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Archiv "Misteltherapie bei Krebs" (21.07.2014)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 29–30

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21. Juli 2014 491

M E D I Z I N

EDITORIAL

Misteltherapie bei Krebs:

Hoffnungsträger oder Auslaufmodell?

Florian Lordick

Editorial zum Beitrag:

„Lebensqualität von Patienten mit fortgeschritte-

nem Pankreas - karzinom unter Misteltherapie in einer randomisier-

ten Überlebens- zeitstudie“ von

Tröger et al.

auf den folgenden Seiten

führt worden wäre. Die Autoren erklären zwar, war - um die Interventionen nicht verblindet wurden, den- noch fehlt nun die Möglichkeit, den gefundenen Ef- fekt sicher von einer Placebo-Wirkung zu unter- scheiden. Auch wäre es besser gewesen, wenn nicht nur von 43, sondern von allen der 220 Patienten eine histologische Sicherung des Tumorbefundes vorgele- gen hätte. So stützte sich die Diagnose eines inkur- ablen Pankreaskarzinoms bei den meisten Patienten auf die klinische Befundkonstellation. Im Gegensatz zum üblichen Vorgehen lag die Entscheidung über die Durchführung einer etablierten antitumoralen Therapie oder über eine Studieneignung in den Hän- den des onkologischen Konsils der Chirurgischen Klinik. Es ist zu hoffen, dass diese Vorgehensweisen die Studienergebnisse nicht verzerrt haben. An ande- rer Stelle ist eine ausführlichere Diskussion der me- thodischen Probleme erschienen (5).

Werden diese Ergebnisse zur Misteltherapie bei Pankreaskarzinom meine Gespräche und Empfehlun- gen für Patienten mit fortgeschrittener Krebserkran- kung beeinflussen? Ich denke, nein. Neben meinen methodischen Vorbehalten ist zu konstatieren, dass die Wissenschaft nicht stehengeblieben ist. Es wurden neue und besser wirksame Behandlungsmethoden eingeführt. Dazu zählen Medikamente, multimodale Therapieansätze und eine Optimierung palliativme- dizinischer und supportiver Behandlungsangebote (6). Ein neues Verständnis von multiprofessioneller Patientenbetreuung und Strukturen für die palliative Behandlung wurden etabliert. Das zurückliegende Jahrhundert der Mistel in der Onkologie fiel in Zei- ten der therapeutischen Ohnmacht, und diese Zeit neigt sich nun dem Ende zu. Auch mahnt der inter - nationale Forschungskontext zur Zurückhaltung: So hat eine Cochrane-Übersicht ergeben, dass die Studi- enqualität der Mistelextrakt-Studien zu wünschen übrig ließ (7). Die Autoren bilanzierten, es gebe eini- ge Ergebnisse, die auf eine Verbesserung der Le- bensqualität hinwiesen, während sie die Daten be- züglich einer Verlängerung der Lebenserwartung als schwach einschätzten.

Popularität von Pflanzenextrakten

Pflanzenextrakte genießen Popularität in Deutsch- land. Nach internationalen Angaben zahlten 2003 die deutschen Krankenkassen umgerechnet 283 Millio- nen US-Dollar für ihre Erstattung (8). Insbesondere

D

ie Fortschritte in der Krebsmedizin sind un- verkennbar: Mehr als die Hälfte der von Krebs betroffenen Menschen in Deutschland überleben heutzutage ihre Erkrankung und gelten als geheilt (1). Etliche Krebserkrankungen können über eine lange Zeit kontrolliert und bei akzeptabler Lebens- qualität in einen chronischen Verlauf überführt wer- den (2). Leider gibt es aber auch Krebserkrankun- gen, die rasch zum Tode des Patienten führen. Ober- flächlich betrachtet gelten sie als schicksalhaft und unbeeinflussbar. Eine differenzierte Betrachtung öff- net hingegen den Blick für die vielfältigen ärztlichen Handlungsspielräume und Entscheidungsoptionen für Patienten am Lebensende. Eine regelhaft tödliche Krebserkrankung ist das Pankreaskarzinom. Doch selbst bei dieser Erkrankung erweitern sich in jüngs- ter Zeit die therapeutischen Optionen. Neue Behand- lungsansätze verlängern das Überleben und verbes- sern Symptome sowie Lebensqualität (3).

