DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
B
eim Außerordentlichen Ärztetag der Bundesärzte- kammer, am 10. Septem- ber in Köln, und beim Ersten Kassenärztetag, verbunden mit einer Außerordentlichen Ver- treterversammlung der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung, am 9. September in Bonn, haben sich die Pragmatiker durchge- setzt. Auf beiden Arztetagungen wurden zu dem von der Bundes- regierung vorgelegten Gesund- heits-Strukturgesetz alternative Vorschläge erarbeitet. Damit haben die beiden Versammlun- gen Forderungen von der „Ba- sis" und ärztlichen Vereinigun- gen, die sogenannte Seehofer- Reform rigoros abzulehnen, zu- rückgewiesen.Die Verfechter eines
„Nein" meldeten sich zwar in Köln und Bonn zu Wort, doch letzten Endes wurden sie über- stimmt. Bei der Vertreterver- sammlung und dem Kassenärz- tetag präsentierten sich die strik- ten Neinsager immerhin noch als eine ansehnliche Minderheit, einen Tag später, beim Außeror- dentlichen Deutschen Ärztetag, schwand der Anteil der Rigori- sten zusehends dahin — zur Überraschung der Medien, die mehr an „Stimmung" erwartet hatten.
Der Kassenärztetag und die Vertreterversammlung der KBV haben ein Alternativkonzept zum Gesundheits-Strukturge- setz erarbeitet, bei dem einzel- nen Positionen des Gesetzent- wurfes mit Gegenvorschlägen der Kassenärzte begegnet wird.
Darüber wird im einzelnen in diesem Heft berichtet.
Der Außerordentliche Ärz- tetag hat ein Konzept für eine längerfristig angelegte Struktur- reform im Gesundheitswesen verabschiedet. Dieses Konzept (über das im nächsten Heft in- formiert wird) zielt zwar auch auf die Seehofer-Reform, geht aber über das aktuelle Gesetzes- vorhaben hinaus. Der Deutsche Ärztetag erwartet nämlich, daß die Seehofer-Reform wahr- scheinlich nur wenige Jahre hal- ten wird und daß nach aller Vor-
Arztetage
Pragmatisch wenn auch mit Zähneknirschen
aussicht nach dem Wahljahr 1994 eine erneute „Gesundheits- reform" ansteht.
Auch die Pragmatiker unter den Delegierten der Vertreter- versammlung und des Deut- schen Ärztetages stimmen der Seehofer-Reform keineswegs zu.
Sie finden sich lediglich mit der politischen Lage zähneknir- schend ab. Im Bundestag und im Bundesrat dürfte es zu einer Verabschiedung des Gesund- heits-S trukturgesetzes kommen.
Zu diesem Gesetz gibt es de fac- to eine große Koalition, so daß es auch zu der Zustimmung der Länder (die ja mehrheitlich SPD-geführt sind) kommen wird. Wie allerdings das Ge- sundheits-Strukturgesetz end- gültig aussehen wird, ist zur Zeit völlig offen. Stimmen aus einzel- nen Bundesländern lassen be- reits Modifikationen erkennen.
Auch innerhalb der Koalition sind Bewegungen nicht auszu- schließen, nicht einmal bei dem das Gesetz mit aller Härte be- treibenden Bundesgesundheits- minister.
Der Kurs der Bundesärzte- kammer wie der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, auch während des Gesetzgebungsver- fahrens dialogfähig zu bleiben und ihre Alternativen einzubrin- gen, ist somit realistisch — so är- gerlich es auch für viele Ärzte, die sich von dieser Bundesregie- rung überfahren fühlen, sein mag, wenn ihre Spitzenorganisa- tionen nolens volens dabei mit- helfen, eine gesetzgeberische Mißgeburt kosmetisch zu ver- schönern.
Auf den Ärztetagungen am 9. und 10. September wurde im- mer wieder Unmut über das Verhalten von Bundesgesund-
heitsminister Horst Seehofer laut, der die Ärzte aus einem eher läppischen Anlaß brüskiert hatte (siehe dazu „seite eins", Heft 37: „Seehofer kneift"). Bei seiner Ablehnung, die beiden Ärztetagungen zu besuchen, blieb Seehofer bis zum Schluß.
Zugleich signalisierte er Ge- sprächsbereitschaft und verabre- dete sich noch für denselben Abend, an dem der Kassenärzte- tag mit seinen Unmutsbekun- dungen über den Minister zu Ende ging, mit Spitzenvertretern der KBV.
Über dieses abendliche Zu- sammensein bei dem Minister gibt es ein Kommuniqu, das, um Legendenbildungen oder be- wußt falschen Interpretationen vorzubeugen, im Wortlaut wie- dergegeben sei:
„Auf Einladung von Bun- desminister Horst Seehofer ka- men gestern abend die Spitze der Kassenärztlichen Bundes- vereinigung (KBV) und die ge- sundheitspolitischen Sprecher der Koalitionsparteien zu einem Gespräch zusammen. Die Koali- tion und der Bundesgesund- heitsminister sprachen der Kas- senärztlichen Bundesvereini- gung ihren Respekt aus zu der Gestaltung ihrer Außerordentli- chen Vertreterversammlung.
Die auf der Versammlung ver- abschiedeten konkreten Vor- schläge sind eine tragfähige Grundlage für weitere Gesprä- che, so die übereinstimmende Meinung.
Dazu wurden zwei Arbeits- gruppen unter Beteiligung der Krankenkassen, der Kranken- häuser, der Apotheken und der Pharmazeutischen Industrie ge- bildet, die kurzfristig Vorschläge erarbeiten sollen. Die Themen der Arbeitsgruppen sind:
— Ambulantes Operieren und teilstationäre Behandlung
— Arzneimittelversorgung und Hausarztsystem.
BMG, KBV-Spitze und die Vertreter der Koalitionsparteien bleiben im Gespräch und wer- den über die Ergebnisse der Ar- beitsgruppen nochmals bera- ten." NJ
Dt. Ärztebl. 89, Heft 38, 18. September 1992 (1) A1-2993