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Archiv "Zur Situation der Onkologie in Deutschland: I. Die Situation der Klinischen Onkologie" (03.07.1975)

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THEMEN DER ZEIT:

Zur Situation der Onkologie in Deutschland 1. Die Situation

der Klinischen Onkologie II. Zusammenarbeit zwischen freipraktizieren- den Ärzten und

Klinischen Onkologen

FORUM:

Medizinische Psychologie

„Sorgenkind"

des Studiums

BEKANNTMACHUNGEN:

Sechste Ergänzungs- vereinbarung über Vordrucke für die kassenärztliche Versorgung sowie Anschlußvereinbarung mit der

Bundesknappschaft sowie

Änderungsvereinbarung mit dem VdAK/AEV Beschlüsse

und Feststellungen, die die Arbeitsgemeinschaft gemäß § 19 AEV in ihrer 39. Sitzung

am 21./22. April 1975 gefaßt bzw. getroffen hat Kassenarztsitze

PERSONALIA

Die Klinische Onkologie — beste- hend aus der Internistischen (medi- zinischen) und Radiologischen On- kologie — hat in den vergangenen Jahren einen erheblichen Auf- schwung genommen, der dazu ge- führt hat, daß in zahlreichen, uns benachbarten Ländern Europas und in den USA diese Fächer der Klinischen Onkologie in Koopera- tion mit den operativen Nachbar- disziplinen eine zentrale Bedeu- tung erlangt haben.

Dies gilt zunächst für die unmit- telbare Versorgung der uns anver- trauten Patienten, indem die Verfei- nerung der Diagnostik und die Er- gebnisse gesicherter Therapiestu- dien möglichst umgehend in die ärztliche Praxis umgesetzt werden.

Dies gilt aber ebenso für die über- regionale Organisation einer Krebsbekämpfung und kliniknahen Krebsforschung. Die Entwicklung der Onkologie ist dabei die not- wendige Folge wichtiger diagnosti- scher und therapeutischer Fort-

schritte gewesen, die ohne ein um- fassendes Grundlagenwissen nicht mehr betrieben, geschweige denn beherrscht werden kann. Die Ent- wicklung ist in vielen Ländern Eu- ropas und in den USA zum offen- sichtlichen Vorteil der Krebsbe- kämpfung und Krebsforschung weiter fortgeschritten als in der Bundesrepublik Deutschland.

In unserem Land besteht vielmehr ein beträchtlicher Nachholbedarf, der in Anbetracht der beklagens- werten Situation der Medizinischen Onkologie in Deutschland im Ver- gleich zu vielen anderen Ländern und auch zur benachbarten Schweiz mindestens zehn Jahre beträgt. Bekanntlich hat sich in der Schweiz die Medizinische Onkolo- gie als Subdisziplin der Inneren Medizin ab 1963 durchgesetzt, so daß dieses Fach dort über speziell ausgebildete Fachgruppen an na- hezu allen Universitäts- und Kan- tonspitälern verfügt und weitere regionale Zentren sich im Aufbau befinden.

Zur Situation der Onkologie in Deutschland

1. Die Situation der Klinischen Onkologie

Carl G. Schmidt und Eberhard Scherer

Die hier vorgelegte Denkschrift behandelt den als dringlich erach- teten Ausbau der konservativen Fächer im Rahmen der Klinischen Onkologie. Die bewährten Prinzipien der operativen Onkologie kön- nen hier außerhalb der Betrachtung bleiben, da sie bereits allge- mein etabliert sind und einen hohen Standard aufweisen.

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Onkologie

Die Situation der Radiologischen Onkologie in unserem Lande ist nicht viel besser. Die Durchführung der Strahlentherapie ist in Deutschland nicht an einen Fach- arzt für Strahlentherapie gebunden, der noch nicht existiert. Daher wer- den die weitaus meisten Krebspa- tienten, die einer strahlentherapeu- tischen Behandlung bedürfen, von Radiologen behandelt, die den größten Teil ihrer Tätigkeit mit dia- gnostischen Verfahren und nicht mit der Strahlentherapie verbrin- gen müssen. Die Zahl der haupt- amtlich tätigen Strahlentherapeu- ten und die Zahl selbständiger strahlentherapeutischer Institute ist in Deutschland sowohl an den gro- ßen Krankenhäusern wie an den Universitäten zu klein.

Wir halten es für dringend notwen- dig, die Medizinischen Fakultäten, die Krankenhausträger, die ver- schiedenen Ärzteorganisationen, die Gesundheitsverwaltung und die Administration der Wissenschafts- und Forschungsministerien auf den bedrohlich sich abzeichnenden Rückstand und Engpaß der Krebs- forschung und Krebsbekämpfung hinzuweisen. Einige allgemeine Be- merkungen mögen dies unterstrei- chen:

Krebserkrankungen stellen heute die zweithäufigste Todesursache dar. Die ungewöhnlich genauen Statistiken der amerikanischen Krebsgesellschaft berichten, daß in den Vereinigten Staaten im Jah- re 1971 etwa 340 000 Menschen an Krebs verstarben und daß die Schätzung für 1972 bei 345 000 liegt. Dies bedeutet etwa 960 Todesfälle an dieser Erkrankung pro Tag. Die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen beläuft sich in den USA für das Jahr 1972 auf 650 000. Infolgedessen schätzt die Amerikanische Krebsgesellschaft, daß im letzten Jahr etwa eine Mil- lion Menschen wegen einer bös- artigen Erkrankung in ärztlicher Behandlung standen.

Übersetzen wir diese Zahlen auf die Verhältnisse in Deutschland, so müssen wir ebenfalls mit einer

Mortalitätsziffer von etwa 135 000 (1972) und 146 000 (1973) pro Jahr und einer Neuerkrankungsrate von mindestens 220 000 pro Jahr rech- nen, so daß mit einer zunehmen- den Zahl von Krebspatienten etwa in der Größenordnung von 300 000 pro Jahr in der Bundesrepublik Deutschland zu rechnen ist. Ande- re Statistiken ergeben den Hinweis, daß auf einen Bevölkerungsanteil von 100 000 etwa 1200 behandelte Tumorpatienten fallen. Selbst unter der optimistischen Annahme einer Heilung von 50 Prozent stehen 600 bis 700/100 000 in ständiger Be- handlung. Auf Grund dieser Be- rechnung würden in der Bundesre- publik Deutschland etwa 720 000 Patienten mit Tumorleiden zu ge- gebenem Zeitpunkt behandelt wer- den. Diese Zahlen machen klar, welche bedeutende Rolle das Krebsproblem für die Volksgesund- heit und für die Medizin darstellt.

