DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUSSPRACHE
Stellungnahme
Es ist verständlich, daß bei sehr kleinen Frühgeborenen unter Um- ständen auf eine Intensivbehand- lung verzichtet werden muß. Die beschriebene irreversible Schädi- gung der Atemorgane durch ap- parative Maßnahmen stellt sicher eine erhebliche Einschränkung der Lebensfähigkeit dar.
Entsprechendes gilt für Kinder mit schweren Mißbildungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind.
Im weiteren Verlauf der Ausfüh- rungen wird für eine andere Grenzziehung plädiert. Für den Einsatz der Intensivmedizin soll ausschlaggebend sein, ob das zu erwartende Leben „menschen- würdig" sei.
Ich halte es für unzulässig und ge- fährlich, das Leben eines schwer behinderten Kindes als men- schenunwürdig anzusehen. Wenn es voraussichtlich lebensfähig ist, hat es ein Recht darauf, daß wir das Leben erhalten, gleich, ob das Kind früh- oder termingerecht ge- boren ist.
Es sollten objektive Richtlinien in Zusammenarbeit mit Juristen ge- schaffen werden, damit der groß- zügige Umgang mit dem Leben, wie er sich beim Ungeborenen eingebürgert hat, nicht weitere Kreise zieht.
Dr. Katrin Land Ärztin für Psychiatrie An der alten Post 24 5000 Köln 40
Schlußwort
Die Bedenken von Frau Kollegin Dr. Land sind durchaus nachvoll- ziehbar. Kinder, die mit schweren Mißbildungen, auch des Zentral- nervensystems, auf die Welt kom- men und lebensfähig sind, haben natürlich ein Recht darauf, am Le- ben erhalten zu werden, und kei- ner darf dieses Leben verkürzen, auch wenn ein menschenwürdi- ges Leben mit Sprechen und der Entwicklung kognitiver Fähig- keiten nicht möglich sein wird.
Bei den ultrakleinen Frühgebore- nen von 500 bis 700 Gramm be- steht aber eine andere Ausgangs- position. Bei ihnen handelt es sich bei der Geburt um gesunde Kinder, die aber infolge ihrer Un- reife nicht atem- und damit nicht lebensfähig sind. Die nun einset- zende Intensivpflege mit wochen- langer Beatmung erhält zwar viele dieser Kinder am Leben, vermag aber bei einem großen Prozent- satz schwere bleibende Schäden am Gehirn (Mikrozephalie, Poren- zephalie, Hydrozephalie), an den Augen (retrolentale Fibroplasie mit Erblindungsgefahr) und den Lungen (Sauerstoff- und Beat- mungsschäden) nicht zu verhin- dern; teilweise entstehen sie erst durch die Behandlung. Es ist zu verstehen, daß den handelnden Ärzten in dieser Situation Skrupel kommen. Zweifellos ist der Aus- druck „lebenswürdiges Leben"
unbefriedigend. Er trifft auch nicht den Kern des Problems. Ge- meint ist eher die Frage, welche Menge an Leiden wir einem menschlichen Wesen durch unse- re „Therapie" aufbürden dürfen,
das nach dieser Intensivbehand- lung ohne Sprech- und Gehfähig- keit, mikrozephal, womöglich blind, auf seine Erlösung warten muß? Erfüllen wir bei diesen ultra- kleinen Frühgeborenen mit unse- rer Intensivpflege wirklich in je- dem Fall eine ethische Pflicht oder fallen wir einem gnädigen Schicksal in den Arm, wenn uns die unter der Behandlung sono- graphisch leicht feststellbaren zu- nehmenden Gehirnzerstörungen nicht nachdenklich machen?
Professor Dr. med.
Hans Ewerbeck Pädiatrische Klinik
Städtisches Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße 59
5000 Köln 60 (Riehl)
Ultraschall- Diagnostik bei Neugeborenen
Zu dem Beitrag von Professor Dr. med. Dieter Weitzel
und Dr. med. Helmut Peters in Heft 38/1984
Seiten 2721 bis 2730
Stellungnahme
Vor etwa dreißig Jahren wies ich nachdrücklich hin auf durch Ultra- schall verursachte, schwere Schä- digungen. Damals verschwand Ul- traschall aus den ärztlichen Pra- xen. Jetzt wird er wieder, angeb- lich vorsichtiger dosiert, erschrek- kend bedenkenlos angewendet.
Innerhalb nur eines Jahres beob- achtete ich in meiner sehr kleinen Intensivpraxis zwei Todesfälle kurze Zeit nach Ultraschall-Tu- mor-Diagnostik und vier junge Kinder, bei denen mir Ultraschall- Schädigung vorzuliegen scheint.
Die vier Mütter wurden während der Schwangerschaft laufend ultraschall-diagnostisch „über-
Intensivmedizinische Maßnahmen bei Neugeborenen
und Kindern mit Mißbildungen
Zu dem Kongreßbericht von Professor Dr. med. Hans Ewerbeck in Heft 35/1984, Seiten 2488 bis 2489
3752 (60) Heft 50 vom 12. Dezember 1984 81. Jahrgang Ausgabe A
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUSSPRACHE
wacht". Alle vier müssen selber
mit lumbalen Bandscheibenschä- den, vielleicht auch mit Sterilität, rechnen, wenn auch erst nach Jahren.Die Herstellerfirmen berufen sich nicht auf Unschädlichkeit des Ul- traschalles. Nachgewiesen gilt bislang nur, daß grobe Mißbildun- gen bei den Kindern nicht auftra- ten. Auf Schädigungen der zere- bralen Leistungsfähigkeit wurde nicht geachtet. Ich fürchte, daß auf die Ultraschall-Diagnostiker eine Flut von Kunstfehler-Klagen, auf die Lehrer von Legastheni- kern und anderen, charakterlich oder geistig Geschädigten zu- kommt, aber meine Warnungen werden in den Wind geschlagen, es sei denn, ich würde behaupten, daß Ultraschall Krebs erzeugt, was übrigens ebenfalls nicht mit Sicherheit ausgeschlossen wurde und jahrelange Beobachtungszeit erfordern würde.
