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Archiv "Von Hans Sachs bis Gottfried Benn" (07.08.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FEUILLETON

Von Hans Sachs bis Gottfried Benn

Der weite Blick vom Hochhaus am Plärrer auf das alte Nürnberg mit seiner Burg sowie auf die neue Stadt mit ihren Hochhausburgen mutete wie ein Symbol für das The- ma des fünften Jahreskongresses des Bundesverbandes Deutscher Schriftsteller-Ärzte (BDSÄ) vom 30.

April bis 4. Mai 1975 an, das Ver- gangenheit und Neuzeit einschloß:

Von Hans Sachs bis Gottfried Benn.

Nach einer kunstgeschichtlichen Führung durch das weltberühmte Germanische Museum mit Werken Riemenschneiders, Stoß', Vischers und Kraffts, die einmal mehr be- wußt machten, daß man außer in den Städten der italienischen Re- naissance wohl nur selten einer solchen Häufung genialer Bildhau- erkunst begegnen kann, wie Nürn- berg sie bietet, kam dann der von allen mit Spannung erwarte- te Höhepunkt des Kongreßpro- gramms, die Soiree, die Gottfried Benn, dem bahnbrechenden Wort- schöpfer und dem lyrischen Form- erneuerer, gewidmet war.

Um sein Werk besser würdigen zu können, war nachmittags ein an- derer nebenberuflicher Dichter vor- angestellt worden, Benn wesen- verwandt im Durchbruch zu einer neuen Sprache, nämlich Hans Sachs.

Privatdozent Dr. Brunner, Erlangen, zeichnete in philologischer Exakt- heit ein Bild des Nürnberger

„Schusterpoeten", der Stiefel und Verse auf dem Leisten klopfte und der eigentlich erst durch Goethes Gedicht über Hans Sachs' poeti- sche Sendung und durch Wagners Meistersinger wirklich volkstümlich geworden ist. Während Hans Sachs' Werk laut Ausführungen des Experten hinsichtlich literari- scher Ästhetik nicht voll befriedigt, kommt den sozialen und politi- schen Motiven, die den ehemaligen Meistersinger nach festen Regeln dichten ließen, große soziologische Bedeutung zu.

Am 5. November 1494 geboren, wuchs der Lateinschüler Sachs in einer Stadtrepublik auf, deren Re- gierung ganz straff in den Händen eines Patriziats von 42 reichen Fa- milien lag. Diese Oligarchie dulde- te nicht einmal den Zusammen- schluß der Handwerker zu Zünften, wie das in anderen Handelsstäd- ten zur gleichen Zeit selbstver- ständlich war. Sachs erlebte also die ungeschminkte Wirklichkeit ei- nes steilen sozialen Gefälles, das die 50 000 Einwohner in Reiche, in die Mittelschicht, in die Unter- schicht und in die tiefste Unter- schicht teilte. Zu der letzteren zähl- ten: Kranke sowie die „unehrli- chen Berufe", zu denen Bader, Henker und Dirnen gehörten. Im Bewußtsein um die Glätte dieser sozialen schiefen Ebene, die schon manchen unverschuldet von oben in die tiefste Unterschicht rutschen ließ, übte Sachs Gesellschaftskri- tik. Diese war nun aber keinesfalls die eines märtyrerhaften Revolutio- närs, denn Sachs wußte sich wie- derum sehr wohl dem geregelten Leben der Freien und Reichsstadt, von dem auch er in der Mittel- schicht profitierte, unterzuordnen.

Immerhin erhielt er jedoch von der Obrigkeit der Stadt einen scharfen Verweis, sich in seinen Meisterlie- dern, Spruchgedichten, Spielen oder Prosadialogen — den typi- schen literarischen Formen seines Schaffens — jeglicher politischer Äußerungen zu enthalten. War er somit auch kein „Winkelried" für eine dem Volk geöffnete ständi- sche Verfassung, wie sie anderswo herrschte, so gilt er doch der Nachwelt vor allem als ein Erneue- rer der deutschen Sprache. Auch er nämlich schaute dem Volk aufs Maul, wie die von ihm verehrte „wit- tembergisch' Nachtigall", der Dr.

Luther.

In welcher Verbindung steht nun der Lyrikerarzt Gottfried Benn zu dem Schuhmacherpoeten des aus- gehenden Nürnberger Mittelalters?

Auf den ersten Blick bestehen da

keine Beziehungen. Erst nachdem man den künstlerisch einfühlsamen Ausdeutungen des Werkes von Gottfried Benn durch Michael Soe- der, alias Achim Anderer, zugehört hatte und nachdem Dr. Ilse Benn vor den Zuhörern lebensnah das Bild des Menschen Gottfried Benn erstehen ließ, wurden Übereinstim- mungen deutlich. Ilse Benn zeigte, daß auch Gottfried Benn in einer Zeit des Aufbruchs zu Neuem dich- tete.

Auch ihm wurde die schmerzhafte Wirklichkeit sozialer Härten der Umwelt und seines Berufes deut- lich. Anders wäre ein solches Ge- dicht wie „Krebsbaracke" nicht möglich. Wer im Berlin jener Jahre zwischen den Kriegen lebte, konn- te nur so dichten. Auch hier bei Benn ist es die Sprache, als Aus- drucksform des Dichters, die den Geist des angebrochenen sozialen Zeitalters verkündet, ähnlich wie sie vor Jahrhunderten bei Sachs ein Tor aufstieß.

Im nächsten Frühjahr ist der Schriftstellerkongreß Gast der Gruppe Baden-Württemberg und 1977 in Hamburg.

Anschrift des Verfassers:

Otto Bolte 2 Hamburg 36 Jungfernstieg 43

Dialekt-

Lyrik-Anthologie deutscher Ärzte

Der Herausgeber zweier deutscher Ärzte-Lyrik-Antho- logien, Armin Jüngling, beab- sichtigt, 1976 eine Dialekt-Ly- rik-Anthologie herauszubrin- gen. Einsendungen von Ge- dichten (zweisprachig in Dia- lekt und Hochdeutsch) aller deutscher Sprachgebiete er- bittet Dr. A. Jüngling bis zum 1. November 1975 an seine Adresse 8211 Unterwössen.

2280 Heft 32 vom 7. August 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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