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iologics“ haben in der Therapie entzündlicher rheumatischer Er- krankungen eine neue Dimension eröffnet, bei degenerativen Formen liegt der Schwerpunkt weiterhin auf dem Gelenkersatz. Hier haben mini- malinvasive, computergestützte Opera- tionsmethoden (die beim Hüftgelenk mit einer Narbenlänge von etwa sieben Zentimetern einhergehen) von Deutsch- land aus die Welt erobert. Auch die For- schung kann sich im internationalen Vergleich „sehen lassen“, wie beim dies- jährigen Rheumakongress in Frank- furt/Main deutlich wurde.Ursächlich hierfür ist für Prof. Wolf- gang Gross (Lübeck), den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Rheuma- tologie, die Bündelung der Forschung, die wesentlich durch die Förderer mitbe- stimmt wurde: In den 80er-Jahren muss- ten sich die einzelnen Universitäten auf jeweils eine „Thematik“ festlegen – was jetzt Erfolge zeigt: „International zählen wir zu den ersten drei bis fünf.“
Spezielle Legierungen
verbessern Knochenkontakt
Beim Gelenkersatz ist ein jugendliches Alter längst keine Kontraindikation mehr, lassen sich doch durch präzise ver- ankerte Implantate Folgedeformationen vermeiden und die Funktionalität erhal- ten. Spezielle Legierungen und Ober- flächenbehandlung der Implantate sol- len dabei eine bessere Verbindung mit dem eigenen Knochen und eine vermin- derte Infektionsgefahr gewährleisten, erklärte Prof. Fridun Kerschbaumer (Frankfurt/Main). Die „Lebensdauer“
beim Ersatz großer Gelenke – 85 Pro- zent der Implantate sind nach zwölf Jah- ren noch voll funktionsfähig – ist indivi- duell unterschiedlich, ein späterer „Er- satz“ – teilweise wiederholt – ist möglich.
Die weniger invasiven, durch compu- terassistierte Technik sehr präzisen Operationsmethoden, die Kerschbau- mer inauguriert hat, hinterlassen bei der Hüftgelenkschirurgie Narben von sechs bis sieben Zentimetern. Diese Technik wird nicht nur in Europa ange- wandt, sondern auch in Japan und den USA. Dort verlassen die Patienten die Klinik bereits am fünften postoperati- ven Tag, was hier aus zwei Gründen nicht möglich ist: Zum einen muss die vorgeschriebene Mindestaufenthalts- zeit in der Klinik eingehalten werden, damit die Krankenkassen die Kosten übernehmen, zum anderen fehlen die
notwendigen Nachsorgestrukturen, die einen schnellen Übergang in die Reha- bilitation gewährleisten.
Obwohl degenerative Knorpelverän- derungen angesichts der steigenden Le- benserwartung zunehmen werden – sie sind bei 90 Prozent der über 65-Jähri- gen nachzuweisen –, ist die Forschung zur Prävention noch dürftig. Auch das
„tissue engineering“, bei dem der Knor- pel zur Regeneration angeregt werden soll, ist noch weitgehend Zukunftsmu-
sik; die Methoden stünden am Über- gang von der Präklinik zur Klinik, er- klären die Experten.
Im Gegensatz dazu ist bei jüngeren Menschen mit Knorpelschäden infolge von Sport- oder Freizeitverletzungen ei- ne spätere Arthrose mit von kultivierten Chondrozyten (autologe Chondrozyten- Transplantation) hinauszuschieben oder ganz zu vermeiden, wie Erfahrungen bei mehr als 5 000 Patienten zeigen. Anstel- le des bisher notwendigen Periostlap- pens zur „Fixierung“ der übertragenen Zellsuspension werden die gezüchteten Knorpelzellen per Fibrinkleber auf ein individuell zugeschnittenes, resorbier-
bares Spezialvlies fixiert und arthro- skopisch zur Defektdeckung (maximal 12 cm2) eingebracht. Erforderlich ist da- zu jedoch gesundes Gewebe – eine Prä- misse, die bei fortgeschrittenen entzünd- lichen und auch degenerativen Prozes- sen nicht gegeben ist.
