A 1920 Deutsches Ärzteblatt
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28. September 2012N
ach Ernst von Bergmann ist seit langem die Münchener Kaserne benannt, in der die Sani- tätsakademie der Bundeswehr un- tergebracht ist. Das überrascht nicht. Bergmann war ein berühmter Chirurg, erfahren auch in der Kriegschirurgie. Das Audimax der Sanitätsakademie erinnert seit dem 27. März 2012 an Hans Scholl, den führenden Kopf der „Weißen Ro- se“. Das überrascht schon eher.Doch nur auf den ersten Blick.
Die Akademie, in der Sanitäts - offiziere und Sanitätsfeldwebel auf ihre Laufbahnen vorbereitet, fortge- bildet und für Einsätze etwa in Af- ghanistan ausgebildet werden, sieht sich in der 200-jährigen Tradition der preußischen medizinisch-chir - urgischen Bildungsanstalten, aber auch des Widerstands gegen das NS-Regime. Das entspricht der Gründungsphilosophie der Bundes- wehr. Der Traditionserlass von 1982 würdigt ausdrücklich das An-
denken an Personen, die sich „um Freiheit und Recht verdient ge- macht haben“.
Gleichwohl sprach Inge Scholl, eine Schwester von Hans Scholl, noch 1994 von Abgründen der Tra- ditionspflege. Als äußeres Zeichen nahm sie, dass die meisten Kaser- nen der Bundeswehr damals nach Kriegshelden der Wehrmacht be- nannt waren. Das habe sich gründ- lich geändert, bestätigte bei der Festveranstaltung Ende März in der Sanitätsakademie Jakob Knab, Kaufbeuren, der sich seit Jahren kritisch mit dem Traditionsver- ständnis der Bundeswehr auseinan- dersetzt. Er nannte als Beleg neben Hans Scholl weitere Widerständler, deren Gedächtnis von der Bundes- wehr gepflegt wird, darunter die be- kannten des 20. Juli, aber auch we- niger bekannte wie den Major Karl Plagge, der 250 ihm zugewiesene jüdische Zwangsarbeiter vor der Ermordung bewahrt hat, oder den
Feldwebel Anton Schmid, der 300 Juden gerettet hat und deshalb hin- gerichtet wurde.
Knab hatte zusammen mit Dr.
Detlef Bald, einem Münchener His- toriker, 2006 beim Sanitätsinspek- teur angeregt, die Sanitätsakademie insgesamt in „Sanitätsfeldwebel- Scholl-Akademie“ zu benennen.
Das scheint der Bundeswehr aber zu weit gegangen zu sein. Die Be- nennung allein des Audimax sei niedrigschwelliger gewesen, erläu- tert Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps (siehe Interview).
Bedeutung des Widerstands von Sanitätssoldaten
Schoeps, bis März dieses Jahres Kommandeur der Sanitätsakade- mie, und sein Stellvertreter, Flot- tenarzt Dr. med. Volker Hartmann, hatten sich für Scholl als Namens- geber eingesetzt, um auf „die große Bedeutung des Widerstandes der Sanitätssoldaten um Hans Scholl gegen das NS-Regime für die frei- heitliche Erinnerungskultur auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr“
(Schoeps) hinzuweisen. Schoeps ist
Foto: Gedenkstätte Deutscher Widerstand
SANITÄTSDIENST DER BUNDESWEHR
Traditionspflege mit der
„Weißen Rose“
Die Sanitätsakademie der Bundeswehr in München besinnt sich auf die Sanitätssoldaten um Hans Scholl.
Hans Scholl war Medizinstudent. Er wurde als Sanitätssoldat an der Ostfront eingesetzt.
T H E M E N D E R Z E I T
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28. September 2012 seit April 2012 Unterabteilungslei-ter in der Abteilung Führung Streit- kräfte im Bundesverteidigungsmi- nisterium. Zum Aufgabengebiet ge- hören unter anderem Sanitätsdienst und Innere Führung.
