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Archiv "Medizinische Ausbildung: Irrtümer - und kein Ende?" (23.04.1999)

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(1)

Das Bundesverfassungsge- richt hat verboten, die Stu- dentenzahl zu regulieren.

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat am 18. Juli 1972 auf der Grundlage von Artikel 12 Grundge- setz (Freiheit der Berufswahl) ent- schieden, daß es nicht zulässig sei, die Zahl der Zulassungen zum Medizin- studium an einem wie auch immer festgestellten „Ärztebedarf“ zu ori- entieren. Das BVG ver-

pflichtete die medizinischen Fakultäten, die Ausbildungs- kapazitäten „erschöpfend“

zu nutzen. Das Bundes- verfassungsgericht schreibt nicht vor, wie diese Ausbil- dungskapazität zu definieren sei.

Das Verfassungsgericht hat aber ausdrücklich be- stätigt, daß die Gegebenhei- ten an den Fakultäten (An- zahl der Patientenbetten, Anzahl der ambulanten Pati- enten, Anzahl der Hoch- schullehrer, die Ausstattung und dergleichen) als Maß- stab für die Kapazität einer Fakultät herangezogen wer- den.

Diese Argumentation wurde ge- nutzt, um im Rahmen der Umsetzung der 6. Novelle der Approbationsord- nung für Ärzte die Zahl der Studien- zulassungen zu verringern. Als Be- gründung für die Novelle wurde die Verbesserung der Qualität der Aus- bildung durch Einführung neuer Kur- se im vorklinischen Studium ange- führt. Diese neuen Kurse veränderten die Kapazitäten der Fakultäten; so wurde die Zahl der Neuzulassungen zum Studium gesenkt.

Die Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) schreibt zu viele Details vor.

Bei dieser häufig anzutreffenden Meinung liegen zwei Irrtümer vor:

Zum einen sind viele Sachverhal- te, die der Approbationsordnung (Bundesrecht) zugeschrieben werden, in den Kapazitätsverordnungen der Länder geregelt. Zuständig sind also die Landesregierungen. Dies trifft vor

allem für Zulassungszahlen an den Universitäten zu.

Die ÄAppO schreibt eine Min- deststudiendauer von sechs Jahren vor mit einer Mindeststundenzahl in den vier Studienabschnitten. Sie schreibt darüber hinaus vor, daß eine ärztliche Vorprüfung und drei Staats- examina als zentrale Prüfungen abzu- legen sind, ferner, welche „Scheine“

ein Student vorlegen muß, um zu die- sen Prüfungen zugelassen zu werden.

Die Approbationsordnung schreibt nicht vor, wie umfangreich der Unter-

richt in den einzelnen Fächern oder Teilbereichen zu sein hat, sie schreibt nicht vor, was die Voraussetzungen zum Erlangen der einzelnen „Schei- ne“ sind, sie schreibt auch nicht vor, was und auf welche Weise unterrich- tet werden soll, sie schreibt nicht vor, in welcher Reihenfolge die Kurse zu durchlaufen sind oder wie diese zu organisieren sind. Es ist auch nicht festgelegt, daß zu jedem Schein ein Kurs stattzufinden hat. Die Lerninhalte eines „schein- pflichtigen Kurses“ könnten durchaus in einem anderen Kurs integriert unterrichtet werden, wenn sich die Fakul- tät für eine solche Lösung entscheidet, oder für einen

„Schein“ könnten mehrere

„Kurse“ notwendig sein.

Die Approbationsordnung schreibt auch nicht vor, daß alle Studierenden zum Er- langen des gleichen „Scheins“

den gleichen Unterricht er- halten müssen. Begabten- kurse, Förderkurse, Kern- oder Wahlpflichtprogramme können durchgeführt wer- den, wenn die verantwortli- chen Hochschullehrer dies befürwor- ten.

Integrierte

Unterrichtsangebote

Die Approbationsordnung for- dert ausdrücklich integrierte Unter- richtsangebote, und gegenstandsbe- zogenen, fächerübergreifenden Un- terricht, sie fordert die Durchführung studienbegleitender Prüfungen. Es könnten zum Beispiel die Hochschul-

Medizinische Ausbildung

Irrtümer – und kein Ende?

