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Archiv "Das Unaufhörliche: Gottfried Benn und Paul Hindemith - Fortsetzung und Schluß" (06.12.1979)

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Spektrum er Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON

Das Unaufhörliche:

Gottfried Benn und Paul Hindemith

Fortsetzung und Schluß

A. Greither

Das dritte Projekt

Im Juli 1932 taucht ein drittes Pro- jekt auf, das aus der Lektüre zweier Bücher entspringt, die Benn in der Grundthematik eventuell verbinden wollte. Die Bücher „Mikrobenjäger"

und „Bezwinger des Hungers" von Paul de Kruif hatten zwei skeptische Fragen in Benn entstehen lassen.

Einmal, ob die Arbeit erfolgreicher Ärzte sinnvoll sei, d. h. ob man Men- schen am Leben erhalten könne, wenn die allgemeine Lage so schlecht sei, daß

„voraussichtlich für unabsehbare Zeit die Mehrzahl der so Sanierten doch nicht im Genuß des Lebens in höherem Sinne"

leben könne (28. 7. 32). Zum ande- ren war bei „Bezwinger des Hun- gers" auf den amerikanischen Be- amten Carleton angespielt, der eine viel widerstandsfähigere Weizensor- te in Amerika gezüchtet hatte, die zwar die Dürre bald in Überfluß und volle Speicher verwandelte, aber die

Felder ob des gesammelten Reich- tums wieder veröden und die Farmer erneut verarmen ließ. Beides waren also abstrakte Themen, die durch Einzelschicksale und eine tragfähi- ge Handlung hätten konkretisiert werden müssen. Sie krankten an der Blässe der Theorie, und Hindemith lehnte sie ab. Die „Weizenaffäre"

rettete Benn wenigstens in einen Aufsatz „Gebührt Carleton ein Denkmal?" (Ges., Werke, Bd. 3, S.

763-777).

Beim vierten Vorschlag, einer Dra- matisierung von K. Hamsuns „Vikto-

ria" fürchtete Hindemith zu sehr die Parallele zu seiner Oper „Cardillac".

Die letzten Versuche

Ende August 1932 ging Benn auf die Anregung Hindemiths ein, die von der Klosterschule St. Gallen und Karl dem Großen erfolgte kulturelle Kolonialisierung auf ihre Opernfä- higkeit hin zu überprüfen. Benn saß sofort in der Staatsbibliothek, stu- dierte Anselm Schubigers „Die Sän- gerschule von St. Gallen" und wies auf „Die Ahnen" von Freytag und Scheffels „Ekkehard" hin. Die Be- geisterung und die Hoffnung, nun endlich einen gelingenden Versuch vor sich zu haben, währte nur kurz.

Noch ein sechstes Projekt war Ge- genstand eines längeren Gesprä- ches zwischen Benn und Hindemith.

Es ging um Johannes Gutenberg ei- nerseits und um Matthias Grüne- wald andererseits (letztere Anre- gung kam vom Lektor des Schott- Verlages, Franz Willm), und Hinde- mith bezeichnete diesen letzteren Themenvorschlag als ein für die Mu- sik sehr dürftiges Motiv. Doch ließ ihn der Gedanke offenbar nicht los.

Als auch seine Versuche, Ernst Pen- zoldt und Carl Zuckmayer als Libret- tisten zu gewinnen, scheiterten, be- arbeitete er — und darin liegt eine gewisse Tragik — das Textbuch allein zu seiner späteren Oper „Mathis der Maler" aus.

Auch diese Aussage ist indessen nicht ganz richtig. An dem Textbuch zu „Mathis der Maler" war seine Frau Gertrud in erheblichem Maße

beteiligt und das Textbuch zu „Har- monie der Welt" (Uraufführung 1959) schrieb sie — unter dem Na- men ihres Mannes — vollständig. Ge- rade bei diesem schwachen Werk ist schwer zu sagen, ob der dürftige Text auf die Musik abfärbte, oder ob Hindemith bereits in der Endphase seiner technisch immer noch bril- lanten, aber formal trockenen und alle Spontaneität unterdrückenden Kompositionsweise angelangt war.