Das Schicksal

der Krebspatienten in Deutschland Das Schicksal der Krebspatienten in Deutschland wird nicht zuletzt durch die besondere psychologi- sche Einstellung der Bevölkerung gegenüber dieser Erkrankung be- stimmt, die noch weithin als unheil- bar angesehen wird. Krebs zu ha- ben gilt als soziales Stigma. Die Auswirkungen der Krebskrankheit werden überwiegend negativ, das heißt letal ausgehend beurteilt. Die tatsächliche Zahl der Heilungen ist auch gebildeten und belesenen Bürgern weithin unbekannt. Zu die- ser negativen Einstellung trägt das Verhalten der geheilten Patienten erheblich bei, da sie es in der Re- gel vermeiden, „sich zu ihrer Dia- gnose zu bekennen". Vielmehr fürchten sie die Tabuisierung und die ihnen entstehenden persönli- chen sowie gesellschaftlichen Nachteile, die sich zum Beispiel im Berufsleben sofort negativ auswir- ken können. Es ist daher bedauer- lich aber verständlich, wenn ge- heilte Patienten ihr früheres Leiden als Geschwür, chronische Entzün- dung, Blutung oder als durch die Therapie beherrschten „Prozeß"

darstellen. Nur ganz selten wird ein Tumor angegeben, das Wort

„Krebs" ist noch viel seltener.

Diese Haltung hat naturgemäß auch Auswirkungen auf die medizi- nische Betreuung von Patienten mit malignen Erkrankungen, die mehr als notwendig von Resigna- tion getragen wird. Eine Fachrich- tung „Onkologie" ist in Deutsch- land im Gegensatz zu anderen westlichen oder östlichen Staaten praktisch noch nicht existent. Be- handlungszentren für Krebserkran- kungen sind nur vereinzelt vorhan- den.

Die ohne Zweifel in Gang gekom- menen ernsthaften Bemühungen um die Verbesserung der Frühdia- gnose maligner Erkrankungen ste- hen noch im Anfang. Der Wert der Frühdiagnose ist für bestimmte Tumorlokalisationen unbestritten (Mamma-Ca, Zervix-Ca, Magen-Ca usw.), für andere Lokalisationen aber bisher noch nicht erkennbar.

Eine Frühdiagnose der Krebser- krankung ist jedoch dann sinnlos, wenn nicht moderne Behandlungs- zentren zur Verfügung stehen, in denen diese rechtzeitig erfaßten Patienten einer rationalen, auf viele Jahre geplanten integrierten Be- handlung zugeführt werden kön- nen. Die Behandlung von Patienten mit malignen Erkrankungen ist zur Zeit bei uns noch zu sehr von Zu- fälligkeiten abhängig, wie sie bei- spielsweise in dem Wohnort des Patienten, seiner Nähe zu Universi- tätskliniken bzw. großen Kranken- häusern oder anderen Zentren, oder beispielsweise dem erstbe- handelnden Arzt und seiner Fach- richtung gegeben sind.

Damit ist schon oft die erste, für das weitere Schicksal des Krebspa- tienten häufig entscheidende dia- gnostische Beurteilung, ferner die Indikation und Durchführung der ersten Therapie in hohem Maße von äußeren Zufälligkeiten abhän- gig und — gemäß dem Mangel an onkologischen Fachärzten — über- wiegend unzulänglich. Zwar scheint die Erstbehandlung eines Krebspa- tienten in unserem Lande zunächst 2010 Heft 27 vom 3. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTE BLATT

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kein Problem zu sein, wenn der entdeckte Tumor je nach der ana- tomischen Lage und der zuständi- gen Disziplin operativ entfernt oder einer kurativen Strahlentherapie unterworfen wird. Bereits über die daran anzuschließenden Behand- lungsmaßnahmen besteht für viele Tumoren jedoch Unsicherheit und Unklarheit.

Es stellen sich eine Reihe von Fra- gen: Soll beispielsweise präopera- tiv oder postoperativ bestrahlt wer- den? Zu welchem Zeitpunkt soll eine Chemo- oder eventuell eine Hormontherapie durchgeführt wer- den? Soll die ergänzende Bestrah- lung gezielt und kleinräumig sein oder die wesentlichen Lymphab- flußwege mit erfassen? Gibt es prophylaktische Maßnahmen? Wel- ches Fachgebiet übernimmt die Nachsorge, zu welchem Arzt geht der Patient, nachdem der Primär- eingriff durchgeführt wurde?

Der Prototyp eines solchen Schick- sals ist das einer Patientin mit Mammakarzinom, einem Tumor, von dem jährlich in der Bundesre- publik etwa 20 000 Frauen befallen werden, so daß er zu der wichtig- sten Krebserkrankung der Frau ge- worden ist. Das Mammakarzinom ist daher auch die häufigste zum Tode führende Krebsart bei Frau- en. Nach den vorliegenden Morbi- ditätsstatistiken erkranken 3 bis 5 Prozent aller Frauen, das heißt jede 20. bis 30. Frau an diesem Tumor.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei diesem Tumor trotz einer unge- wöhnlichen Flut von Publikationen bisher als gesichert geltende Maß- stäbe der Beurteilung, insbesonde- re der Therapie, einer erneuten kri- tischen Überprüfung bedürfen.

Dies gilt für die verschiedenen Operationsmethoden, Fragen der Vor- und Nachbestrahlung, die um- strittene prophylaktische Kastra- tion oder die postoperative Hor- mon- und Chemotherapie ebenso wie für die Frage der Radikalität des Vorgehens, die Rolle der re- gionalen Lymphknotenstationen und die adjuvante Chemotherapie.

Obwohl heute die Behandlung von krebskranken Patienten in den be- stehenden Zentren in Deutschland als zufriedenstellend angesehen werden kann, darf dies nicht verall- gemeinert werden. Schon rein nu- merisch muß aus der Zahl von Krebspatienten und derjenigen vor- handener onkologischer Kranken- häuser oder onkologischer Spezia- listen auf eine Unterversorgung dieser Patientengruppe geschlos- sen werden. Es ist daher nicht ver- wunderlich, daß Außenseiter in die- se Lücke der Versorgung primär anbehandelter und häufig sehr früh aufgegebener, in jedem Fall jedoch schwer kranker Patienten eingetre- ten sind und ihre Betreuung mit zweifelhaften, nicht selten schädli- chen und in der Publikumswirkung nachteiligen Verfahren übernom- men haben. Hier werden Funktio- nen wahrgenommen, die von der mit öffentlichen Mitteln geförderten Medizin bisher nicht genügend be- rücksichtigt worden sind.