Irrtum1: Irrtum 2:

Markus S. Gulich

Die Diskussion um Qualitätsverbesserungen in der

medizinischen Ausbildung wird schon seit Jahren

mit nur wenigen Argumenten geführt. Anlaß genug,

einiger dieser Argumente zu verifizieren.

(2)

lehrer aller operativen Fächer einen umfangreichen, integrierten Kurs

„Operative Medizin“ anbieten, der in Kooperation die operative Medizin von der Krankheitslehre über die kli- nische Untersuchung bis zur weiter- führenden Diagnostik und speziellen operativen Therapie umfaßt. Operati- ve Grenzgebiete könnten als „Wahl- pflichtfach“ hinzukommen. Gemein- sam verantworten die Fachvertreter in einem solchen Modell alle „Schei- ne“ für diese Fächer. Derartige Lö- sungen werden in der Approbations- ordnung nicht nur nicht untersagt, sondern ausdrücklich erwünscht.

Konkret kann solches Vorgehen am

„Kurs des ökologischen Stoffgebiets“

beobachtet werden.

Die Unterrichtsform steht den Fakultäten frei. Ob Blockprakti- kum, „Rotations-Besuchspraktikum“, Übungen, Seminare oder Vorlesun- gen, liegt größtenteils in der Zustän- digkeit der kursverantwortlichen Hochschullehrer. Die ÄAppO schreibt aus kapazitätsrechtlichen Gründen maximale Gruppengrößen für be- stimmte Unterrichtsformen vor. Die- se Vorschrift soll Absurditäten wie

„Kleingruppenunterricht“ mit 25 Stu- denten im Hörsaal verhindern.

Es gibt keinen Freiraum für Experimente.

Das wesentliche Hindernis für Experimente im großen Stil sind die Vorgaben der Kapazitätsverordnung der Länder. Der andere Hemmschuh für große Reformen ist die Festlegung auf die vier studienbestimmenden Staatsprüfungen.

Innerhalb dieser Regelungen be- steht Freiraum für vielfältige Experi- mente, der in den vergangenen drei Jahrzehnten bei weitem nicht ausge- nutzt wurde. Erfolgreich durchgeführt wurden bereits Versuche mit verschie- denen Formen von Blockpraktika und integrierten Kursen, Versuche unter Einbeziehung ambulanter Versor- gungseinrichtungen und von Primär- versorgungskrankenhäusern, Versu- che mit neuen Medien, Versuche mit reformierten Unterrichts- und Prü- fungsmethoden und mit Kern- und Wahlpflichtprogrammen. Dies bewegt sich innerhalb der Grenzen der gelten- den Approbationsordnung für Ärzte und kann ohne besondere Genehmi-

gung durch aufsichtführende Ministe- rien durchgeführt werden.

Am 5. Februar dieses Jahres hat der Bundesrat die sogenannte Experi- mentierklausel beschlossen, die es einzelnen Fakultäten ermöglicht, auf Antrag Versuche mit dem Medizin- studium auch außerhalb der Appro- bationsordnung durchzuführen.

Die Kapazitätsverordnung ist den Fakultäten „von oben“ übergestülpt worden.

Diese Annahme betrifft einen sehr politischen Bereich, der natur- gemäß von allgemeinen Anschauun- gen und Meinungen gefärbt ist. Die Entwicklung der Kapazitätsverord- nung verlief so, daß die (Anfang der 70er Jahre) bestehenden Studienord- nungen der Fakultäten zur Grundlage für die Kapazitätsverordnung genom- men wurden. Da sich zu dieser Zeit der Unterricht an den medizinischen Fa- kultäten zum größten Teil auf Vorle- sungen beschränkte, ist es nicht über- raschend, daß sich dieses Grundmuster in den Kapazitätsberechnungen wie- derfindet. Auch heute haben die mei- sten Fakultäten keine neue Studien-

Die von der vergangenen Bundesregierung beabsichtigte grundlegende Reform des Medizinstudiums ist kurz vor En- de der Legislaturperiode am Widerstand der Kultusressorts der Länder gescheitert. Die neue Bundesregierung hat an- gekündigt, einen erneuten Anlauf zur Reform der Ausbil- dung zum Arzt in einer grundlegenden Novelle zur Appro- bationsordnung für Ärzte zu unternehmen. Um Reform- ansätze, die in Berlin vorangetrieben wurden, nicht vorzeitig scheitern zu lassen, hat der Bundesrat am 5. Februar einer so- genannten Experimentierklausel zugestimmt, die am 19. Fe- bruar 1999 in Kraft trat. Diese ermöglicht es den einzelnen medizinischen Fakultäten, auf Antrag Versuche mit einer Neugestaltung des Medizinstudiums auch außerhalb der Ap- probationsordnung durchzuführen. Die geänderte rechtliche Grundlage für die Erprobung von Modellstudiengängen hat der Vizepräsident der Bundesärztekammer und Vorsitzende der Ausbildungsgremien der Bundesärztekammer, Prof. Dr.

