das fibröse Bindegewebe des soge- nannten Herzskeletts; im zweiten Abschnitt findet die Aufteilung in die Tawara-Schenkel statt. Der lin- ke Tawara-Schenkel gibt schon
kurz nach seinem Ursprung einen posterioren Hauptast (Faszikel) ab.
Der zweite Hauptast (anteriorer Faszikel) verläuft noch ein kurzes Stück zusammen mit dem rechten Tawara-Schenkel. Letzterer teilt sich erst spät in seine Endaufzwei- gungen.
Aus der Serie „EKG-Repetitorium" sind bisher erschienen: Teil 1 in Heft 11/1974, Seite 767, Teil 11 in Heft 16/1974, Seite 1151, Teil III in Heft 18/1974, Seite 1305, Teil IV in Heft 20/1974, Seite 1463. Teil V in Heft 22/1974, Seite 1613, Teil VI in in Heft 24/1974, Seite 1757, Teil VII in Heft 27/1974, Seite 2121 und Teil VIII in Heft 29/1974, Seite 2233.
Tabelle 4: Allgemeinkriterien des Schenkelblockes
O QRS-Verbreiterung
a) unvollständiger Schenkelblock: QRS 0,1 bis 0,11 sec b) vollständiger Schenkelblock: QRS 0,12 und mehr
• Verspätung der endgültigen Negativitätsbewegung. Diese erlaubt die Seitenlokalisation der Störung
• Kammerendteilveränderungen meist mit gegensinniger (diskor- danter) Verlagerung von ST und T
DEUTSCHES .ÄRZTEBLATT Heft 30 vom 25. Juli 1974 2267
Darstellung 19
RS RS r" rSR" rsR" qRsr"
Darstellung 20
Normalfall RSB LSB
Darstellung 21
S-K
AV-K HB LTS LPF LAF RTS PF
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
EKG-Repetitorium
Die intraventrikuläre Erregungslei- tung kann durch eine umschriebe- ne anatomische Unterbrechung so- wie eine funktionelle oder organi- sche Beeinträchtigung der Leitfä- higkeit des spezifischen Erre- gungsleitungssystems gestört wer- den. Auch durch eine lokale oder diffuse Schädigung der Arbeits- muskulatur sind Störungen mög- lich. Je nach dem Schädigungsort werden verschiedene Formen von Erregungsleitungsstörungen unter- schieden. Auf die Unterbrechung
Darstellung 19 (links oben): Darstellung des spezifischen Erregungsleitungssy- stems des Herzens. SK = Sinusknoten.
AVK = Atrioventrikularknoten. HB = Hissches Bündel. LTS = Linker Ta- wara-Schenkel, RTS = Rechter Ta- wara-Schenkel. LPF = Linker posterio- rer Faszikel, LAF = Linker anteriorer Faszikel. PF = Purkinje-Fasern. Der rechte Tawara-Schenkel teilt sich erst spät in seine Endverzweigungen auf.
Der linke Tawara-Schenkel teilt sich bereits kurz nach seinem Ursprung in einen hinteren und einen vorderen Hauptast
Darstellung 20 (links Mitte): Schemati- sche Darstellung zur Definition der Zacken des QRS-Komplexes und zur Bestimmung der endgültigen Negativi- tätsbewegung. Die erste positive Zacke wird je nach Größe des Ausschlages mit R beziehungsweise r, die zweite mit R' beziehungsweise r' usw. bezeich- net. Gleiches betrifft die Kennzeich- nung der S-Zacken. Die endgültige Ne- gativitätsbewegung wird vom Beginn des QRS-Komplexes bis zum Gipfel des letzten positiven Ausschlages gerech- net
Darstellung 21 (links unten): Darstel- lung der Verspätung der endgültigen Negativitätsbewegung beim Rechts- schenkelblock (RSB) und Linksschen- kelblock (LSB). Im Vergleich zum nor- malen Elektrokardiogramm ist beim RSB die endgültige Negativitätsbewe- gung in V, und beim LSB in V6 verspä- tet. Daneben übliche Endteilverände- rungen beim Schenkelblock (in V 1 ,2
beim RSB und V 5,6 beim LSB)
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des nur 0,5 bis 0,8 Zentimeter langen Hisschen Bündels und die verschiedenen Formen der AV- Blockierungen soll in einem späte- ren Kapitel eingegangen werden.
Störungen der Erregungsleitung in den Tawara-Schenkeln werden als Schenkelblöcke bezeichnet. Sie führen zu Änderungen des Erre- gungsablaufs in den Herzkammern und zu typischen EKG-Bildern. Ge- meinsam gelten für alle Schenkel- blockformen folgende, in Tabelle 4 zusammengefaßten, Kriterien:
0 Verbreiterung des QRS-Komple- xes durch Verlängerung der Erre- gungsausbreitung. Nicht auf nor- malem Wege erregte Herzabschnit- te werden auf dem Umweg über den anderen Tawara-Schenkel und das Ventrikelseptum erregt. Von einem unvollständigen Schenkel- block spricht man, wenn die For- malkriterien vorhanden sind, die QRS-Dauer aber unter 0,12 sec liegt, von einem vollständigen Schenkelblock bei einer QRS-Dau- er von 0,12 sec und mehr. Ist der QRS-Komplex aufgesplittert, so werden mehrere positive und häu- fig auch negative Zacken beobach- tet. Die größte positive Zacke wird mit groß R, die kleinere mit klein r gekennzeichnet. Der erste positive Ausschlag des QRS-Komplexes wird R oder r, die darauffolgende erste negative Zacke S oder s ge- nannt. Alle weiteren positiven oder negativen Zacken werden mit r`
oder R` beziehungsweise s' oder S' beziehungsweise R" und S"
und so weiter bezeichnet. Entspre- chend der Reihenfolge und Aus- schlagshöhe der Zacken sind zum Beispiel RS- oder RSr`- oder rSR`- oder rsR-Typen des QRS-Komple- xes möglich (Darstellung 20).
