DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
FÜR SIE GELESEN EDITORIAL
roleptische Behandlung durch Einspruch •infolge Vorurteil oder Angst vereitelt wird.
Die Skepsis rührt am meisten von den Nebenwirkungen der Neuroleptika her. Angst provo- zieren können Beipackzettel, die Nebenwirkungen nicht auf- grund wissenschaftlicher Er- kenntnisse, sondern allein im Hinblick auf juristische Absiche- rung aufführen. Laienhaft anti- psychiatrische Formulierungen wie chemische Keule oder che- mische Zwangsjacke sind maß- lose Übertreibungen. Wer sol- che Worte benutzt, sollte an den Kranken denken, der nicht umhin kommt, diese Medika- mente einzunehmen. Was ge- meint ist, kennt der Arzt seit langem: eine gewisse Einen- gung von Affektivität und An- trieb kann mit der neurolepti- schen Therapie verbunden sein.
Sie ist unerwünscht und fast immer vermeidbar, wenn das Neuroleptikum mit Bedacht ge- wählt und dosiert wird. Bei fachgerechter Anwendung en- gen Neuroleptika nicht ein, son- dern sie machen den von der Psychose betroffenen Men- schen freier.
Ohne Zweifel sind Neuroleptika in der Lage, akute psychotische Syndrome, insbesondere bei Schizophrenie in kurzer Zeit und sehr wirksam zu beeinflus- sen. Darüber hinaus hat eine neuroleptische Langzeitmedika- tion eine präventive Funktion:
Rezidive sind dann die Ausnah- men, ohne Neuroleptika aber die Regel. Diese Möglichkeit, eine der schwersten Krank- heiten des Menschen wirksam zu beeinflussen zu können, darf nicht durch unbedachte Skep- sis, einseitige Vorurteile und hiermit geschürte Ängste beein- trächtigt werden.
Zuletzt zu den antidepressiven Medikamenten. Sie werden bis- her auffallend geschont, nur re- lativ selten kommt es vor, daß ein Antidepressivum unüberlegt abgesetzt oder vor antidepres- siven Medikamenten überhaupt gewarnt wird. Liegt das daran, daß depressives Erkranken in- zwischen geläufig geworden ist und damit auch antidepressive Behandlung eher akzeptiert wird? Auch die sonst geläufige Kritik unter Berufung auf Ne- benwirkungen wird bezüglich der Antidepressiva kaum laut, obwohl doch auch diese Mittel mit unerwünschten psychischen Begleiterscheinungen und lästi- gen vegetativen Nebenwirkun- gen einhergehen. Es bestätigt sich auch hier, wie wenig ratio- nal Vorurteile und hieraus ent- stehende Ängste sind.
Ein Bedenken wird nun aller- dings bezüglich auch der Anti- depressiva inzwischen häufiger ausgesprochen: Wenn man ein Medikament so lange nimmt, dann muß man doch abhängig werden. Jedoch ist Abhängig- keit von Antidepressiva und von Neuroleptika mit Sicherheit ausgeschlossen worden.
Angst ist ein schlechter Ratge- ber. Kritisches Abwägen hinge- gen ist in der Psychopharmaka- Therapie nicht nur verständlich, sondern geradezu erwünscht.
Damit aus unkritischer Angst nun angstfreie Kritik wird, muß der Arzt den Patienten sorgfäl- tig und geduldig informieren und sich selbst natürlich auch.
Prof. Dr. med. Rainer Tölle Klinik für Psychiatrie der Westfälischen Wilhelms-Universität
Albert-Schweitzer-Straße 131 4400 Münster
Alkoholkonsum und Krebs
In einer prospektiven Studie mit 8006 japanischen Männern auf Hawaii von 1965 bis 1980 wurde der Alkoholkonsum in Bezie- hung gesetzt zur Erkrankung an den fünf häufigsten Krebsarten in dieser Bevölkerungsgruppe:
Magen-, Kolon-, Rektum-, Lun- gen- und Prostata-Karzinom.
Personen, die 15 und mehr Li- ter Bier pro Monat tranken, er- krankten mehr als dreimal häu- figer an Rektum-Karzinom als Personen, die kein Bier tran- ken. Personen, die 1,5 Liter Whisky (oder ähnliche Geträn- ke) oder mehr pro Monat tran- ken, erkrankten 2,6mal häufiger an Lungenkrebs, solche, die mehr als 1,5 Liter Wein pro Mo- nat tranken, 2,2mal häufiger an Lungenkrebs als die entspre- chenden Nichttrinker. Die drei übrigen Krebsarten waren nicht signifikant erhöht. Der Zusam- menhang zwischen Alkoholver- brauch und bestimmten Krebs- arten ist nicht geklärt. Man ver- mutet für das Rektumkarzinom, daß die Aufnahme großer Men- gen an Alkohol mit einer ver- minderten Aufnahme von sol- chen Nährstoffen verbunden ist, die eine protektive Wirkung ge- genüber Krebs besitzen. Das gehäufte Auftreten von Lungen- krebs bei Whisky- und Weintrin- kern läßt sich auf diese Weise allerdings nicht erklären; mögli- cherweise spielen andere diäte- tische Faktoren (Vitamin A als Schutzfaktor?) eine Rolle. Alter und Raucherstatus wurden in der vorliegenden Studie be- rücksichtigt. Die Autoren wei- sen einschränkend darauf hin, daß der Alkoholverbrauch in der untersuchten Bevölkerungs- gruppe im Vergleich zur Ge- samtbevölkerung niedrig war.
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Pollack, E. S.; Nomura, A. M. Y.; Heilbrun, L. K.; Stemmermann, G. N. and Green, S. B.:
Prospective Study of Alcohol Consumption and Cancer. The New England Journal of Me- dicine 310 (1984) 617-621. Biometry Branch, National Cancer Institute, Landow Bldg., Rm.
5CO3, 7910 Woodmont Ave., Bethesda, MD 20205, USA
2182 (70) Heft 28/29 vom 13. Juli 1984 81. Jahrgang Ausgabe A