med. Jörg Dietrich Hoppe, Düren, als einen „Schritt in die richtige Richtung“ bezeichnet. Schließlich eröffnet die Mo- dellklausel neue Perspektiven zur Verbesserung der Medizi- nerausbildung.

Durch die Einführung von Modellstudiengängen soll ge- klärt werden, ob „zukunftsweisende Studiengestaltungen“

besser zur Ausbildung von Studenten der Medizin geeignet sind als der Regelstudiengang. Die Ergebnisse dieser Versu- che könnten dann Grundlage für die Verbesserung der bishe-

rigen Medizinerausbildung sein. Nach der Neuregelung kann jedes Land für seine medizinischen Fakultäten Modellstudi- engänge zulassen, die in ihrer Gestaltung auch von einigen Vorschriften der Approbationsordnung für Ärzte abweichen dürfen. So müssen beispielsweise von den vorgesehenen Prü- fungen des Regelstudiengangs die ärztliche Vorprüfung und der Erste Abschnitt der ärztlichen Prüfung nicht abgelegt werden. Allerdings muß sichergestellt sein, daß die in diesen Prüfungen nachzuweisenden Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten in einer dem Regelstudiengang gleichwertigen Weise geprüft werden. Die Zulassung als Modellstudiengang setzt unter anderem voraus, daß „das Reformziel beschrie- ben wird und erkennen läßt, welche qualitativen Verbesse- rungen für die medizinische Ausbildung vom Modellstudien- gang erwartet werden“.

Durch diesen Reformschritt erhalten die Universitäten eine sicherere Basis. Die Bundesregierung interpretiert den Reformschritt im Zuge der 8. Novelle als einen vorzuzie- henden Teil einer noch ausstehenden Gesamtreform des Medizinstudiums. Der Schritt war notwendig, um die Wei- terentwicklung des bereits weit gediehenen „Reformstudi- engangs Medizin“ am Rudolf-Virchow-Klinikum in Berlin nicht zu behindern. Das mehr als zehn Jahre in Berlin ent- wickelte Pilotprojekt orientiert sich an internationalen Vor- bildern wie Harvard und der kanadischen Reformuniver-

sität McMaster. Dr. Harald Clade

Irrtum 3:

Irrtum 4:

Approbationsordnung für Ärzte: Modellklausel für Modellstudiengänge

(3)

ordnung vorgelegt, die auf personal- und patientenintensiven Ausbildungs- formen basiert und als Grundlage für eine echte Revision der Kapazitäts- verordnung dienen könnte. Die Ka- pazitätsverordnung hat also das in (justitiable) Worte gefaßt, was an den Fakultäten praktiziert wurde und wird.

Die Multiple-choice-Fra- gen des IMPP ruinieren das Lernverhalten.

Es ist unbestreitbar, daß Prüfun- gen das Lernverhalten beeinflussen.

Große Prüfungen haben die Tendenz, das Lernverhalten stärker zu beein- flussen als „kleine“ Prüfungen. Es ist aber durchaus möglich, sinnvoll und von der ÄAppO gefordert, durch

„bessere“ Prüfungen in den Kursen ein Gegengewicht zu schaffen zu den bundesweiten Multiple-choice-Prü- fungen des IMPP. Dies gilt vor allem, da mehrere Untersuchungen darauf hindeuten, daß unter den Studieren- den der Medizin ein „strategisches“

Lern- und Prüfungsverhalten beson- ders verbreitet ist, das heißt, sie pas- sen sich den äußeren Bedingungen in ihrem Lernverhalten besonders gut an: Wenn Auswendiggelerntes ge- prüft wird, lernen sie auswendig.

Wenn in Prüfungen zusammenfassen- de und evaluierende Fähigkeiten ge- prüft werden, suchen sie tieferes Ver- ständnis. Nach Erfahrungen der letz- ten Jahre wird aber sehr häufig gerade auch in kursbegleitenden Prüfungen auf das Multiple-choice-Verfahren zurückgegriffen.