O Die Leitungsstörung führt über die Verzögerung der Erregungs- ausbreitung zu einer Verspätung der endgültigen Negativitätsbewe- gung des QRS-Komplexes (Darstel- lung 20) im Elektrokardiogramm in den Brustwandableitungen, die über der auf Umwegen erregten Herzkammer liegen: Beim Links- schenkelblock in V 6, beim Rechts-
schenkelblock in V 1 (Darstellung 21). Unter der „endgültigen Negati- vitätsbewegung" versteht man die Zeit vom Beginn des QRS-Komple- xes bis zum letzten positiven Gip- fel.
O Die abnorme Erregungsausbrei- tung beim Schenkelblock bedingt einen von der Norm abweichenden Ablauf des Erregungsrückganges in den Kammern. Dadurch kommt es sekundär zu Veränderungen am Kammerendteil des Elektrokardio- gramms (Darstellung 21), die pro- gnostisch nicht mit formal gleich- artigen Störungen des Erregungs- rückganges aus anderer Ursache gleichgesetzt werden dürfen.
Einmal eingetretene Schenkelblok- kierungen bleiben in der Regel permanent bestehen. Seltener tritt ein Schenkelblock nur temporärer auf im Verlauf einer entzündlichen Erkrankung des Herzens. Von ei- nem intermittierenden Schenkel- block spricht man, wenn Schenkel- blockierungen mit normaler Reiz- leitung abwechseln. Die Ursache ist im Einzelfall schwer zu fassen.
Oft handelt es sich um Ermüdungs- erscheinungen des Reizleitungssy- stems, wie etwa bei einer degene- rativen Erkrankung, so daß inter- mittierende Schenkelblöcke gele- gentlich bei Zunahme der Herzfre- quenz beobachtet werden können.
Die Prognose des Schenkelblocks hängt hauptsächlich von der Grundkrankheit ab. Umschriebene Störungen des Reizleitungssystems sind bedeutend günstiger zu beur- teilen als Schenkelblöcke mit gleichzeitiger schwerer Schädi- gung der Arbeitsmuskulatur und erheblicher Herzvergrößerung. Der Linksschenkelblock ist meist ern- ster zu beurteilen als der Rechts- schenkelblock.
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. Hans Jürgen Becker Dr. med. Gisbert Kober 6 Frankfurt am Main 70 Theodor-Stern-Kai 7
IN KÜRZE
Therapie
Das Menkes-Syndrom ist häufig an Frühgeborenen zu beobachten.
Wird es nicht erkannt und behan- delt, kommt es zu einer folgen- schweren malabsorptiven Störung des Kupferstoffwechsels. Leitsym- ptome sind Dystrophie mit Tendenz zu Hypothermie, ferner Haardystro- phie im Sinne der sogenannten kinky hairs sowie zerebraler Ab- bau. Führt man vor dem Auftre- von irreparablen Defekten frühzeitig Kupfer parenteral zu, ist unter Um- ständen eine vollständige klinische Heilung zu erwarten. Die Substitu- tion von Kupfer scheint sämtliche Folgen des Kupferdefizits beheben zu können. Die günstigste Applika- tionsform, die Cu-Dosis, sowie die erforderliche Behandlungsdauer stehen noch nicht endgültig fest.
Eine Möglichkeit zur Prophylaxe besteht möglicherweise darin, den Mitgliedern betroffener Familien frühzeitig Kupfer zu verabreichen.
(Leiber, B.; Olbrich, G.: Mschr.
Kinderheilk. 122 [1974] 176-177) cb
Wird infektiöser Fluor von den Pa- tientinnen selbst behandelt, kön- nen sich leicht Applikationsfehler einschleichen. Das Präparat Dequa- vagyn® in Form von Spritzvaginel- len kann Abhilfe bringen; es wird vom Gynäkologen selbst in ein oder zwei Sitzungen appliziert. Das Mittel ist auch als Kombinations- präparat mit verschieden starken Östriolkomponenten verfügbar. Bei Frauen nach der Menopause wirkt Östro-Dequavagyn (20 mg°/0) am günstigsten. Geschlechtsreife Frau- en reagieren auf Dequavagyn al- lein am besten. Nach einmaliger Applikation ist mit einer Erfolgs- quote von rund 70 Prozent zu rech- nen. Wird das Mittel zum zweiten- mal verabreicht, erhöht sich diese Rate auf 85 Prozent. Die Behand- lung muß vor der Regelblutung er- folgen, da sonst das Vaginaldepot während der Menstruation ausge- schwemmt und damit die Therapie unterbrochen wird. (Kucera, H.;
Kupka, S.: Wien. med. Wschr. 123 [1973] 683-685) cb
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