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Archiv "Krebs — ein Industrieprodukt?" (26.02.1982)

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Das Buch von Egmont R. Koch

„Krebswelt — Krankheit als Industrie- produkt" hat nicht nur bei Laien, sondern auch in Fachkreisen be- trächtliches Aufsehen erregt. Dies war für die verantwortlich zeichnen- den Arbeitsmediziner, Pharmakolo- gen, Pathologen, Statistiker und On- kologen Anlaß, in ihrem Beitrag auf die Menge der falschen oder irrefüh- renden Dokumentationen von Koch hinzuweisen. Das DEUTSCHE ÄRZ- TEBLATT bringt diesen Beitrag als die Meinung der Autoren, nicht in eigener Sache. R. Gross/Köln

In jüngster Zeit häufen sich journali- stische Publikationen über die Krebsproblematik und die mögli- chen Krebsursachen beim Men- schen. Derartige Druckwerke pfle- gen in hoher Auflage zu erscheinen und sind für Autor und Verleger im- mer ein gutes Geschäft, da die Öf- fentlichkeit an dieser Problematik außerordentlich stark interessiert ist. Sie sind aber kaum je in der Lage

— und beabsichtigen dies wohl auch nicht — die schwierige Problematik des Krebsgeschehens sachgerecht darzustellen.

Das jüngste Druckwerk dieser Art ist das Buch „Krebswelt — Krankheit als Industrieprodukt" von Egmont R.

Koch*), ein Buch, das aufgrund der vorgefaßten Meinungen des Autors die tatsächliche Situation höchst einseitig und vielfach verzerrt dar- stellt. Dem Autor geht es ganz offen- bar nicht um eine sachliche Diskus- sion, auch wenn immer wieder ver- sucht wird, den Eindruck der Wis- senschaftlichkeit zu erwecken; viel-

mehr ist eindeutig die Absicht er- kennbar, den Leser emotionell und ideologisch zu beeinflussen. Das Buch trägt zweifellos dazu bei, in der Öffentlichkeit, in den Tagesme- dien und in den politischen Gremien Angst, Unsicherheit und Verwirrung zu erzeugen; daher ist es ein gefähr- liches Machwerk.

Als Wissenschaftler muß man sich fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, auf Publikationen dieser Art mit sachlichen Argumenten zu antwor- ten. In der Regel ist das wenig effek- tiv — und obendrein ist das Geschäft ja längst gelaufen. Da aber Schwei- gen als Zustimmung ausgelegt wer- den könnte, haben sich die hier unterzeichnenden Wissenschaftler auf Initiative der Gesellschaft Deut- scher Chemiker (GDCh) zu einer ge- meinsamen Stellungnahme ent- schlossen.

Die provokative These des Herrn Koch lautet: „Krebs ist unser Tribut an die Industrialisierung, eine Folge des ungezügelten Wirtschafts- wachstums, das auf die Qualität der Umwelt keine Rücksicht nahm" (Sei- te 14). Diese These gilt es zu unter- mauern, koste es, was es wolle, und dazu muß natürlich in erster Linie die Statistik dienen. Für die bekann- te Tatsache, daß man die Statistik auf vielfältige Weise mißbrauchen kann, liefert das Buch von E. R.

Koch eine Fülle von Beispielen; im folgenden sollen einige wenige da- von herausgegriffen werden.

Beginnen wir mit der lakonischen Feststellung auf Seite 23: „1975 star- ben in der Bundesrepublik 160 000 Menschen an Krebs, weit mehr als in

irgendeinem anderen Lande Euro- pas." Dieser Satz ist an sich zwar richtig; aber bei dem normalen Le- ser wird damit der Eindruck erweckt, als ob die Bundesrepublik das schlimmste „Krebsnest" auf Gottes Erdboden sei. Dabei sollte diese Feststellung eigentlich niemanden wundern, denn schließlich ist die Bundesrepublik Deutschland das europäische Land mit der höchsten Bevölkerungszahl und daher wird man a priori hier wohl auch die mei- sten Krebstoten erwarten dürfen!