Wie früh Benn das Opernprojekt, um das bis August 1932 gerungen wur- de, für undurchführbar hielt, erhellt aus einem Brief, den er am 17. 12. 31 an seinen Freund Erich Wasmuth, Privatgelehrter und Pascal-For- scher, schrieb:

„Die Sache hat mich sehr beschäf- tigt, die Sinnlosigkeit nämlich, gute Texte für Musik zu versuchen, das geringe Verständnis für Wortkunst, die direkten injurialen Angriffe der Provinzpresse, der Fehlgriff im Grunde, mich der Musikwelt u. Kritik zu stellen, die für mich nicht, für die ich nicht zuständig bin. Hindemith will nun dringend mit mir weiterma- chen, eine Oper, aber ich kann mich

nicht entschließen. Die Musik würde doch wieder die Situation äußerlich u. innerlich beherrschen, u. schließ- lich kann ich ja meine Verse oder Gedanken allein an den Mann brin- gen ohne Musik."

Der Beginn der Entfremdung Als der gemeinsame Opernplan end- gültig gescheitert war und die Ereig- nisse von 1933 die politische Distanz zwischen beiden Männern aufdeck- ten, traten auch die von der schöpfe- rischen Materie wie vom Tempera- ment und Lebensstil bedingten Ge- gensätze zwischen Benn und Hinde- mith deutlicher zutage. Benn stieß sich daran, daß Hindemith sich einer Straßensammlung zur Verfügung gestellt hatte (immerhin war seine Frau Halbjüdin), und die Hindemiths wiederum konnten Benns allerdings nur kurzdauernden und folgen- schweren Versuch, sich mit den Na- tionalsozialisten zu arrangieren, nicht verstehen.

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Eine Seite aus dem ersten Skizzenbuch für „Das Unaufhörliche" von Hindemith;

Originalgröße: 16,5 x 13 cm; die kalligraphisch schöne Notenschrift ist ein ästheti- scher Genuß

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gottfried Benn und Paul Hindemith

Hindemith war bei den Rezensionen über „Das Unaufhörliche" meist gut weggekommen, jedenfalls war die Serie seines Erfolges nicht unter- brochen, sondern gefestigt worden.

Benn aber hatte (trotz vereinzelter Lobeshymnen) viel schlechter abge- schnitten, und er wurde dadurch tief verunsichert und zweifelte ernstlich, ob seine Dichtung 'der Ergänzung durch die Musik oder der Zusam- menführung mit ihr bedürfe und da- zu fähig sei.

Dazu kam ein weiteres: Benns Vor- schläge wurden bei jedem neuen Projekt sofort zerpflückt und a priori skeptisch aufgenommen. Benn spürte diesen Wandel sehr wohl, der dem zunehmend stärker werdenden Einfluß von Gertrud Hindemith zuzu- schreiben war, die überdies, wie Benn sehr früh erkannte, keine Be- ziehung zu seiner Dichtung hatte.

Gertrud Hindemith war die Tochter des Musikdirektors der Frankfurter Oper, Dr. Ludwig Rottenberg, und ursprünglich Sängerin (Dr. Rotten- berg hatte Hindemiths Einakter

„Sancta Susanna" in Frankfurt ur- aufgeführt, die beiden anderen Ein- akter wurden 1921 in Stuttgart unter Fritz Busch uraufgeführt, der auch die Uraufführung der Oper „Cardil- lac" in Dresden leitete). Hindemith widmete seiner jungen Frau die Se- renaden für Sopran, Oboe, Viola und Violoncello op. 35 (1925), ein Jahr nach seiner Vermählung mit ihr.

Bei diesen Serenaden ist zweierlei bemerkenswert: einmal das auffal- lende Übergewicht der begleitenden Instrumente, die — als Einleitung oder Inter- oder Postludium — über große Partien allein und selbständig spielen, und zum anderen der die Sängerin spürbar schonende Ge- sangspart. Er ist innig, kantabel, zwar nicht leicht, aber doch relativ einfach gegenüber dem hochvirtuo- sen Schwierigkeitsgrad bei den drei Instrumenten. Wie rücksichtslos Hindemith auch mit der Singstimme umgehen konnte, zeigen die 4 Mo- tetten (1960, 1944, 1959 und 1944), für Sopran und Klavier geschrieben, die musikalisch freilich gegenüber den herrlichen Serenaden befremd-

lich abfallen. Bis auf die letzte (Nup- tiae factae sunt) wirken sie artefi- ziell, trocken und uninspiriert.