Wie sich leicht belegen läßt, ist das Problem der Unterversorgung so- wie der verbreiteten Rückständig- keit in der Krebsbekämpfung nicht auf die Bundesrepublik'beschränkt.

Führende amerikanische Onkolo- gen haben sich — dem Bericht der Hospital Tribune vom 25. März 1974 folgend — trotz den im Vergleich zu Deutschland gewaltigen An- strengungen und Verbesserungen auf dem Gebiet der Krebsbehand- lung in den letzten 10 bis 20 Jahren zunehmend besorgt und enttäuscht gezeigt, da nach ihrer Auffassung in den USA sich jährlich immer noch viele tausend unnötige To- desfälle durch unpassende, über- holte oder gar fehlerhafte Be- handlung von tumorkranken Pa- tienten ereignen. Behandlung ohne ausreichende onkologische Ausbildung und Erfahrung, mangel- hafte Information über den neue- sten Stand der Diagnostik und The- rapie und verbreitete Vorurteile auf Grund von Erfahrungen, die vor mehr als 10 oder 20 Jahren ge- macht wurden, sind der Haupt- grund für diese Entwicklung. Den amerikanischen Onkologen hat sich daher die Meinung aufge-

drängt, daß das Hospitalpersonal und zahlreiche Ärzte, die Krebs- kranke behandeln, nicht über den letzten Stand informiert sind, nicht genügend Patienten mit besonde- ren Formen von Krebs sehen, um eine genügende Erfahrung zu er- werben, die zu einer optimalen Be- handlung notwendig ist. Darüber hinaus gehe von ihnen zu oft eine fatalistische Einstellung gegenüber dem Patienten aus, die auch zu ei- ner inadäquaten Therapie führe und erst dann, wenn der Patient sich in einem desolaten Zustand befinde, erfolge die Überweisung in ein onkologisches Zentrum. Die- se Besorgnisse amerikanischer Onkologen gelten in gleicher Wei- se für die Verhältnisse in der Bun- desrepublik, wobei erschwerend hinzukommt, daß in Deutschland — im Gegensatz zu den Staaten — noch keine wirksamen Entschei- dungen von grundsätzlicher Be- deutung für die Überwindung die- ses Mangels innerhalb der klini- schen Krebsversorgung gefällt wurden.

Die in den vergangenen Jahren er- zielten Fortschritte der Tumorthera- pie sind nicht genügend bekannt.

Dies gilt nicht nur für das Mamma- karzinom, sondern auch für die Ovarialkarzinome, deren 5-Jahres- Überlebensrate in einigen Zentren mit 75 Prozent angegeben wird, während sie früher höchstens 32 Prozent betrug. Eine besonders hohe 5- und 10jährige Überlebens- rate ist inzwischen bei der Lym- phogranulomatose für das Stadium I mit fast 90 Prozent erreicht wor- den; sie macht im Stadium II im- mer noch nahezu 80 Prozent aus.

Viele Anzeichen sprechen dafür, daß die modernen Therapieverfah- ren selbst in disseminierten Stadi- en (IV) dieser Erkrankung noch 5- Jahres-Überlebenszeiten in 50 Pro- zent aufweisen werden. Einige Zentren sind ferner bereits in der Lage, bei Kindern und Jugendli- chen mit akuter Lymphoblasten- Leukämie 5-Jahres-Überlebenszei- ten ohne Rezidiv in 50 Prozent der Fälle zu erreichen. 10 Jahre früher betrug die Überlebensrate höch-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Onkologie

stens 2 Prozent. An die deutliche Verbesserung der Heilungschan- cen von malignen Hodentumoren, ferner die Erfolge bei den kindli- chen Tumoren: Wilms-Tumor, Rhabdomyosarkom, Osteosarkom sei ausdrücklich erinnert. Noch vor 3 bis 4 Jahren lag die Remissions- quote bei den akuten Myelobla- sten-Leukämien der Erwachsenen bei höchstens 10 bis 15 Prozent, die Prognose war in kurzer Zeit ab- solut infaust. Heute sind bei adäqua- ter Therapie (kombinierte Chemo- therapie), Einsatz der unterstützen- den Therapie (Supportive care) mit sterilen Zelten (Life islands, Protec- ted environment), Thrombozyten- und Leukozyten-Transfusionen Re- missionsquoten von 70 Prozent er- reichbar! Die Remissionen bei den malignen Lymphomen (außer M.

Hodgkin) betragen inzwischen 60 bis 86 Prozent, bei multiplen Mye- lomen über 50 Prozent und bei den metastasierenden Chorionkarzi- nomen der Frau 70 Prozent. Selbst die früher als unbehandelbar gel- tenden kleinzelligen Bronchialkar- zinome sprechen mit Remissionen von 65 Prozent auf die moderne Therapie (kombinierte Chemothe- rapie und gezielte Bestrahlung) an.

Während beim metastasierenden Mammakarzinom im Stadium IV noch vor wenigen Jahren Remis- sionsquoten von nur 20 bis 30 Pro- zent erreichbar waren, sind sie in- zwischen auf 70 Prozent gestie- gen.

Die rasche Rückbildung der unge- wöhnlich quälenden Symptome ei- ner Lymphangiosis carcinomatosa der Lungen, die Beherrschung ku- taner Tumorinfiltrationen in Form des Cancer en cuirasse, häufig mit Exulzeration verbunden, sowie die Rückbildung viszeraler Metastasen, die Behandlung der Meningosis neoplastica, die Beeinflussung der motorischen Paresen und heftiger Schmerzattacken bei perineuraler Lymphangiosis carcinomatosa des Plexus brachialis, ja selbst die günstige Beeinflussung der Kno- chenmarkskarzinose und langsam zunehmend auch von Hirnmetasta- sen gehören zu den früher nicht er-

reichbaren Erfolgen der modernen Therapie dieses so häufigen bösar- tigen Tumors.

Bei Ausnutzung aller Möglichkeiten in Diagnostik und Therapie sind heute — global gesprochen — 35 bis 40 Prozent unserer Patienten heilbar. Bei einer Reihe von Tumo- ren sind diese Zahlen, insbeson- dere unter Anwendung aller radio- therapeutischen Möglichkeiten, seit langer Zeit deutlich höher — als Beispiele nennen wir Haut, Lippe, Kehlkopf, Gebärmutter, Schilddrü- senkrebs und die frühen Stadien des kolorektalen Karzinoms — bei anderen sind sie nach wie vor bedrückend niedrig, z. B. bei Bron- chialkrebs, Speiseröhrenkrebs und dem Magenkrebs.

