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Archiv "Lebensweg eines Intellektualisten" (12.06.1980)

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Durch Femen durch ich und Wir und Du, doch alles' blieb erlitten durch die ewige Frage wozu?

Das ist eine Kinderfrag e.

Dir nur& erst spät be es gibt nur eines: e

ob Sinn. ob Sucht, o

dein lernbestimmtes: Du mußt Ob Rosen, ob Schnee, ab Meere, was alles erblühte, verblieb, es gibt nur zwei Dinge: dineete und das gezeichnete Ich.

Aufsätze • Notizen 83. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Lebensweg eines

Intellektualisten

Gottfried-Benn-

Gedenkausstellung beim 83. Deutschen Ärztetag

in Berlin

Elisabeth Bluhm

Hommage ä Gottfried Benn

Wenn du sprichst, verstummen wir, Dein Geist schlägt Brücken zwischen Einst und Jetzt.

Mit Blöcken unverrückbar erfüllst Du das Apostelwort.

„Die Zunge ist zwar klein, doch richtet

große Dinge an."

(„Male", Dr. W. Müller-Jensen)

Im Rahmen des 83. Deutschen Ärzte- tages im Mai 1980 wurde zum er- stenmal in Berlin eine Gottfried- Benn-Gedenkausstellung der Öf- fentlichkeit präsentiert. Dank der In- itiative des Berliner Internisten Dr.

med. Ulrich Wolff, 2. Vorsitzender des Hartmannbundes, Landesver- band Berlin, konnte diese Ausstel- lung durchgeführt werden. In einer Vielzahl von Briefen, Fotos, Erstaus- gaben, Büchern und anderen Erin- nerungsstücken wurde der Benn- sche Lebens- und Wirkungskreis sichtbar gemacht.

Die Akademie der Künste in Berlin stellte dieser Ausstellung erstmals die Originalpartitur des Oratoriums

„Das Unaufhörliche" — verlegt bei B.

Schott's Söhne, Mainz, Text von Gottfried Benn, Musik von Paul Hin- demith*) als Leihgabe zur Verfü- gung.

Der Sinn dieser Ausstellung wurde sehr wohl von den überaus zahlrei- chen Besuchern richtig verstanden.

Daß der Arzt nicht nur dem Kassen- schein verhaftet ist, sondern wesent-

lich am geistigen Geschehen der Zeit produktiv teilhat, lag als Kon- zept dieser Ausstellung zugrunde.

Der Beweis für die Richtigkeit dieser These zeigte sich in der positiven Resonanz im Fernsehen, im Hörfunk und in der Tagespresse.

So schreibt Peter Winkler am 13. Mai 1980 in der „Berliner Morgenpost"

in einer umfangreichen Berichter- stattung über die Gedenkausstel- lung:

„Die literarisch interessierte deut- sche Nachkriegsgesellschaft, jeden- falls die westlich orientierte, ent-

deckte Gottfried Benn neu. Sie fand Gefallen an einer geschichtspessi- mistischen Dichtung, die sich nicht mit Schuldgefühlen aufhielt. Als Benn starb, war er aussichtsreicher Anwärter auf den Nobelpreis. An sei- nem Todestage, dem 7. Juli 1956, hatte ihm das Land Nordrhein-West- falen den großen Kunstpreis für Lite- ratur zuerkannt."

Über die Entstehung dieses Oratoriums wurde im Feuilleton des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES in den Heften 48 und 49/

1979 in einem Beitrag von Professor Dr.

med. A. Greither berichtet: „Das Unaufhör- liche: Gottfried Benn und Paul Hinde- mith".

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 12. Juni 1980 1595

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für Haut u.Harnleide

9-11 u.

