• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps: „Wir arbeiten unter der unsichtbaren Flagge der Humanität“" (28.09.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps: „Wir arbeiten unter der unsichtbaren Flagge der Humanität“" (28.09.2012)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1922 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 39

|

28. September 2012 seit April 2012 Unterabteilungslei-

ter in der Abteilung Führung Streit- kräfte im Bundesverteidigungsmi- nisterium. Zum Aufgabengebiet ge- hören unter anderem Sanitätsdienst und Innere Führung.

Hans Scholl als Namensgeber des Audimax habe sich erst lang- sam zum Gegner des Nationalso- zialismus entwickelt, erläuterte der Amtschef des Militärgeschichtli- chen Forschungsamtes, Dr. Hans- Hubert Mack, anlässlich der Na- mensgebung. Entscheidende An- stöße für den aktiven Widerstand erhielt Scholl offenbar an der Ost- front. Dort war er von August bis Oktober 1942 als Sanitätssoldat auf einem Hauptverbandsplatz einge- setzt, pflegte aber mehr oder weni- ger offen auch Kontakte mit Ein- heimischen. Erleichtert wurde das, weil Scholls „Weiße-Rose“-Freund und Mitsanitäter Alexander Schmo- rell aus Russland stammte und rus- sisch sprach (alles detailliert nach- zulesen in: „Hans Scholl“ von Bar- bara Ellermeier, Hamburg 2012). So machten die Sanitätssoldaten „ihre Erfahrungen mit dem Vernichtungs- krieg und der Besatzungsherrschaft der Wehrmacht“ (Knab/Bald).

Bekenntnis zur Freiheit als Erbe und Auftrag

Nach ihrer Rückkehr erregt die

„Weiße Rose“ mit ihren Flugblät- tern an der Ludwig-Maximilians- Universität München Aufsehen – und Unmut: diese kleine, christlich motivierte Gruppe inmitten einer NS-doktrinierten Studentenschaft und einer überwiegend regimekon- formen Bevölkerung. Auch das Denunziantentum ist hier gang und gäbe (Hans-Hubert Mack). Die

„Weiße Rose“ fliegt bald auf. Am 22. Februar 1943 werden die ersten Mitglieder hingerichtet, unter ih- nen Hans Scholl. Das Vollstre- ckungsprotokoll vermerkt: „Seine letzten Worte waren: ‚Es lebe die Freiheit‘.“

Das Bekenntnis zur Freiheit sei, sagt Generalarzt Schoeps, als ge- schichtliches Erbe und politischer Auftrag für die jungen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zu

verstehen.

Norbert Jachertz

„Wir arbeiten unter

der unsichtbaren Flagge der Humanität“

Welche Vorbilder haben Sanitätsoffiziere? Wie gehen sie mit dem Spannungsverhältnis von ärztlicher und militäri- scher Ethik um? Stephan Schoeps über Tradition und Selbstverständnis des Sanitätswesens der Bundeswehr

Die Bundeswehr hat sich für ihr Sani- tätswesen auf Hans Scholl von der Weißen Rose besonnen. Sie waren maßgeblich an dieser Rückbesinnung beteiligt. Warum Scholl und warum erst jetzt?

Schoeps: Das war ein längerer Pro- zess. Den Anstoß gaben schon 2006 zwei Historiker. Und warum Scholl?

Soldaten brauchen Vorbilder. Ernst von Bergmann, nach dem die Mün- chener Kaserne benannt ist, in dem

die Sanitätsakademie untergebracht ist, wird vor allem fachlich, in seiner Eigenschaft als vorbildlicher Chi- rurg wahrgenommen. Auf junge Soldaten wirkt er gelegentlich zu alt.

Der junge Hans Scholl aber gehört zu den Menschen, die für ihre Ge- wissensüberzeugung unbeirrbar ein- traten. Deswegen ist er Vorbild für uns. Wir neigen heute dazu, vor- schnell einzuknicken, statt unsere Überzeugung mit Festigkeit zu ver- treten. Dazu kommt, er war als Sa - nitätsfeldwebel in einer Studenten- kompanie gleichsam ein Prototyp des Sanitätsoffizieranwärters. Er ge- hörte zur gleichen Altersklasse wie unser Nachwuchs.

Scholl war einer der führenden Köpfe der Weißen Rose, und die gilt nun wirklich nicht als militärisch. Kann er da über- haupt als soldatisches Vorbild dienen?