Allzu lange übte Gertrud Rottenberg ihre sängerische Tätigkeit übrigens nicht aus. Carl Stueber, der damali- ge Programmleiter des Frankfurter Rundfunks, erinnert sich zwar noch, ihr in den zwanziger Jahren Kaden- zen für Arien alter Meister geschrie- ben zu haben, doch dürfte schon um 1930 Gertrud Hindemith nicht mehr gesungen haben. Die gesellschaftli- chen Aufgaben, die der schnell wachsende Ruhm ihres Mannes ihr auferlegte, ließen sie bald auf eine eigene künstlerische Tätigkeit ver-

zichten. Auch gewann sie stetig mehr an entscheidendem Einfluß auf das schöpferische Werk und die gesamte musikalische Tätigkeit ih- res Mannes. Benn muß das sehr deutlich gespürt haben, denn sein Briefwechsel mit „den Hindemiths"

ist doch großteils unmittelbar an die

„gnädige Frau" gerichtet, oder sie wird, wenn die Briefe an Paul Hinde- mith adressiert sind, doch immer

„mitgefragt" und wirkt auf den Le- ser des Briefwechsels stärker prä- sent als der Komponist.

Als Hindemith als Bratschist nicht mehr zur Weltklasse zählte und sich vom öffentlichen Spiel zurückgezo-

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Gottfried Benn und Paul Hindemith

gen hatte, bewog seine Frau ihn, als

„Maestro" und Stardirigent in USA und Europa aufzutreten, was er we- nige Jahre vorher in seinem Buch

„Komponist in seiner Welt" streng verurteilt hatte. Die ihm vielleicht nicht einmal bewußten Zwänge von außen suchte er, wohl ebenso unbe- wußt, durch eine strenge Selbstdis- ziplin zu neutralisieren: sein kompo- sitorischer Spätstil ist unspontan, Hindemith meidet ängstlich jeden persönlichen „Ausdruck" und strebt eine Objektivität und ein „natürli- ches Gesetz" an, vor dessen Über- macht der Komponist als Persön- lichkeit weitgehend neutralisiert wird.

Diese asketische Selbstdisziplin macht Hindemiths späte Musik nicht nur stellenweise trocken und künst- lich, sondern der Komponist wurde als Persönlichkeit seiner inneren Zerrissenheit nicht Herr. Sie beglei- tete ihn, bei scheinbarer äußerer Ausgeglichenheit, seit seinem frü- hen Schaffen (Dieter Rexroth). Inso- fern entbehrt er als Mensch und als genialer Musiker nicht einer gewis- sen Tragik.

Hindemiths Verärgerung

Hindemith scheint von den zuneh- menden Schwierigkeiten Benns, für ihn zu arbeiten, nichts gemerkt zu haben. Im Gegenteil: als das Opern- projekt im August 1932 entgültig als gescheitert gelten mußte, ließ er sei- nem Unmut in der Korrespondenz mit dem Schott-Verlag freien Lauf.

„Benn funkt eben gar nicht. Er kommt vor lauter Oberkritik zu nichts. Er plagt sich sehr und sicher kommt etwas zum Vorschein, aber wie lange soll man darauf warten?

. . . In meiner Verzweiflung habe ich beschlossen, selbst Eier zu legen.

Schließlich weiß ich, was ich will und die Worte haben diese Dichter doch nur machen können, wenn ich ihnen ganz genau vorgeschrieben habe, was sie tun sollten."

(10. Oktober 1932).

Zu „diesen Dichtern" gehörte auch Ernst Penzoldt, mit dem Hindemith

Otto Klemperer (links), der am 21 No- vember 1931 mit dem Philharmonischen Orchester und Chor in Berlin die Urauf- führung des Oratoriums „Das Unaufhör- liche" leitete, und der Komponist Paul Hindemith. Das Foto entstand vermutlich im Herbst 1931. Fotos (2): Paul-Hinde- mith-Stiftung, Frankfurt

Beziehung aufnahm, viel Geld inve- stierte und ebenfalls scheiterte.

Noch ausfallender wird Hindemith in seinem Brief vom 22. Januar 1933 an die Opernabteilung des Schott-Ver- lags:

„Daß Sie Penzoldt bevorschussen wollen, ist sehr freundlich von Ih- nen. Aber ich glaube, Sie sollten ihm erst etwas geben, nachdem der Ent- wurf komplett vorliegt; ich bin etwas abergläubisch, besonders nach den Erfahrungen mit Benn. Er hat nie mehr etwas von sich hören lassen und ich melde mich natürlich auch nicht. Mir ist selten so ein Chuzpe vorgekommen. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist. Ich kann mir nur denken, daß er in dem Augenblick, wo er das Geld in Händen hatte, bei seiner Überempfindlichkeit durch

einen psychologischen Dreh seinen Nöten freien Lauf ließ, sie aber nach außen in Unverschämtheit proji- zierte."

Diese Unterstellung dem „Hautarzt Dr. Benn" gegenüber (wie er oft in der Terminologie Hindemiths auf- scheint), wäre schlechterdings als infam zu bezeichnen, müßte man Hindemith nicht zugute halten, daß er Benns schöpferisches Ingenium völlig verkannt hat und des Ver- ständnisses auch nicht fähig war.

