Jahreswechsel
Besinnen und Handeln
B
ei der kommenden Ge- sundheitsreform wird die Struktur der ärztli- chen Versorgung — ambulant wie stationär, hausärztlich wie spe- zialistisch — zu den Kernpunkten gehören, die der Gesetzgeber angehen will. Die propagandisti- schen Vorbereitungen — „mehr Wettbewerb" — laufen. Man soll- te sorgfältig darauf achten, ob es tatsächlich immer um „Wettbe- werb" oder in Wirklichkeit um.den Ausbau von Machtpositio- nen geht. Mit Wettbewerb etwa wird die Forderung nach dem
„Einkaufsmodell" begründet, mit Wettbewerb die Idee, das Krankenhaus als Institution für die ambulante Versorgung zu öffnen. Unter der Devise „Wett- bewerb" laufen Versuche, Hausärzte gegen Fachärzte, Krankenhausärzte gegen nieder- gelassene Ärzte auszuspielen.
Die eine oder andere Arztgrup- pe mag gar versucht sein, ver- meintlich freundliche Angebote anzunehmen.
Dessen eingedenk haben unlängst der Präsident der Bun- desärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, und der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung, Dr. Winfried Schorre, die Ärzte und ihre Funktionsträ- ger in Verbänden und Organisa- tionen eindringlich gebeten,
Partikularinteressen zurückzu- stellen. „Wir werden uns in den Verhandlungen nur dann be- haupten können", so Vilmar,
„wenn wir geschlossen argumen-
tieren". Schorre appellierte an alle ärztlichen Organisationen,
„nicht, wie in der Vergangenheit geschehen, in Alleingängen zu versuchen, Partialinteressen auf ministerieller Ebene durchzuset- zen".
Die vergangene Gesund- heitsreform hat in der Tat Bei- spiele zuhauf geboten, wie Ärzte und ihre Verbände von Politi- kern und Kassenvertretern ge- geneinander ausgespielt wur- den. Minister Horst Seehofer, der begnadete Taktiker, brauch- te sich nur in der Runde der Ärzteverbände umzuhören, um sich die ihm passenden Argu- mente herauspicken zu können.
Man kann nur hoffen, daß die am 10. Januar beginnenden mi- nisteriellen Anhörungen zur dritten Stufe der „Gesundheits- reform" nicht in dieser Art ge- nutzt werden — und die Ärzte in- nerärztlichen Hader nicht „auf den Knien des ministeriellen Übervaters" (Schorre) austra- gen werden.
Schlechte Beispiele gibt es bis in die jüngste Zeit. So ist die Novellierung der Gebührenord- nung keineswegs allein wegen politischer Schwierigkeiten ge- scheitert, sondern auch deswe- gen, weil sich Vertreter ärztlicher Einzelinteressen hinter Politiker gesteckt haben, um Änderungen einzelner Positionen in ihrem Sinne zu erreichen. Das Ergeb- nis ist bekanntlich, daß über- haupt nichts erreicht wurde.
Schlechte Beispiele auch beim
neuesten Polit-Thema, der Qua- litätssicherung. Namhafte Ärzte- funktionäre sind sich nicht zu schade, hier Krankenhäuser ge- gen die Ärztekammern (auch Kammern gegen KVen) auszu- spielen.
Selbstverständlich, Ver- bandsinteressen müssen verfolgt werden. Verbände haben indes auch eine Verantwortung ge- genüber der gesamten Arzte- schaft. Bei einem der großen der jetzt zur Debatte stehenden Themen, der Verbindung von ambulanter und stationärer Ver- sorgung, gibt es in diesem Sinne hoffnungsvolle Anzeichen. Mar- burger Bund und Kassenärztli- che Bundesvereinigung, die ge- wiß jeweils ihre eigene Interes- senlage haben, sind im Ge- spräch. Die Bundesärztekam- mer steht (mit dem vom Deut- schen Ärztetag im Mai dieses Jahres beschlossenen Gesund- heitspolitischen Programm im Hintergrund) als Vermittler be- reit. Beschlußreife Ergebnisse liegen bislang nicht vor. Doch zeigt sich schon jetzt, daß man guten Willens ist, sich auf ärztli- che Gemeinsamkeiten zu 'besin- nen und gemeinsam zu handeln.
Herausgeber, Redaktion und Verlag wünschen den Lesern des Deutschen Ärzteblattes — den über 300 000 Ärztinnen und Ärz- ten in Deutschland und gut 3 000 Meinungsbildnern in Politik, Wirtschaft und Presse — ein be- sinnliches Weihnachtsfest und ein erfolgreiches Jahr 1995. NJ
Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 51/52, 26. Dezember 1994 (1) A-3533