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Archiv "Rofecoxib: Aus für den Klassenprimus" (15.10.2004)

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iese Nachricht kam selbst für In- sider wie ein Blitz aus heiterem Himmel:Am 30. September wurde Rofecoxib (Vioxx®), das in Deutschland meistverschriebene Antiphlogistikum aus der Gruppe der Coxibe, durch den US-Pharmakonzern Merck & Co welt- weit vom Markt genommen – das jähe Ende einer rund fünf Jahre währenden Erfolgsgeschichte, aber auch eine Hi- obsbotschaft für etwa 84 Millionen Pati- enten, die bisher mit der Substanz be- handelt wurden und für die nun nach Alternativen gesucht werden muss.

Die Fakten: Rofecoxib wurde in den USA im Mai, in Deutschland im No- vember 1999 zugelassen, zuletzt wurde es hierzulande zur Schmerztherapie so- wie für die Indikationen Arthrose und rheumatoide Arthritis (RA) eingesetzt und von circa 120 000 Patienten einge- nommen. Wie für die gesamte Gruppe der Coxibe gilt auch für diese Substanz, dass vor allem Patienten mit erhöhten gastrointestinalen Risiken vom Einsatz profitieren, da die Rate derartiger Neben- wirkungen signifikant niedriger liegt als beim Einsatz herkömmlicher nichtsteroi- daler Antiphlogistika (NSAR); außer- dem ist das Blutungsrisiko durch fehlen- de thrombozytenaggregationshemmende Wirkung reduziert.

Eine der Studien, die den Vorteil für Rofecoxib am eindrucksvollsten belegte, war die bei mehr als 8 000 RA-Patienten durchgeführte VIGOR*-Studie, die im Vergleich zum klassischen NSAR Na- proxen eine circa 50-prozentige Risi- koreduktion für gastrointestinale Kom- plikationen belegte. Genau diese Studie lieferte aber als Nebenergebnis auch ei- nen ersten Hinweis für mögliche kardio- vaskuläre Probleme: Unter Rofecoxib waren – wenngleich mit niedriger Häu- figkeit – signifikant mehr Herzinfarkte aufgetreten als unter Naproxen. Nachfol- gende Post-hoc-Analysen aus sonstigen Studien und Auswertungen aus medizini- schen Datenbanken lieferten uneinheit- liche Ergebnisse, die eine sichere Bestim- mung des tatsächlichen Risikos nicht zu- ließen. Die Forderung nach Coxib-Studi- en, die genau dieser Fragestellung nach- gehen sollten, war die logische Folge.

Die auf drei Jahre angelegte placebo- kontrollierte APPROVe-Studie** mit rund 2 600 Patienten, bei der die Verhin- derung von Rezidiven kolorektaler Poly-

pen durch Rofecoxib untersucht wurde, lieferte nun die zum Rückruf führenden Ergebnisse: Unter dem Coxib traten 45, unter Placebo nur 25 kardiovaskuläre Ereignisse auf, was einem relativen Risi- ko von 1.96 für Rofecoxib entspricht.

Dieser Unterschied war erst nach 18 Mo- naten kontinuierlicher Behandlung fest- zustellen, die Todesrate zeigte sich mit je fünf Fällen in beiden Gruppen gleich. Ob ein erhöhtes Risiko über die Einnahme- dauer hinaus besteht, ist bisher nicht ge- klärt, die in diese Studie eingeschlosse- nen Patienten werden deshalb über min- destens ein Jahr weiter beobachtet.

Die Folgen: Die unmittelbare Konse- quenz aus dem Rofecoxib-Entscheid ist klar: Patienten unter dieser Medikation sollten schnellstmöglich umgestellt wer- den – aber auf was? Hier gibt es mehrere Möglichkeiten: Patienten ohne erkennba- re gastrointestinale (GI) Risiken oder er- höhte Blutungsrisiken können problem- los auf herkömmliche NSAR rückumge- stellt werden; für solche Patienten besteht streng genommen ohnehin keine Not- wendigkeit, Coxibe einzusetzen.

Einzel- oder Gruppeneffekt?

Sorgen bereitet eher die Gruppe der Pa- tienten, welche aufgrund erhöhter Risi- ken – also leitlinienkonform – Rofecoxib erhielt. Hier gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Magen und Duodenum werden auch durch Zugabe eines Proto- nenpumpenhemmers (PPI) zuverlässig geschützt, eine Rückumstellung auf die Kombination herkömmliches NSAR + PPI löst also dieses Problem. Aber auch eine solche Kombination ist nicht ohne Nachteile: Sie stellt nicht nur seit Anfang dieses Jahres im Vergleich zum normal dosierten Coxib die teurere Alternative dar. Neuere Daten haben darüber hinaus gezeigt, dass Coxibe auch am unteren GI-Trakt deutlich weniger Nebenwir-

kungen als die NSAR verursachen, hier aber schützt die Kombination mit PPI nicht. Bliebe als weitere Möglichkeit die Umstellung von GI-Risikopatienten (und Patienten mit hohen Blutungsrisi- ken) auf ein anderes Coxib.