Auch beim Schott-Verlag war man, was Benn angeht, nicht gerade zim- perlich, wie wir bereits wissen. So schrieb Willy Strecker, der eine der beiden allmächtigen Brüder, an Frau Hindemith, daß man Benn die zum Teil bereits fertige englische Über- setzung nicht zeigen solle;

„Wenn er an dem einen oder ande- ren Wort mit Hilfe des Lexikons An- stoß nähme und Cyril Scott die Lust am Arbeiten verliert, so weiß ich nicht, ob wir einen anderen Überset- zer finden" (15. Dezember 1931).

Das weitere Schicksal des Oratoriums

Benn erhielt also keine Kenntnis von der englischen Übersetzung des Oratoriums, kaum Kenntnis von den Aufführungen seines Oratoriums (Klemperer leitete mit dem Philhar- monischen Orchester und Chor in Berlin am 21. November 1931 (in An- wesenheit von Benn und Hindemith) die Uraufführung, zwei Tage später wurde das Werk in Mainz unter Her- mann Scherchen aufgeführt, wenig später unter Hans Weisbach in Dort- mund; jahrs darauf unter Volkmar Andreae in Zürich). Die 1000 Mark, die Benn für seine Dichtung erhielt, waren wohl nur ein Trinkgeld, ge- messen an den Einnahmen des Komponisten, der dem bescheide- nen und geldunerfahrenen Libretti- sten zudem noch unterstellte, er sei nach Erhalt des Honorars unver- schämt geworden. Um die ganze Wahrheit zu sagen: Hindemith dach- te sogar an eine „Aufbesserung", bei der der Verlag 500 Mark und er

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Spektrum der Woche Aufsätze - Notizen

Gottfried Benn und Paul Hindemith

ebenfalls - als „Strafe für seinen leichtsinnigen Umgang mit einem Dichter" - 500 Mark tragen sollte. Es versteht sich von selbst, daß der Schott-Verlag sofort abwinkte.

Das Oratorium „Das Unaufhörliche"

ist zwar nicht im Standardrepertoire für Chöre etabliert, aber es ist öfters in deutschsprachigen Ländern und gelegentlich auch im Ausland aufge- führt worden. Hindemith hat das Werk nach dem .Zweiten Weltkrieg 1957 in Berlin, Wien und Stuttgart dirigiert. Es wurde zuletzt 1977 bei den Berliner Festwochen aufge- führt. Die einzige Schallplattenein- spielung als Live-Mitschnitt in USA 1973 war sofort vergriffen; eine deutsche Einspielung scheint sich erst im Stadium der Vorplanung zu befinden.

Benn hat, trotz aller Enttäuschun- gen und schlechten Kritiken, immer gewußt, welch hoher dichterischer Rang seinem Textbuch „Das Unauf- hörliche" zukommt. Besonders lieb- te er, wie er am 9. 7. 33 an Käthe von Porada schrieb, das Sopransolo im 1. Teil des Oratoriums und fügte hinzu:

„So etwas kann man nicht machen, so was entsteht. Ewiger Traum, daß man etwas nicht macht, sondern daß es entsteht."

Das Gedicht des Sopransolos lautet (Ges. Werke, Bd. 2, S. 495/96):

„Es trägt die Nacht das Ende.

Wenn es in Blüte steht wenn Salz das Meer und Wein der Hügel gibt, ist nicht die Stunde.

Das Markttor, in dessen Schatten der Seiler webt, am Stein

der Ruf der Wechsler schallt, hat nicht die Farbe dessen.

Gefilde, Säume des Meers, die alles trugen: Öl und Herden, Siebenflöten, helles Gestein, bis ihnen das Herz brach vor Glück und Göttern -:

da ist wohl Farb und Stunde.

Säulen, die ruhen, Delphine, verlassene Scharen,

die Hyakinthos trugen, den Knaben, früh verwandelt

zu Asche und Blumengeruch -:

da wohl noch mehr."