Stellenwert in der Krebstherapie

In dieser Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts werden Ergebnisse einer prospektiv-randomisierten Arznei- mittelprüfung vorgestellt. Die Studie misst einen Ef- fekt von subkutan verabreichtem Eichenmistelex- trakt auf die Lebensqualität von Patienten mit der klinischen Diagnose eines Pankreaskarzinoms (4).

Den Initiatoren der Studie sollte man Anerkennung zollen für den Versuch, den Stellenwert der Mistel- therapie in der Krebsbehandlung mit objektiven Da- ten zu untermauern.

Es ist gut, dass die Studie publiziert wird, sie trägt zur Evidenz bei und sollte diskutiert werden, auch wenn sie – genauso wie die Autoren – indirekt vom Arzneimittelhersteller finanziert wurde. Insgesamt wurden 220 serbische Patienten per Los entweder ei- ner subkutanen Behandlung mit einem Eichenmistel- extrakt oder keiner Misteltherapie zugeführt. Beide Gruppen erhielten außerdem eine Symptom-orien- tierte Behandlung von Schmerzen, Übelkeit, Erbre- chen und Verdauungsstörungen. Die Ergebnisse zei- gen eine verbesserte Lebensqualität bei den mit einer Misteltherapie behandelten Patienten. Dennoch blei- ben bei dieser Studie wichtige Fragen offen.

Mit Blick auf die Validität und Übertragbarkeit der erhobenen Daten wäre es besser gewesen, wenn die Untersuchung nicht nur an einem Zentrum, son- dern – wie andere Studien – multizentrisch durchge-

Universitäres Krebszentrum Leipzig,

Universitätsklinimum Leipzig:

Prof. Dr. med. Lordick

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M E D I Z I N

die Verordnung von Mistelextrakten war mit 465 000 Verschreibungen ein erheblicher Faktor (9). Außer- halb Deutschlands wird das mit einem gewissen Un- verständnis zur Kenntnis genommen (8, 9), und es ist die Frage, ob wir die knappen Ressourcen unseres Gesundheitssystems nicht anders investieren sollten.

Die Verwendung von Mistelextrakten begann 1916.

Sie geht auf den Begründer der Anthroposophie, Ru- dolf Steiner (1861–1925), zurück. Mistelextrakte ent- halten biologisch aktive Molekülgruppen: Lektine, Vis- cotoxine, Flavonoide und Membranlipide. Lektine kön- nen Apoptose induzieren und Teile des Immunsystems stimulieren (9). Person und Lehre Rudolf Steiners rie- fen bei seinen Zeitgenossen kontroverse Reaktionen hervor (10). Auch heute zieht sich eine polarisierte Dis- kussion rund um die anthroposophische Medizin quer durch die Gesellschaft (11). In den 1920er Jahren be- fassten sich mehrere Artikel aus dem New England Journal of Medicine mit Mistelextrakten zur Behand- lung der Hypertonie (12). Mit dem wachsenden Ver- ständnis der Pathophysiologie sowie der Entwicklung wirksamer Therapien der Hypertonie verschwand die Mistel aus der kardiovaskulären Medizin. Vergleichba- res könnte auch im Bereich der Krebsmedizin vonstat- ten gehen.

Einsatz von Therapien am Lebensende

Wir haben gelernt, dass Therapieempfehlungen am Lebensende gut abgewogen erfolgen sollen. Zu Nihi- lismus besteht kein Anlass. Die Effekte anti-tumora- ler Therapien auf Prognose, Symptomlast und Le- bensqualität erwiesen sich zum Teil als stärker als er- wartet (13, 14). Auch professionelle Zuwendung und nichtmedikamentöse Behandlung durch ein multi- professionelles Team sind wirksam. Die frühe Inte- gration palliativer Fürsorge hat positive Effekte auf die Prognose und Lebensqualität gezeigt (6). Hingegen können sich zu aggressive Therapien am Lebensende negativ auf den Erkrankungsverlauf auswirken (15).

