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S P E K T R U M AKUT
(4) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 28–29, 13. Juli 1998
12. Welt-AIDS-Kongreß
Ernüchterung und Erschrecken
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er Optimismus, der sich vor zwei Jahren vom 11. Welt-AIDS-Kongreß in Vancouver unter Patienten und Wissenschaftlern bezüglich der Therapierbarkeit der HIV-Infektion verbreitet hatte, ist verflogen. Die Erwartungen an die damals propa- gierte antiretrovirale Tripeltherapie mit Integration eines Proteasehemmers haben sich nicht im er- wünschten Maße erfüllt, wie auf dem 12. Welt-AIDS- Kongreß in Genf zu hören war. Dafür gibt es mehre- re Gründe: Patienten, die nach dem HAART-Prinzip (Highly Active Anti-Retroviral Therapy) therapiert werden, müssen täglich bis zu 30 Tabletten – teils nüchtern, teils nach den Mahlzeiten oder mit großen Flüssigkeitsmengen – zu sich nehmen. Derartige Therapieregime, die von ausgeprägten Nebenwir- kungen begleitet sein können, sind auch von diszipli- nierten Patienten kaum durchzuhalten.N
on-Compliance von HIV-Infizierten hat je- doch zur Folge, daß vermehrt resistente Viren auftreten. Nach Angaben des Genfer Infek- tiologen Luc Perrin (Science 1998; 280: 1871–1873) treten unter der HAART-Therapie bei 30 bis 50 Pro- zent der Patienten Virusresistenzen auf, für die keine effektiven Alternativschemata zur Verfügung stehen.Diese Entwicklung ist besonders folgenschwer für HIV-Infizierte, die frühzeitig – also noch vor dem Auftreten von Symptomen – mit der Kombinati- onstherapie begonnen haben, um die „Viruslast“ im Blut zu reduzieren. Derzeit arbeitet die Pharmaindu- strie an Compliance-fördernden Darreichungsfor- men und prüft neue Kombinationspartner.
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ie erschreckendsten Nachrichten vermelde- ten in Genf die Epidemiologen, die von ihren eigenen Prognosen zur globalen Verbreitung der HIV-Infektion überrollt worden sind. Derzeit sind mehr als 30 Millionen Menschen infiziert und 11,7 Millionen AIDS-Kranke verstorben. Seit Van- couver wurden 10 Millionen Neuinfektionen beob- achtet, und jeden Tag kommen 16 000 Personen hin- zu, die überwiegend im südlichen Afrika, in Asien und Osteuropa beheimatet sind. 90 Prozent der HIV- Infizierten leben in Entwicklungsländern ohne Zu- gang zu medizinischer und sozialer Versorgung.„Während die Industrienationen Fortschritte ma- chen, die Infektionsrate zu verlangsamen, gibt es Re- gionen auf der Welt, die durch HIV immer mehr ins Hintertreffen gelangen“, so Kongreßpräsident Ber- nard Hirschel (Genf). Neue Programme zur HIV- Prävention und beschleunigten Impfstoff-Entwick- lung sollen diese Kluft in Zukunft verringern. zyl