Medizinische Onkologie als Fachgebiet (Teilgebiet)

Das oben skizzierte Dilemma der Unterversorgung von Krebspatien- ten ist in den Vereinigten Staaten relativ früh erkannt worden. Die amerikanische Ärzteorganisation hat daher die medizinische Onko- logie (Medical Oncology) als Sub- disziplin des Faches Innere Medi- zin anerkannt und Regelungen über die Erwerbung des Facharzt- titels ausgearbeitet.

Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß dieser zusätzliche Titel erst nach Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin erworben werden kann. Ähnliches gilt unserer Auffas- sung nach für die onkologische Strahlentherapie als Subdisziplin (siehe weiter unten).

Zahlreiche große Krebsforschungs- zentren befassen sich heute in den USA mit Tumorforschung und an- gewandter Tumorbehandlung. Sie wurden unter dem Einfluß der Na- tional Cancer Act (1971) durch so- genannte Comprehensive Centers ergänzt. Gleichzeitig bilden diese Zentren die im ganzen Land benö- tigten, teils niedergelassenen, teils im Konsiliardienst in den einzelnen Krankenhäusern tätigen klinischen Onkologen aus.

Viele Internisten hängen auch heu- te noch der früher gelehrten Mei- nung an, daß Krebs unheilbar, die ärztliche Tätigkeit auf diesem Ge- biet daher undankbar, wenig er- folgversprechend, ja frustrierend sei. Dem entspricht die Beobach- tung, daß in zahlreichen großen Kliniken und Krankenhäusern ein junger Assistent die Onkologie

„mitversorgt", ohne eingehende Vorbildung, ohne spezifisch-onko- logische Schulung, eventuell nach einem „Einführungslehrgang" von wenigen Wochen. Nicht selten wird auch die Onkologie als Appendix der Hämatologie angesehen. Die gelegentlich anzutreffende Be- zeichnung „Hämato-Onkologie"

charakterisiert diese Situation. Im Augenblick rekrutieren sich viele Medizinische Onkologen noch pri- mär aus der Hämatologie, da sich beide Fächer in der Erforschung der Hämoblastosen eng berühren.

Wir halten es aber für ausge- schlossen, daß die hämatologische Ausbildung für die Medizinische Onkologie ausreicht, da sie wichti- ge Tumorgebiete außer acht lassen muß. Man wird es der Zukunft überlassen, in welcher Weise die rasche Weiterentwicklung der Me- dizinischen Onkologie eine weitere Abgrenzung erforderlich macht, die von einigen Fakultäten ebenso wie von ausländischen Zentren bei en- ger gegenseitiger Kooperation be- reits durchgeführt worden ist.

Im Hinblick auf die gravierende Be- deutung des Krebsproblems für die Bevölkerung ist es in höchstem Maße unvernünftig und widersin- nig, daß onkologisch tätige Kliniker und Wissenschaftler sich dieser Aufgabe in der Regel nur eine ge- wisse Zeit ihres wissenschaftlichen und beruflichen Lebens widmen können. Sie sind vielmehr gezwun- gen, mangels ausreichender Le- benspositionen und mangels aus- reichender onkologischer Institu- tionen ihre spezialisierte und not- wendige Tätigkeit aufzugeben oder einzuschränken und sich anderen, allgemeineren Aufgaben des be- treffenden Faches zuzuwenden, um die „Laufbahn" nicht zu gefährden oder ihr späteres „Auskommen" zu 2012 Heft 27 vom 3. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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erreichen. Es ist ökonomisch, ge- sundheits- und auch wissen- schaftspolitisch nicht zu verantwor- ten, große Summen, bedeutenden zeitlichen Aufwand und mit jahre-

langem persönlichen Verzicht er- kaufte Leistungen auf eine Ausbil- dung zu verwenden, ohne die Mög- lichkeit vorzusehen, das einmal Er- reichte und Erlernte als lebenslan- ge medizinische Hauptaufgabe ver- folgen und ständig vertiefen zu

können.

Wie wir mehrfach zum Ausdruck gebracht haben, sind wir der An- sicht, daß die theoretisch-experi- mentellen und klinischen Fort- schritte, die erreicht worden sind und weiterhin gemacht werden, nur zur Anwendung kommen, d. h. für die Patienten nutzbar gemacht werden können, wenn die Onkolo- gie in allen klinischen Bereichen weiter gefördert wird. Dies ist bis- her nicht ausreichend der Fall.

• Als erster Schritt muß gefordert werden, daß an den Universitätskli- niken und großen Krankenhäusern die Onkologie selbstständig vertre- ten wird. Solange sie „nebenbei"

durch Ärzte betrieben wird, die von ihren eigentlichen Aufgaben inner- halb ihrer Fachgebiete bereits voll absorbiert sind, ist eine wirksame Verbesserung auf dem Gebiete der Beurteilung und Behandlung des Krebses nicht zu erwarten. Diesem Ziele dienend muß auch eine Fort- entwicklung der Weiterbildungs- ordnung folgen, indem zunächst für die Innere Medizin und die Radio- logie entsprechende Teilgebietsbe- zeichnungen geschaffen werden.

Erst eine grundsätzliche Entschei- dung in dieser Frage wird für den ärztlichen Nachwuchs die Beschäf- tigung mit den Krebskrankheiten und die Entscheidung, sich für die- ses Spezialgebiet als Lebensaufga- be zu entscheiden, ermöglichen.

Solche Maßnahmen bilden das un- erläßliche Fundament jeder „Krebs- politik", die eine quantitative und qualitative Verbesserung der Klini- schen Krebsforschung und der ärztlichen Versorgung der Krebs- patienten in der Bundesrepublik zum Ziel hat. Die volle Verwirkli-

chung dieser Vorstellungen wird ohnedies viele Jahre in Anspruch nehmen. Dies zeigt sich deutlich am Beispiel der Vereinigten Staa- ten, wo amerikanische Krebsorga- nisationen diese Notwendigkeiten bereits vor 10 bis 15 Jahren er- kannten, so daß entsprechende Maßnahmen eingeleitet wurden, die dennoch trotz der deutlichen Verbesserung in der derzeitigen Si- tuation von zahlreichen amerikani- schen Onkologen noch nicht als ausreichend betrachtet werden.