Die Absolutzahlen an Krebstoten sind als solche ohne Bezug auf den Bevölkerungsumfang wenig auf- schlußreich. Das weiß natürlich auch Herr Koch; darum schwächt er seine Aussage im nächsten Absatz auch wieder ab. Aber der provokati- ve Pfeil ist zunächst einmal abge- schossen und „semper aliquid hae- ret". Das ist eines der bewährten Strickmuster dieses Buches.

Genau so wirkungsvoll ist ein ande- rer Trick: Die einseitige Auswahl von Daten nach dem bewährten Rezept der Emser Depesche. Man verwen- det nur diejenigen Daten, die einem in das Konzept passen; die übrigen läßt man einfach weg. Nehmen wir als Beispiel hierfür die Tabelle auf Seite 47 (Krebsmortalität Männer und Frauen, altersstandardisiert auf 100 000 Einwohner). In der Legende zu dieser Tabelle heißt es: „Die Krebsmortalität hat weltweit anstei- gende Tendenz, bei den Frauen liegt die Bundesrepublik mit Abstand an der Spitze, bei den Männern nach Frankreich an 2. Stelle." Diese Aus- sage ist schlicht falsch, auch wenn sie durch schöne Kurven belegt wird (Darstellung 1).

Der Autor gibt die Quelle der Daten zwar nicht an; für den Erfahrenen aber ist es klar, daß die Zahlen aus den Publikationen des Japaners Segi stammen, der seit vielen Jahren die amtlichen Mortalitätsdaten zahl- reicher Staaten sammelt und auf die von ihm selbst vorgeschlagene so- genannte „Weltbevölkerung" stan- dardisiert. Herr Koch entnimmt die-

*) Egmont R. Koch: „Krebswelt— Krankheit als Industrieprodukt". Verlag Kiepenheuer &

Witsch, Köln 1981

Krebs — ein Industrieprodukt?

Eine Stellungnahme zu dem Buch

„Krebswelt — Krankheit als Industrieprodukt"

Fritz Eiden, Fritz H. Kemper, Gerhard Lehnert, Dietrich Schmähl, Carlos Thomas, Helmut Valentin und Gustav Wagner

52 Heft 8 vom 26. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Männer

170-

160-

150-

140-1

130-

• Schweiz

Frankreich

• BRD

• England

Frauen

130

120 England.

110 Schwel,

USA' Schweden

Schweden

Frankreich.

Japan*

100

90

1971 1973 1975

1970 19'72 191

74

1971 1973 1975

1970 1972 1974

200-,

190-

180 -

Männer

220-

• Uruguay

Frauen

Uruguay • -145

• Schottland

• Belgien

210- -140

Holland Frankreich

/• Ungarn

Dänemark

• BRD

200-

190-

180-

170-

160-

150-

Schottland fif

BRD •';;;:/

Irland •V Ungarn •

1971 1973 1975

1970 1972 1974

1971 1973 1975

1970 1972 1974

-135

-130

-125

- 120

-115

- 110

Krebs — ein Industrieprodukt?

sen Publikationen nur solche Anga- ben, die seine Hypothese stützen, nämlich nur die Daten derjenigen Staaten, deren Krebsmortalität unter derjenigen der Bundesrepublik Deutschland liegt. Um den Anschein der Wissenschaftlichkeit zu erwek- ken, werden bei den Männern noch die etwas höher liegenden Zahlen von Frankreich mit eingezeichnet.

Man kann dieselben Segi'schen Sta- tistiken aber auch benutzen, um zu zeigen, daß die Bundesrepublik be- züglich der Krebsmortalität gerade- zu das gelobte Land ist, wenn man nämlich die Zahlen unseres Landes denen aller derjenigen Länder ge- genüberstellt, deren Krebsmortalität höher liegt (Darstellung 2).

Hieraus könnte man mit gleichem Recht postulieren, daß wir Deut- schen besonders gut gestellt sind.

Da die hohen Raten von Uruguay, Schottland, Ungarn, Dänemark und Irland aber sicherlich nur schwer mit dem Industrialisierungsgrad dieser Länder zu erklären sind, unter=

schlägt der Autor sie einfach.

