A1368 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 25⏐⏐20. Juni 2008
P O L I T I K
G
egen die mit Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetzes zum 1. April 2007 neu gefasste Bestimmung des § 116 b Abs. 2 bis 5 SGB V (siehe Kasten) haben 13 Kinderkardiologen und drei Internistische Onkologen, die als Vertragsärzte niedergelassen sind, Verfassungsbeschwerden beim Bun- desverfassungsgericht (BVerfG) ein- gelegt. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, dass die nunmehr mögliche Zulassung von Kranken- häusern zur ambulanten Erbringung hoch spezialisierter Leistungen und zur Behandlung seltener Erkran- kungen sie in ihrer grundgesetzlich garantierten Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Denn: Die Kranken- häuser unterliegen in diesem Zusam- menhang weder einer Bedarfspla- nung noch einer Bedürfnisprüfung.Außerdem können sie ihre ambulan- ten Leistungen unbegrenzt, also nicht budgetiert, direkt mit den Kran- kenkassen abrechnen. Den Vertrags- ärzten ist es weder möglich, diesem ungleichen Wettbewerb durch eigene Leistungsausweitung entgegenzuwir- ken, noch gegebenenfalls fachlich oder räumlich auszuweichen. Beson- ders, aber nicht allein betroffen, sind hiervon wegen eines Sonderbedarfs zugelassene Spezialisten, die vom Markt verdrängt werden.
Dass diese asymmetrische Öff- nung der Kliniken in die Berufsfrei- heit konkurrierender Vertragsärzte eingreift, ergibt sich auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungs- gerichts vom 17. August 2004 (Az.:
1 BvR 378/00) zur Anfechtungs- befugnis der Vertragsärzte gegen die nachrangige Ermächtigung von
Krankenhausärzten zur ambulanten Behandlung. Wer innerhalb eines bislang wohlausgewogenen Markt- gefüges bestimmte Marktteilnehmer einseitig und ungleich von im Übri- gen unverändert strikter Regulie- rung befreit, verschärft wegen hier- aus folgender Konkurrenzverwer- fungen die Regulierung für die wei- terhin dort Verhafteten. Infrage steht insbesondere die „gleichheitsrechtli- che Dimension“ der Berufsfreiheit.
Zwar sieht § 116 b Abs. 2 SGB V (auch) die „Berücksichtigung der vertragsärztlichen Versorgungssitua- tion“ als Kriterium der Ambulanz- zulassung vor. Allerdings ist es fast einhellige Meinung der Experten und der bisher zu dieser Bestimmung er- gangenen Rechtsprechung der Sozi- algerichte, dass mit dieser vagen Klausel nicht die wirtschaftlichen In- teressen der durch Konkurrenzver- werfungen betroffenen Vertragsärzte geschützt und ihnen dementspre- chend auch prozessual keine eige- nen Anfechtungsrechte („Drittrechts- schutz“) gegen die Ambulanzzulas- sungen eingeräumt werden sollen.
Eine solche Auslegung der „Berück- sichtigungsklausel“ liefe auch dem erklärten Ziel des Gesetzgebers zuwi- der, wonach eine Bedarfsprüfung ge- rade nicht stattfinden und die von Bindungen befreite Krankenhaus- konkurrenz zu dem regulierten Markt
„gleichrangig“ hinzutreten soll.
Sollte das BVerfG die Verfas- sungsbeschwerden gegen § 116 b SGB V gleichwohl mangels Er- schöpfung des Rechtswegs als un- zulässig zurückweisen, dürfte es zu- mindest Ausführungen dazu ma- chen, worin der Rechtsschutz für die betroffenen Vertragsärzte besteht.
Die Fachgerichte müssten sich dann Gedanken über eine verfassungs- konforme Auslegung des § 116 b SGB V machen, um unzumutbaren und vor allem ungleichen Belastun- gen der Niedergelassenen im regu- lierten Gesundheitsmarkt vorzubeu- gen. Sollten die Gerichte dieser Er- wartung nicht entsprechen, wäre ab- schließend dann wieder das Bun- desverfassungsgericht gefordert. I RA Holger Barth RA Prof. Dr. Christian Kirchberg
AMBULANTE BEHANDLUNG IM KRANKENHAUS
Verfassungsbeschwerden wegen unfairen Wettbewerbs
Die mit der jüngsten Gesundheitsreform ermöglichte Öffnung der Krankenhäuser zur ambulanten Erbringung hoch spezialisierter Leistungen und zur Behandlung seltener Erkrankungen ist grundgesetzwidrig, meinen 16 Vertragsärzte.
§ 116 b ABS. 2 BIS 5
Durch die Neufassung des § 116 b SGB V Abs. 2 bis 5 erhielten die Krankenhäuser mehr Möglichkeiten zur Erbringung ambulanter Leistun- gen; vorgeblich um die Behandlung krebskranker Patienten zu verbes- sern. Es ist aber auch kein Geheim- nis, dass die Bundesgesundheits- ministerin die angeblich so teure
„doppelte Facharztschiene“ gerne abschaffen würde. Seit Inkrafttreten der Gesundheitsreform trifft die für den Krankenhausplan eines Landes zuständige Behörde die Entschei- dung darüber, ob ein Krankenhaus in den definierten Feldern ambulan- te Leistungen erbringen darf. Zuvor mussten die Krankenhäuser einen eigenen Vertrag mit den Kranken- kassen abschließen, um die Leis- tungen abrechnen zu dürfen. Die Kassen eröffneten den neuen Ver- sorgungsstrang jedoch nur sehr selten. Einerseits konnten sie keine Versorgungslücken ausmachen, an- dererseits fürchteten sie höhere Ausgaben, weil sie den Kliniken die Leistungen außerhalb deren Bud- gets vergüten müssen. JF