Was ist die Klinische Onkologie?

Die Fortschritte in der Diagnostik und Therapie maligner Erkrankun- gen der letzten 10 Jahre beruhen nicht nur auf dem Erwerb neuer Er- kenntnisse, sondern auch auf dem gezielten Einsatz aller mit mali- gnen Tumoren befaßten Fachdiszi- plinen und deren enger Koopera- tion: Chirurgen, Radiotherapeuten, Internisten, Pathologen, Pädiater, Gynäkologen, Dermatologen in Form der multidisziplinären Onko- logie.

Aufgabe des Medizinischen Onko- logen (Medical Oncologist) ist hier- bei, die Therapieplanung im engen Kontakt mit den notwendigen Nachbarfächern vorzunehmen und deren multidisziplinäre Koordina- tion beratend zu übernehmen. Das hier skizzierte Fach der Medizini- schen Onkologie ist daher als Sub- spezialität der Inneren Medizin auf- zufassen. Es befaßt sich mit den Aspekten der Prävention, der Früh- erkennung sowie der kurativen und palliativen Behandlung von Krebs- krankheiten. Die Rolle des Medizi- nischen Onkologen bei operablen oder durch Strahlentherapie ku- rablen Tumorleiden wird diejenige eines Beraters sein.

Auch die spätere Überwachung von Patienten nach Operationen, Strahlen- und/oder Chemotherapie sollte als gemeinsame Aufgabe des Medizinischen und Radiologischen Onkologen mit Vertretern der ein- schlägigen Fachgebiete und den Hausärzten erfolgen. Die so ver-

standene Medizinische Onkologie ist untrennbar verbunden mit der Inneren Medizin. In der Ausbildung des Medizinischen Onkologen muß das gesamte Spektrum internisti- scher Diagnostik und Therapie sei- nen Platz haben. Hinzu kommen je- doch spezielle, besonders intensi- ve Untersuchungsmethoden zur Abgrenzung der jeweiligen Krebs- erkrankung und der Metastasen- suche, zur Klärung paraneoplasti- scher Phänomene und zur Beurtei- lung des biologischen Verhaltens von Tumoren im allgemeinen Sin- ne. Der Medizinische Onkologe sollte nach Stellung der Diagnose einer Krebserkrankung in Zusam- menarbeit mit den beteiligten Fachrichtungen in kollegiale Bera- tungen über die Indikation für ein operatives, strahlentherapeuti- sches, chemotherapeutisches oder hormontherapeutisches Vorgehen eintreten. Eine Vielzahl von Patien- ten mit kurablen Organtumoren kann selbstverständlich im An- schluß an die Operation und Strahlentherapie durch radiologi- sche Onkologen überwacht wer- den, so lange eine Generalisation nicht vorliegt. Wir streben eine ge- meinsame Überwachung in Koope- ration an. Neben der Vertiefung der Diagnostik ist die medikamentöse Tumor-Behandlung die Domäne des Fachgebietes der Medizini- schen Onkologie.

Es zählen dazu keineswegs nur die Chemotherapie, sondern auch die Beherrschung der unterstützenden Behandlung sowie der Hormonthe- rapie. Die Chemotherapie mit den heute geübten Kombinationsver- fahren in der Behandlung mit alky- lierenden Substanzen, Antimetabo- liten, zytostatisch wirksamen Anti- biotika stellt hohe Anforderungen an das klinisch-pharmakologische Verständnis des Klinischen Onko- logen. Für den Unerfahrenen, das heißt nicht speziell Ausgebildeten, sind diese Medikamente ebenso gefährlich wie die Handhabung von Strahlenquellen, wenn sie nicht durch eine entsprechende Ausbil- dung erlernt und beherrscht wer- den. Ihre unkritische Anwendung führt zu bleibenden Schäden, de-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Onkologie

ren Auswirkung eine später not- wendige Behandlung unmöglich machen kann. Die Behandlung mit Hormonen oder das Prinzip des Hormonentzuges erfordern die kri- tische Beherrschung der endokri- nologischen Wirkungen solcher Substanzen und onkologische Spe- zialkenntnisse. Erst dem onkolo- gisch tätigen Internisten und onko- logisch ausgebildeten Strahlen- therapeuten wird es auf Grund sei- ner Ausbildung und klinischen Er- fahrung möglich sein, experimen- telle Chemo- und Hormontherapie einerseits sowie Strahlentherapie andererseits zu betreiben und in großen kontrollierten Studien mit anderen Zentren zusammen neue Wege bei der Optimierung von the- rapeutischen Erfolgen onkologi- scher Behandlungsweisen zu fin- den.

Nicht von ungefähr sind zahlreiche, als Verbesserung anzusehende Be- handlungsverfahren in den USA entwickelt, einem Land, in dem die Klinische Onkologie als Fach in großen Zentren seit über 20 Jahren etabliert ist. Es kann auch nicht übersehen werden, daß die Che- motherapieprogramme unseres Nachbarlandes — der Schweiz — durch kooperierte Studien und mit onkologisch ausgebildeten Fach- gruppen ihre Bedeutung gewonnen haben. Es unterliegt keinem Zwei- fel mehr, daß die ganz spezifi- schen Bedürfnisse von Patienten mit malignen Erkrankungen, die sich aus der Grundkrankheit und den Nebenwirkungen der jeweili- gen Therapieform ergeben, in er- ster Linie von onkologischen Spe- zialisten berücksichtigt werden kön- nen.

Dies gilt z. B. auch für die Behand- lung von Komplikationen, etwa im Verlaufe von malignen Erkrankun- gen, seien sie als Folge der Im- munsuppression durch das Tumor- leiden, seien sie als Therapiefolgen aufgetreten. Die differenzierte Un- terstützungsbehandlung mit Blut- fraktionen (Thrombozyten-Konzen- tration, Leukozyten-Übertragung, Kryo-Konservierung von Trombozy- ten, Leukopheresen usw.) erfordert

die Tätigkeit eines Fachonkologen, Dieses Bild der Medizinischen On- kologie sowie auch der onkologi- schen Strahlentherapie zeigt be- reits, daß diese Fachrichtungen sich nicht etwa als Absplitterung einer internistischen bzw. rönt- genologischen Partialfunktion dar- stellen, sondern daß hier Spezial- kenntnisse ganz besonderer Art in die beiden Disziplinen Innere Medi- zin und Strahlenheilkunde einge- bracht werden, die unser Wissen erweitern und durch Kooperation direkt dem Patienten zugute kom- men.