Eine andere Art, mit statistischen Daten nach Belieben umzuspringen, ist die der halbwahren oder falschen Aussagen. Beispielsweise lesen wir auf Seite 23: „Überdies haben die Zahlen in diesen (gemeint ist: den europäischen) Ländern seit Anfang der 70er Jahre eine eindeutig anstei- gende Tendenz. Das gilt auch, wenn man Lungenkrebs, für den in er- ster Linie das Rauchen verantwort- lich gemacht wird, außer Betracht läßt. Die jährlichen Zuwachsraten schwanken zwischen 1 und 2 Pro- zent."

Diese Aussage stimmt hierzulande zwar für die Männer, nicht jedoch für die Frauen, wo seit 1973 eine geringfügig rückläufige Tendenz zu beobachten ist.

Auf Seite 43 wird in einer Tabelle die Krebsmorbidität mit dem Industriali- sierungsgrad verglichen. In der Fuß- note dazu wird behauptet, daß sämt- liche Daten altersstandardisiert sei- en. Davon kann jedoch keine Rede sein. Die dem Standardwerk „Can-

Darstellung 1: Krebsmortalität Männer und Frauen, altersstandardisiert/100 000 Ein- wohner (nach Koch, Seite 47)

Darstellung 2: Krebsmortalität Männer und Frauen, altersstandardisiert/100 000 Ein- wohner (nach Segi, gleiche Quelle, aus der Koch seine Angaben bezieht!)

Ausgabe NB DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 8 vom 26. Februar 1982 55

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cer Incidence in Five Continents"

entnommenen Angaben sind in Wirklichkeit bezogen auf die jeweils zugrunde liegende Population, die aber in Hamburg erheblich älter ist als etwa in Ungarn oder gar in Indien oder Nigeria. Aber wen kümmert das?! Für den Autor gilt es, darzu- stellen, daß Hamburg hinsichtlich der Morbidität weltweit an der Spitze liegt.

Macht man sich die Mühe, die in

„Cancer Incidence in Five Conti- nents" angegebenen Zahlen wirk- lich zu standardisieren, dann zeigt sich allerdings eine andere Reihen- folge der Morbidität. Von fünf wahl- los aus der Tabelle herausgegriffe- nen Orten erweisen sich Genf und Liverpool als „belasteter" als Ham- burg, das an die 3. Stelle rutscht (Tabelle 1).

Eine andere Art der Vergewaltigung der Statistik ist der Vergleich von Unvergleichbarem. Auch hierfür ist die Tabelle auf Seite 43 ein instrukti- ves Beispiel: Der Morbiditätsrate von 399,0 in Hamburg wird diejenige von Ibadan in Nigeria (33,7) gegen- übergestellt. In Hamburg gibt es also

— das soll die Gegenüberstellung der beiden Angaben doch wohl aussa- gen — mehr als 10mal soviel Krebs wie in Nigeria. Ob es ratsam wäre, unter diesen Umständen nach Afrika auszuwandern, bleibt zu bezweifeln.

Epidemiologische Vergleiche sind stets nur cum grano salis zu verste- hen, und Morbiditäts- und Mortali- tätsraten werden u. a. von der Güte des Meldewesens, der Genauigkeit demographischer Vergleichszahlen, der diagnostischen Genauigkeit bei der Totenschau usw. maßgeblich beeinflußt.

So wird die Krebsinzidenz in einem Land mit niedriger Erfassungsrate allein schon wegen des höheren Meldedefizits „günstiger" aussehen als in einem Lande mit hoher Melde- quote. Je besser das Meldewesen eines Landes funktioniert, um so hö- her werden die Krebsquoten liegen.

Das heißt aber: um so „ungünstiger"

kommt dieses Land bei Vergleichen weg.

