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Archiv "Grollende Kritik: Aus verschiedenen (Himmels-)Richtungen oder aus derselben Ecke?" (29.05.1975)

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72. Jahrgang / Heft 22 29. Mai 1975

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DEUTSCHE S

Die Information:

Bericht und Meinung

AR ZTE B LATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Grollende Kritik

Aus verschiedenen (Himmels-)Richtungen oder aus derselben Ecke?

Aus scheinbar heiterem Himmel brach in der Woche nach dem 78. Deutschen Ärztetag grollende Kritik über die Ärzteschaft herein.

Frau Dr. Katharina Focke, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, kritisierte die Arbeit des Ärztetages in Hamburg als

„nicht konstruktiv" und sprach ihm „Reformbereitschaft" ab. Der Hessische Ministerpräsident Albert Osswald kritisierte in einer Stellungnahme zum 78. Deutschen Ärztetag, „daß ein Teil der orga- nisierten Ärzteschaft jede Reform und jeden Ansatz zur Neugestal- tung des Gesundheitswesens kategorisch ablehnt". Friedel Läpple, der saarländischen SPD-Präside und Vorsitzende der SPD-Gesund- heitskommission, kritisierte, für die offiziellen Vertreter der Ärzteschaft nicht bereit ist, die dem Problem der Gesundheits- Standespolitik zu sein — gerade gut genug als Schutzschild zur Verteidigung von Privilegien". Und der stellvertretende Juso-Vor- sitzende Hermann Scheer kritisierte, daß „die organisierte deutsche Ärzteschaft nicht bereit ist, die dem Problem der Gesundheits- versorgung angemessenen Reformen auch nur zu erörtern". Scheer übte außerdem „entschiedene" Kritik am Vorsitzenden der SPD- Bundestagsfraktion, Herbert Wehner. So Scheer: Wenn Wehner in einem Brief_an den Ärztetag die Ansicht vertrete, daß eine generelle Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung für die SPD-Fraktion nicht akzeptabel sei, widerspreche er „einem sach- lich nicht mehr zu widerlegendem sozialdemokratischen Reformziel".

Man kann sich also zusammenreimen, was mit dem Vorwurf der angeblichen „Reformfeindlichkeit" des 78. Deutschen Ärztetages gemeint sein mag.

Sehen wir einmal von Herrn Osswald, Herrn Läpple und Herrn Scheer ab, deren vorgefaßte Kritik sich schon aus zeitlichen Gründen gar nicht auf eine wirklich fundierte Kenntnis der Referate, Diskussionen und Beschlüsse des 78. Deutschen Ärztetages stützen konnte, so bleibt als ernst zu nehmen die Kritik Frau Fockes, die wenigstens an der Schlußkundgebung in Hamburg teilnahm und deren Mitarbeiter gewiß Gelegenheit hatten, sich vor den kritischen Äußerungen ihrer Ministerin intensiver mit den Aussagen der vier-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 29. Mai 1975 1683

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Die Information:

Bericht und Meinung

Kritik am 78. Deutschen Ärztetag

tägigen Plenarversammlung des Ärztetages zu befassen. Gerade deshalb muß Frau Fockes Kritik besonders überraschen, weil sie eigentlich nur verständlich wäre, wenn man ihr zubilligte, daß sie in den fünf Tagen zwischen dem Ab- schluß des Ärztetages und der Ver- öffentlichung ihrer Kritik eben keine Gelegenheit gehabt hätte, sich mit allen Beratungsgegenständen und Ergebnissen des Ärztetages ver- traut zu machen.

Wie hätte sie sonst meinen kön- nen, die Ärzteschaft habe „eine Chance vertan klarzumachen, was sie zur Lösung der dringlichsten Probleme im Gesundheitswesen zu leisten bereit sei". Und wie hätte sie sonst dem Ärztetag vorwerfen können, er habe sich „an den bren- nendsten und dringlichsten Proble- men von heute regelrecht vorbei- gedrückt". Und wie hätte sie sonst meinen können, es sei „ganz ein- fach. zu wenig, alle Reformvor- schläge als Systemveränderungen zu verdammen".