MED. G. BENN Facharzt

Abbildung eines Praxisschildes, dessen Original für die Ausstellung nicht mehr aufzutreiben war

Aufsätze • Notizen

Gottfried-Benn-Gedenkausstellung

Blick in die Gedenkausstellung für Gottfried Benn, die während der Ärztetagswoche von vielen literaturinteressierten Ärzten

besucht wurde Fotos: Bohnert + Neusch

Kein Bruch zwischen Medizin und Literatur

Dr. med. Gottfried Benn ist seinem Hauptberuf, der Medizin, sein gan- zes Leben lang konsequent verbun- den geblieben. Während andere Schriftstellerärzte, die beiden be- kanntesten schreibenden und dich- tenden Berliner Mediziner, Alfred Döblin und Peter Bamm, sowie in London Somerset Maugham, ihren Arztberuf weitgehend an den Nagel hängten, hat Gottfried Benn diesen Bruch zwischen Medizin und Litera- tur zu keiner Zeit vollzogen.

Benn schreibt in einem Selbst- bekenntnis im „Lebensweg eines Intellektualisten": „Rückblickend

scheint mir meine Existenz ohne diese Wendung zur Medizin und Biologie völlig undenkbar."

Arztberuf in dreifacher Weise Benn hatte in dreifacher Weise den Arztberuf ausgeübt. Er selbst äußer- te sich: „Ich bin fachärztlich zustän- dig für drei Spezialgebiete: Patholo- gie (ich war Leiter eines kleinen pa- thologischen Instituts), dann für Dermatologie und Venerologie und ... auch für Versorgungsmedi- zin. In allen diesen drei Disziplinen habe ich wissenschaftliche Arbeiten verfaßt, die in den entsprechenden Fachzeitschriften und Büchern ver- öffentlicht wurden, und zwar keine geisteswissenschaftlichen Feuille-

tons ..., sondern nüchterne statisti- sche kasuistische Elaborate ..."

Starke Eindrücke auch für sein dich- terisches Frühwerk erwarb Benn als junger Mediziner in der Pathologie am Städtischen Westend-Kranken- haus unter Prof. Dietrich.

Ebenso stark wirkte die Zeit an der Charitö, insbesondere unter dem Dermatologen Prof. Lesser, Ordina- rius für Dermatologie an der Charitö, und zuvor in der Psychiatrie unter Prof. Bonhoeffer (Ordinarius für Psychiatrie an der Charitä; Benn hospitierte an seiner Klinik 1910).

Das medizinische Wirken Gottfried Benns hat Prof. Dr. med. Werner Rü- be, Direktor des Knappschaftskran- kenhauses zu Recklinghausen, in zwei Veröffentlichungen in brillanter Weise dargestellt: „Gottfried Benn und die Medizin" und „Medizinische Schriften von Gottfried Benn".

Die wichtigsten medizinischen Ar- beiten befassen sich mit folgenden Themen:

1911: Die Ätiologie der Pubertätsepi- lepsie

1912: Über die Häufigkeit des Diabe- tes mellitus im Heer

1914: Über einen Fall von innerer Einklemmung infolge Mesenterial- lücke bei einem Neugeborenen 1918: Nebenwirkungen bei Arthigon >

1596 Heft 24 vom 12. Juni 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

Gottfried-Benn-Gedenkausstellung

1921: Die Ansteckung mit Syphilis in der Krankenpflege

1942: Fragen der ärztlichen Beurtei- lung und Begutachtung

a) medizinische Fragen I) allgemeiner Art

b) Die Zusammenhangsfrage 1942: WDB im Sinne der Verschlim- merung

1910 erhielt der junge Assistenzarzt Gottfried Benn für eine Preisarbeit zum Thema: „Die Ätiologie der Pu- bertätsepilepsie", erschienen in der allgemeinen Zeitschrift für Psychia- trie, die Goldene Medaille der Uni- versität Berlin.

Die sieben Maximen Gottfried Benns

1. Erkenne die Lage.

2. Rechne mit deinen Defek- ten, gehe von deinen Bestän- den aus, nicht von deinen Parolen.

3. Vollende nicht deine Per- sönlichkeit, sondern die ein- zelnen deiner Werke .. . 4. Nur bei Mittelmäßigkeiten greift das Schicksal ein, was darüber ist, führt seine Exi- stenz alleine.

5. Wenn dir jemand Ästheti- zismus und Formalismus zu- ruft, betrachte ihn mit Interes- se: Es ist der Höhlenmensch, aus ihm spricht der Schön- heitssinn seiner Keulen und Schürze.