Man wird wohl davon ausgehen dür- fen, daß die Zahlen von lbadan mit einem Vielfachen des Meldedefizits der europäischen Zahlen behaftet sind und schon aus diesem Grunde

„besser" aussehen müssen als letz- tere. Hinzu kommt ferner, daß, wie aus der gleichen Tabelle (Seite 43) hervorgeht, die durchschnittliche Lebenserwartung in Nigeria 48 Jah- re, in Westeuropa aber 72 bis 74 Jahre beträgt; das bedeutet aber, daß die krebsgefährdeten höheren Altersklassen in Nigeria kaum vertre- ten sind, da die Nigerianer bis heute mit ihren infektiösen Krankheiten und Ernährungsproblemen noch nicht fertig geworden und noch gar nicht in den Status eines Landes mit chronischen Alterskrankheiten auf- gerückt sind.

Die Behauptung des Autors, daß die Lebenserwartung bezüglich der Zahl der Krebserkrankungen keine entscheidende Rolle spielen kann, da sie in den hochindustrialisierten Ländern (durchschnittliche Lebens- erwartung 73 Jahre) nur „rund" 2 Jahre höher liege als in den Ländern mit geringem Pro-Kopf-Einkommen (z. B. Brasilien 62 Jahre, Zimbabwe 57 Jahre, Indien 51 Jahre, Nigeria 48 Jahre), dürfte kaum überzeugen.

Auch für methodische Unsauberkei- ten im Umgang mit Zahlen kann die Tabelle auf Seite 43 als Beispiel die- nen. Für mehrere Länder (zum Bei- spiel England, USA, Kanada usw.) werden Mittelwerte der Krebsmorbi- dität errechnet, indem die Zahlen verschiedener Register des gleichen Landes zusammengezählt und dann durch die Anzahl der Register geteilt werden. Das ist aber allein schon deswegen unzulässig, weil die ver- schiedenen zusammengezählten Populationen ganz unterschiedliche Strukturen und Altersverteilungen aufweisen können. Die Bevölkerung von Boston ist eben nicht die glei- che wie die von Alameda County in Texas.

In der Tabelle auf Seite 121 (Korrela- tion zwischen Magenkrebssterblich- keit und landwirtschaftlicher Nutz- fläche) werden die Werte für die Ma- genkrebssterblichkeit um etwa das

Doppelte zu hoch angegeben. Der Autor hat hier die im „Krebsatlas der Bundesrepublik Deutschland" ver- öffentlichten Sterberaten für Män- ner und Frauen einfach zusammen- gezählt, aber nicht bedacht, daß er damit Raten auf 200 000, aber nicht mehr auf 100 000 Einwohner angibt!

Im übrigen verschweigt E. R. Koch bei allen seinen Kausalitätsbetrach- tungen (oder weiß er es etwa nicht besser?!), daß statistische Korrela- tionen nicht a priori gleichbedeu- tend sind mit ursächlichen Zusam- menhängen. Ein Beispiel für die Leichtfertigkeit des Autors im Um- gang mit Korrelationen ist die Kern- aussage des Kapitels „Krebs geht durch den Magen" auf Seite 123, daß man einen „Zusammenhang zwischen Nitratdünger und Magen- krebs kaum in Abrede" stellen kön- ne. Wie will der Autor einen solchen Zusammenhang aufrechterhalten, wo die von ihm auf Seite 122 zusam- mengestellten Zahlen doch genau das Gegenteil aussagen: seit 1950 ständig abnehmende Magenkrebs- frequenz bei gleichzeitiger Zunahme des Kunstdüngerverbrauchs!!

In der Tabelle auf Seite 27 wird die von C. S. Muir und J. Waterhouse in

„Cancer Incidence in Five Conti- nents" angegebene „mortality/mor- bidity ratio" benutzt. Während aber dieser Quotient von seinen geistigen Vätern als ein Indikator für die Art und Vollständigkeit der Erfassung gedacht war (wieviel Prozent der überhaupt erfaßten Krebspatienten sind erst über den Totenschein be- kannt geworden!), macht E. R. Koch daraus einen Indikator der Überle- benschance beziehungsweise der Güte der Behandlung! Er war auch nicht bereit, diesen groben Schnit- zer zu korrigieren, obwohl er etwa acht Wochen vor Erscheinen des Buches von der Krebsagency in Lyon auf die Abwegigkeit seiner In- terpretation aufmerksam gemacht wurde!