Epilog

Auch dem Komponisten Hindemith hat Benn, trotz der Abkühlung der Beziehungen (Hindemiths schlimme Briefe an den Schott-Verlag blieben ihm ja unbekannt) ein gutes und fai- res Andenken bewahrt. Er hat ihn später nicht mehr gesehen, nur - nach dem Zweiten Weltkrieg - noch einige Male mit ihm telephoniert. Im letzten erhaltenen Brief aus Hanno- ver an Paul Hindemith vom 23. Janu- ar 1936 hat sich Benn für dessen Einsatz bedankt, daß der Schott- Verlag der Aufnahme des Oratorien- textes in einen Gedichtband Benns zustimmte. Er schreibt:

„Ich freue mich sehr, daß in dem Band, der meine Gedichtstätigkeit rekapitulieren soll, nun Teile dieser gemeinsamen Arbeit stehen, deren Entstehung mir in der Erinnerung eine Zeit wunderbar schöpferischer Spannung gewesen zu sein scheint, fesselnd, fördernd, angetrieben von einem geistigen Elan u. noch unter jenen hellen Himmeln, die nun für immer versunken sind. Darum ist es mir ein großes Glück, daß Verse aus dieser Zeit und Ihr Name mit einge- hen werden in das Sammelbuch, das über die vergangenen 25 Jahre mei- ner fragwürdigen lyrischen Existenz den Schleier legt."

Und noch etwas wehmütiger klingt die Erinnerung in seinem Bericht aus noch größerem zeitlichen Ab- stand, undatiert, aber sicher erst in den fünfziger Jahren geschrieben, an seinen Biographen Ernst Nef:

„Das Oratorium ist 1930-31 entstan- den. Die Uraufführung unter Klem- perer in der Berliner Philharmonie

war am 21. XI. 31. Das Thema, der Gedanke ,Das Unaufhörliche' stammt von mir. Der Einleitungschor lag vor. Hindemith und ich waren damals sehr befreundet, wohnten

beide in Berlin, wir arbeiteten es zu- sammen aus. Einmal sagte er: das kann ich nicht komponieren, das müssen Sie ändern, dann tat ich es.

Manchmal sagte ich: Sie müssen besser komponieren lernen, das kann ich nicht ändern aus dichteri- schen Gründen. Dann tat er es. Zum Beispiel das Sopransolo war ein Stück, an das Hindemith erst nicht in dieser Form heran wollte, aber auf meine Bitte es doch so ließ. Es war eine sehr schöne freundschaftliche Zusammenarbeit Stück für Stück, Reihe für Reihe; Frau Hindemith, diese reizende und kluge Frau war immer mit von der Partie und fuhr uns sonntags oft im Auto heraus in die Dörfer meiner Heimat, und wir redeten unterwegs über alles weiter.

Long, long ago! Keine Schwalbe bringt dir zurück, wonach du weinst - doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt im Dorf wie einst."

Quellen:

Gottfried Benn: Briefe. Briefwechsel mit Paul Hindemith. Dritter Band, herausgegeben von Ann Clark Fehn. Limes-Verlag 1978- Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Taschenbuchaus- gabe in 8 Bänden, 1960-1968, Limes-Verlag - Gottfried Benn: Das gezeichnete Ich. Briefe aus den Jahren 1900-1956. Deutscher Ta- schenbuch Verlag, 1. Aufl. 1962,3. Aufl. 1975 - Paul Hindemith: Streichquartette (op. 22 in ei- ner Aufnahme des Amar-Quartetts mit Paul und Rudolf Hindemith), Streichtrios (op. 34 mit W. Caspar, P. und R. Hindemith), Solosonaten (op. 25, Nr. 1 u. a. von Paul Hindemith), Klari- nettenquintett, Serenaden und Motetten für Sopran; Bratschenkonzerte („Der Schwanen- dreher" mit Paul Hindemith als Solisten), viele andere Konzerte und Sonaten, „Cardillac",

„Mathis der Maler", „Komponist in seiner Welt" (deutsche Fassung 1959 bei Atlantis, Zü- rich; amerikanisches Original „A composers world" 1952) u. a. m. Interview mit P. Hinde- mith in Montreal 1946. Für die leihweise Über- lassung dieses und anderer Bänder sei Herrn Dr. Dieter Rexroth, Nachlaßwalter des Paul Hindemith-Instituts in Frankfurt/M. gedankt. - Dieter Rexroth: Briefwechsel mit dem Autor 1978/79 - Daniel Spitzer: Wiener Spaziergän- ge. Seine Feuilletons, jeden Samstag in der

„Wiener Freien Presse" - über fast 25 Jahre, zuletzt 1893 - erschienen, sind mehrfach in Sammelbänden nachgedruckt worden. Heute ist nur mehr erreichbar eine Auswahl unter dem Titel: „Hereinspaziert ins alte Wien. Hei- ter-Satirisches aus der Donaumonarchie".

Horst Erdmann Verlag 1967 - Carl Stueber:

Mündliche und schriftliche Mitteilungen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Dr. A. Greither Moorenstraße 5 4000 Düsseldorf

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