6. Nimm gelegentlich Brom, es dämpft den Hirnstamm und die Unregelmäßigkeiten der Affekte.

7. Nochmals: erkenne die Lage.

(aus „Der Ptolemäer")

Benn übernahm das Vokabular der Seziersäle und Operationszimmer in seine Verse:

Ein ersoffener Bierfahrer wurde auf den Tisch gestemmt.

Irgendeiner hatte ihm eine dunkel- hellila Aster zwischen die Zähne geklemmt.

Als ich von der Brust aus unter der Haut

mit einem langen Messer

Zunge und Gaumen herausschnitt, muß ich sie angestoßen haben, denn

sie glitt in das nebenliegende Gehirn.

Ich packte sie ihm in die Brusthöhle zwischen die Holzwolle,

als man zunähte.

Trinke dich satt in deiner Vase!

Ruhe sanft, kleine Aster!

(aus Morgue, 1912)

In der Kassenpraxis:

Nachtdienste, Honorarprobleme...

Fünfzig Jahre lang war Benn Kas- senarzt: zunächst im Bezirk Kreuz- berg, bis 1935 in der damaligen Bel- le-Alliance-Straße 12 (dem heutigen Mehringdamm), dann ab 1936 bis drei Jahre vor seinem Tod, also bis zum 67. Lebensjahr in der Bozener Straße 20 in Berlin-Schöneberg, in der Nähe des Bayerischen Platzes.

Gottfried Benn war kein Rezepte- schreiber und war auch später, als er schon ein berühmter Mann der 50er Jahre war, kein Modearzt vom Kurfürstendamm. Er nahm seinen Beruf sehr ernst. So beschreibt er den Nachtdienst wie folgt:

„Telefonanrufe etwa 12 die Nacht . . . Hinterhöfe, Keller, Trümmerstät- ten . . . in der linken Hand eine Ker- ze, in der rechten eine Injektions- spritze — dort ein alter Mann mit Herzanfall, hier eine Alkoholvergif- tung bei einem Kellner, ein Hirntu- mor in extremis, ein Typhus ... eine Frau, die blutet — Kurz, kein lyrisches Idyll. Aber alles das muß sein, es ist gemäß und ich möchte es nicht missen."

Und genau dies ist wesentlich für das dichterische Werk Benns, das

Federzeichnung aus dem Jahre 1934

die Medizin nicht missen konnte, aus der ihm doch sehr viele natur- wissenschaftliche, aber auch so- zialpsychiatrische und anthropolo- gische Termini in das Werk unver- brüchlich einflossen. Reichtum er- warb Gottfried Benn in seiner Haupt- praxis wahrlich nicht.

Man findet Äußerungen wie: „Die Praxis geht schlecht", „da die Praxis völlig zum Erliegen kommt", „meine Praxis ganz schlecht", „sehr schlecht", „Ich habe immer aus mei- ner ärztlichen Praxis gelebt, schwer, aber es ging, oft in naher Beziehung zum Vollstreckungsbeamten, aber sie waren menschlich". Er sagte ein- mal, daß seine Praxis „mikrosko- pisch klein, nahezu unsichtbar un- einträglich, degoutant" sei. Thilo Koch schätzte seine Einnahmen zwi- schen den beiden Kriegen auf 400 bis 500 Mark monatlich! Dennoch konnte Gottfried Benn sich nicht entschließen, höhere Honorare von seinen nicht wenigen Privatpatien- ten zu fordern. Lieber hätte er einen Holzkasten am Türausgang der Pra- xis angebracht, so daß jeder seinen Obolus nach eigenem Gutdünken hineingeben möge.

Seine dritte Frau, Dr. med. dent. Ilse Benn, die in der gleichen Wohnung ihre zahnärztliche Praxis hatte, be- stätigte in einem Interview mit dem

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24 vom 12. Juni 1980 1597

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Aufsätze • Notizen

Gottfried-Benn-Gedenkausstellung

Sender Freies Berlin, daß Gottfried Benn eher zum Unter- als Übertrei- ben neigte.

