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Archiv "Konsequenzen aus der Rücknahme von Rofecoxib" (11.02.2005)

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un ist es also wieder soweit: Wir haben einen Arzneimittelskandal, und wieder betrifft er ein Rheuma- mittel. In den vergangenen 30 Jahren gab es zahlreiche derartige „Skandale“ mit Marktrücknahmen. Sie betrafen oft mit Euphorie eingeführte, mit großem Auf- wand vermarktete und rückwirkend be- trachtet nicht unbedingt schlechte Wirk- stoffe: Oxyphenbutazon, Benoxaprofen, Isoxicam, Indomethacin in Membran- kapseln und jetzt Rofecoxib. Sie wurden unter intensiver Anteilnahme der Öf- fentlichkeit zu Grabe getragen. Andere starben unauffällig (Carprofen, Indo- profen und Proquazon). Allen ist ge- meinsam, dass es sich um gut untersuchte Wirkstoffe großer Hersteller handelte, die weltweit mit der Versprechung, wirk- sam und harmlos zu sein, vermarktet wurden.

Dass solche „Skandale“ regelmäßig auftreten, wirft natürlich Fragen auf:

>Warum trifft die Marktrücknahme immer wieder Schmerz- und Rheuma- mittel?

>Warum erregt sich die Öffentlich- keit gerade über Nebenwirkungen dieser Wirkstoffe?

>Warum sind die Neuen scheinbar schlechter als die Bewährten?

>Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Fall Rofecoxib für Patienten, Ärzte, die Forschung und die Arzneimit- telindustrie?

Die nichtsteroidalen, antiphlogisti- schen Analgetika (NSAR) greifen in einen zentralen Abwehrmechanismus im Körper ein: Schmerz und Entzündung signalisieren Gewebeschäden, zwingen zu Ruhigstellung und ermöglichen so die Heilung. Hier einzugreifen ist grundsätz- lich problematisch: Kinder, die ohne Schmerzempfindung geboren werden,

erreichen selten das Erwachsenenalter:

Sie sterben an den Folgen von Verletzun- gen und Selbstverstümmelung. Ein Le- ben ohne den Schmerzmediator Prosta- glandin (bei fehlenden Zyklooxygen- asen) ist nicht möglich: Genetisch mani- pulierte Tiere, die keine Zyklooxygenase exprimieren, sind nicht lebensfähig. Trotz intensiver Suche wurden keine Men- schen ohne die Fähigkeit Prostaglandine herzustellen, entdeckt. Eine Daueran- wendung von Hemmern der Prostaglan- dinsynthese (NSAR) ohne Risiken ist al- so offensichtlich nicht möglich.Trotzdem braucht jeder diese Wirkstoffe gelegent- lich. Werden Nebenwirkungen berichtet, fühlt man sich persönlich gefährdet, und die öffentliche Aufregung ist groß.

Gefahren „bewährter“

Substanzen

In den vergangenen Jahren wurden zahl- reiche neue Wirkstoffe mit Nischenindi- kationen (Tumoren, seltene Infektionen, rheumatoide Arthritis, Diabetes) trotz erheblicher Nebenwirkungen auf dem Markt belassen, ohne dass dies die Öf- fentlichkeit erregt hätte. Hierbei handelt es sich nicht um Schmerzmittel, die von Vielen eingenommen werden, sondern lediglich von Schwerkranken, die – aus Sicht der Öffentlichkeit – schwere Ne- benwirkungen in Kauf nehmen müssen.

Die Gesunden erwarten, dass Schmerzen ohne Risiken beseitigt werden.

Der aktuelle „Vioxx-Skandal“ hat die Traditionalisten auf den Plan gerufen. Sie lassen uns wissen, die „bewährten“ Arz- neistoffe seien besser als die neuen. Da- bei wird vergessen, dass auch viele „be- währte“ Wirkstoffe wie Ibuprofen und Diclofenac bei ihrer Markteinführung als

viel gefährlicher als Acetylsalicylsäure oder Paracetamol eingestuft wurden.