In einer Erklärung gab der Präsi- dent des Deutschen Ärztetages und der Bundesärztekammer, Prof.

Dr. Hans Joachim Sewering, seiner Überraschung, Verwunderung und Enttäuschung über solche Kritik Ausdruck. Wenn man die doku- mentarische Berichterstattung in der vorigen und in der hier vorlie- genden Ausgabe des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES nachliest, muß man entweder annehmen, Frau Focke meine einen ganz anderen

„Ärztetag", oder es gebe tatsäch- lich, worauf Sewering in der Erwi- derung zu Frau Fockes Kritik hin- wies, für den Begriff „Reformen"

im Bundesgesundheitsministerium und in der Ärzteschaft keine ein- heitliche Auslegung.

In der Tat, was etwa Jusos, Judos oder die „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Gesundheits- wesen" als „Reformen" anbieten, ist aus der gesellschafts-, gesund- heits- und sozialpolitischen Sicht der deutschen Ärzteschaft nichts anderes als marxistische System- veränderung, vor der die Ärzte der

Bundesrepublik Deutschland ihre Patienten nach wie vor bewahren und in Schutz nehmen möchten.

Ihre eigene Reformbereitschaft ha- ben die Delegierten des 78. Deut- schen Ärztetages (fast ausnahms- los) während nahezu viertägigen Diskussionen zumindest für denje- nigen erwiesen, der unter „Refor- men" auch andere (nicht-sozialisti- sche) Entwicklungsformen versteht.

Sehr konstruktive Stellungnahme zur Fortentwicklung

der Krankenversicherung

So wies Prof. Dr. Sewering Frau Dr. Focke beispielhaft auf die na- hezu einen ganzen Tag umfassen- den Erörterungen des 78. Deut- schen Ärztetages über die zukünfti- gen Aufgaben der ambulanten ärzt- lichen Versorgung und auf dessen Zustimmung zu zehn Thesen hin, die vorher bereits von der Vertreter- versammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einstimmig ver- abschiedet worden waren. Sewe- ring: „Der Ärztetag nahm sehr kon- struktiv zu dem Entwurf der Bun- desregierung zur Fortentwicklung des Kassenarztrechts Stellung [was jeder in Heft 21 des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES, Seite 1646 ff., Seite 1660 ff. und Seite 1664 ff., nachlesen kann — die Redak- tion].

Die der kassenärztlichen Selbstver- waltung in diesem Regierungsent- wurf eingeräumten Möglichkeiten zur Verbesserung der ambulanten ärztlichen Versorgung, vor allem in Stadtrand- und Landgebieten, hielt der Deutsche Ärztetag für so wirk- sam, daß er seiner Überzeugung Ausdruck geben konnte, es werde einer Reglementierung der Nieder-

lassung nicht bedürfen."

Was ist an einem solchen Einge- hen der Ärzteschaft auf einen im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung erstellten Entwurf, den die Bundesregierung verab- schiedet und zur Beratung und Be- schlußfassung dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat, aus der Sicht der Bundesministerin für Ju-

gend, Familie und Gesundheit ei- gentlich „reformfeindlich"?

Und wieso verdient der Ärztetag Schelte der Ministerin, wenn er — so Sewering - „ein fertiges ‚Re- zept' zur Kostendämpfung in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Kürze der Zeit ebensowenig erarbeiten konnte wie bisher alle anderen an der Krankenversiche- rung Beteiligten"?

Oder glaubt Frau Focke, „Reform- feindlichkeit" darin erblicken zu können, daß der Präsident der Bundesärztekammer in der Öffentli- chen Schlußveranstaltung des 78.

