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Archiv "Intensivmedizinische Maßnahmen bei Neugeborenen und Kindern mit Mißbildungen" (29.08.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

KONGRESS-BERICHT

Die Erfolge der neonatologischen Intensivbehandlung sind unüber- sehbar. Vor 15 Jahren lag die Grenze der pädiatrischen Inten- sivbehandlung von Neugebore- nen bei 1500 Gramm Geburtsge- wicht. Bei unreiferen Kindern wa- ren Beatmungsversuche wegen der fast regelmäßig eintretenden schweren Zerebralschäden medi- zinisch und ethisch nicht zu ver- treten. Neugeborene zwischen 1000 und 1500 Gramm (Gesta- tionsalter 28. bis 32. Woche) hat- ten nur eine Überlebenschance von 30 bis 40 Prozent, das Überle- ben unter 1000 Gramm war bei ei- ner Letalität von 85 bis 95 Prozent eine Seltenheit, und die Überle- benden litten in der Regel unter schweren Hirnschäden.

Heute haben Kinder in der Ge- wichtsklasse zwischen 1000 bis 1500 Gramm eine Überlebens- chance von 70 bis 90 Prozent, und bei Kindern unter 1000 Gramm kann mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 bis 50 Prozent erwartet werden, daß sie unter modernen intensivpflegerischen Maßnah- men überleben.

Diese Erfolge sollten Anlaß sein, die Grenzen intensivmedizini- scher Maßnahmen bei Frühgebo- renen neu zu überdenken oder überhaupt zu fragen, ob Grenzen erlaubt sind, d. h. ob nicht grund- sätzlich alle intensivmedizini-

schen Möglichkeiten einzusetzen sind, wenn Kinder auch noch so unreif zur Welt kommen. Belastet werden allerdings euphorische Urteile über intensivmedizinische Erfolge durch die Tatsache, daß zwar die Überlebenschancen der Kinder unter 1000 Gramm heute auf 40 bis 50 Prozent gestiegen sind, aber unter der Grenze von 750 Gramm auch in den besten In- tensivpflege-Zentren mit dem Ri- siko schwerer neurologischer Dauerschäden.

Alle bisher vorliegenden Beob- achtungen ergeben, daß bei ei- nem Geburtsgewicht zwischen 700 bis 800 Gramm und tiefer min- destens 40 Prozent der Überle- benden keine normale Hirnent- wicklung zeigen, insbesondere wenn eine maschinelle Beatmung notwendig gewesen war. Die da- bei entstehenden Schäden rei- chen von Mikrozephalie, Porenze- phalie, atonisch-astatischem Syn- drom Förster, spastischer Zere- bralparese bis hin zu schweren In- telligenzdefekten und Imbezillität.

Von den Kindern über 750 Gramm sind dagegen nur etwa 10 Prozent zerebral schwer geschädigt und etwa 10 Prozent in ihrer Entwick- lung und ihrer Intelligenz retar- diert, 80 Prozent gedeihen später unauffällig. Unterhalb von 700 bis 800 Gramm Geburtsgewicht nimmt die Anzahl schwer zere- bralgeschädigter Kinder also so

zu, daß ernstlich zu fragen ist, ob eine aggressive Intensivpflege, insbesondere eine mechanische Dauerbeatmung zu rechtfertigen sei.

Ein Teil dieser Mißerfolge erklärt sich daraus, daß erst nach der 26.

Schwangerschaftswoche und mit einem Geburtsgewicht von unge- fähr 750 Gramm die Lungenkapil- laren so weit an die Alveolarober- fläche herangerückt sind, daß ei- ne leichte und ausreichende Gas- diffusion möglich wird. Diese Dif- fusionskonstanten bestimmen aber sowohl die Notwendigkeit ei- ner maschinellen Dauerbeatmung als auch die Höhe der bei dieser Beatmung anzuwendenden und auf die Dauer schädlichen Sauer- stoffkonzentrationen. Die notwen- digen hohen Sauerstoffkonzen- trationen, die eine Mindestarteria- lisierung des Blutes ermöglichen, schädigen aber das Lungengewe- be, so daß bei rund 10 Prozent al- ler langzeitbeatmeten Kinder die- ser Gewichtsklasse eine broncho- pulmonale Dysplasie eintritt, d. h.

es entwickelt sich eine zuneh- mende interstitielle Lungenfibro- se mit emphysematischen Bezir- ken und damit nicht nur eine Ket- te von rezidivierenden Lungenin- fekten, sondern auch eine Rechts- belastung, die zum plötzlichen Kindstod führen kann.