Mittlerweile jedoch gilt Ibuprofen auch im Arzneimitteltelegramm als Goldstan- dard. Zu Recht, denn schließlich würden weder Acetylsalicylsäure noch Paraceta- mol heute zugelassen werden: Die unver- meidlichen Blutverluste (Acetylsalicyl- säure) und die Gefahr der Überdosie- rung (Paracetamol) würden nicht akzep- tiert werden. Inzwischen hat man sich an diese „bewährten“ Substanzen gewöhnt.

Außerdem sind sie patentfrei und billig, kritische Langzeituntersuchungen wer- den mit ihnen mangels Geldgeber nicht durchgeführt. Man weiß nicht, ob bei dreijähriger Daueranwendung von Diclo- fenac zur Verhinderung von Kolonkarzi- nomen (wie Rofecoxib) nicht ebenfalls mehr Herzinfarkte beobachtet würden.

Weiterhin ist unbekannt, in welchem Umfang andere Coxibe (Celecoxib, Val- decoxib und Parecoxib), die Herzinfarkt- rate erhöhen. Nach koronarchirurgi- schen Eingriffen verdoppelt Valdecoxib die Inzidenz von Gefäßverschlüssen (Bextra, USA, Produktinformation seit Dezember 2004). Wieso der Hersteller dieser Medikamente behaupten kann, sie seien frei von kardiovaskulären Risiken, bleibt unerfindlich. Vielleicht sind die

„bewährten“ Alten oder einige Neue gar nicht sicherer als Rofecoxib – sie könn- ten lediglich vertrauter und schlechter untersucht sein.

Vor diesem Hintergrund sollte die notwendige Konsequenz lauten, den Pa- tienten zu erklären, warum Zyklooxyge- nasehemmer grundsätzlich nur kurzfri- stig bei adäquater Indikations- und Kon- traindikationsstellung erlaubt sind. Die langfristige Anwendung – gerade weil sie so angenehm und scheinbar harmlos ist – kann nur bei triftigem Grund und einver- nehmlich mit dem Patienten erfolgen.

Dazu müssen Arzt und Patient akzeptie- ren, dass Schmerzbekämpfung ohne Ri- siko langfristig unmöglich ist. Der Rück- M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 611. Februar 2005 AA353

Konsequenzen aus der

Rücknahme von Rofecoxib

Kay Brune

Editorial

Klinik für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie (Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr.

med. Dr. h. c. Kay Brune), Friedrich-Alexander-Universität, Erlangen-Nürnberg

„Wer sich an das Vergangene nicht erin- nert, ist verdammt es zu wiederholen“

(George Santayana)

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weg hingegen, wie manchmal empfohlen, zu schlecht verträglichen oder schlecht geprüften Wirkstoffen scheint zynisch, der Weg in die Homöopathie und andere (unwirksame) Alternativmethoden, be- denklich. Hier müssen Arzt und Patient gemeinsam die jeweils risikoärmste The- rapie suchen, wobei folgendes Zitat von Gustav Kuschinsky beachtet werden soll- te: „Ein Arzneimittel, von dem behauptet wird, dass es keine Nebenwirkungen ha- be, steht im dringenden Verdacht, auch keine Hauptwirkung zu besitzen“.

Eine bedauerliche Konsequenz wäre es, wenn Forschung und Industrie den Schluss zögen, bei Schmerz- und Rheu- mamitteln seien Innovationen nicht er- strebenswert, da der Fortschritt immer mit Nachteilen erkauft würde. Leider leiden noch immer Millionen Deutsche an schlecht behandelbaren Schmerzen.