Deutschen Ärztetages nachdrück- lich vor Experimenten gewarnt hat, wie schon zum wiederholten Male etwa vor der Beauftragung der Krankenhäuser mit ambulanten Voruntersuchungen und Nachbe- handlungen?

Professor Sewering hatte dar- auf hingewiesen, und er pochte auch in seiner Erwiderung auf Frau Fockes Kritik darauf, daß derartige Maßnahmen, wie Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, keine Entlastung der Krankenhäuser, kei- ne Verkürzung der Verweildauer und damit auch keine Kostensen- kung bewirken.

Der Präsident der Bundesärzte- kammer und des Deutschen Ärzte- tages befindet sich mit dieser Aus- sage in völliger Übereinstimmung mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Deutschen Bundestag, der den 78. Deutschen Ärztetag mit dieser sachverständigen Aussage beeindruckt hatte: „Es wäre gera- dezu widersinnig, durch das teuer- ste Instrument unseres Gesund- heitswesens noch weitere Aufgaben durchführen zu lassen. Zudem wür- de durch eine Öffnung für ambu- lante Behandlung die Durchfüh- rung der eigentlichen Aufgaben im stationären Bereich ernsthaft be- einträchtigt."

Genau das hat auch Prof. Sewering in Übereinstimmung mit den im Krankenhaus angestellten Ärzten zum Ausdruck gebracht und in Be-

1684 Heft 22 vom 29. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

antwortung der Anregung Herbert Wehners („... sollten wir in ge- meinsamen Überlegungen prüfen, wie wir die erforderliche Beseiti- gung hinderlicher Barrieren zwi- schen ambulantem und stationärem Bereich erreichen können") zu- gleich mitgeteilt, „daß die Kassen- ärztlichen Vereinigungen nunmehr darangegangen sind, die Kassen- ärzte durch entsprechende Richtli- nien und Hinweise zur vollen Aus- schöpfung aller diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten der ambulanten Praxis anzuhalten, um auf diese Weise Einweisungen zur stationären Behandlung, die nicht unbedingt erforderlich sind, zu vermeiden und bei unvermeid- barem Krankenhausaufenthalt die Verweildauer auf ein Mindestmaß zu reduzieren".

Sewering wies allerdings zugleich darauf hin, daß eine echte Kosten- senkung im Krankenhaus nur er- reicht werden könne, wenn als Konsequenz einer verkürzten Ver- weildauer und absinkenden Bele- gung auch eine Reduzierung der Bettenzahl in den Krankenhäusern möglich sei!

Prof. Sewering abschließend in sei- ner Stellungnahme: „Wenn Frau Focke im übrigen meint, auf dem Deutschen Ärztetag im vergange- nen Jahr in Berlin sei eine Bereit- schaft zur Reform erkennbar gewe- sen, von der in Hamburg kaum noch die Rede sein konnte, so übersieht sie völlig, daß die Be- schlüsse von Berlin keine Eintags- beschlüsse gewesen sind. Das in Berlin verabschiedete Blaue Papier ist ein gesundheitspolitisches Re- form-Programm der deutschen Ärz- teschaft, von welchem der Hambur- ger Ärztetag ausging und welches auch weiterhin Gültigkeit besitzt."

Kein „Rückfall",

keine „Gespensterbeschwörung"

kein „Horrorgemälde"

Bleibt noch die von Frau Focke ge- äußerte Hoffnung, daß „trotz des Rückfalls von Hamburg, trotz der dort erfolgten Gespensterbeschwö-

rung" keine Gegnerschaft zwi- schen Regierung und Ärzten aus- breche. Eine solche Gegnerschaft zwischen Regierung und Ärzte- schaft kann — so meinen wir nach allem Vorhergegangenen und Vor- angesagten — gar nicht so leicht herbeigeredet werden.

Die Ärzteschaft wird sehr wohl zwi- schen der Bundesregierung und, nur beispielsweise, jenen unter- scheiden können, die dem 78.