Diagnostische Tests

Mündliche Prüfungen prü- fen besser, was im Medizin- studium geprüft werden soll.

Prüfungen, auch Hochschulprü- fungen, sind diagnostische Tests. Wie bei jedem Test lassen sich Kriterien der Testgüte bestimmen, Validität und Re- liabilität, und – sofern ein geeigneter und allgemein anerkannter Standard zur Verfügung steht – auch Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewerte. Alle testtheoretischen Überlegungen sind stark davon abhängig, welcher Zielpa- rameter gewählt wird. Praktisch alle Untersuchungen, die Prüfungsformen systematisch untersucht haben, zeigen,

daß mündliche Prüfungen die schlech- teste Validität und Reliabilität von al- len Prüfungsverfahren haben, und zwar bei praktisch allen zu überprüfen- den Lernzielen.

Das Institut für Medizini- sche und Pharmazeutische Prüfungsfragen fragt die falschen Fragen.

Das Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz stellt im Auftrag der Länder und in Abstimmung mit Hochschullehrern und Fachgesell- schaften zentral die Prüfungsfragen für die Staatsprüfungen zusammen.

Es bedient sich dabei der Fragen, die von Fachvertretern der jeweiligen Fächer eingereicht werden. Wenn also in den Staatsprüfungen „Unsinn“ ge- fragt wird, hat ein Fachvertreter diese Frage beim IMPP vorgelegt, und sie wurde von einem Fachkollegium als

„gut“ befunden. Jeder Experte ist auf- gerufen, dem IMPP „bessere“ Fragen zu liefern.

Neue Ausbildungs- oder Prüfungsformen funktio- nieren bei relativ hohen Studentenzahlen nicht.

In Dundee werden regelmäßig praktisch alle Prüfungen mit Seme- sterstärken von rund 180 Studenten im OSCE-Format (objective struc- tured clinical examination) durchge- führt, an der Universität Ulm wurden bei Semesterstärken von 120 bis 150 Studenten OSCE-Prüfungen in Pflicht- kursen mit Erfolg eingeführt.

In Maastricht wird praktisch der gesamte Unterricht im POL-Format (problemorientiertes Lernen) bei 100 Studenten je „Klasse“ durchgeführt, die Harvard Medical School führt bei Jahrgangsstärken von 160 den ge- samten grundlagenwissenschaftlichen Unterricht im integrierten POL-For- mat durch.

Die Professoren sind durch die Lehre überlastet.

In Baden-Württemberg wurde ei- ne Verlaufsuntersuchung der zahlen- mäßigen Relation von Medizinstuden- ten je habilitiertem Hochschullehrer gemacht. Auf einen ausgewiesenen Hochschullehrer in der Medizin kom- men fünf bis sechs Medizinstudenten.

Diese Daten beschränken sich auf ein Bundesland, um möglichst viele orga- nisatorische und rechtliche Stör- größen auszuschalten. Die Daten in anderen Bundesländern könnten also im Absolutbetrag von den hier darge- stellten Daten abweichen, es ist aber anzunehmen, daß sie in Größenord- nung und im Trend ähnlich liegen. Die Daten widerlegen die Ansicht, daß die zeitliche Belastung durch die Lehre für die Dozenten zugenommen habe.

Medizindidaktik

Es gibt keine Angebote zur Verbesserung der Lehr- fähigkeit.

An mindestens drei europäischen Universitäten, darunter auch Bern, gibt es Studiengänge „Medizindidak- tik“, die sich in erster Linie an ausbil- dende Ärzte richten. Der Gesellschaft für medizinische Ausbildung liegen von mindestens sechs der 36 deut- schen Medizinischen Fakultäten Be- richte vor, daß in den letzten Jahren spezielle Trainingsprogramme für Do- zenten in den medizinischen Fächern durchgeführt wurden oder werden.

An mindestens sechs weiteren Univer- sitäten mit medizinischen Fakultäten werden interdisziplinäre Kurse zur Lehrqualifikation durchgeführt. Von mehreren nichtuniversitären Anbie- tern werden unterschiedlich umfang- reiche Kurse für Ausbilder im Ge- sundheitssektor angeboten, die sich auch an Ärzte richten.