Allerdings sollte mehr nach Mitteln für Spezialindikationen und nicht nach Verkaufsschlagern gesucht werden. Ein Rückschritt wäre es auch, wenn auf Ergebnisstudien verzichtet würde, aus Angst, dass erkannte Risiken von der Öf- fentlichkeit weniger akzeptiert würden als Nichtwissen über „bewährte“ Arznei- stoffe. Unabdingbar wäre es, mit den Auf- sichtsbehörden und der unabhängigen Forschung neue Spielregeln für eine un- abhängigere Weiterbildung, eine längere Patentlaufzeit und eine flächendeckende Pharmakovigilanz zu organisieren. Sie müsste die vergleichende Überprüfun- gen aller Wirkstoffe, auch der „bewähr- ten“, ermöglichen. Schließlich war Rofe- coxib für alle, die unter Magen-Darm- Problemen oder an durch Aspirin indu- zierbarem Asthma litten oder Blutungen zu befürchten hatten, ein therapeutischer Fortschritt – für Herzinfarktgefährdete leider nicht. Darauf wurde bereits im Jahr 2000 hingewiesen (2).

Fazit

Fortschritte auf dem Gebiet der Schmerz- und Rheumatherapie sind nur in Teilbereichen möglich. Kein Hemmer der Prostaglandinsynthese (genauso wie kein Opioid) wird frei von unerwünsch- ten Wirkungen sein. Das Spektrum kann aber für verschiedene Wirkstoffe unter- schiedlich ausfallen. Die richtige Sub- stanz für das individuelle Risiko des Pa-

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A354 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 611. Februar 2005

tienten und seine Schmerz- und Entzün- dungsproblematik auszuwählen, wird die Aufgabe der Zukunft sein. Dies wird auch von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft betont (1).

Forschung und Industrie müssen weiter nach neuen Analgetika suchen – aber für definierte Patientengruppen. Die Hoffnung auf die Entwicklung von Ver- kaufsschlagern, die immer wirken und nie schaden, sollte aufgegeben werden.

Hoffentlich ist dies der Beginn eines Weges, der durch Wirkungsselektivi- tät gekennzeichnet ist und weiteren Problempatienten Schmerzlinderung er- möglicht.

Prof. Brune beschäftigt sich seit 35 Jahren mit der Ent- wicklung neuer Schmerzmittel. Er hat in dieser Zeit die meisten international tätigen, forschenden Arzneimittel- firmen beraten.

Manuskript eingereicht: 7. 12. 2004, angenommen:

7. 12. 2004

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2005; 102: A 353–354 [Heft 6]

Literatur

1. Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft:

„Aus der UAW-Datenbank“ – Kardiovaskuläre Neben- wirkungen sind ein Klasseneffekt aller Coxibe: Konse- quenzen für ihre künftige Verordnung. Dtsch Arztebl 2004; 101: A 3365 [Heft 49].

2. Brune K, Kalden J, Zacher J, Zeilhofe, HU:Aktuelle Rheu- matologie – Selektive Inhibitoren der Zyklooxygenase 2. Dtsch Arztebl 2000; 97: A 1818–25 [Heft 26].

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Kay Brune Klinik für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Fahrstraße 17 91054 Erlangen

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

MEDIZINGESCHICHTE(N))

Hygiene Azteken

Dampfbad (temazcalli) der Azteken, aus Codex Magliabecchi, um 1565

– Die Körperhygiene spielte bei den Azteken ein wichtige Rolle, tägliches Baden und Waschen waren üblich, häu- fig wurde auch das Dampfbad besucht. Die Azteken gründeten im 14. Jahrhundert ihre Hauptstadt Tenochtitlán (heute: Mexiko City), in der später bis zu 300 000 Menschen lebten. Die altmexikanische Hochkultur brachte eine umfassende Heilkunde und ein sehr effizientes öffentliches Gesundheitswesen hervor, das mit der Eroberung des Landes durch die spanischen Konquistadoren zerstört wurde.

Foto:Harenberg Veralg,Dortmund

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