Doch dieser Wechsel ist nach der aktu- ellen Datenlage für Patienten unter Dau- ertherapie ebenfalls nicht unproblema- tisch: Bisher ist für keine der zur Debatte stehenden Substanzen – Celecoxib, Val- decoxib, Etoricoxib und in naher Zu- kunft auch Lumiracoxib – eindeutig ge- zeigt worden, dass ein gesteigertes kar- diovaskuläres Risiko nicht besteht – mit anderen Worten: Ob dieses Risiko Rofe- coxib-spezifisch ist oder eine Eigenschaft der gesamten Klasse, bleibt noch klarzu- stellen. Entsprechende zielgerichtete Untersuchungen sind daher für sämtli- che Substanzen dringend zu fordern, für einige (wie zum Beispiel Etoricoxib) lau- fen sie bereits. Solange diese Daten nicht vorliegen, sollte für Patienten mit einem erkennbar erhöhten kardiovaskulären Risiko auf diese Möglichkeit nicht zu- rückgegriffen werden, zumindest nicht bei einer Therapie auf Dauer.

Die kurzzeitige bedarfsweise Einnah- me, wie sie etwa bei einem RA-Patien- ten mit guter basistherapeutischer Ein- stellung die Regel ist (das heißt, Einnah- me nur an einzelnen Tagen bei vermehr- ten Schmerzen), scheint nach bisherigem Kenntnisstand nicht betroffen, denn sämtliche auf ein erhöhtes Risiko hin- weisenden Untersuchungen wurden un- ter Dauertherapie mit konstanter Rofe- coxib-Dosis von täglich 25 mg oder 50 mg (in der VIGOR-Studie) erhoben.

Eine weitere Möglichkeit, der Schutz von Coxib-Patienten mit erhöhtem kar- diovaskulärem Risiko durch konse- quente Zugabe eines Thrombozytenag- gregationshemmers, erscheint gegen- M E D I Z I N R E P O R T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004 AA2789

Rofecoxib

Aus für den Klassenprimus

Die Marktrücknahme von Vioxx und seine Konsequenzen für die Patienten

* VIGOR = VIOXX Gastrointestinal Outcome Research

**APPROVe = Adenomatous Polyp Prevention on VIOXX

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wärtig noch nicht ausreichend evaluiert.

Dies gilt sowohl bezüglich der Frage, wie zuverlässig der Schutz des Patienten un- ter dieser Kombination tatsächlich ist, als auch dafür, inwieweit der gastroin- testinale Sicherheitsgewinn hierunter wieder reduziert wird. Bedenkt man, dass belastende Daten bisher nur bei Langzeiteinnahme gefunden wurden, in der Realität aber die Mehrheit der Pati- enten mit RA und Arthrose Coxibe nicht in fixer Dosis über zwölf oder 18 Monate nimmt, sondern bedarfsweise, dann erscheint es verwunderlich, wenn beim derzeitigen Kenntnisstand Exper- ten aus den Studienergebnissen und Verschreibungszahlen in ungewohnt un- wissenschaftlicher Weise spektakuläre Zahlen von betroffenen Patienten und Todesfällen hochrechnen, die von der Regenbogenpresse sofort aufgegriffen werden („Schmerzmittel-Skandal – Hunderte Tote in Deutschland?“).

Verfolgt man die Pharmabranche in den letzten Jahren, fällt auf, dass Inno- vationen in zunehmendem Maße mit Hindernissen und Risiken zu kämpfen haben, die die Entwicklung zu einem Glücksspiel werden lassen. Auf der ei- nen Seite sind die Erfordernisse für die Entwicklung neuer Medikamente im- mer höher geschraubt worden. Rund 800 Millionen Dollar sind heute pro Neuentwicklung zu veranschlagen. Auf der anderen Seite droht das US-Rechts- wesen den Pharmakonzernen mit Scha- densersatzansprüchen in Milliarden- höhe. So bleibt der „lange Atem“ für die Weiterentwicklung einer Substanz und den Erkenntniszuwachs bezüglich der optimalen Anwendung immer mehr auf der Strecke; Blitzentscheidungen wie bei Rofecoxib sind die Folge.

