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Archiv "Außerordentlicher Deutscher Ärztetag „Wir müssen die Betroffenen informieren“: Interview mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, zur „Seehofer-Reform“" (04.09.1992)

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Außerordentlicher Deutscher Ärztetag

„Wir müssen die Betroffenen informieren"

Interview mit dem Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, zur „Seehofer-Reform"

DÄ: In wenigen Tagen, am 10.

September, tritt ein Außerordentli- cher Deutscher Ärztetag zusammen, koordiniert mit einem Kassenärzte- tag. Werden die Protesttagungen in Sachen Seehofer-Reform die Ge- setzespläne überhaupt beeinflussen können?

Vilmar: Das ist das Ziel. Unmit- telbar nach dem Ärztetag ist die er- ste Lesung des Regierungsentwurfs im Bundestag. Wir wollen auf das weitere Gesetzgebungsverfahren Einfluß nehmen — durch Informati- on der Abgeordneten und der Öf- fentlichkeit. Wir müssen das Be- wußtsein wecken für die systemver- ändernden Elemente der geplanten Reform. Die sind das eigentlich Be- drohliche. Die weitgehenden Er- mächtigungsvorschriften finden sich nach wie vor im Gesetzespaket, sie wurden nur besser versteckt als in den ersten Entwürfen. Bekommt der Staat so weitreichende Eingriffsrech- te, dann wird die Selbstverwaltung zur Hülse, und der Staat diktiert Art und Umfang der medizinischen Ver- sorgung. Das alles ist in der Öffent- lichkeit noch viel zu wenig bekannt, weil die Diskussion bisher vor einer Nebelwand ablief.

DÄ: Nebelwand?

Vilmar: Die argumentative Ne- belwand über den Malus bei Arznei- mitteln. Alles andere wurde darüber fast übersehen.

DÄ: Beim Malus hat Seehofer eine Konzession gemacht: kein indi- vidueller Abzug vom Honorar, son- dern eine Kollektivregelung via Selbstverwaltung.

Vilmar: Das ist eine Pseudokon- zession. Eine verschuldensunabhän-

gige Kollektivhaftung ist nicht besser als die verschuldungsunabhängige Individualhaftung, beides paßt im übrigen nicht in unser Rechtssystem.

DÄ: Angeblich haben aber die Ärztevertreter der Kollektivregelung zugestimmt, so sagt jedenfalls Mini- ster Seehofer.

Vilmar: Also, ich habe nicht zu- gestimmt. Und nach meiner Kennt- nis hat auch sonst niemand zuge- stimmt Vermutlich spielt Seehofer auf die Nürburgringgespräche an.

Das waren keine Verhandlungen, sondern nur eine Art Anhörung.

Seehofer hat hierbei auch die Kol- lektivregelung angedeutet. Die Ärz- tevertreter haben auch die dann ab- gelehnt.

DÄ: Auch die KBV?

Vilmar: Ja, auch die KBV- Vertreter. Hess (Hauptgeschäftsfüh- rer der Kassenärztlichen Bundesver- einigung, die Red.) hat den . Vorgang soeben ja im Deutschen Arzteblatt A dargestellt. Ich war auf dem Nür- burgring dabei, und ich kann die Darstellung zu dieser Anhörung nur bestätigen.

DÄ: Die KBV wird sicher auf ih- rer Vertreterversammlung und auf dem Kassenärztetag darauf zurück- kommen. Ist es nicht ungewöhnlich, daß es zu ein und derselben Sache, eben der Seehofer-Reform, kurz hin- tereinander einen Ärztetag und ei- nen Kassenärztetag gibt? Zersplit- tert da nicht der Protest?

Vilmar: Das glaube ich nicht.

Auch bei regulären Deutschen Ärz- tetagen ist es so, daß die KBV einen Tag zuvor ebenfalls tagt. Die Koordi- nation ist gewährleistet. Oesingmann

(der Erste Vorsitzende der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung, die Red.) wird beim Ärztetag sprechen, ich bei der KBV. Eine gemeiname Veranstaltung hätte übrigens erheb- liche Organisationsprobleme ge- macht. Es sind so kurzfristig einfach keine Versammlungsräume für Großveranstaltungen dieser Art zu bekommen, jedenfalls nicht in Köln/

Bonn, und da wollten wir ja aus poli- tischen Gründen hin. In der Kölner Messe, die in Frage gekommen wäre, laufen bereits Vorbereitungen zur Photokina.