Es gibt kein Forum für Fragen der medizinischen Ausbildung.

Es gibt eine Fachgesellschaft (Gesellschaft für Medizinische Aus- bildung, http://www.gma.mwn.de), die Mitglied in der AWMF ist und ein in- ternationales Journal (Medizinische Ausbildung) herausgibt. Entspre- chende Internationale Organisatio- nen (AMEE) bestehen fast ohne deutsche Beteiligung. Es gibt eine Reihe internationaler Zeitschriften mit hoher Reputation und mit impact, die sich ausschließlich oder haupt- sächlich mit Fragen der medizinischen Ausbildung beschäftigen – Academic Medicine, Medical Teacher, Medical

Education. !

Irrtum 5:

Irrtum 6:

Irrtum 7:

Irrtum 8:

Irrtum 9:

Irrtum10:

Irrtum11:

(4)

Regelmäßig werden Kongresse und Tagungen abgehalten, die sich mit Fragen der Lehre an medizinischen Fa- kultäten beschäftigen (zum Beispiel Qualität der Lehre ’99 in Hamburg).

Nationale (< medimed@ask.uni- karlsruhe.de >) und internationale (MED-ED < Majordomo@aamcinfo.

aamc.org > und DR-ED < dr-ed

@msu.edu >) Diskussionsforen bezie- hungsweise Listserver stehen im In- ternet zur Verfügung.

Bessere Lehre kostet mehr Geld.

Die Kosten für Ausbildung sind nur sehr schwer zu erfassen. Praktisch an allen medizinischen Ausbildungs- stätten liegen Mischkalkulationen mit großer Streubreite vor. Die meisten Reformprojekte der letzten Jahre benötigen für die Umstellungszeit zu- sätzliche Mittel, vor allem für organi- satorische und evaluative Maßnah- men, sind jedoch darauf angelegt, im Routinebetrieb keine zusätzlichen Mittel zu benötigen. Eine internatio- nale Übersichtsarbeit aus über hun- dert Einzelstudien kommt zu dem Er- gebnis, daß die Kosten für die Ein- führung eines komplett reformierten Curriculums nach den Prinzipien des problemorientierten Lernens nicht höher liegen als bei einem konventio- nellen Curriculum, wenn nicht mehr als hundert Medizinstudenten zu je- dem Termin an einer Universität zu- gelassen werden. Die meisten Verbes- serungen im Unterrichtsverhalten las- sen sich ohne zusätzliche Mittel durchführen. Eine Untersuchung an der Universitätsklinik Ulm zeigt, daß Blockpraktika in der Inneren Medizin im Vergleich zu stundenplanorientier- ten „Besuchspraktika“ keinen erhöh- ten Aufwand, sondern sogar eine ge- ringfügige Arbeitsentlastung für Sta- tionsärzte und teilweise auch Ober- ärzte mit sich bringen können.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1047–1050 [Heft 16]

Anschrift des Verfassers

Dr. med. Markus S. Gulich, MSc Abteilung Allgemeinmedizin Universität Ulm

Albert-Einstein-Allee 47, 89069 Ulm

Irrtum12:

ine Definition des Begriffs

„Arbeitnehmer“ findet sich in den arbeitsrechtlichen Geset- zen der Bundesrepublik Deutschland nicht. Wer Arbeitnehmer ist, haben Rechtsprechung und Schrifttum ent- wickelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muß eine Per- son, um Arbeitnehmer zu sein,

1. zur Leistung von Arbeit ver- pflichtet sein,

2. diese Verpflichtung auf einem Vertrag oder einem ihm gleichgestell- ten Rechtsverhältnis beruhen und

3. der Betroffene die Arbeit im Dienste eines anderen leisten.

Letzteres ist danach zu entschei- den, ob die Person von einem anderen abhängig und in eine betriebliche Or- ganisation eingebunden ist. Persön- lich abhängig ist, wer an Weisungen des Arbeitgebers gebunden ist, fremd geplante, fremdnützige und von frem- der Risikobereitschaft getragene Ar- beit übernimmt, in den Betrieb eines anderen eingebunden ist und die Ar- beitsleistung persönlich erbringen muß (1). Ein angestellter Arzt im

Krankenhaus ist in der Regel Arbeit- nehmer. Das gleiche gilt für angestell- te Ärzte bei (Vertrags-)Ärzten.