Welche Ausbildung erhält der Me- dizinische Onkologe und der onko- logische Strahlentherapeut?

Zu dieser Frage haben berufständi- ge Gremien in verschiedenen Län- dern, besonders in den USA, de- taillierte Vorstellungen entwickelt, die ihren Niederschlag in den Vor- schriften für die Facharztprüfung für den Medical Oncologist einer- seits und für die Bedeutung des onkologischen Strahlentherapeuten andererseits gefunden haben.

Für den Medizinischen Onkologen als Internisten halten wir in Über- einstimmung mit angelsächsischen Erfahrungen folgende Vorausset- zungen für notwendig:

1. Er muß die Facharztprüfung für das Fach Innere Medizin abgelegt haben und anschließend minde- stens zwei Jahre auf dem Sektor der Medizinischen Onkologie tätig gewesen sein. Bei dieser Spezial- ausbildung sind folgende Gebiete, die umfassend nur im Rahmen ei- nes onkologischen Zentrums oder einer onkologischen Abteilung be- reitgestellt werden können, zu be- rücksichtigen:

a) Ätiologie maligner Tumoren (Prädisposition, kausale Faktoren, chemische Kanzerogenese, virale Onkogenese, berufs- und umwelt- bedingte Malignome, kongenitale und erworbene Grundkrankheiten).

b) Tumorbiologie (Zellkinetik mit Studium der Wachstumscharakteri-

stiken maligner Zellen, der Regula- tion und der Stammzellphysiologie usw.).

c) Zytogenetik (Chromosomenana- lyse, karyotypische Abnormalitäten bei Tumorerkrankungen).

d) Biochemie (Konzepte der Mole- kularbiologie und des Zellstoff- wechsels).

2. Tumorimmunologie (Tumoranti- gene, tumorspezifische Immunität, immunologische Wirtsreaktionen, Grundsätze der Immundiagnose und der Immuntherapie).

3. Klinische Pharmakologie (Zellu- läre und molekularbiologische Me- chanismen der Zytostatika und der ionisierenden Strahlen).

4. Früherkennung und Diagnostik (Feststellung der Ausbreitung der Erkrankung und der Tumorfolgen im Organismus unter Beherr- schung aller diagnostischer Ver- fahren wie Knochenmarksuntersu- chung, Lumbalpunktion, Aszites- punktion, Laparoskopie, Rekto- skopie und Endoskopie allgemein, sowie Beurteilung tumorbedingter paraneoplastischer Syndrome).

5. Hämatopathologie und Zytologie mit Erkennung und Klassifizierung hämatologischer und zytologischer Befunde.

6. Klinische Chemie (Beherr- schung der modernen Laborato- riumsmethoden unter Einschluß der Hämostaseologie).

7. Nuklear-Onkologie und Nuklear- Hämatologie (Grundkenntnisse in der Indikationsstellung, Befunder- hebung und Auswertung entspre- chender Verfahren).

8. Therapieplanung und Indika- tionsstellung (Gründliche Kenntnis- se zur Beurteilung der Indikations- stellung im Hinblick auf die einzel- nen Therapieverfahren und Beherr- schung der Therapieverlaufskon- trolle).

9. Chemotherapie (Gründliche Er- fahrung in der Anwendung hormo-

2014 Heft 27 vom 3. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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neller und zytostatischer Behand- lungsverfahren, Kenntnisse der Pharmakokinetik, der Wirkungsme- chanismen, Beherrschung der Ne- benwirkungen und Erfolgsbeurtei- lung).

10. Rehabilitation.

11. Experimentelle Chemotherapie (Wissenschaftlich kontrollierte Stu- dien, fundierte Chemotherapie mit neuen Zytostatika und Beherr- schung der Phase 1-, II-, und III- Studien).

12. Epidemiologie (Vorkommen, Häufigkeit, alters- und geschlechts- spezifisches Verhalten von Tumo- ren; sozioökonomische Faktoren).

Vieles von dem hier skizzierten Wissensstoff muß auch der Radio- logische Onkologe beherrschen. Er ist, wie später dargelegt wird, ra- diologischer Facharzt mit thera- peutischem onkologischem Schwer- punkt (Teilgebietsbezeichnung).

Onkologische Radiologie

Ein Rückblick auf die bisherige Entwicklung zeigt, daß die Strahlen- ärzte der ersten und zweiten Ge- neration Ärzte oder Fachärzte ver- schiedener Richtungen mit beson- deren technischen Begabungen und Interessen gewesen sind, wel- che die Grundlagen auch der ra- diologischen Tumorbehandlung ge- schaffen haben. Späterhin entstand der Facharzt für Radiologie, der als Schwerpunkt die Röntgendiagno- stik ausübt und darüber hinaus zu- meist auch Strahlentherapie be- treibt. Die Vielfalt der zu betreuen- den onkologischen Probleme ver- langt heute vom Strahlentherapeu- ten die umfassende Beherrschung der Klinik und Pathologie der Ge- schwulstkrankheiten, so daß er als klinisch denkender Gesprächspart- ner mit allen operativen und kon- servativen Fächern der Medizin korrespondieren kann. Hinzu kommt die Kenntnis der techni- schen und physikalisch-methodi- schen Probleme der Strahlenan- wendung, die Beherrschung der

strahlenbiologischen Vorausset- zungen als Grundlage einer radio- logischen Tumortherapie.

In Deutschland wurde später als in den westlichen und nordischen Ländern die Notwendigkeit er- kannt, innerhalb der Radiologie eine Gliederung vorzunehmen und die Tätigkeit des Radiologischen Tumortherapeuten als Lebensauf- gabe anzusehen. Analog den oben gemachten Ausführungen über den Medizinischen Onkologen, der In- ternist ist und bleibt, sollte der Ra- diologische Onkologe zunächst Facharzt für Radiologie mit der Teilgebietsbezeichnung „Strahlen- therapie und radiologische Onkolo- gie" sein, entsprechend den Vor- schlägen, die soeben die Deutsche Röntgengesellschaft dem Deut- schen Ärztetag gemacht hat.