Dr. med. Johannes G. Hille Arzt für Naturheilverfahren Wilhelmstraße 6
Postfach 351 7410 Reutlingen
Da Professor H.-D. Rott (siehe DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 81, Heft 14/1984, Seiten 1071 bis 1074 der Ausgabe A) sich zu möglichen Sonographieschäden in einer Übersichtsarbeit geäußert hat, ha- ben wir ihn auch um das Schluß- wort gebeten. MWR
Schlußwort
Beiträge, wie der Leserbrief des Kollegen Dr. Hille, sind sehr ernst zu nehmen, nicht weil sie eine sachliche Basis hätten, sondern weil sie die Anwender verunsi- chern, Unruhe in der Bevölkerung stiften und Ängste bei denjenigen Schwangeren auslösen, bei de- nen eine Ultraschall-Untersu- chung geplant ist. Die vorliegende Übersichtsarbeit bedarf daher ei- niger Kommentare und Richtig- stellungen.
1. Ultraschall wurde vor 30 Jahren ausschließlich therapeutisch ein- gesetzt, wobei die Wärmewirkung höherer Intensitäten ausgenutzt wurde. Bei vernünftiger Anwen- dung und Beachtung der Kon- traindikationen ist diese Therapie- art mit keinem gesundheitlichen Risiko verbunden. Bleibende, schwere Schäden, die auf eine Ul- traschall-Behandlung zurückge- führt werden müssen, sind nicht beschrieben.
2. Im vorliegenden Falle geht es jedoch um die Risiken bildgeben- der Diagnoseverfahren mit Ultra- schall. Da bei diesen Methoden die Frequenzen höher und die In- tensitäten um Zehnerpotenzen niedriger liegen, die Expositions- zeiten meist kürzer sind und au- ßerdem andere Schallarten (Im- puls- statt Dauerschall) verwendet werden, ist ein direkter Vergleich dieser beiden Anwendungsarten in bezug auf eventuelle Risiken nicht statthaft. Alle bisherigen ex- perimentellen und epidemiologi- schen Studien über Ultraschall- Bioeffekte sprechen dafür, daß diese Art der Diagnostik mit kei- nem gesundheitlichen Risiko ver- bunden ist.
3. Untersuchungen über die kör- perliche und geistige Entwicklung von Kindern, die intrauterin be- schallt worden waren, wurden sehr wohl durchgeführt, ergaben aber keinerlei Auffälligkeiten in diesen Gruppen.
4. Die zitierten zwei Todesfälle wie auch die vier geschädigten Kinder können keinesfalls als Be- leg für die Schädlichkeit der Ultra- schall-Diagnostik akzeptiert wer- den. Hier fehlen Angaben über Grundleiden, Todesursache, Art und Dauer der Ultraschall-Exposi- tion und der zeitliche Abstand zum Eintritt des Todes. Die Art der kindlichen Schädigungen wird ebenfalls nicht mitgeteilt.
All diese Informationen waren auch bei telefonischer Rückfrage bei Herrn Kollegen Dr. Hille nicht zu erhalten.
Bei zusammenfassender Wertung dieser Sachverhalte muß man zu dem Ergebnis kommen, daß es sich bei den Ausführungen von Herrn Kollegen Dr. Hille um bloße Vermutungen handelt, die keiner- lei sachliche Basis haben. Wer ei- ne so wichtige und harmlose dia- gnostische Methode auf einer sol- chen Basis diskriminiert, fordert schärfsten Widerspruch heraus.
Professor Dr. med. H.-D. Rott Mitglied des European Committee for Ultrasonic Radiation Safety (Watch Dog Group)
Institut für Humangenetik der Universität Erlangen Schwabachanlage 10 8520 Erlangen
Thrombolyse- Therapie
mit Streptokinase
Zu dem Beitrag von
Dr. med. Abdulhamid Kashgari in Heft 37/1984,
Seiten 2631 bis 2638
Stellungnahme
Herr Kollege Kashgari bezeichnet retinale Venenverschlüsse in den ersten ein bis zwei Tagen als eine der Hauptindikationen der Throm- bolyse-Therapie mit Streptokina- se. Davor muß von ophthalmologi- scher Seite dringend gewarnt bzw. davon abgeraten werden und dies aus folgenden Gründen:
O Der retinale Venenverschluß zeigt sich als erhebliche intra- und präretinale Blutung, so daß bei ei- nem medikamentösen Eingriff in das Gerinnungssystem weitere und quoad visum deletäre Blutun- gen befürchtet werden müssen.
O Ein retinaler Venenverschluß entsteht meist dadurch, daß die darüberliegende, sklerotisch ver- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 50 vom 12. Dezember 1984 (61) 3753