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Archiv "Krankenversicherung: Kostenerstattung im Probelauf" (11.06.1999)

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in fehlendes Kostenbewußt- sein der Patienten wird in der gesundheitspolitischen Diskus- sion oft beklagt. Dieses wird unter an- derem auf das sogenannte Sachlei- stungsprinzip zurückgeführt: Da der Versicherte nicht weiß, wieviel eine medizinische Leistung kostet, tendie- re er zu einer übermäßigen Leistungs- inanspruchnahme. Insbesondere libe- rale und konservative Gesundheits- politiker und Gesundheitsökonomen fordern deshalb, in der GKV verstärkt das in der privaten Krankenversiche- rung praktizierte Prinzip der Kosten- erstattung einzusetzen.

Eine Erprobungsregelung des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) sah für die gesetzlichen Krankenkas- sen die Möglichkeit vor, ihren Versi- cherten die Kostenerstattung als Al- ternative zur üblichen Sachleistung- Versorgung nach dem Sachleistungs- prinzip anzubieten. Die Angestellten- Ersatzkassen machten von dieser Er- probungsregelung Gebrauch und bo- ten damit erstmals auch ihren Pflicht- versicherten die Kostenerstattung an.

Rund 35 000 Versicherte vereinbar- ten daraufhin für alle oder einzelne Leistungsbereiche die Kostenerstat- tung.

Durch die Teilnahme an der Ko- stenerstattungsregelung erhielten die Versicherten aus der Sicht der Ver- tragsärzte den Status von Privatpati- enten. Entsprechend wurden ihnen die im Behandlungsfall erbrachten Leistungen von den Leistungserbrin- gern gemäß der amtlichen Gebühren- ordnung für Ärzte beziehungsweise Zahnärzte (GOÄ/GOZ) in Rechnung gestellt. Die dem Versicherten zu- rückerstatteten Beträge durften aber die Kosten, die für die Krankenkassen bei Anwendung des Sachleistungs- prinzips beziehungsweise des Einheit-

lichen Bewertungsmaßstabes (EBM) angefallen wären, nicht überschrei- ten. Außerdem waren Abschläge für entstehende Verwaltungskosten und für das Fehlen der Wirtschaftlichkeits- prüfungen vorzunehmen. Dies hatte zur Folge, daß den Teilnehmern nur ein Teil ihrer Aufwendungen für die unter die Kostenerstattungsregelung fallenden Leistungen erstattet wurde.

Erstattungsfähig waren nur Leistun- gen, die die GKV bereits als Sachlei- stung vorsah und die von Vertrags- partnern der Krankenkassen erbracht wurden.

Motivation und Erwartungen

Durch die Erprobungsregelung sollten Erkenntnisse über die Auswir- kung der Kostenerstattung auf das In- anspruchnahmeverhalten der Versi- cherten gewonnen werden. Darüber hinaus war insbesondere im Hinblick auf den Wettbewerb in der Gesetzli- chen Krankenversicherung von Inter- esse, inwieweit die Kostenerstattung den Präferenzen der Versicherten ent- spricht.

Im folgenden sind die Ergebnisse einer Studie (1) zusammengefaßt, in der untersucht wurde, mit welcher Motivation und mit welchen Erwar- tungen sich die Versicherten für die Teilnahme an der Erprobungsregel- Kostenerstattung entschieden und welche Erfahrungen sie mit der Kostenerstattung damit machten.

Außerdem wurde eine Einschätzung des Einflusses der Kostenerstattung auf das Kostenbewußtsein und das In- anspruchnahmeverhalten der Versi- cherten vorgenommen. Zu diesem Zweck wurde im Zeitraum von De- zember 1995 bis Februar 1996 an eine

repräsentative Stichprobe von 2 276 Teilnehmern der Erprobungsregelung der Ersatzkassen ein Fragebogen ver- schickt. Es wurden 1 390 auswertbare Fragebögen zurückgesandt (Rück- laufquote 61,1 Prozent).