Hans Scholl als Namensgeber des Audimax habe sich erst lang- sam zum Gegner des Nationalso- zialismus entwickelt, erläuterte der Amtschef des Militärgeschichtli- chen Forschungsamtes, Dr. Hans- Hubert Mack, anlässlich der Na- mensgebung. Entscheidende An- stöße für den aktiven Widerstand erhielt Scholl offenbar an der Ost- front. Dort war er von August bis Oktober 1942 als Sanitätssoldat auf einem Hauptverbandsplatz einge- setzt, pflegte aber mehr oder weni- ger offen auch Kontakte mit Ein- heimischen. Erleichtert wurde das, weil Scholls „Weiße-Rose“-Freund und Mitsanitäter Alexander Schmo- rell aus Russland stammte und rus- sisch sprach (alles detailliert nach- zulesen in: „Hans Scholl“ von Bar- bara Ellermeier, Hamburg 2012). So machten die Sanitätssoldaten „ihre Erfahrungen mit dem Vernichtungs- krieg und der Besatzungsherrschaft der Wehrmacht“ (Knab/Bald).
Bekenntnis zur Freiheit als Erbe und Auftrag
Nach ihrer Rückkehr erregt die
„Weiße Rose“ mit ihren Flugblät- tern an der Ludwig-Maximilians- Universität München Aufsehen – und Unmut: diese kleine, christlich motivierte Gruppe inmitten einer NS-doktrinierten Studentenschaft und einer überwiegend regimekon- formen Bevölkerung. Auch das Denunziantentum ist hier gang und gäbe (Hans-Hubert Mack). Die
„Weiße Rose“ fliegt bald auf. Am 22. Februar 1943 werden die ersten Mitglieder hingerichtet, unter ih- nen Hans Scholl. Das Vollstre- ckungsprotokoll vermerkt: „Seine letzten Worte waren: ‚Es lebe die Freiheit‘.“
Das Bekenntnis zur Freiheit sei, sagt Generalarzt Schoeps, als ge- schichtliches Erbe und politischer Auftrag für die jungen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu
verstehen.
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Norbert Jachertz
„Wir arbeiten unter
der unsichtbaren Flagge der Humanität“
Welche Vorbilder haben Sanitätsoffiziere? Wie gehen sie mit dem Spannungsverhältnis von ärztlicher und militäri- scher Ethik um? Stephan Schoeps über Tradition und Selbstverständnis des Sanitätswesens der Bundeswehr
Die Bundeswehr hat sich für ihr Sani- tätswesen auf Hans Scholl von der Weißen Rose besonnen. Sie waren maßgeblich an dieser Rückbesinnung beteiligt. Warum Scholl und warum erst jetzt?
Schoeps: Das war ein längerer Pro- zess. Den Anstoß gaben schon 2006 zwei Historiker. Und warum Scholl?
Soldaten brauchen Vorbilder. Ernst von Bergmann, nach dem die Mün- chener Kaserne benannt ist, in dem
die Sanitätsakademie untergebracht ist, wird vor allem fachlich, in seiner Eigenschaft als vorbildlicher Chi- rurg wahrgenommen. Auf junge Soldaten wirkt er gelegentlich zu alt.
Der junge Hans Scholl aber gehört zu den Menschen, die für ihre Ge- wissensüberzeugung unbeirrbar ein- traten. Deswegen ist er Vorbild für uns. Wir neigen heute dazu, vor- schnell einzuknicken, statt unsere Überzeugung mit Festigkeit zu ver- treten. Dazu kommt, er war als Sa - nitätsfeldwebel in einer Studenten- kompanie gleichsam ein Prototyp des Sanitätsoffizieranwärters. Er ge- hörte zur gleichen Altersklasse wie unser Nachwuchs.
Scholl war einer der führenden Köpfe der Weißen Rose, und die gilt nun wirklich nicht als militärisch. Kann er da über- haupt als soldatisches Vorbild dienen?
Schoeps: Mit Hans Scholl haben wir tatsächlich zum ersten Mal den militärischen Aspekt einbezogen, das war nicht unumstritten. Im Un- terschied zu seinem Freund Alexan- der Schmorell, einem anderen füh- renden Kopf der Weißen Rose, war Scholl kein Pazifist, sondern ein kritischer Soldat. Ihn zeichneten Klarheit des Gedankens und Refle- xion des Berufes aus. Militärische Einsätze lehnte er nicht grundsätz- lich ab. Absolut ungewöhnlich war sein Widerstand, der aber richtete
INTERVIEW
mit Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps
Foto. Eberhard Hahne
Dr. med. Stephan Schoeps (54) ist Unterabteilungs -
leiter in der Abteilung Führung Streitkräfte im Bundesverteidi - gungs ministerium.