Rechtzeitig zur Frankfur- ter Buchmesse erscheint eine ganz besondere Sammlung aus dem poetischen Werk Gottfried Benns. Ausschließ- lich Gedichte,
deren auf- wühlende Bil- der und Re- flexionen die Erfahrungen des Arztes Benn wider- spiegeln, ste- hen in dieser spannungsrei- chen biblio- philen Aus- gabe im Dia- log mit for- mal kraftvol- len, unerbitt- lichen Holz- schnittarbei- ten des 1956 geborenen Künstlers Fe- lix Martin Furtwängler.
Die Ge- dichte Benns, vor allem aus den frühex- pressionisti-
schen Bänden „Morgue“
(1912) und „Fleisch“ (1917), entkleiden das Ich jeglichen höheren Anspruchs, be- schränken es auf seine Leib- lichkeit. Sie evozieren eine Welt aus Krieg, Krankheit und Zerfall, denen das Einzelwesen ausgeliefert ist, eine Welt, in der nur die künstlerische Form, die Poesie, letzten Widerstand leistet.
Den eruptiven, dennoch von Melancholie durchzoge- nen Wortbildern Benns ge- genüber: Furtwänglers apo- kalyptisch-expressive Schrek- kensvisionen einer von Angst und Ohnmacht gezeichneten Menschheit. Neben den Ge- dichten behaupten Furtwäng- lers Holzschnittfiguren ihre Eigenständigkeit als künstle- rischer Ausdruck des von to-
taler Zerstörung bedrohten Menschen heute. Und doch nehmen die Darstellungen mit ihrer starken Linien- führung und sicheren Balance
von Licht und Schatten den direkten Bezug zum lyrischen Gegenpol auf, mit ihrer pes- simistischen Grundhaltung, aber auch in ihrem allein vom kreativen Willen getragenen, verzweifelten Aufbäumen.
Was entsteht, ist das genre-, stil- und generationsüber- schreitende Tableau des Menschseins als Leiden an der Existenz selbst (Benn) und der nicht länger gewis- sen Überlebenschance der Menschheit als Ganzes (Furt- wängler). Karin Clark
Gottfried Benn, Der Stadt- arzt. Mit Holzschnitten von Felix Martin Furtwängler, Schriesheim, Verlag Frank Albrecht, 1996 (Normalaus- gabe: 900 DM, Vorzugsausga- be: 2 800 DM, Einblattdruck:
150 DM)
A-2717 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 42, 18. Oktober 1996 (71)
V A R I A FEUILLETON
Gottfried Benn
Der Arzt als Lyriker
Der Künstler Felix Martin Furtwängler hat das Gedicht
„Stadtarzt“ illustriert. Abbildung: Verlag Frank Albrecht