Das Durchschnittsalter der Teil- nehmer an der Erprobungsregelung beträgt 55,9 Jahre. 58,2 Prozent der Teilnehmer sind weiblich. Der Anteil der Rentner an den Teilnehmern liegt mit 48,8 Prozent wesentlich höher als der Rentneranteil an allen Ersatzkas- senmitgliedern (17,9 Prozent). Über zwei Drittel (69,5 Prozent) der Teil- nehmer haben die Kostenerstattung nicht auf einzelne Leistungsbereiche begrenzt; 8,4 Prozent haben sie auf die ambulante ärztliche Behandlung (mit oder ohne Arznei- und Ver- bandsmittel beziehungsweise Heil- mittel) und 7,1 Prozent auf die zahnärztliche Behandlung (mit oder ohne Arznei- und Verbandsmittel be- ziehungsweise Heilmittel) begrenzt.

15,1 Prozent haben andere spezielle Vereinbarungen über die unter die Kostenerstattungsregelung fallenden Leistungsbereiche getroffen. 62,5 Prozent der Teilnehmer haben eine private Zusatzversicherung, wobei fast zwei Drittel der Zusatzversiche- rungen die von der Krankenkasse nicht erstatteten Kosten vollständig abdecken.

Die Motivation zur Teilnahme an der Kostenerstattung resultiert über- wiegend aus der Erwartung organisa- torischer, persönlicher und medizini- scher Vorteile. 61,1 Prozent der Teil- nehmer erwarteten sich organisatori- sche Vorteile (zum Beispiel bei der Terminvergabe) und 51,8 Prozent mehr Zeit für die Gespräche mit dem Arzt, wobei insbesondere letztere Er- wartung bei Rentnern deutlich häufi- ger (59,9 Prozent) bestand als bei A-1557 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999 (41)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Krankenversicherung

Kostenerstattung im Probelauf

Ergebnisse aus der Sicht der Versicherten

E

Hans-Helmut König

Robert Seitz

Michael Arnold

(2)

Nichtrentnern (46,3 Prozent). Bei je- weils etwa 80 Prozent derjenigen, die diese Erwartungen an die Kostener- stattungsregelung geknüpft hatten, wurden sie auch erfüllt. Etwa ein Drit- tel (36,8 Prozent) der Teilnehmer er- hoffte sich eine größere Bereitschaft des Arztes, auf Wünsche einzugehen.

Bei knapp drei Viertel (73,6 Prozent) derjenigen, die sich solch eine größere Bereitschaft des Arztes erhofft hat- ten, ist sie nach eigener Einschätzung auch eingetreten.

Die Höhe der Arztrechnungen entsprach bei mehr als zwei Dritteln (69,5 Prozent) der Teilnehmer den Erwartungen. Nur 12,9 Prozent ge- ben an, daß die Rechnungen höher als erwartet waren, während sie nach Meinung von 1,9 Prozent niedriger als erwartet ausfielen. 15,6 Prozent geben an, dies nicht beurteilen zu können.

Durch die Kostenerstattungsre- gelung scheinen die Transparenz und Kontrolle der Abrechnung verbessert zu werden. Dafür spricht, daß fast alle Teilnehmer (95,5 Prozent) angeben, die Rechnungen im einzelnen ange- schaut und zum Beispiel darauf ge- achtet zu haben, daß die abgerechne- ten Leistungen auch tatsächlich er- bracht wurden.

Information und Aufklärung

Etwa ein Viertel der Befragten (25,4 Prozent) gibt an, das eigene Ver- halten wegen der Kostenerstattungs- regelung geändert zu haben. Von den- jenigen Teilnehmern, die eine Verhal- tensänderung angeben, behaupten drei Viertel (75,2 Prozent), seit der Teilnahme an der Kostenerstattung intensivere Diskussionen mit ihrem Arzt über die Notwendigkeit einer Untersuchung oder Behandlung zu führen, und 38,4 Prozent, weniger oft zum Arzt zu gehen als vor der Teil- nahme an der Kostenerstattungsrege- lung; nur 2,7 Prozent geben an, den Arzt öfter als früher aufzusuchen. Als Grund für ein durch die Kostenerstat- tung verändertes Verhalten nennen 62,1 Prozent derjenigen, die eine Ver- haltensänderung angeben, die bessere Information durch den Arzt, 60,4 Pro- zent nennen die Kenntnis der Be-

handlungskosten und 27,9 Prozent die Selbstbeteiligung an den Behand- lungskosten. Weniger die finanzielle Belastung als vielmehr Information und Aufklärung durch den Arzt schei- nen also das Verhalten der an der Ko- stenerstattung teilnehmenden Versi- cherten zu beeinflussen.