Aus der großen Zahl der halbwahren beziehungsweise falschen Behaup- tungen über die Pille, das Reserpin und andere Arzneistoffe, die sich wegen absoluter Unkenntnis über 56 Heft 8 vom 26. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Hamburg

Genf/Schweiz

Schweden 195,9 5

Dänemark 216,3 4

1

399.0 238,8 3

387,8 2

1 278,1

381,4 3

4 338,0

329,1 5

Originalwerte von E. R. Koch (Auszug)

Männer Rang

Korrigierte Zahlen nach Altersstandardisierung

(n. Segi) Männer

Rang Ort/Land

Liverpool/England 260,7

Tabelle 1: Vergleich der Krebsmorbidität mit dem Industrialisierungsgrad

Krebs — ein Industrieprodukt?

die chemische Wirkung bis in die Verhängung der „Sippenhaft" für ganze chemische Stoffgruppen hin- einsteigern, nur noch ein Beispiel:

Cholesterin und Krebs. Der gläubige Laie ebenso wie der erstaunte Fach- mann erfahren auf Seite 171: „Die Senkung allein des täglichen Chole- sterinkonsums auf 200 mg könnte, vertraut man der internationalen Statistik, das Dickdarmkrebsrisiko in der Bundesrepublik um die Hälfte reduzieren. Ein Anteil von nur 100 mg gar brächte uns japanische Ver- hältnisse: dortzulande sterben nur ein Drittel soviel Menschen an dieser Krebserkrankung wie bei uns."

Die Aussage, daß eine Senkung des Cholesterinspiegels das Dickdarm- krebsrisiko senkt, stammt aus einer der ersten Studien auf diesem Ge- biet (Rose et al. 1974). Inzwischen sind zahlreiche Arbeiten erschienen, die zu genau entgegengesetzten Er- gebnissen kommen. Allein im Juli 1981 sind im American Journal of Epidemiology drei Arbeiten erschie- nen, die über Studien an verschiede- nen Bevölkerungsgruppen (nämlich in Hawaii, in Jugoslawien und in Pu- erto Rico) berichten. Alle drei Stu- dien haben übereinstimmend erge- ben, daß zwar eine deutlich positive Korrelation zwischen Cholesterin und Herzinfarkt, aber eine inverse Relation zwischen Cholesterin und Krebs zu bestehen scheint.

Die Bedeutung des Cholesterins für das Zustandekommen des Dick- darmkrebses ist wissenschaftlich noch nicht definitiv geklärt. Für Herrn Koch dagegen ist alles klar, was in die eigene Vorstellungsscha- blone paßt.

Am Schluß des Buches weiß der Au- tor offenbar nicht mehr, was er ein- gangs gesagt hat. Während der Le- ser auf Seite 23 erfahren hat, daß das Risiko, einer Krebserkrankung zu erliegen, hierzulande 20 Prozent größer ist als in den USA, liest er zu seinem Erstaunen auf Seite 378, daß die Bundesrepublik bei den Krebsto- desfällen nach den USA auf Platz 2 liegt. Als wissenschaftliche Quelle für diese Aussage wird angegeben M. Segi „Age-adjusted Death Rates

in 46 Countries in 1975. Nagoya 1980". Der Autor rechnet natürlich nicht damit, daß einer seiner Leser auf die Idee kommen könnte, bei Se- gi nachzulesen, denn dort würde er finden, daß diese Aussage barer Un- sinn ist und sich aus Segis Statisti- ken nicht ableiten läßt. Weder liegen dort die USA an erster noch die Bun- desrepublik an zweiter Stelle. Viel- mehr liegen bei den Männern in den vorderen drei Positionen die Länder Tschechoslowakei, Uruguay und Schottland, Deutschland folgt an Position 8 und die USA erst an 20.

Stelle. Bei den Frauen führt Uruguay vor Dänemark und Ungarn. Deutsch- land liegt auf Platz 6 und die USA wiederum auf Platz 20.