Praxisvertreter: freier Mitarbeiter

Der arbeitsrechtliche Gegensatz zum Arbeitnehmer ist der Unterneh- mer, Dienstnehmer oder freie Mitar- beiter. Er unterliegt in der Regel kei- nem Weisungsrecht eines Arbeitge- bers, übernimmt selbstgeplante und selbstnützige Arbeit und ist auch nicht in einen fremden Arbeitsprozeß ein- gegliedert. Bei Ärzten treffen diese Merkmale klassisch auf einen Praxis- vertreter zu. Der Vertreter ist ein Arzt, der eine ärztliche Praxis in Ab- wesenheit des Inhabers selbständig führt. Da er regelmäßig selbständig und weisungsungebunden tätig wird, fehlt ihm die Arbeitnehmereigen- schaft. Er übt keine abhängige und fremdbestimmte Arbeit aus. Viel- mehr wird er freiberuflich und mit ei- genem Risiko tätig.

Folgen einer Gesetzesänderung

Scheinselbständigkeit von Ärzten –

einige Auslegungshilfen

Von den jüngsten gesetzlichen Regelungen zur soge- nannten Scheinselbständigkeit sind auch Ärzte betroffen.

E

Kriterien der Scheinselbständigkeit

Für die Vermutung, daß eine Beschäftigung als abhängiger Arbeitnehmer vorliegt, müssen zwei von vier Kriterien erfüllt sein. So spricht dafür

1. daß die erwerbsmäßige Person mit Ausnahme von Familienangehörigen keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigt,

2. sie regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Arbeitgeber tätig ist, 3. die Person die für einen abhängig Beschäftigten typische Arbeitsleistung erbringt, insbesondere Weisungen des Auftraggebers unterliegt und in die Ar- beitsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist und sie

4. nicht aufgrund unternehmerischer Tätigkeit am Markt auftritt.

Hans Kamps

(5)

Den Begriff des Scheinselbständi- gen kennt weder die arbeitsrechtliche noch die sozialversicherungsrechtliche Gesetzgebung in Deutschland. Er wird jedoch vom Gesetzgeber in den Mate- rialien zu dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen „Gesetz zu Korrektu- ren in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte“

gebraucht (2). Ohne Harmonisierung mit der arbeitsrechtlichen Gesetzge- bung wurde dadurch in das Vierte So- zialgesetzbuch in § 7 ein Absatz 4 ein- geführt, in dem es heißt, daß bei be- stimmten, erwerbsmäßig tätigen Per- sonen eine Beschäftigung gegen Ar- beitsentgelt vermutet wird, also als ab- hängiger Arbeitnehmer (siehe ersten Kasten).

Merkmale sogenannter Scheinselbständigkeit

Eine erste juristische Abschät- zung zur Auslegung dieser Kriterien haben Bauer, Diller und Lorenzen vorgelegt (3). Für Ärzte ist wichtig, daß sie das erste Kriterium, nämlich die fehlende Beschäftigung eines Ar- beitnehmers, in der Regel erfüllen.

Sehr viel schwieriger zu entscheiden ist, wann ein Arzt regelmäßig und im wesentlichen nur für einen Auftragge- ber tätig wird. Nach den amtlichen Begründungen im Gesetzgebungsver- fahren soll dies vor allem gelten, wenn eine Person vertraglich ausschließlich an einen Auftraggeber gebunden ist (4). Dabei liegt diese Bindung auch vor, wenn daneben eine Tätigkeit in nur unbedeutendem Umfang für ei- nen oder mehrere andere Auftragge- ber erfolgt (5).

Ärzte, die mit einer Einrichtung im Gesundheitswesen einen Vertrag über eine freie längerfristige und um- fangreiche Mitarbeit geschlossen ha- ben, üben eine sozialversicherungs- pflichtige Tätigkeit aus, weil sie be- reits das erste und zweite Kriterium des § 7 Abs. 4 SGB IV erfüllen. Dies trifft vor allem auf den bisher als frei- en Mitarbeiter im Krankheitsfall be- schäftigten Praxisvertreter zu, auch wenn er daneben in geringem Umfang andere Tätigkeiten übernimmt. Was

„gering“ ist, ist umstritten. In der Lite- ratur ist von 15 (6), stellenweise auch von bis zu 33 Prozent (7) die Rede.