Alles in allem den Erwartungen gemäß

Bei der Gesamtbeurteilung der Erprobungsregelung geben 85,7 Pro- zent an, daß die Kostenerstattungsre- gelung alles in allem ihren Erwartun- gen entsprochen hat. 92,8 Prozent würden bei einer Fortführung der Ko- stenerstattung diese auch weiterhin wählen, nur 7,2 Prozent würden sich nicht mehr für die Kostenerstattung entscheiden. Von denjenigen Teilneh- mern, die die Kostenerstattung nicht fortführen würden, begründen dies 38,0 Prozent mit den Kosten bezie- hungsweise Selbstbeteiligungen und 16,9 Prozent mit der Erfahrung, ge- genüber dem Sachleistungsprinzip keine Vorteile zu haben. Die Erfah- rung, daß der Arzt seit der Teilnahme an der Kostenerstattung mehr Zeit für Gespräche hat, ist besonders stark mit der Entscheidung für eine Fort- führung assoziiert; hingegen ist die Erfahrung, daß die Liquidationen höher als erwartet ausfielen, beson- ders stark mit der Entscheidung dage- gen verbunden.

Die ausgewählte Stichprobe ist nur repräsentativ für diejenigen Er- satzkassenversicherten, die an dieser Erprobungsregelung teilgenommen und sich damit freiwillig für die Ko- stenerstattung entschlossen haben (Selbstselektion). Die Ergebnisse können daher nicht auf die Gesamt- heit der GKV-Versicherten übertra- gen werden; Versicherte, die sich nicht freiwillig für die Kostenerstattung entschließen, könnten zu einer ande- ren Bewertung kommen.

Im Hinblick auf eine bessere Berücksichtigung der Präferenzen der Versicherten sprechen die Ergeb- nisse dieser Studie für das Angebot der Kostenerstattung als freiwillig wählbare Alternative zur Sachlei- stung. Im Wettbewerb der gesetzli- chen Krankenkassen ist sie ein attrak-

tives Angebot an die Versicherten und ein bedeutender Wettbewerbs- faktor, der zudem das Potential be- sitzt, eine verantwortungsbewußtere Inanspruchnahme von Leistungen und damit von solidarisch aufge- brachten Ressourcen herbeizu- führen. Allerdings verlieren die Krankenkassen beim Kostenerstat- tungsprinzip erheblichen Einfluß auf die Versorgung. Die Gesundheitslei- stungen werden dort auf der Basis privatwirtschaftlicher Verträge zwi- schen Arzt und Patient erbracht.

Die Überprüfung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Leistungen verlagert sich von den Krankenkassen zu den Versicherten. Ob letztere hier- zu in der Lage sind, ist fraglich. Die Ausgaben der Krankenkassen für Verwaltung und Beratung der Patien- ten dürften bei der Kostenerstattung im Vergleich zum Sachleistungsprin- zip steigen. Aus sozialpolitischer Sicht ist das Angebot der Kostenerstattung ebenfalls nicht unproblematisch. Es steht dem Ziel der Einheitlichkeit der Versorgung entgegen, die aus Grün- den der Verteilungsgerechtigkeit er- wünscht ist. Die Frage, ob angesichts dieser Problematik die Kostenerstat- tung dauerhaft angeboten werden sollte, ist deshalb nur politisch zu ent- scheiden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1557–1558 [Heft 23]

Literatur

1. König H-H, Seitz R, Arnold M: Die Erpro- bungsregelung „Kostenerstattung“ in der gesetzlichen Krankenversicherung: Ergeb- nisse einer Teilnehmerbefragung. Gesund- heitswesen 1999; 61: 13–19.

Anschrift der Verfasser

Dr. med. Hans-Helmut König, M.P.H.

Dipl.-Volkswirt Robert Seitz Universität Ulm

Abteilung Gesundheitsökonomie 89069 Ulm

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c.

Michael Arnold

Wissenschaftspolitische Initiativen e.V.

Arbeitsgruppe

Gesundheitssystemforschung Im Tannengrund 1

72072 Tübingen A-1558 (42) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 23, 11. Juni 1999

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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