Die angeführten Beispiele, die sich ad libitum fortführen ließen, reichen wohl aus, um den Unterschied zwi- schen einem journalistischen Knül- ler und einer fundierten wissen- schaftlichen Argumentation zu ver- deutlichen. Ist dem Autor eigentlich nie der Gedanke gekommen, daß die Lebenserwartung des Mitteleuropä- ers in der heutigen Zeit mit ihrem hohen Industrialisierungsgrad hö- her liegt als je zuvor? Infektions- krankheiten und Seuchen spielen heute keine Rolle mehr; alle übrigen akuten Krankheiten hat die moderne Medizin weitgehend unter Kontrolle gebracht. Was bleibt, ist der vielzi- tierte „Panoramawandel" zu den chronischen Krankheiten hin. In der

Tat sind hierbei die Erfolge der Me- dizin noch nicht so überzeugend wie bei den akuten Krankheiten. Die Kor- relation mit dem Industrialisierungs- grad gilt nun aber nicht nur für den Krebs, sondern in gleicher Weise auch für alle übrigen chronischen Krankheiten. Mit gleichem Recht könnte man daher behaupten, daß Diabetes, Rheumatismus, Gicht und Herz-Kreislauf-Krankheiten durch die Industrialisierung verursacht werden.

Die Gewinnung von statistischen Hinweisen wird gerade beim Krebs durch die lange Latenz, die bei vie- len Tumorarten nachgewiesene (fa- miliäre) Disposition und durch das multifaktorielle Geschehen sehr er- schwert. Statistische Angaben be- züglich des Einflusses exogener No- xen über den Krebs sind daher stets mit allergrößter Sorgfalt und Vor- sicht sowie mit Sachverstand zu in- terpretieren. Beides läßt der Autor der vorliegenden Darstellung ver- missen.

Was dem Autor vorzuwerfen ist, ist der überall erweckte Anschein, eine Problematik, der er geistig nicht ge- wachsen ist, mit wissenschaftlicher Akribie und fundiert untersucht zu haben. Dieser durch nichts gerecht- fertigte Eindruck wird nicht zuletzt auch durch das ausführliche Litera- turverzeichnis zu erwecken ver- sucht. In Wirklichkeit stellt die zitier- Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 8 vom 26. Februar 1982 61

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te Literatur eine relativ zufällige Aus- wahl dar, aus der auch nur das ver- wendet wird, was mit der vorgefaß- ten Meinung des Autors in Einklang zu bringen ist.

Egmont R. Koch vermengt wissen- schaftlich allgemein anerkannte Fakten und mehrheitlich vertretene Hypothesen mit Außenseitermeinun- gen und persönlichen Spekulatio- nen in einer Weise, die es dem mit der Materie weniger vertrauten Le- ser und insbesondere dem medizini- schen Laien nahezu unmöglich macht, zwischen wissenschaftlich erwiesenen beziehungsweise be- gründet vermuteten Zusammenhän- gen und kritiklos unterstellten Beziehungen beziehungsweise schlicht falschen Behauptungen zu unterscheiden. Durch Weglassen nicht in das Konzept passender Fak- ten, Versimplifizierung komplizierter Zusammenhänge und Falschdarstel- lung von Sachverhalten wird eine At- mosphäre erzeugt, in der beim Leser der Eindruck entstehen muß, daß die Ursachen des Krebsgeschehens hierzulande ein Produkt der Indu- strialisierung sind und heute als weitgehend abgeklärt angesehen werden können, aber — insbesonde- re in Mitteleuropa — infolge politi- scher Indolenz, medizinischer In- kompetenz und industrieller Igno- ranz nicht beseitigt werden.

Wir sind keineswegs der Ansicht, daß für den Schutz des Menschen vor der von ihm selbst geschaffenen Umwelt in der Vergangenheit genug getan wurde und in der Zukunft kei- ne Aufgaben mehr zu bewältigen seien; aber wir glauben, daß das Buch von Koch im Hinblick auf Ge- sundheitsgefahren und Gesund- heitsschäden durch Arbeitswelt und Umwelt keine wissenschaftliche Grundlage abgibt, um politisches Handeln in diesen Bereichen zu be- gründen.