Dies kann aber nur eine Zwischen- lösung sein, da es für die weitere Entwicklung nicht optimal er- scheint, dem Radiologischen Onko- logen eine intensive Weiterbildung in der Röntgendiagnostik aufzuer- legen, statt ihn — wie es im Aus- land bereits üblich ist — zusätzlich in Medizinischer Onkologie und Pathologie auszubilden. Nur solan- ge die Zahl der in der Bundesrepu- blik tätigen hauptamtlichen Radio- therapeuten, die derzeit kaum die Zahl von., dreißig überschreitet, nicht wesentlich zugenommen und die Entwicklung radiotherapeuti- scher Institutionen auch an größe- ren Krankenhäusern nicht weiter fortgeschritten ist, sollte die im Grunde unbefriedigende Zwischen- lösung eines Onkologischen Radio- logen, der „nebenbei" noch Fach- arzt für Radiologie ist, bleiben.

Endziel ist die Schaffung eines Ra- diologischen Onkologen mit aus- reichenden Ausbildungs- und Zu- kunftsmöglichkeiten für jüngere Mitarbeiter im Sinne attraktiver be- ruflicher Entfaltung auch in Le- bensstellungen.

Wir haben uns zu vergegenwärti- gen, daß an den großen radiologi- schen Zentren des. Auslands be- reits eine weitere Spezialisierung

im Hinblick auf die Tumortherapie in verschiedene Organgebiete im Gange ist. Dies gilt inzwischen auch für die Medizinische Onkolo- gie. Auch wenn man offen läßt, ob dies nachahmenswert ist oder nicht, zeigt es jedoch die Fülle des Wissens und die Erfahrung an, die heute zu einer qualifizierten Durch- führung und Weiterentwicklung der Strahlentherapie im engen Kontakt mit den Fortschritten der Strahlen- biologie gehören.

Wie schon H. S. Kaplan für die USA feststellte, wird es bei der zuneh- menden Entwicklung und Kompli- ziertheit der Radiotherapie nicht mehr möglich sein, daß in der Zu- kunft die Strahlenbehandlung und die Röntgendiagnostik in der glei- chen Hand verbleiben. Nach Ka- plan sind derzeit in den USA etwa 500 bis 600 Strahlentherapeuten ausschließlich mit radiologischer Tumortherapie befaßt. Benötigt werden dort aber 1700 geschulte Therapeuten. Für die Erreichung dieses Zieles rechnet Kaplan mit einer Dauer von etwa 10 Jahren.

Dies gibt zugleich einen Anhalts- punkt für die zeitliche Entwick- lung in unserem Lande.

Ähnliche Verhältnisse bestehen hinsichtlich der Medizinischen On- kologie. Sie kann nicht „nebenbei"

betrieben werden. Es dürfte zu- treffen, daß die größere Zahl von krebskranken Patienten von Ärzten und Fachärzten auch chemothera- peutisch behandelt wird, die den überwiegenden Anteil ihrer Tätig- keit anderen Aspekten ihres Fach- gebietes widmen müssen. Dies gilt ganz besonders für die operativ tä- tigen Fachgebiete, welchen unbe- dingt die Möglichkeit gegeben wer- den muß, operativ versorgte Pa- tienten, bei denen eine Chemo- therapie erwogen wird, an entspre- chende Ärzte zu überweisen.

Die Probleme der Dosis-Wirkungs- relation, Zusammenhänge zwi- schen Wachstumsfraktionen, Gene- rationszyklus und Applikation der Zytostatika, Einflüsse der Therapie auf das Recruitment, ferner Proble-

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I. Tumor-Chirurgie 1. Abdominal-Chirurgie 2. Thorax-Chirurgie 3. Neuro-Chirurgie 4. Urologie 5. Orthopädie 6. HNO-Klinik 7. Augenklinik 8. Kiefer-Chirurgie

(Innere Klinik + Tumorforschung)

(Strahlenklinik und Poliklinik)

Onkologie

Medizinische Onkologie

Radiologische Onkologie

Nuklearonko- logie

und Nuklear- hämatologie

II. Gynäkologische Zellbiologie Onkologie

Molekular- III. Pädiatrische biologie

Strahlen- biologie/

Zyklotron maligner

Tumoren

Assoziation mit:

I. Tumor-Pathologie II. Immunologie III. Virologie

IV. Klinische Pharmakologie (noch offen)

V. Medizinische Physik Vl. Biochemie

Abbildung: Essener Modell der Klinischen Onkologie mit assoziierter kliniknaher Grundlagenforschung Assoziation mit: Tumorforschungszentrum bestehend aus:

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Onkologie

me der fraktionierten Zellabtötung und der Tumor-Wirt-Beziehungen unter Einbeziehung des imrriunolo- gischen Systems, Fragen der Ap- plikationsroute im Zusammenhang mit der Pharmakokinetik und die Eliminierung bzw. der Stoffwechsel der Medikamente bedürfen einer uneingeschränkten Bearbeitung, die nicht von verschiedenen Diszi- plinen „nebenbei" erbracht werden kann.

Die bisherigen Verfahren — ob- gleich noch überwiegend geübt — sind der Situation nicht mehr ange- messen und spiegeln die Ge- schwindigkeit des Fortschrittes so- wie die rasche Spezialisierung un- serer Kenntnisse und die- Beherr- schung der notwendigen Methoden nicht wider.

Der erfahrene Strahlentherapeut muß ein breites Spektrum der ver- schiedenen Neoplasien behandeln, welches nicht nur die bekannten und häufigen Tumoren, sondern darüber hinaus auch seltene For- men umfaßt.

Wir halten daher die hauptamtliche Tätigkeit des Strahlentherapeuten und des Medizinischen Onkologen

als koordinierte Subdisziplin in al- len großen Kliniken und Kranken- häusern für unabdingbar.

Im Hinblick auf die Unterversor- gung der zahlreichen Kranken be- steht eine dringende Notwendigkeit zu rascher Änderung der Situation.

Trainingsprogramme, Ausbildungs- und bleibende Wirkungsstätten für gründlich ausgebildete Medizini- sche und Radiologische Onkolo- gen sind umgehend zu schaffen bzw. ihre Zahl entsprechend den Bedürfnissen zu erhöhen. Jede Strahlenklinik oder strahlenthera- peutische Abteilung sollte durch den Medizinischen Onkologen und vice versa ergänzt werden.

Zur Zeit gibt es mehr (immer noch viel zu wenig) gut ausgebildete Ra- diotherapeuten als Medizinische Onkologen, die einer gegenseiti- gen Ergänzung bedürfen. Ist diese Ergänzung nicht gegeben, so wird es nicht wenige Patienten geben, die zum Beispiel durch einen aus- gezeichneten Strahlentherapeuten behandelt werden, aber der ergän- zenden oder kombinierten Behand- lung durch den Medizinischen On- kologen verlustig gehen und umge- kehrt.