Auch die Produktion des Antiat- elektasefaktors, des Surfactants, reicht erst von der 35. Schwanger- schaftswoche an aus, um das Ent- stehen von hyalinen Membranen in der Lunge zu verhindern. Ge- lingt dies nicht, dann führt die zu- nehmende Perfusionsinsuffizienz in der Lunge zu Hypoxie, Azidose und Minderdurchblutung des Lun- gengewebes mit der Folge einer weiteren hypoxischen Hirnschädi- gung.

Zusammengefaßt gebietet uns al- so das Wissen um die physiologi- schen Möglichkeiten, insbeson- dere die der Atemorgane von sehr kleinen Frühgeborenen, eine Dis- ziplinierung unseres intensivme- dizinischen Einsatzes. Natürlich

Intensivmedizinische Maßnahmen bei Neugeborenen

und Kindern mit Mißbildungen

Hans Ewerbeck

Kurzbericht über das erste Hauptreferat zum Thema

„Maximaltherapie, Intensivmedizin und

Lebensqualität"

XXXII. Internationaler Fortbildungskongreß der deutschen Bundesärztekammer

und der Österreichischen Ärztekammer in Davos

2488 (54) Heft 35 vom 29. August 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Intensivmedizin bei

Neugeborenen

ist hier zu prüfen, ob die von Schechtner (how small is too small? Clinics in perinatol. 7, 1980, 135) empfohlene Taktik des

„hands off" bei Kindern unter 750 Gramm, d. h. die Nichtanwendung maschineller Beatmung, nicht auch ein „Töten durch Unterlas- sung" ist. Aber muß hier nicht ei- ne Güteabwägung stattfinden, ist nicht auch ein Kind von 700 Gramm ein Mensch, in diesem Fall sogar noch mit der Perspekti- ve auf ein langes Leben, und sind wir berechtigt, hier nur das anima-

lische Leben zu erhalten, ohne Fragen zu stellen, um welche Art von Leben es sich handelt? Sind wir berechtigt, ein Leben zwar zu erhalten, aber für ein Individuum, das nicht imstande sein wird zu sprechen, vernünftig zu handeln, sich zumindest bei den vitalen Funktionen selbst zu versorgen, ein Individuum, das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal die Fähigkeit des Gehens erler- nen wird?

Natürlich deckt uns das christ- liche Gebot „Du sollst nicht töten"

und der Eid des Hippokrates, aber das christliche Gebot wie auch der Eid des Hippokrates haben ei- nen aktiven Tötungsakt im Auge („Ich werde niemandem eine Arz- nei geben, die den Tod herbei- führt" — Hippokrates), während im Intensivpflegebereich das Leben erlischt, wenn nicht alle und teil- weise erst seit wenigen Jahren möglichen aggressiven Methoden angewendet werden. Wir sollten

uns prüfen, ob das Ziel unserer medizinischen Handlung wirklich nur ein vegetativ funktionieren- der, auf stetige Fremdhilfe ange- wiesener Organismus sein darf, oder ob nicht der selbstbewußte menschliche Geist Anspruch dar- auf hat, ein gebrauchsfähiges Ge- hirn zu bekommen, um ein men- schenwürdiges Leben führen zu können.

Die Frage in solchen Fällen sollte nicht lauten: „Wird hier ein le- benswertes Leben möglich?", sondern „Wird ein menschenwür- diges Leben möglich?".