Es bleibt eine urärztliche Aufgabe, die Begleitung und Beratung des Patienten am Lebensende als einen individualisierten Prozess aufzufassen.

5. Ahlborn M, Lordick F. Fortgeschrittenes Pankreaskarzinom. Mögli- cher Einfluss der Mistel auf das Überleben. Der Onkologe 2014; 20:

376–8.

6. Parikh RB, Kirch RA, Smith TJ, Temel JS: Early specialty palliative care—translating data in oncology into practice. N Engl J Med 2013; 369: 2347–51.

7. Horneber MA, Bueschel G, Huber R, et al.: Mistletoe therapy in oncology. Cochrane Database Syst Rev 2008; (2): CD003297.

8. De Smet PA: Herbal medicine in Europe—relaxing regulatory standards. N Engl J Med 2005; 352: 1176–8.

9. de Giorgio A, Stebbing J: Mistletoe: for cancer or just for Christ- mas? Lancet Oncol 2013; 14: 1264–5.

10. Winterstein A: Der Rattenfänger – Anlässlich der Tagung des Anthroposophenkongresses. Wien: Neue Freie Presse, Feuilleton, 20. Juni 1922. In: Vögele WG: Der andere Rudolf Steiner. Dornach:

Futurum (früher Pforte) Verlag 2005.

11. Vensky H: Erfolgreich mit Karma, Ausdruckstanz und Scheinmedi- zin. Zeit Online. www.zeit.de/wissen/geschichte/2012–12/Gruen dung-Anthroposophische-Gesellschaft (last accessed on 24. June 2014).

12. Palmer RS: The treatment of essential hypertension. N Engl J Med 1930; 203: 208–11.

13. Von Hoff DD, Ervin T, Arena FP, et al.: Increased survival in pancrea- tic cancer with nab-paclitaxel plus gemcitabine. N Engl J Med 2013; 369: 1691–703.

14. Gourgou-Bourgade S, Bascoul-Mollevi C, et al.: Impact of FOLFIRI- NOX compared with gemcitabine on quality of life in patients with metastatic pancreatic cancer: results from the PRODIGE 4/ACCORD 11 randomized trial. J Clin Oncol 2013; 31: 23–9.

15. Wright AA, Zhang B, Keating NL, et al.: Associations between palliative chemotherapy and adult cancer patients’ end of life care and place of death: prospective cohort study. BMJ 2014; 348:

g1219.

Anschrift des Verfassers Prof. Dr. med. Florian Lordick

Universitäres Krebszentrum Leipzig (UCCL) Liebigstraße 20

04103 Leipzig

Englische Überschrift:

Mistletoe treatment for cancer—promising or passé?

Zitierweise

Lordick A: Mistletoe treatment for cancer—promising or passé?

Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 491–2. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0491

@

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt-international.de Interessenkonflikt

Prof. Lordick bekam Kongressgebührenerstattung von den Firmen Merck Darmstadt und Roche. Reisekosten wurden für ihn übernommen von den Firmen Merck Darmstadt, Roche, Lilly und Taiho. Er erhielt Vortragshonorare von der Firma Med Update GmbH. Studienunterstützung (Drittmittel) wurde ihm zuteil von den Firmen Fresenius Biotech, GSK und Merck Darmstadt.

LITERATUR

1. Deutsches Krebsforschungszentrum – Krebsinformationsdienst:

Heilungschancen und Überlebensraten. www.krebsinformations dienst.de/grundlagen/krebsstatistiken (last accessed on 24. June 2014).

2. Ullman K: Cancer survivorship gains importance. J Natl Cancer Inst 2014; 106: djt450.

3. Ko AH: Expanding options for pancreatic cancer... so where do we go from here? Oncology (Williston Park) 2014; 28: 5.

4. Tröger W, Galun D, Reif M, Schumann A, Stankovic´ N, Milic´ evic´ : M:

Quality of life of patients with advanced pancreatic cancer during treatment with mistletoe—a randomized controlled trial.

Dtsch Arztebl Int 2014; 111: 493–502.

Referenzen

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