Nicht zuletzt empfinden wir es als unangemessen, daß ein 31jähriger Nichtmediziner erfahrene wissen- schaftlich und klinisch tätige Kolle- gen in einer Weise persönlich diffa- miert, die unter dem Niveau von Boulevard-Blättern liegt.

Anschriften der Verfasser:

Professor Dr. phil. Fritz Eiden Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie der Ludwig-Maximilians-Universität Mürichen

Sophienstraße 10 8000 München 2

Professor Dr. med. Fritz H. Kemper Direktor des Instituts für

Pharmakologie und Toxikologie der Westfälischen

Wilhelms-Universität Münster Domagkstraße 12

4400 Münster

Professor Dr. med. Gerhard Lehnert Direktor des

Zentralinstituts für Arbeitsmedizin der Universität Hamburg

Adolph-Schönfelder-Straße 5 2000 Hamburg 76

Professor Dr. med. Dietrich Schmähl Direktor des Instituts für Toxikologie und Chemotherapie am

Deutschen Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280

6900 Heidelberg

Professor Dr. med. Carlos Thomas Direktor des Medizinischen Zentrums für Pathologie

der Philipps-Universität Marburg Robert-Koch-Straße 5

3550 Marburg

Professor Dr. med. Helmut Valentin Leiter des Instituts für

Arbeits- und Sozialmedizin und der Poliklinik für Berufskrankheiten der Friedrich-Alexander-Universität

Erlangen-Nürnberg Schillerstraße 25 und 29 8520 Erlangen

Professor Dr. med. Gustav Wagner Direktor des Instituts für

Dokumentation, Information und Statistik am

Deutschen Krebsforschungszentrum Im Neuenheimer Feld 280

6900 Heidelberg

Toxisches Schock-Syndrom nicht nur bei Menstruation

Untersuchungen haben ergeben, daß ein toxisches Schock-Syndrom (TSS) vorrangig bei jungen menstru- ierenden Frauen und erhöht bei An- wendung von Tampons auftritt. So wurde das TSS allgemein zur

„Tampon-Krankheit".

Das TSS kann jedoch, wie die Cen- ters of Disease Control jetzt berich- ten, unterschiedliche Ursachen ha- ben und bei Frauen söwie bei Män- nern aller Alters- und Bevölkerungs- gruppen auftreten.

Immer mehr Fälle von TSS stehen nicht im Zusammenhang mit der Menstruation (13,2 Prozent mit Krankheitsbeginn 1981). In den 54 Fallbeispielen des U.S.A. National Surveillance System von nicht-men- struationsbegleitendem TSS waren in dem Berichtszeitraum Januar 1980 bis Juni 1981 die Erkrankungen auf eine Infektion durch Staphylo- kokken zurückzuführen (bei kuta- nen oder subkutanen Verletzungen, infizierten Operationswunden, Bur- sitis, Mastitis, Adenitis, Lungenab- szeß, primärer Bakterämie), traten jedoch auch nach Entbindungen auf dem natürlichen Wege sowie durch Kaiserschnitt auf.

Patienten mit nicht-menstruations- begleitendem TSS unterschieden sich wesentlich hinsichtlich Alter und Rasse von denen mit Erkran- kung während der Menstruation.

Die klinischen Symptome bei nicht- menstruationsbegleitendem TSS und die Charakteristiken der bei die- sen Patienten isolierten Staphylo- kokken-Stämme ähnelten denen bei auftretendem Syndrom im Zusam- menhang mit der Menstruation.

Die mittlere Inkubationszeit bei post- operativen Fällen lag bei 2 Tagen. Lg

Reingold, A. L.; Shands, K. N.; Dan, B. B.;

Broome, C. V.: Toxic-Shock Syndrome not As- sociated with Menstruation, The Lancet I (1982) 1-4, Bacterial Diseases Division, Center for lnfectious Diseases, Center for Disease Control, Atlanta, Georgia 30333, U.S.A.

62 Heft 8 vom 26. Februar 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZItBLATT Ausgabe A/B

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