In der Erwachsenenmedizin hat der Arzt die Möglichkeit, ärztliche Entscheidungen mit dem Patien- ten zusammen zu fällen. Der auf- geklärte und informierte erwach- sene Patient trägt dann nicht nur das Risiko, er muß auch den Miß- erfolg alleine erdulden. In der Kin- derheilkunde können wir in sol- chen Situationen zwar die Eltern informieren und ihr Einverständ- nis zur aktiven Therapie selbstver- ständlich erhalten, aber die Fol- gen des ungünstigen Ausgangs hat das Kind zu erleiden. Der Ent- scheidungsprozeß findet letzten Endes zwischen nicht Betroffenen und teilweise unzureichend Infor- mierten statt. Um so größer ist un- sere Verantwortung als Arzt. Der Arzt kann sich entlasten nach dem einfachen Schema: „Ich tue alles, dann kann mir keiner Vorwürfe machen." Dann mögen wir zwar juristisch einwandfrei gehandelt

haben, es fragt sich aber, ob es auch moralisch und sittlich ge- rechtfertigt ist. Denn den Preis für eine fehlerhafte Entscheidung zahlen die Patienten mit einem Leben der Hilflosigkeit, des Lei- dens und des Ausgeschlossen- seins aus zwischenmenschlicher Kommunikation sowie die Eltern und Geschwister im Einsatz für ein unglückliches Kind, dem die schwere zerebrale Schädigung ei- ne soziale Gemeinschaft nicht er- laubt.

Bei allen heute möglichen inten- sivmedizinischen Maßnahmen sollte deshalb das Ziel nicht aus dem Auge 'verloren werden, daß es nicht nur um die Erhaltung des animalischen Lebens, sondern auch um das Ziel eines men- schenwürdigen Lebens geht. Die- ser Maßstab muß auch angelegt werden, wenn schwer mißgebilde- te Kinder, insbesondere mit chro- mosomalen Anomalien, entstehen und geboren werden. Bei diesen Krankheitsbildern sollte die For- schung weiter intensiviert wer- den, eine bereits intrauterine Dia- gnose so frühzeitig zu ermög- lichen, daß eine Interruptio die Diskussion über den Einsatz in- tensivmedizinischer Maßnahmen gar nicht erst aufkommen läßt.

Professor Dr. med.

Hans Ewerbeck Städtisches

Kinderkrankenhaus Rieh' Amsterdamer Straße 59 5000 Köln 60

FÜR SIE GELESEN

Bolusobstruktion der Speiseröhre:

Therapie mit Glukagon

Eine Bolusobstruktion der Speise- röhre, meist im unteren Drittel, ist für den Patienten außerordentlich unangenehm und schmerzhaft, resultiert doch daraus zumeist ei- ne komplette Aphagie. Bevor an eine aktive Extraktion des Fleisch- brockens durch den Gastroente-

rologen oder HNO-Arzt gedacht wird, sollte zunächst eine Be- handlung mit Buscopan oder Glu- kagon versucht werden.

Die Autoren berichten über 23 Fälle einer Bolusobstruktion der Speiseröhre, wobei 19mal Gluka- gon zum Einsatz kam. Nach 0,5 bis 2,0 mg Glukagon i. v. und ei- nem kräftigen Schluck Wasser ge- lang es bei sieben Patienten (37 Prozent), den Brocken in den Ma-

gen zu befördern. Da Glukagon nur die glatte Muskulatur des un- teren Speiseröhrendrittels zur Er- schlaffung bringt, wirkt die Sub- stanz nicht bei einer Bolusob- struktion im oberen oder mittle- ren Drittel.

Trenkner, S. W.; Maglinte, D. D. T.; Lehman, G. A.; Chernish, S. M., Miller, R. E.; Johnson, C. W.: Esophageal food impaction: treatment with glucagon. Radiology 149 (1983) 401-403, Department of Radiology, Methodist Hospital of Indiana, USA

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 35 vom 29. August 1984 (57) 2489

Referenzen

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