Für die entzündlichen rheumati- schen Erkrankungen sind die interni- stisch tätigen Rheumatologen „zustän- dig“, bis in späteren Stadien dann oft doch die chirurgisch tätigen Ärzte die P O L I T I K
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A3074 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003
Rheumatologie
Ein Kongress mit Signalwirkung
Die internistischen und orthopädischen Rheumatologen tagten erstmals gemeinsam in Frankfurt/Main.
Medizinreport
Typisches Bild der Arthrose: Zytokine haben die Knorpel- Oberfläche aufge- raut. Foto: Archiv
resultierenden Fehlstellungen korrigie- ren müssen. Den diesjährigen Rheuma- kongress richten beide Disziplinen erst- mals zusammen aus, wovon sich – nicht nur – Prof. Joachim Kaltwasser (Frank- furt/Main), als Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumato- logie, „Signalwirkung“ erhofft.
Von entzündlichen rheumatischen Erkrankungen sind ein bis zwei Prozent der Bevölkerung betroffen, etwa die Hälfte leidet an einer rheumatoiden Ar- thritis (RA). Hier haben sich nach Aus- sage von Kaltwasser die Therapiechan- cen mit der Einführung von „Biologics“
zur Hemmung von Entzündungsmedia- toren, wie zum Beispiel etwa Tumor- Nekrose-Faktor-alpha (TNF␣) und In- terleukin-1, erheblich verbessert. Weit mehr als zehn Prozent der RA-Patien- ten sind mit der Standardtherapie – Methotrexat – nicht ausreichend be- handelt. Aus ökonomischen Gründen erhält aber nur jeder Zehnte die neuen rekombinanten Substanzen. Neben In- fliximab und Etanercept zur intravenö- sen beziehungsweise subkutanen Ga- be wird mit Aladalimumab bald der er- ste rein humane monoklonale Antikör- per zur s.c.-TNF␣-Hemmung bei mode- rater bis schwerwiegender RA zur Ver- fügung stehen.
Diese Substanzen bekämpfen effektiv den Schmerz, senken den Rheumafaktor und die überschießend produzierten Zy- tokine und wirken der Knorpeldestruk- tion entgegen. Es laufen erste Versuche mit der Kombination verschiedener Pro- dukte, wie Dr. Burkhard Möller (Frank- furt/Main) betonte. Da über einen Zeit- raum von mindestens zwei Jahren unter TNF␣-Blockern eine Hemmung der Ge- lenkdestruktion nachgewiesen ist, stellt sich die Frage, ob die Substanzen in Zu- kunft als „first-line“-Medikamente ein- gesetzt werden, wenn sich der Krank- heitsverlauf stoppen oder zumindest deutlich aufhalten ließe.
Diese Hoffnung würde allerdings mit einer „Explosion“ der Kosten einherge- hen: Während die Standardtherapie mit Methotrexat circa 400 Euro pro Jahr be- trage, koste eine Behandlung mit TNF- Blockern 15 000 bis 20 000 Euro jährlich, rechnete Kaltwasser vor. Andererseits sind die direkten Kosten nur ein Drittel der Gesamtkosten – rund die Hälfte der Patienten mit RA ist nach fünf Jahren
verrentet.Von den Patienten mit schlech- tem Funktionsstatus mussten nach ei- ner Kerndokumentation des Rheuma- netzes (www.drfz.de/pages/forschung/
epi.epi_1htm#) innerhalb von drei Jah- ren 59 Prozent ihren Beruf aufgeben, bei initial gutem Funktionsstatus dage- gen nur 14 Prozent. Diese Daten unter- streichen die große Bedeutung, die dem Erhalt der Funktionsfähigkeit in der Rheumatherapie zukommt.
