Mathematik f¨ ur Chemiker 2: online-Vorlesung 3.5) Lineare Algebra 2: Lineare Gleichungssysteme
Bernd Hartke
Theoretische Chemie
Institut f¨ur Physikalische Chemie Christian-Albrechts-Universit¨at
Max-Eyth-Str. 2 24118 Kiel
hartke@pctc.uni-kiel.de
https://ravel.pctc.uni-kiel.de/
Grundlagen
n Unbekannte x1, x2, . . . , xn, m ≤ n Gleichungen; bekannte Zahlenwerte aij, bk ∈ R:
a11x1 + a12x2 + · · · + a1nxn = b1 (1) a21x1 + a22x2 + · · · + a2nxn = b2 (2)
... = ... (3)
an1x1 + an2x2 + · · · + annxn = bn (4) Alternative Schreibweisen:
x1~a1 + x2~a2 + · · · + xn~an = ~b mit ~ai =
a1i a2i ...
ani
, ~b =
b1 b2 ...
bn
(5)
A~x =~b (6)
Nomenklatur:
~b = ~0 : homogen , ~b 6= ~0 : inhomogen (7)
Bedeutung
• x1~a1 + x2~a2 + · · · + xn~an =~b interpretierbar als Basisvektor-Darstellung;
Komplexit¨at in ~ai, nicht in xi
• Differentialgleichung → Basisfunktionsentwicklung → lineares Gleichungssystem Grundlage f¨ur >95% aller Computersimulationen in den Naturwissenschaften, z.B.:
– Luftstr¨omung um Tragfl¨achen – Klimasimulationen
– Galaxienentstehung
– W¨arme- und Stofftransport in einem chemischen Reaktor – Protein-Arzneistoff-Wechselwirkung
– Atomkern- und Elektronendynamik in chemischen Reaktionen – photochemische Licht-Materie-Wechselwirkung
– . . .
Grundideen zur L¨osung
A−1 | A~x =~b (8)
A−1A~x = A−1~b (9)
~x = A−1~b (10)
Obige Strategie unpraktisch, denn:
• Matrix A kann, aber muß nicht invertierbar sein
• geht nur in 2 der 5 F¨alle (s.u.); interessant nur in 1 von 5
• Bestimmung von A−1 aufwendiger als L¨osung eines linearen Gleichungssystems
Grundideen zur L¨osung
Ein Gleichungssystem in dieser (oder ¨ahnlicher) Dreiecksform (alle anderen ai = 0)
a11x1 + a12x2 + a13x3 = b1 (11) a22x2 + a23x3 = b2 (12)
a33x3 = b3 (13)
ist per sukzessiver “R¨uckrechnung” (von unten nach oben) leicht l¨osbar:
• Gl. 13 hat nur 1 Unbekannte; L¨osung: x3 = b3/a33
• diesen x3-Wert in Gl. 12 einsetzen ⇒ nur noch 1 Unbekannte x2, diese bestimmen
• x2 und x3 in Gl. 11 einsetzen und letzte Unbekannte x1 bestimmen.
⇒ zweischrittiges Gauß-Verfahren (Gauß-Elimination):
1) bringe Gleichungssystem auf Dreiecksform;
2) bestimme die Unbekannten durch R¨uckrechnung.
Grundideen zur L¨osung
a11x1 + a12x2 + a13x3 = b1 (14) a21x1 + a22x2 + a23x3 = b2 (15) a31x1 + a32x2 + a33x3 = b3 (16)
−−→wie?
a11x1 + a12x2 + a13x3 = b1 (17)
˜
a22x2 + ˜a23x3 = ˜b2 (18)
˜
a33x3 = ˜b3 (19) Geeignete Linearkombination von Gleichungen!
a11x1+ a12x2+ a13x3 = b1 | · a21
a11 (20)
a21x1 + a21
a11a12x2 + a21
a11a13x3 = a21
a11b1 (21)
Wenn wir Gl. 21 von Gl. 15 abziehen, ersetzen wir dort a21x1 durch Null (auf Kosten gr¨oßerer Ver¨anderung in den anderen Koeffizienten.)
Existenz und Anzahl von L¨osungen: homogen
x1~a1 + x2~a2 + · · · + xn~an = ~0 (22) Testgleichung auf lineare Unabh¨angigkeit! ⇒
• die ~ai sind linear unabh¨angig = det(A)b 6= 0:
⇒ einzige L¨osung ~x = ~0 (triviale L¨osung)
• die ~ai sind linear abh¨angig = det(A) = 0b =b d Nullzeilen/-spalten in det(A) (mit 1 ≤ d ≤ n)
= nichtb n Gleichungen, sondern eigtl. nur (n − d) Gleichungen
⇒ d Unbekannte bleiben unbestimmt (d freie Parameter); unendlich viele spezielle L¨osungen Achtung: Es gibt immer mindestens eine L¨osung f¨ur ein homogenes lineares Gleichungssystem.
“Rang” der Matrix A = “wieviele Gleichungen haben wir effektiv”
Rang(A) = n − d (23)
d = Anzahl Nullzeilen am Ende der Gauß-Elimination (Schritt 1)
Existenz und Anzahl von L¨osungen: homogen Man kann zeigen (s. Skript):
• Ist ~x eine L¨osung von A~x = ~0, ist λ~x mit beliebigem λ ∈ R auch eine L¨osung.
• sind ~x und ~y L¨osungen von A~x = ~0, ist ~x + ~y auch eine L¨osung.
Bei det(A) = 0 mit d freien Parametern kann man deshalb eine allgemeine L¨osung aufstellen
~xa,hom =
d
X
i=1
λi ~xi,hom (24)
mit d linear unabh¨angigen, speziellen L¨osungen ~xi (Basis des L¨osungsraums).
Dies k¨onnen wir geometrisch interpretieren als eine (Hyper)Ebene durch den Ursprung.
Existenz und Anzahl von L¨osungen: inhomogen
x1~a1 + x2~a2 + · · · + xn~an =~b (25) Geht nur, wenn ~b im von den ~ai aufgespannten Raum liegt.
Das ist der Fall, wenn Rang(A) = Rang(Ab), mit der erweiterten Koeffizientenmatrix Ab: A =
a11 a12 a13 a21 a22 a23 a31 a32 a33
, Ab =
a11 a12 a13 b1 a21 a22 a23 b2 a31 a32 a33 b3
(26)
• Rang(A) 6= Rang(Ab): es gibt keine(!) L¨osung
• Rang(A) = Rang(Ab): es gibt L¨osungen:
– det(A) 6= 0 =b d = 0: es gibt genau eine L¨osung (n¨amlich ~x = A−1~b)
– det(A) = 0 =b d > 0: es gibt unendlich viele L¨osungen, mit d freien Parametern Man kann f¨ur Rang(A) = Rang(Ab) folgende allgemeine L¨osung notieren (s. Skript):
~
xa,inh = ~xinh + ~xa,hom = ~xinh +
d
X
i=1
λi~xi,hom (27)