AKTUELLE POLITIK
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Bundesregierung und Koaliti- onsparteien wollen mit dem Gesund- heits-Strukturgesetz rund 11 Milliar- den DM jährlich einsparen. Auf die- se Weise sollen die Krankenkassen- beiträge stabil gehalten werden, und so soll es möglich sein, im Wahljahr 1994 die Renten, die sich im Schritt der Nettolöhne erhöhen, heraufzu- setzen. Zwanzig Prozent jener 11 Milliarden gehen, so die Rechnun- gen des Bundesgesundheitsministe- riums, zu Lasten der Versicherten (Selbstbeteiligung), 80 Prozent zu Lasten der Leistungsträger. Unter diesen werden die Kassenärzte und die Pharmazeutische Industrie die größten Lasten zu tragen haben. Die Krankenhausträger werden gleich- falls zwar in das Sparkonzept einbe- zogen. Formal gilt auch für sie ein Budget, doch die Personalkosten werden ausgenommen; und die ma- chen immerhin rund 70 Prozent der Krankenhausausgaben aus.
Das Sparen stand am Anfang der Überlegungen zum GSG. Später, vor allem nach dem die SPD hinzu- gezogen wurde, kamen Strukturfra- gen ins Gespräch. Das Gesetz strotzt nunmehr von strukturellen Eingrif- fen. Sie tragen den Stempel der Sozi- aldemokraten.
Strukturreformen sind nötig, auch von der Ärzteschaft wurden sie immer wieder angemahnt. Dabei stand die Absicht im Vordergrund, das Gesundheitswesen von bürokra- tischen Lasten zu befreien, den ein- zelnen Ärzten größeren Bewegungs-
spielraum und der Selbstverwaltung mehr Kompetenzen zu geben.
Mit dem Gesundheits-Struktur- gesetz kommt genau das Gegenteil:
Die Einschnürung der Kassenärzte und ihrer Selbstverwaltung. Noch nie zuvor wurde den Kassenärztlichen Vereinigungen vom Staat derart un- verhüllt demonstriert, wer das Sagen hat, wie jetzt im Zuge der Gesund- heitsgesetzgebung.
Mittelfristig wird die ambulante und die stationäre Versorgung nach- haltig verändert. Das geschieht nicht durch einzelne gesetzliche Maßnah- men, sondern durch die Kombinati- on verschiedener Vorschriften und ist wohl deshalb vielen, selbst Abge- ordneten, die über das Gesetz ab- stimmten, so noch nicht recht klar geworden.
I Neue Landschaft der ärztlichen Versorgung
Was passiert in den nächsten Jahren?
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Die ambulante ärztliche Ver- sorgung wird umstrukturiert. Haben bisher die Fachärzte zahlenmäßig das Übergewicht, so sollen dem- nächst die Hausärzte zu 60 Prozent die ambulante Versorgung tragen.Erreicht wird diese Umstrukturie- rung durch die Bedarfsplanung. Zu- nächst heißt es für die Kassenärzte lediglich, sich zwischen Hausärzten und Fachärzten zu entscheiden. So- dann werden unterschiedliche Ge-
bührenstrukturen für die jeweiligen Bereiche geschaffen. Den Patienten bleibt allerdings die freie Arztwahl, sie können somit auch künftig direkt den Facharzt aufsuchen — sofern nicht ein weiteres Gesetz diese Mög- lichkeit verschließt.
© Die Gewichte zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung werden verschoben. Den Krankenhäusern werden weitgehen- de Rechte für die vor- und nachsta- tionäre Versorgung eingeräumt, ih- nen wird auch das sogenannte ambu- lante Operieren gestattet. In Ost- deutschland werden Polikliniken und Fachambulanzen abgesichert.
Es ist eine reizvolle rechtliche Frage, ob solche unterschiedliche Rechtsla- ge in einem geeinten Deutschland durchzuhalten ist.
Bei der Umstrukturierung der Versorgungslandschaft spielen die Zulassungsbeschränkungen zur Kas- senarztpraxis eine gewichtige Rolle.
Das Gesetz wird dazu führen, daß in der Kassenpraxis auf Jahre hinaus kaum Fachärzte zugelassen werden.
Diese Ärzte bleiben somit, hochqua- lifiziert, dem Krankenhaus erhalten.
Das Krankenhaus, dem ambulante Behandlungsmöglichkeiten nunmehr relativ großzügig eröffnet werden, wird diesen Schatz an hochqualifi- zierten Ärzten einzusetzen wissen — zumal den Krankenhausträgern nicht die strengen Budgetierungen auferlegt sind wie den Kassenärzten.
Noch ist es nicht soweit, daß auch in Deutschland die fachärztli- che Behandlung nurmehr am Kran- kenhaus, durch angestellte Fachärz- te erfolgt. Aber der Gesetzgeber ist mit dem GSG bereits bis kurz vor diese holländische Schwelle getre- ten.
Den Ärzten im Krankenhaus mag eine solche Entwicklung inso- fern nützen, als ihnen immerhin Ar- beitsmöglichkeiten eröffnet werden und erhalten bleiben. Den eigentli- chen Vorteil werden aber die Krankenhausträger haben; ihnen steht ein Überangebot an Ärzten zur Verfügung, aus dem sie auswählen können. Die angestellten Ärzte wer- den unter Druck geraten, der Flucht- weg Kassenpraxis ist versperrt und
andere Berufsmöglichkeiten sind dünn gesät. NJ
Die Gewichte
werden neu verteilt
Deutschland steht am Beginn einer wirtschaftlichen Rezession.
Zuwächse des Bruttosozialproduktes, die verteilt werden könn- ten, sind nicht in Sicht. Wenn der Staat geben will, dann muß er denen, die haben, etwas wegnehmen. Für alle werden die Steu- erlasten wachsen: in Kraft ist bereits die höhere Mehrwertsteu- er, eine Vielzahl von Abgaben, wohlklingend mit Umweltschutz begründet, steht an. Die Besserverdienenden werden erneut um einen Solidarbeitrag gebeten. Für die Beteiligten des Ge- sundheitswesens kommen zu diesen Lasten weitere hinzu. Und mehr noch: mit dem Gesundheits-Strukturgesetz beginnt eine grundlegende Umstrukturierung des Gesundheitswesens.
Dt. Ärztebl. 90, Heft 1/2, 11. Januar 1993 (13) A1-13