Deutschen Ärztetag bzw. dem Ärz- tetags-Referenten Dr. Hans Wolf Muschallik unterstellen, er habe ein „Horrorgemälde von der ge- sundheits- und sozialpolitischen Umgebungslandschaft" gezeichnet und dieses — gemeint ist wohl das Gemälde — „trotz gegenteiliger Beteuerung eben derselben Bun- desregierung umgehängt". Hier ist von einer Unterstellung die Rede, die sich der Präses der Ge- sundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg, Senator Dr.

Wilhelm Nölling, vor den Teilneh- mern an der Öffentlichen Schluß- kundgebung des 78. Deutschen Ärztetages erlauben konnte.

Revision der (Vor-)Urteile?

Von Nölling, der die ebenso fal- sche wie unfaire Beurteilung des 78. Deutschen Ärztetages („Ich set- ze voraus, daß ich einigermaßen richtig mitbekommen habe, was Sie tatsächlich beschlossen ha- ben ...") am Schlußtag eingeleitet hatte, kann genauso wie von Frau Fockes beamtetem Staatssekretär, Prof. Dr. Hans-Georg Wolters, der mit „kritischen" Ausführungen bei der Eröffnung des Deutschen Kon- gresses für ärztliche Fortbildung in Berlin elf Tage später nachklappte, erwartet werden, daß sie ihre Mei- nungen und Äußerungen revidie- ren, wenn sie sich der Mühe unter- zogen haben werden, den Reform- gehalt der Arbeit des 78. Deut- schen Ärztetages — sei es durch Studium der Originalunterlagen, sei es durch Lektüre der beiden jüng- sten Ausgaben des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES — zur Kenntnis zu nehmen. DÄ

Kritiker und Kritiken

Hamburg, 10. Mai — „Der Ärztetag zeigt nach Ansicht der Jungsoziali- sten, daß ,die organisierte deutsche Ärzteschaft nicht bereit ist, die dem Problem der Gesundheitsver- sorgung angemessenen Reformen auch nur zu erörtern'. Der stellver- tretende Juso-Vorsitzende Her- mann Scheer erklärte laut ddp, auf dem Kongreß in Hamburg ,zeige sich kaum noch eine Orientierung am Eid des Hippokrates, sondern werde verantwortungslose Geld- gier' demonstriert."

Süddeutsche Zeitung Wiesbaden, 12. Mai — „Mihister- präsident Albert Osswald hat be- dauert, daß ein Teil der organisier- ten Ärzteschaft jede Reform und jeden Ansatz zur Neugestaltung des Gesundheitswesens katego- risch ablehne. In einer gestern in Wiesbaden veröffentlichten Stel- lungnahme Osswalds zum 78.

Deutschen Ärztetag in Hamburg heißt es, der Bürger müsse es ein- fach als unbefriedigend, wenn nicht gar empörend empfinden, wenn den Sprechern der Ärzte- schaft als Fazit ihrer Tagung nicht mehr als die Forderung nach einer gesünderen Lebensweise und Sparsamkeitsappellen einfalle."

Frankfurter Rundschau Bonn, 13. Mai — „Enttäuscht hat sich Bundesgesundheitsministerin Katharina Focke über den Verlauf des Deutschen Ärztetags in Ham- burg geäußert. In einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung sag- te sie am Dienstag in Bonn: ,Die Standesvertreter der deutschen Ärzteschaft haben eine große Chance vertan, klar zu machen, was sie zur Lösung der dringend- sten Probleme im Gesundheitswe- sen zu leisten bereit sind' . . . Frau Focke bedauerte in dem SZ-Ge- spräch, daß bei den Standespoli- tikern von einer Bereitschaft zu Reformen, wie sie auf dem Ärzte- tag des vergangenen Jahres er- kennbar gewesen sei, in Hamburg kaum noch die Rede sein konn- te'." Süddeutsche Zeitung

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