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I 116/2000 FIN 6. Dezember 2000 47C
Interpellation
3856 Rytz, Bern (GB)
Weitere Unterschriften: 5 Eingereicht am: 05.06.2000
Kriterien für die Steuerbefreiung von juristischen Personen
Der Grosse Rat des Kantons Luzern hat 1999 über die Steuerbefreiung des „Vereins umweltgerechte, dezentrale Energieversorgung ohne Atomkraftwerk“ (UDEO) diskutiert. In der Stellungnahme der Regierung wurde auch auf den Kanton Bern Bezug genommen:
„Der Umstand, dass die SVA (Schweiz. Vereinigung für Atomenergie) im Kanton Bern, möglicherweise zu Unrecht, von der ordentlichen Steuerpflicht befreit wurde, gibt der UDEO keinen Anspruch, ebenfalls abweichend vom Gesetz behandelt zu werden.“
Die UDEO ist nicht die erste Organisation, die sich bei der Steuerpflichtbefreiung mit anderen Organisationen vergleicht. Auch im Kanton Bern gibt es immer wieder Unsicherheiten bezüglich der Praxis der Steuerbehörden bei der Anwendung der Kriterien nach Artikel 83 Absatz 1 Buchstabe g StG (Steuerpflichtbefreiung bei öffentlichen und gemeinnützigen Zwecken) und der demokratischen Kontrolle der Steuerpflichtbefreiung.
1. Trifft es zu, dass die Schweiz. Vereinigung für Atomenergie im Kanton Bern von der Steuerpflicht befreit ist oder befreit war?
2. Wenn ja: Wie begründet der Regierungsrat diese Steuerpflichtbefreiung? Welchen gemeinnützigen oder öffentlichen Zweck verfolgt die SVA? Wann wurde über die Steuerpflichtbefreiung entschieden?
3. Warum wird der „Schweizerische Verband alleinerziehender Mütter und Väter“ nicht von der Steuerpflicht befreit, obwohl er mit Bundesgeldern subventioniert ist und eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, nämlich die Beratung und Begleitung von alleiner- ziehenden Eltern im Sinne der Sozialrechte des Bundes?
4. Gibt es ein Verzeichnis darüber, welche juristischen Personen aus welchem Grund von der Steuerpflicht befreit sind, und kann dieses Verzeichnis eingesehen werden? Welche anderen Kontrollinstrumente stehen der demokratischen Öffentlichkeit zur Verfügung?
5. Erachtete es der Regierungsrat als richtig, dass zur Beurteilung der Gemeinnützigkeit auf die „jeweils massgebende Volksauffassung“ abgestellt wird (Antwort der Steuerbehörden auf ein Gesuch um Steuerpflichtbefreiung)? Welche Indikatoren stehen zur Verfügung, um die „jeweils massgebende Volksauffassung“ zu messen? Wenn keine Indikatoren zur Verfügung stehen: wie kann bei Entscheiden Willkür im Sinne von rein individuellen Beurteilungen ausgeschlossen werden?
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6. Muss davon ausgegangen werden, dass nur juristische Personen als gemeinnützig gelten, die keine bezahlten MitarbeiterInnen beschäftigen, sondern alle Tätigkeiten zu 100 Prozent in ehrenamtlicher Freiwilligenarbeit bewältigen? Entspricht diese Auffassung den gängigen Zertifizierungskriterien von „ Gemeinnützigkeit“?
7. Ist der Regierungsrat bereit, die Transparenz bezüglich der Kriterien der Steuerpflichtbefreiung durch ein Merkblatt oder geeignete Formulare zu erhöhen und damit einen Beitrag an die rechtsgleiche Behandlung von Vereinen und Organisationen zu leisten?
Antwort des Regierungsrates
Frage 1
Die Schweizerische Vereinigung für Atomenergie (SVA) wurde mit Verfügung vom 6.
Oktober 1978 für die direkten Steuern von Bund, Kanton und Gemeinden befreit.
Frage 2
Im Zeitpunkt der Befreiung erfüllte die SVA die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung.
Wie nachfolgend aufgezeigt wird, ist auch die Praxis der Steuerbefreiung im Laufe der Zeit einem gewissen Wandel unterworfen. Was heute als Allgemeininteresse und damit als förderungswürdig gilt (vgl. dazu auch die Ausführungen zu Frage 5), wird unter Umständen morgen von der Volksauffassung nicht mehr getragen.
Auf Grund des vorliegenden Vorstosses werden die Tätigkeit der SVA bzw. die Voraussetzungen für eine weitere Steuerbefreiung zur Zeit überprüft.
Frage 3
Das Verfahren für eine Befreiung von der Steuerpflicht des Schweizerischen Verbandes allein erziehender Mütter und Väter ist bei der Steuerverwaltung hängig. Einzelne Fragen bedürfen einer zusätzlichen Klärung. Der Regierungsrat muss davon absehen, zu einem im Zuständigkeitsbereich der Steuerverwaltung hängigen Steuerbefreiungsverfahren weitere Angaben zu machen.