DÄ: Bleibt es auch beim Außer- ordentlichen Ärztetag bei einer Ab- lehnung der Seehofer-Reform, oder kommen die Ärzte mit eigenen Re- formkonzepten? Gibt es die über- haupt?

Vilmar: Die gibt es. Seit langem.

Seehofer hätte darauf zurückgreifen können. Wir werden sie jetzt aktuali- sieren und beim Ärztetag präsentie- ren.

DÄ: Was schlagen Sie zum Bei- spiel vor?

Vilmar: Wir wollen eine neue Partnerschaft zwischen Selbstverwal- tung und Staat. Die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen ist ein- fach zu groß. Hier kann nicht ver- handelt werden. Solidarität und Ei- genverantwortung sind neu zu defi- nieren. Neu festzulegen ist, was von der Krankenversicherung versichert werden muß und was entbehrlich ist oder durch zusätzliche Versicherun- gen abgedeckt werden kann. Unbe- dingt muß der Staat die Personen- gruppen neu abgrenzen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert werden können und sol- len. Da gibt es die, für die eigentlich Dt. Ärztebl. 89, Heft 36, 4. September 1992 (21) A1-2837

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der Staat aus Steuermitteln aufkom- men müßte. Auf der anderen Seite stehen die, die sich privat absichern können.

DÄ: Das sind Vorschläge, die die gesetzliche Krankenversicherung allgemein betreffen. Was ist der spe- zifische Beitrag der Ärzte? Gefragt sind zur Zeit Sparbeiträge. Gibt es die seitens der Ärzte? Zum Beispiel ein Moratorium?

Vilmar: Es ist zu früh, dazu jetzt etwas zu sagen. Das gehört in ein Verhandlungspaket. Grundsätzlich:

Wir sind zu verantwortbaren Spar- beiträgen bereit, vorausgesetzt, es kommt zugleich zu sinnvollen Struk- turreformen der gesetzlichen Kran- kenversicherung.

DÄ: Das kann dauern. Gibt es Ärztevorschläge, die schneller umge- setzt werden können?

Vilmar: Wir können die produktunabhängige Information über Arzneimittel verstärken, mit Hilfe der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. über die Fortbildung. Anwendungsreif, zum Teil auch praktiziert sind unsere Konzepte für eine bessere Integrati- on von stationärer und ambulanter Versorgung. Ich plädiere dafür, mu- tiger gemeinsame Einrichtungen zur Nutzung teurer Technik zu schaffen;

entweder am Krankenhaus oder in der ambulanten Praxis, das ist eine Frage der örtlichen Verhältnisse und der Praktikabilität. Beide Seiten, Krankenhaus wie Praxis, müssen oh- ne Vorbehalte aufeinander zugehen und voneinander lernen. Wir dürfen hier nicht nochmal eine Chance ver- passen wie damals vor zwanzig Jah- ren, als die Ärztetage Vorschläge für die innere Struktur der Krankenhäu- ser und ihres ärztlichen Dienstes vorlegten. Die sind bis heute am Be- harrungsvermögen der Kranken- hausträger, aber auch vieler leiten- der Krankenhausärzte gescheitert.

Hätten wir rechtzeitig Strukturen ge- schaffen, um vielen Ärzten ein Be- rufsleben im Krankenhaus zu si- chern, dann könnten wir heute die Debatte über die Kassenzulassung vergessen. Aber immer noch ist es

so, daß nur zehn Prozent der Ärzte am Krankenhaus eine Dauerstellung haben, die übrigen müssen irgend- wann raus, zumeist in die Kassenpra- xis. Wenn Seehofer jetzt die Zulas- sungen reglementieren will, dann kommt das für berufs- und lebenser- fahrene Ärzte einem Berufsverbot gleich.

DÄ: Die Meinungen zu den ge- planten Zulassungssperren sind auch innerärztlich geteilt.