Schoeps: Mit Hans Scholl haben wir tatsächlich zum ersten Mal den militärischen Aspekt einbezogen, das war nicht unumstritten. Im Un- terschied zu seinem Freund Alexan- der Schmorell, einem anderen füh- renden Kopf der Weißen Rose, war Scholl kein Pazifist, sondern ein kritischer Soldat. Ihn zeichneten Klarheit des Gedankens und Refle- xion des Berufes aus. Militärische Einsätze lehnte er nicht grundsätz- lich ab. Absolut ungewöhnlich war sein Widerstand, der aber richtete

INTERVIEW

mit Generalarzt Dr. med. Stephan Schoeps

Foto. Eberhard Hahne

Dr. med. Stephan Schoeps (54) ist Unterabteilungs -

leiter in der Abteilung Führung Streitkräfte im Bundesverteidi - gungs ministerium.

T H E M E N D E R Z E I T

(2)

sich gegen das nationalsozialisti- sche Unrechtsregime.

Das Regime war mit der Wehrmacht einschließlich Sanitätswesen eng ver- bunden. Wie halten Sie es mit der Wehrmachtstradition?

Schoeps: Die Wehrmacht ist nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr.

Tatsächlich?

Schoeps: Lesen Sie mal den Traditi- onserlass von 1982 oder unsere Leit- linien für die Innere Führung. Tradi- tionsstiftend ist der Widerstand. Tra- ditionsstiftend sind die preußischen Heeresreformer. Maßgeblich ist schließlich der Aufbau der Bundes- wehr, einer Armee, die dem demo- kratischen Rechtsstaat verpflichtet ist.

Die Wehrmacht hingegen hat einem verbrecherischen Regime gedient.

Das wurde aber lange anders gesehen, wie sich an der Namensgebung militä- rischer Einrichtung ablesen lässt. Viele mussten in den letzten Jahren umbe- nannt werden. Eine dieser Namens - änderungen haben Sie ja selbst auch aktiv betrieben.

Schoeps: Mit der Wehrmacht wur- de in den 50er und 60er Jahren un- historisch umgegangen. In der Ver- gangenheit wurden Wehrmachts - angehörige oft wenig überlegt und unter einseitiger Betonung ihrer rein militärischen Leistungen be- dacht. Mit fortschreitender histo - rischer Aufarbeitung wurde die zwielichtige Rolle bekannt, die manche der vermeintlichen Vor - bilder tatsächlich gespielt hatten.

Bei der Benennung von Einrichtun- gen kommt es heute weniger auf den militärischen Rang an, auch ein Feldwebel kann namengebend sein. Wie etwa Hans Scholl.

Bleiben wir beim Sanitätswesen und dessen Traditionen. Im Ersten Welt- krieg haben Sanitätsoffiziere soge- nannte Kriegsneurotiker rigoros frontfähig gemacht, im Zweiten Welt- krieg Selbstverletzte gemeldet, die sodann wegen Wehrkraftzersetzung

zum Tode verurteilt wurden. Heute undenkbar?

Schoeps: Die Wirkungszusammen- hänge der sogenannten Kriegsneu- rosen sind damals von den Ärzten nicht richtig verstanden worden. Die Behandlung war mehr experimen- tell: So wurden sogenannte Kriegs- zitterer mit Elektroschocks behan- delt. Wir sprechen heute von post- traumatischen Belastungsstörungen und behandeln sie sorgfältig. Der Sanitätsdienst hat darin eine große Expertise – über 500 Fälle. Wir trei- ben einen maximalen Aufwand für das Individuum. Das hat mit unse- rem Menschenbild zu tun. Wir su- chen auch für die Erkrankten, die nicht mehr kampffähig sind, eine ih- nen gemäße Verwendung zu finden.

Und die Selbstverstümmeler? Gäbe es die wieder, was würde Ihre Ethik dann sagen?

Schoeps: Wir sehen uns als Ärz- te. Für uns gilt die ärztliche Ethik.

Um einen bekannten Sanitätsoffi- zier des Zweiten Weltkrieges, Peter Bamm alias Curt Emmrich, zu zi- tieren: Wir arbeiten unter der un- sichtbaren Flagge der Humanität.

Der allein sind wir verpflichtet. Ob militärisch oder zivil: Unser unbe- zahlbares Privileg ist es, dass wir immer sinnhaft tätig sind.