Frühe Diagnose und Therapie ist das vorrangige Ziel
An verschiedenen Universitätskliniken wurde eine Spezialsprechstunde einge- richtet, um Patienten mit rheumatoider Arthritis „herauszufischen“, die Dia- gnose frühzeitig zu sichern – bei unkla- ren Fällen mit einer Biopsie des Syn- ovialgewebes und Analyse des Zytokin- musters – und die Weichen für die Be- handlung zu stellen. Für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung besteht in Frankfurt/Main, an der Charité in Berlin, in Bensheim und in Rostock die Mög- lichkeit, die Tagesklinik aufzusuchen;
dort bieten Psychologen, Ergo- und Schmerztherapeuten Hilfestellung. Zu- sätzlich erfolge eine Beratung über Hilfs- mittel, erläutert Möller.
Eine Leitlinie zur diagnostischen Si- cherung und Therapie der frühen RA hat das Kompetenznetz Rheuma beim Kongress erstmals vorgestellt. In dieser interdisziplinären Forschungsstruktur wurde auch ein neuer Test entwickelt, der eine spezifische Autoimmunreak- tion gegen definierte Strukturen des Knorpelgewebes bei Patienten nach- weist.
Autoimmunreaktionen spielen zumin- dest partiell eine Rolle in der Patho- genese der chronisch entzündlichen Ge- lenkerkrankungen, aber auch genetische Aspekte scheinen beteiligt. Auf der Su- che nach Polymorphismen sind Wissen- schaftler aus Frankfurt über die patho- logisch erhöhte Expression von Inter- leukin-18 bei RA-Patienten auf einen Po- lymorphismus im Promotor des entspre- chenden Gens gestoßen. Sowohl in ei- nem deutschen als auch in einem schotti- schen Kollektiv sei diese Veränderung mit einem drei- bis vierfach erhöhten Ri- siko für eine RA verbunden gewesen, er-
klärte Möller.Untersuchungen einer Ber- liner Gruppe deuten bei der Osteoar- throse auf die Beteiligung regulativer Gene hin – was das Bild der rein „lokalen Arthrose“ ins Wanken bringen könnte.
Fazit: Im komplexen Bild der rheuma- tischen Erkrankungen finden sich damit zwar langsam, aber stetig Mosaiksteine, die zusammengesetzt werden müssen.
Der wichtigste Teil des Puzzles – der wirkliche „Auslöser“ – ist noch nicht ge- funden. Solange eine kausale Behand- lung nicht möglich ist, kommt der frühen Diagnose und Therapie und der besseren Verzahnung von ambulanter und sta- tionärer Versorgung großes Gewicht zu.
Neue Medikamente und die Therapie im Frühstadium nähren jedoch die Hoff- nung, dass Rheuma-Patienten in Zu- kunft weniger Schmerzen ertragen müs- sen, länger mobil bleiben und mehr Le- bensqualität haben. Dr. Renate Leinmüller P O L I T I K
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4721. November 2003 AA3075
Neuer Stent schafft direkte Verbindung zum linken Ventrikel
Die invasive Behandlung der korona- ren Herzerkrankung erfolgt durch Ballondilatation und Stentimplan- tation oder durch herzchirurgische Bypassversorgung. Diese Standard- verfahren sind bei älteren Patienten häufig nicht mehr möglich, sodass nach neuen Therapieformen gesucht wird. Der Ventrikulokoronare Stent (VSTENT) könnte diese Lücke schließen. Dabei wird eine 17 bis 28 mm lange direkte Verbindung zwi- schen der linken Herzkammer und dem betroffenen Herzkranzgefäß hergestellt, sodass das arterielle Blut aus dem Ventrikel in die Koronarar- terie fließt. Das VSTENT-Verfahren der Firma Percardia wird am Klini- kum der Ludwig-Maximilians-Uni- versität München durchgeführt und im Rahmen einer europäischen Mul- ticenterstudie überprüft. Zur Sicher- heit der Patienten wird der neue Stent allerdings nur in eine Koro- nararterie eingesetzt, wohingegen die anderen Gefäße mit konventionellen Bypässen versorgt werden. EB