Flucht in den Sanitätsdienst Der Sohn aus der Landpfarrei im Oderbruch, wahrlich keine fette Pfründe, wurde — wie so viele Abitu- rienten vor und nach den letzten zwei Kriegen — in der Pöpiniöre der Militärärztlichen Akademie (MA) als Stipendiat aufgenommen. „Virchow, Helmholtz, Leyden, Behring waren aus der Anstalt hervorgegangen, ihr Geist herrschte dort mehr als der militärische." „Die Führung der An- stalt war mustergültig" erinnert sich Benn, und Büchert sagt in einem Bericht „.. . nirgends sonstwo in der Welt wurde es einem so leichtge- macht, etwas Rechtschaffenes zu werden."

Doch schon bald konnte Benn den Heeresdienst quittieren, wegen ei- ner Wanderniere, die ihn untauglich für den Heeresdienst werden ließ.

Das war sicher für sein literarisches Schaffen eine glückliche Wende, da Gottfried Benn natürlich alles ande- re als ein sogenannter sturer Kaser- nenhofhengst war. Aber die Rück- kehr zur Armee war für ihn die einzi- ge Möglichkeit, sich dem zuneh- menden Druck der nationalsoziali-

Porträtbüste von Gustav H. Wolff

stischen Verfolgungen zu entziehen.

Nachdem Gottfried Benn in einer kurzen Phase den Nationalsozialis- mus in seiner Schrift: „Der Staat und die Intellektuellen" begrüßt hatte, wandte er sich bald, angewidert vom verlogenen Pathos, ab. Dieser im Denken und in seiner Kunst elitäre Mann, seine Schroffheit und sein blanker Zynismus paßten nicht in den Staat. Die neuen Machthaber in ihrer stupiden Art nannten ihn einen

HIER WOHNTE VOM 1 121937

BIS ZU

SEINEM TODE AM 7-7 1956 DER DICHTER

GOTTFRIED BENN

„Kulturbolschewisten". „Ferkel — widernatürliches Schwein — Juden- junge — dreckige Schmierereien", so geiferte das „Schwarze Korps".

Auf diese schwierige Phase im Le- ben von Gottfried Benn weist auch Dr. med. Ulrich Wolff im Katalog- Vorwort zur Berliner Gedenkausstel- lung hin.

Die Reaktivierung zum Sanitätsoffi- zier, verbunden mit der Versetzung von Berlin nach Hannover, war für Gottfried Benn die einzige Möglich- keit, sich den Angriffen und der möglichen endgültigen Verfolgung durch die Nazis zu entziehen.

In den Jahren nach seiner Reaktivie- rung als aktiver Sanitätsoffizier in Hannover, später in der Bendlerstra- ße in Berlin-Tiergarten, und nach Verlegung der Dienststelle nach Landsberg an der Warthe, war Benn zuletzt als Oberstarzt für Fragen der ärztlichen Begutachtung im Sinne der Wehrdienstbeschädigung tätig.

1938 erhielt Benn dann schließlich vollständiges Schreibverbot mit der Begründung, daß Benns Wirken für den germanischen Kulturstaat un- tragbar wäre und ihm die geeigne- ten Voraussetzungen fehlten.

„Nur der Gezeichnete wird reden und das Vermischte bleibe stumm, es ist die Lehre nicht für jeden, doch keiner sei verworfen drum.

Ach, das Erhabne ohne Strenge, so viel umschleiernd, tief versöhnt, ganz unerfahrbar für die Menge, da es aus einer Wolke tönt.

Nur wer ihm dient, ist auch ver- pflichtet, es selbst verpflichtet nicht zum Sein, nur wer sich führt, nur wer sich schichtet, tritt in das Joch der Höhe ein.

Nur wer es trägt, ist auch berufen, nur wer es fühlt, ist auch bestimmt —:

Da ist der Traum, da sind die Stufen und da die Gottheit, die es nimmt."

Anschrift der Verfasserin:

Elisabeth Bluhm Wassertorstraße 63 1000 Berlin 61 Eingang in Wohnung und Praxis in der Bozener Straße, Berlin (rechts vergrößerte

Gedenktafel)

1600 Heft 24 vom 12. Juni 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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