Sehen Sie kein Spannungsverhältnis zwischen militärischer und ärztlicher Ethik? Wer beschäftigt sich mit solchen Fragen?

Schoeps: Es gibt derzeit keine Stelle, die sich mit ärztlicher Ethik im Sani- tätswesen beschäftigt. Wir versuchen, sie in die Sanitätsakademie zu brin- gen, und fordern unseren Nachwuchs dazu auf, sich mit, wie Sie sagen, Spannungsverhältnissen auseinander- zusetzen. Etwa: Zurückweichen vor

Gewalt oder sich verteidigen? Was bedeutet der Nonkombattantenstatus?

Berge ich den Gegner genauso wie die eigenen Leute? Wie weit geht der Einsatz für die Zivilbevölkerung?

Nehmen wir, um konkreter zu wer- den, unsere Erfahrungen in Afghanis- tan. Im Lazarett werden zum Beispiel immer 30 Betten für Notfälle bereit- gehalten. Halte ich die nun frei für die Truppe, oder mache ich die Bet- ten voll für die Zivilbevölkerung, solange sie für die Truppe nicht be- nötigt werden? Auch die Intensivsta- tion wird zivil genutzt, aber frei ge- räumt, wenn die Truppe sie braucht.

Und wenn das der Fall ist . . .

Schoeps: . . . werden wir eine prag- matische und humane Lösung finden.

Wird denn diese humane Rolle des Sanitätsdienstes in Ihren Reihen all - gemein akzeptiert?

Schoeps: Sowohl von der militäri- schen Führung als auch von der Truppe im Einsatz. Die sehen: Wir stellen uns den Gefahren und holen ganz vorn die Verwundeten raus. Es gibt viele tapfere Leute bei uns. Da- her rührt auch das neue Selbstwert- gefühl des Sanitätsdienstes. Früher hat man gegrinst, wenn es hieß: Der ist bei den Sanitätern. Heute akzep- tiert uns die Truppe als unverzicht- baren Bestandteil des Teams.

In der Tradition der alten Wehrmacht mag die Bundeswehr zwar nicht ste- hen. Der Blick auf die Wehrmacht lehrt aber, dass die Humanität nur Vorrang hat, wenn der Staat sie gelten lässt.

Schoeps: Unser Staat ist der Ach- tung und dem Schutz der Men- schenwürde verpflichtet. Diesen Staat verteidigen wir.

Hans Scholl gehört zu den Menschen,

die für ihre Überzeugung unbeirrbar eintraten.

Deswegen ist er ein Vorbild für uns.

Das Gespräch führten Dr. med. Birgit Hibbeler und Norbert Jachertz.

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 39

|

28. September 2012 A 1923

T H E M E N D E R Z E I T

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Patschke: Wenn wir tatsächlich in einer Region Ärzte haben, weil wir dort über Truppenstandorte verfü- gen, aber die Bevölkerung nicht versorgt ist – dann müsste man ab-

Band 3, ChessBase, Hamburg 2012, DVD, 29,90 Euro Nach der Magerkost der Schach- weltmeisterschaft im Mai in Mos- kau zwischen Anand und Gelfand (zehn der zwölf Partien endeten

Kröninger hat sich in den über 20 Jahren seiner berufspolitischen Tätigkeit durch seinen unermüdli- chen Einsatz, seine feste Haltung, seine ausgleichende Art, seine

Volker Hartmann, hatten sich für Scholl als Namens- geber eingesetzt, um auf „die große Bedeutung des Widerstandes der Sanitätssoldaten um Hans Scholl gegen das NS-Regime für

Grabe: Nach ihrer Entlassung aus der psychiatrisch-psychotherapeuti- schen Tagesklinik müssen Patienten oft fünf bis sechs Monate warten, bis sie einen Vorstellungstermin

Hintergrund: Das Krankengut im Stadium III der zerebrovaskulären Insuffizienz nach Vollmar ("neurologisch instabile Patienten") ist heterogen und beinhaltet sowohl Patienten

Die statistische Auswertung liefert das Ergebnis, daß kein signifikanter Zusammenhang zwischen NAT2-Polymorphismus und der Entstehung von Lungenkrebs (Odds Ratio von 1.15 bei

So konnte die mit der neuen Technologie verbun- dene erhöhte Sicherheit für Blut und Blutpräparate nachgewiesen wer- den. Seit der verbindlichen Einfüh- rung der HCV- und später