Viele der Substanzen, welche heute als unverzichtbar oder gar Goldstan- dards gelten, hätten vermutlich keine Überlebenschance, würde ihre Neuent- wicklung in die Gegenwart versetzt.

Methotrexat, in der Rheumatologie das unumstritten führende Basistherapeu- tikum, wurde in der Anfangszeit in viel zu hoher Dosierung verwendet, drama- tische (zum Beispiel hepatische) Ne- benwirkungen mit Todesfällen waren die Folge. Es benötigte rund zwei Jahr- zehnte, um die optimale Anwendungs- weise der Substanz zu finden und ihren tatsächlichen Wert zu erkennen.

Heute würde die Substanz wohl die Zulassung nicht erreichen oder nach kürzester Zeit vom Markt genommen.

Ein ähnliches Schicksal wäre sicherlich den nach wie vor unentbehrlichen Cor- ticoiden, mit einem breiten Spektrum an Risiken versehen, vorbehalten. Glückli- cherweise besitzen die einzelnen Coxibe aufgrund vorhandener therapeutischer Alternativen nicht den Unverzichtbar- keitsstatus der genannten Substanzen, die Rofecoxib-Blitzentscheidung wird die Patienten daher langfristig nicht ent- scheidend benachteiligen. Grundsätz-

lich jedoch wächst die Befürchtung, dass heute Substanzen verschwinden, bevor ihr Nutzen und die optimale Anwen- dungsweise überhaupt erkannt sind, oder – schlimmer noch – die Neuent- wicklung von Medikamenten bei Abwä- gung von Erfolgsaussicht und Risiken irgendwann einmal als nicht mehr loh- nend angesehen werden könnte.

Prof. Dr. med. Klaus Krüger Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie Sektion Pharmakotherapie

St. Bonifatius Straße 5, 81541 München E-Mail: klaus.krueger@med.uni-muenchen.de M E D I Z I N R E P O R T

A

A2790 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004

P

rof. Dr. med. Dieter Hölzel hält mit seinen Ansichten des Öfteren nicht hinter dem Berg. Der aktuelle Be- richt seines Krebsregisters ist dafür ein gutes Beispiel. Die Einführung der Disease-Management-Programme und Brustkrebsfrüherkennung kommentiert der Leiter des Tumorregisters München mit Sätzen, die bei vielen Fachleuten Zu- stimmung finden würden. Dass der Epi- demiologe Hölzel jetzt aber ins Zentrum eines Streits vor allem mit Onkologen ge- raten ist, liegt an dem Kapitel auf Seite 55 des Berichts (www.krebsinfo.de). Dort versucht er anhand von Patientendaten aus der Region München die Frage zu beantworten, ob es in den letzten 20 Jah- ren Behandlungsfortschritte bei häufi- gen metastasierten Krebserkrankungen gegeben hat. Und seine Antwort ist für Brust-, Lungen-, Prostata- und kolorek- tales Karzinom ein klares „Nein“.

„Die Überlebenskurven der Patien- ten vor 1990 und ab 1991 sind praktisch deckungsgleich“, sagt Hölzel, „wir kön- nen keinen Fortschritt feststellen.“ Seine provokante Schlussfolgerung hat Hölzel

auch dem Magazin Spiegel erläutert, das daraus die generelle Nutzlosigkeit der Chemotherapie bei vielen fortgeschrit- tenen Tumoren folgerte. Auch wenn der Artikel mit dem Titel „Giftkur ohne Nutzen“ die Kritik ausdrücklich auf die Therapie metastasierter Tumoren ein- schränkt, hat er viele Ärzte aufgebracht.

Dabei geht es auch um die grundlegende Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus Hölzels Daten überhaupt ziehen las- sen. Der Gynäkologe Prof. Dr. med.

Michael Untch (Universität München) von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkolo- gische Onkologie (AGO) glaubt nicht, dass Hölzels Daten zur Beurteilung der Chemotherapie taugen: „Wir müssen uns zuerst anschauen, wie diese Daten erhoben wurden“, sagt er.

Doch Hölzels Daten sind durchaus ernst zu nehmen. Das Münchner Krebs- register gilt als das beste Deutschlands, weil es epidemiologische mit klinischen Daten verknüpft. Hölzel hat ausgewer- tet, wie lange Patienten nach der Dia- gnose von Metastasen überlebt haben.

Nach fünf Jahren leben je nach Tumor

Chemotherapie

„Wir müssen belegen, dass wir gute Arbeit leisten“

Onkologen und Gynäkologen warnen vor pauschalen

Schlussfolgerungen aus Daten des Tumorregisters München

zu metastasierten Karzinomen.

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