Aber auch dann, wenn der Arzt nicht regelmäßig und im wesentlichen nicht nur für einen Auftraggeber tätig ist, kann seine Beschäftigung sozial- versicherungspflichtig sein. Da Ärzte in ihrer medizinischen Entscheidung letztlich immer weisungsfrei sind, ist hierfür maßgeblich, ob sie örtlich und zeitlich weisungsgebunden und in die Arbeitsorganisation des Auftragge- bers eingebunden sind. Dabei ist bei sogenannten alternativen Berufsfel- dern für Ärzte Vorsicht geboten.

Angenommen, ein Arzt wird et- wa nebenberuflich in einer Justizvoll-

zugsanstalt, in einem Arbeitsmedizini- schen Dienst, in einer Heilkunde- GmbH oder einem Fitneß-Studio tätig. Dann ist er regelmäßig verpflich- tet, seine ärztlichen Untersuchungs-, teilweise auch Therapieleistungen am vom Auftraggeber bestimmten Ort zu erbringen. Auch muß er in der Re- gel zu bestimmten Zeiten zur Verfü- gung stehen. Da es sich schließlich um typische Arbeitnehmerleistungen handelt, die auch ein angestellter Arzt im Krankenhaus erbringen kann, er- gibt sich eine für Ärzte völlig neue Situation; nicht nur im Bereich der Vertretung, sondern auch im Fall der nebenamtlichen Wahrnehmung von Aufgaben eines Betriebsarztes in ei- nem Gewerbebetrieb wird Sozialversi- cherungspflichtigkeit vermutet, weil der Arzt allein ohne weiteren Arbeit- nehmer tätig wird (Kriterium 1) und gerade bei größeren Betrieben feste Einsatzzeiten für den Betriebsarzt ver- einbart sind (Kriterium 3).

Dieser Sozialversicherungspflicht kann in der Regel durch das Abbedin- gen der örtlichen Weisungsgebunden- heit kaum, das der zeitlichen Wei-

sungsgebundenheit bisweilen begeg- net werden. Denn der Betriebsarzt, der Arzt in einer kleinen Kureinrichtung, im Fitneß-Studio et cetera wird gerade dort und nicht an einem anderen Ort benötigt. Nur wenn es der Organisati- on möglich ist, dem Arzt zeitlich kein Korsett anzulegen, sondern die Ein- satzzeiten von Woche zu Woche neu festzulegen, kann weiterhin ein Ver- trag als freier Mitarbeiter abgeschlos- sen werden. Dieser zieht dann keine Sozialversicherungspflicht nach sich.

Der Auftraggeber eines schein- selbständigen Arbeitnehmers gilt als

Arbeitgeber. Er hat entsprechende Pflichten zu erfüllen, insbesondere den Beschäftigten der örtlich zustän- digen Ortskrankenkasse zu melden und die Versicherungsbeiträge abzu- führen. Da Ärzte in der Regel einem berufsständischen Versorgungswerk angehören, können sie sich zumindest von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Dies bietet jedoch dem Arbeitgeber keinen Vorteil, denn dann trägt er die Hälfte des Beitrags zur Versorgungseinrichtung, höchstens aber die Hälfte des Bei- trags, der an die BfA zu zahlen wäre.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1050–1051 [Heft 16]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. iur. Hans Kamps Jasminweg 15

72076 Tübingen

Geringfügige Beschäftigung

Der Sozialversicherungspflicht entgehen kann ein Arzt theoretisch durch den Abschluß eines sogenannten geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses (630- DM-Job), wenn er dies als einzelne Erwerbstätigkeit annimmt. Seit April muß sein Arbeitgeber dann pauschal 12 Prozent des Lohnes als Beitrag zur Renten- versicherung an die BfA abführen und 10 Prozent als Beitrag an die Krankenver- sicherung. Dies gilt selbst dann, wenn der Arzt Mitglied eines Versorgungswerkes ist. Gleichwohl sind durch die pauschale Sozialversicherungspflicht die Vorteile der Anstellung als freier Mitarbeiter dahin. Deshalb ist bei einem einzigen 630- DM-Job zu empfehlen, die gesetzlich mögliche Aufstockung des Rentenversi- cherungsbeitrags um 7,5 Prozent als Arbeitnehmer zu wählen, denn in diesem Fall sind die 19,5 Prozent an das Versorgungswerk abzuführen.

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