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Archiv "Jahreswechsel" (16.12.2005)

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die Patienten dort abzuholen, wo sie ste- hen. Aus der obersten Schublade ihres Schreibtisches holt sie ein kinderhand- großes, rundes Amulett. In der Mitte ist ein kleiner, dunkelblauer Punkt, der von weißen und blauen Kreisen eingerahmt wird. „Das ist ein Nazarboncugu, ein magisches Auge“, erklärt sie. Dieses Au- genamulett schützt als Talisman vor dem

„bösen Blick“ und vor Krankheiten.Auf dem Plakat des Bündnisses gegen De- pression ist das magische Auge abgebil- det. Das spricht die Betroffenen an, und so erhalten sie überhaupt Informatio- nen zu ihrer Erkrankung. Schouler- Ocak hat noch andere Wege aufgetan, die Türkinnen und Türken zu erreichen, die kein Deutsch sprechen. Sie hat Kon- takte zu türkischsprachigen Zeitungen geknüpft, die in Deutschland vertrieben werden. Dort erscheinen jetzt Berichte über das Bündnis.

Schouler-Ocak ist in ihrem Engage- ment so erfolgreich, weil sie „beide Sei- ten“ kennt. Sie weiß nur zu gut, was es bedeutet, wenn das türkische Umfeld andere Vorstellungen und Werte hat als die deutsche Gesellschaft rundherum.

Als sie einen Studienplatz an der Medi- zinischen Hochschule Hannover be- kam, gab es in Familie und Bekannten- kreis erhebliche Vorbehalte. Sie könne unmöglich allein so weit wegziehen, hieß es da. „Da gab es ganz viel Gere- de“, meint Schouler-Ocak. Doch ihr Va- ter sprach schließlich ein Machtwort:

„Meine Tochter macht, was sie will.“

Das hat sie getan – mit vollem Einsatz.

Leicht gehabt hat sie es dabei nicht.

Dass es Vorurteile gegen eine junge Tür- kin im ärztlichen Berufsalltag gibt, hat sie gespürt. Offen gezeigt hat ihr das je- doch niemand. Und für sie war ohnehin klar: „Das ist deren Problem und nicht meins.“ Die Arbeitsstellen, die sie woll- te, hat sie aufgrund ihrer Qualifikation so gut wie immer bekommen. Sie hat sich hochgearbeitet – mit Kompetenz.

Kein Wunder, dass es sich herumge- sprochen hat, dass Schouler-Ocak Ober- ärztin der psychiatrischen Institutsam- bulanz ist. Rund ein Drittel der Patien- ten sind Migranten, schätzt sie. Aber Schouler-Ocak kennt auch die Kehrsei- te der Medaille: Sie hat die Vorurteile deutscher Patienten erlebt, die sich nicht von der ausländischen Ärztin mit dem

„komischen Namen“ behandeln lassen

wollten.Allerdings hat sie gelernt, damit souverän umzugehen. Ihrer Erfahrung nach legen sich die Vorurteile am ehe- sten, wenn man sie offen anspricht. Die Patienten merken dann, wie hervorra- gend sie Deutsch spricht. Zudem – der erste Teil des Namens stammt nicht aus dem Ausland. Ihr Mann ist Deutscher.

Schouler-Ocak kam in Deutschland von Anfang an gut zurecht. Bei ihr scheint die Integration geglückt zu sein. Ohne Probleme erhielt sie schließ- lich nach dem Studium die deutsche Staatsbürgerschaft und damit die Ap-

probation. Unwillkommen hat sie sich nicht gefühlt. Wo aber ist nun ihre Hei- mat? „Verwurzelt fühle ich mich in Deutschland. Dazu bin ich einfach viel zu lange hier“, sagt sie. „Aber ich liebe auch die Türkei.“ Ihre Schwester lebt inzwischen wieder dort, ihre Eltern, mittlerweile Rentner, pendeln zwischen alter und neuer Heimat hin und her. In einigen Tagen fahre auch sie in den Türkei-Urlaub, erzählt Schouler-Ocak.

Eine praktizierende Muslimin sei sie nicht, aber gläubig. Heute beginnt der Ramadan. Dr. med. Birgit Hibbeler T H E M E N D E R Z E I T

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A3494 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 102⏐⏐Heft 50⏐⏐16. Dezember 2005

W

eihnachten und Neujahr ist die Zeit der Kontemplation, bietet uns die Gelegenheit, einmal tief zu inspirieren und das vergangene Jahr zu reflektieren, Positives zu registrieren und alles andere zu eradi- zieren. Aber leider sind die guten Seiten unseres ärztlichen Daseins so rar gesät wie die Spontanheilung einer chronisch-konsumierenden Erkran- kung. Hatten wir im Vorjahr nicht gemeint, mehr Bürokratie, mehr über- flüssiges Papier könnte es nicht geben? Noch mehr Arbeit bei schlechterer Bezahlung sei nicht denkbar? Mehr Gängelung, mehr Restriktionen nicht machbar? Trotzdem wurden hier wieder neue Tiefpunkte gesetzt. Wie jedes Jahr stelle ich mir die Frage, ob es für mein niedergelassenes Dasein noch ei- ne Zukunft gibt. Die Antwort ist aber nicht aus Steuerbescheiden oder me-

dizinischen Leitlinien zu ersehen, also blicke ich melancholisch aus dem Fenster. Draußen taumeln wunderschöne Eiskristalle vom Himmel, lullen Bäume und Dächer gleich einer großen Mullbinde ein und mahnen mich, weniger trübe Gedanken zu pflegen. Trotzdem schaue ich skeptisch den Menschen hinterher, die in viel zu leichter Kleidung und ungeeignetem Schuhwerk durch die Straßen hasten. Wie mögen sie, wenn sie nicht mit tri- malleolären Frakturen und Pneumonien an Heiligabend das Krankenhaus hüten müssen, Weihnachten verbringen? Werden, wie so häufig, heimelige Atmosphären durch akute Gallenblasenkoliken nach zu fettem Essen un- terbrochen? Stören vielleicht diabetische Komata aufgrund überhöhter Plätzchenzufuhr die besinnliche Stimmung? Oder gerät sie aufgrund Fami- lienzwistes mit hypertensiven Entgleisungen aus den Fugen? Und: Wer soll dies alles, die Steine und die Lungen, die Blutzucker und die Zwiste, wieder ins physiologische Lot bringen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können uns ei- gentlich unbesorgt der Christbaumdekoration widmen, obwohl diese Tätigkeit mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden ist. Unsere Arbeit wird zwar nicht mehr re- spektiert und immer schlechter bezahlt, aber: Ge- braucht werden wir weiterhin, auch im kommenden

Jahr. Dr. med. Thomas Böhmeke

Jahreswechsel

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