Vilmar: Die Bundesärztekam- mer wird sich jedenfalls dagegen zur Wehr setzen. Auch die Altersgrenze für Kassenärzte lehnt sie eindeutig ab. Die paßt nicht zum freien Beruf.

DÄ: Stimmen Sie in Sachen Zu- lassungssperre aber mit der KBV überein?

Vilmar: Die KBV ist im Grund- satz auch dagegen. Aus der Interes- senlage ihrer Mitglieder ist sie aber bereit, Zulassungsregelungen zu tole- rieren, solange es die gedeckelte Ge- samtvergütung gibt. An der wird sich laut Seehofer-Plänen nichts ändern.

Die Bundesärztekammer muß aber an die Gesamtärzteschaft und die Si- cherung auch der ärztlichen Versor- gung im Krankenhaus denken.

DÄ: Sie sagten, der Ärztetag werde sich nicht in Ablehnung der Gesetzespläne erschöpfen, sondern mit eigenen Vorschlägen kommen In der Presse werden Reformvor- schläge zur Zeit meist dem Berliner Kammerpräsidenten Dr. Ellis Huber zugeschrieben. Der habe auch den Vorstand der Bundesärztekammer zu einer reformfreudigeren Haltung gedrängt. Hat Huber Sie gedrängt?

Vilmar: Nein, und auch nicht den Vorstand. Der hatte bereits im Juli beschlossen, eigene Reformvor- schläge zu präsentieren, weil Ableh- nung der Seehofer-Pläne nicht aus- reiche. Dazu hat eine Reihe von Vorstandsmitgliedern ihre Ideen eingebracht, auch solche aus den neuen Bundesländern. Das Konzept, das so entstand, ist dann im August im Vorstand weiter beraten und be- schlossen worden. Auch Vorstellun-

gen von Huber wurden darin aufge- nommen. Huber war allerdings vor- her schon mit einem eigenen Papier in die Presse gegangen, während die anderen sich an das normale Verfah- ren der Meinungsbildung gehalten haben. Das ist der Unterschied. Ich will aber jetzt keine Auseinanderset- zung über Erstgeburtsrechte. Das bringt in der Sache nichts. Mir liegt daran, daß im Vorstand ein Konzept entstanden ist, das als Synthese von allen getragen wird und dem Außer- ordentlichen Deutschen Ärztetag vorgelegt wird.

DÄ: Der Synthese hat auch Hu- ber zugestimmt?

Vilmar: Er will das Vorstands- konzept auf dem Deutschen Ärzte- tag als Vorstandsmitglied der Bun- desärztekammer — und das ist Hu- ber ja, in der Öffentlichkeit wird das oft verkannt — mit vertreten.

DÄ: Nehmen wir an, der Ärzte- tag beschließt über die Vorstands- vorlage, lehnt das Gesetzespaket ab und stellt eigene Forderungen — und Seehofer verfolgt seinen Weg unbeirrt weiter. Was dann?

Vilmar: Zunächst mal, es geht nicht allein um Seehofer. Es gibt ein geordnetes parlamentarisches Ver- fahren. Da setzen wir an. Wir wer- den natürlich mit Seehofer, aber auch mit allen anderen relevanten Politikern sprechen. Bundesärzte- kammer und KBV haben auch um ein Gespräch mit dem Bundeskanz- ler gebeten, allerdings steht eine Antwort des Kanzlers bisher aus.

Vielleicht lag das an der Urlaubszeit.

Aber die ist ja jetzt zu Ende. Vor al- lem aber werden wir die Öffentlich- keit informieren. Eins wird nämlich übersehen: Wenn die Bundesregie- rung Milliarden einsparen will, dann bedeutet das auch, die Bevölkerung, die Patienten, bekommen Milliarden weniger an Leistungen. Die Bundes- regierung wird das nicht an die große Glocke hängen. Doch die Bevölke- rung sollte das wissen. Die notwendi- ge Information der Betroffenen wer-

den wir besorgen. ❑

Die Fragen für das Deutsche Ärzteblatt stellte Norbert Jachertz.

A1-2838 (22) Dt. Ärztebl. 89, Heft 36, 4. September 1992

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