Eine gute und seit mehreren Jah- ren bewährte Lösung dürfte in dem Essener Modell (siehe Abbildung) gegeben sein: beide Disziplinen in einem Haus, enge, arbeitsteilige Kooperation, gemeinsame Visiten, gemeinsame Therapieplanung, ko- ordinierte Therapiekontrolle ein- mündend in gemeinsamen Publika- tionen als Ausdruck der multidiszi- plinären Onkologie.

Es ist nicht zu übersehen, daß die fortschreitende Differenzierung der Medizin neben ihren unbestreitba- ren Erfolgen Kostensteigerungen verursacht, die eine gewisse Zen- tralisation nahelegen.

Forschungsprojekte größeren Aus- maßes können heute nicht mehr an allen Universitäten und Forschungs- instituten mit gleichem Aufwand verfolgt werden.

Die Kehrseite dieser durch finan- ziellen und Sachzwang sich ab- zeichnenden Situation ist aber der nicht zu vertretende Monopolan- spruch, der gelegentlich von derar- tigen Institutionen oder ihren Mitar- beitern ausgehen kann. Monopol- ansprüche stellen eine unverant- wortliche Verarmung und Einen-

2018 Heft 27 vom 3. Juli 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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gung der geistigen Auseinander- setzung und damit der Forschung dar. Hinzu kommt, daß die Effekti- vität wissenschaftlicher Arbeiten nicht immer proportional mit der Größe der Investitionen ansteigt.

Dies gilt insbesondere für größere theoretische Institute mit oft unge-

nügender gegenseitiger Koopera- tion, deren Arbeiten sich oft fern der Bedürfnisse der klinischen On-

kologie vollziehen. Aus diesem Grunde möchten wir neben den Groß-Instituten für Grundlagenfor- schung die Einrichtung kleinerer Institute der theoretischen Onkolo- gie anempfehlen, die im Rahmen klinischer Krebszentren der o. a.

Art arbeiten. Ihre Aufgabe wäre die theoretische Bearbeitung von Pro-

blemen, die sich unmittelbar aus der direkten Zusammenarbeit mit den klinischen Fächern der Onko- logie ableiten, und durch die klini- schen Forschungsrichtungen am Ort mitbestimmt werden. Es be- steht ein ausgesprochener Mangel an solchen praxisnahen, kleineren, theoretischen Instituten, die unmit- telbarer Teil des Onkologischen Zentrums sein sollten. Mit Nach- druck weisen wir auf die unge- wöhnlich erfolgreichen Bemühun- gen in den angelsächsischen Län- dern hin, wo die kliniknahe Grund- lagenforschung in größerem Um- fang Einfluß auf die Pathogenese, Pathophysiologie und sogar Be- handlung von Tumorleiden gewon- nen hat.

Dies läßt sich insbesondere am Beispiel der Leukämie-Forschung nachweisen. Für die Erforschung der Stammzellkinetik, der Knochen- markstransplantation, der immu- nologischen und molekularbiolo- gischen Charakterisierung von Leukämiezellen — wie sie in kliniknahen Instituten für experi- mentelle. Hämatologie in den an- gelsächsischen Ländern erarbeitet worden ist — gibt es in der Bun- desrepublik, von vereinzelten Aus- nahmen abgesehen, keine Entspre- chung.

Wenn wir den Vorschlag unterbrei- ten, die Ballungsgebiete mit großer

Bevölkerungsdichte sowie die gro- ßen Einzugsgebiete mit intensiver Nachfrage für die onkologische Betreuung bei der Ausstattung der Klinischen Onkologie besonders zu berücksichtigen, ist damit keines- falls der Anspruch verbunden, auf die Forschung und die medizini- schen Bemühungen außerhalb der Schwerpunktbildungen Einfluß neh- men zu wollen.

Man würde den Sinn dieser Denk- schrift mißverstehen, wenn aus un- seren Vorschlägen exorbitant hohe Investitionskosten abgeleitet wür- den. Dies ist keinesfalls notwendig.

Vielmehr ist es möglich, unter Be- rücksichtigung der hochentwickel- ten Einrichtungen von Großkliniken die Onkologie so auszubauen, daß sie den Forderungen einer moder- nen multidisziplinären Betreuung von Tumorkranken gerecht wird.

Die Einrichtung von Fachdiszipli- nen, die sorgfältige Schulung und

Die vorstehenden Ausführungen von Schmidt und Scherer machen deutlich, daß der erste Abschnitt jeder Tumortherapie der Klinik vor- behalten bleiben muß. Dies gilt selbstverständlich für operative- und Strahlenbehandlung, muß aber auch gelten für gewisse Bereiche der medikamentösen Behandlung, soweit sie mit Nebenwirkungen be- haftet ist, die eine kontinuierliche Überwachung erfordern, welche nur in der Klinik gewährleistet wer- den kann. Damit verbunden ist in jedem Fall eine sorgfältige Befund- dokumentation, die Prozedur der Stadienfestlegung als Vorstufe der aus ihr abzuleitenden Thera- pie.

die koordinierte Entwicklung zu Medizinisch-Onkologischen und Radiologischen Kliniken bzw. Ab- teilungen oder die Besetzung von Medizinischen Kliniken mit Medizi- nischen Onkologen — neben ande- ren Fachrichtungen der Inneren Medizin — sind weitaus wichtiger.

Anschrift der Verfasser:

Professor Dr. Carl G. Schmidt Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft Direktor der Inneren

Universitätsklinik und Poliklinik (Tumorforschung)

43 Essen Klinikum Essen

Professor Dr. Eberhard Scherer Beirat der Deutschen

Krebsgesellschaft Direktor der Universitäts- Strahlenklinik

43 Essen Klinikum Essen

Sobald aber die stationäre Unter- bringung des Patienten als Voraus- setzung für eine intensive Therapie und Verlaufskontrolle nicht mehr erforderlich ist, sollte der Patient zum frühestmöglichen Zeitpunkt in ambulante Behandlung entlassen werden. Der nunmehr beginnende Behandlungsabschnitt ist für das Schicksal des Patienten von emi- nenter Bedeutung und muß über einen langen Zeitraum geplant werden. Alles was in dieser Zeit geschieht, kann nur in Zusammen- arbeit der niedergelassenen Allge- meinärzte und Fachärzte im engen Kontakt mit der primär behandeln- den Klinik geschehen. Der statio- när tätige Klinikarzt und der ambu-

II. Zusammenarbeit zwischen freipraktizierenden Ärzten und

Klinischen Onkologen

Hans Joachim Sewering

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