Frage 4
Es besteht eine verwaltungsinterne Uebersicht, aber kein veröffentlichtes Verzeichnis der im Kanton Bern von den direkten Steuern befreiten juristischen Personen. Die Steuerbefreiung ist lediglich aus dem Steuerregister der juristischen Personen, welches von der Steuerverwaltung geführt wird, ersichtlich. Im Gegensatz zu den Registern der natürlichen Personen, welche von den Gemeinden geführt werden, ist das Register für die juristischen Personen nicht öffentlich. Die Publikation der steuerbefreiten juristischen Personen ist auf Grund des Steuergeheimnisses auch inskünftig nicht vorgesehen.
Die Steuerverwaltung überprüft stichprobeweise oder auf Grund von Hinweisen Dritter, ob steuerbefreite Institutionen die entsprechenden Voraussetzungen nach wie vor erfüllen.
Frage 5
In seiner Antwort auf eine einfache Anfrage von Frau Nationalrätin Spoerry vom 12. Juni 1989 betreffend Steuerbefreiung wegen gemeinnütziger Zweckverfolgung umschrieb der Bundesrat die Voraussetzungen folgendermassen: „Gemeinnützig im Sinne des Steuerrechts ist jede Tätigkeit, die im Interesse der Allgemeinheit liegt und uneigennützig, d.h. unter völliger Ausschaltung der persönlichen Interessen der Beteiligten, das Wohl dritter Personen fördert. Das Gemeinwohl kann durch Tätigkeiten in sozialen, kulturellen, ökologischen sowie wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen gefördert werden.“
Ob eine bestimmte Aktivität im Interesse der Allgemeinheit liegt, beurteilt sich nach der
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„jeweils massgebenden Volksauffassung“ (Kreisschreiben Nr. 12 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 1994, S. 3).
Die Steuerverwaltung stützt ihre Praxis auf diese von der Eidgenössischen Steuerverwaltung sowie den übrigen Kantonen angewandten Beurteilungskriterien. Die
„jeweils massgebende Volksauffassung“ ist geprägt von der Einstellung der Allgemeinheit zu einer bestimmten Tätigkeit sowie den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen und Entwicklungen. Als Indiz dafür, ob eine bestimmte Aktivität im Allgemeininteresse liegt, ist der Umstand zu würdigen, ob ein grösserer Bevölkerungskreis eines Gebietes diese Tätigkeit als notwendig, wünschbar oder nützlich für die Allgemeinheit erachtet. Es kann dabei jedoch nicht nur darauf abgestellt werden, sondern es müssen vielmehr die rechtsethischen Grundideen der Rechts- und Staatsordnung zur Beurteilung herangezogen werden. Es kommt somit auf die aktuellen Wertvorstellungen der Schweizer Bevölkerung, auf die herrschende Rechtsanschauung, an. Dabei geben die rechtsethischen Prinzipien, die insbesondere in der Verfassung, aber auch in Gesetzen und Präjudizien zum Ausdruck kommen, wichtige Hinweise auf die herrschende Rechtsanschauung. Weiter bilden auch Einrichtungen des sozialen Lebens, die Pressemeinung sowie vor allem die Lehre Anhaltspunkte. Die feste und offenkundige Meinung des Volkes kann ebenfalls als Indiz beigezogen werden (vgl. in diesem Sinn Prof.
M. Reich in seinem Aufsatz „Gemeinnützigkeit als Steuerbefreiungsgrund" in ASA 58/465).
Für die Beurteilung der Gesuche um Steuerbefreiung steht der Steuerverwaltung somit eine Reihe von objektiven, durch Rechtssprechung und Literatur abgesicherte Indikatoren zur Verfügung. Entscheide über die Steuerbefreiung sind wie Veranlagungsverfügungen durch die betroffene Institution sowie durch die Sitzgemeinde auf dem ordentlichen Rechtsweg anfechtbar.
Frage 6
Eine vollumfänglich ehrenamtliche Tätigkeit ist nicht Voraussetzung für die Steuerbefreiung einer Institution. Oftmals ist es notwendig, Personen, die sich für einen gemeinnützigen Zweck einsetzen, zu entschädigen. Entscheidend ist, dass keine Eigenleistungen für die Stifter oder Vereinsmitglieder erbracht werden. Eine solche Eigenleistung müsste beispielsweise angenommen werden, wenn die Institution der Arbeitsbeschaffung zu Gunsten ihrer Mitglieder dient.
Frage 7
Im Kreisschreiben Nr. 12 der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 1994 sind die Kriterien und Voraussetzungen, welche einen Anspruch auf eine Steuerbefreiung begründen, sehr ausführlich dargestellt. Wie in der Antwort zur Frage 5 ausgeführt, lässt sich die Steuerverwaltung des Kantons Bern bei der Beurteilung der Gesuche von diesen Richtlinien leiten. Angesichts der in letzter Zeit stark gestiegenen Anzahl von Steuerbefreiungsgesuchen prüft die Steuerverwaltung gegenwärtig, in welcher Form die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung in einem Merkblatt übersichtlicher dargestellt werden können.
An den Grossen Rat
