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Archiv "Medizin der neunziger Jahre: Ergebnisse einer ZDF-Experten-Umfrage" (01.03.1990)

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ür die ZDF-Reihe „Medizin der neunziger Jahre" hat das Gesundheitsmagazin Praxis 200 deutsche Ärzte um eine Prognose gebeten, was ihrer Mei- nung nach die Medizin des nächsten Jahrzehnts am stärksten verändern dürfte. Dazu waren 22 Vorgaben zur Wahl gestellt worden — angefangen von einer drastischen Zunahme von AIDS-Fällen bis hin zu einer wach- senden Bedeutung der Umweltmedi- zin. Befragt worden waren Vorsit- zende medizinischer Fachgesell- schaften, Direktoren und Chefärzte, führende Berufspolitiker, Leiter von Instituten, namhafte Wissenschaft- ler. Dabei hatte jeder die Möglich- keit, bis zu sieben Vorgaben anzu- kreuzen.

Bis zum Redaktionsschluß 1.

Dezember 1989 waren 131 Fragebo- gen zurückgesandt worden = 65,5 v. H. Somit gibt das Ergebnis einen relativ hohen Meinungsspiegel wie- der, der interessante Rückschlüsse zuläßt, welche Veränderungen maß- gebliche Ärzte bei uns vom letzten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts und Jahrtausends für die Medizin erwar- ten. Dabei überrascht nicht, daß die gentechnologische Diagnostik mit 86 Nennungen = 66 v. H. auf Platz 1 der Prognose kommt und die gen- technologische Therapie mit 57 v. H.

Rangfolge 3 einnimmt. Bemerkens- wert ist aber, daß eine zunehmende

Bedeutung der Geriatrie mit 61 v. H.

schon auf Platz 2 kommt und damit eines der durch die steigende Le- benserwartung wachsenden Proble-

me in den Vordergrund tritt. Genau- so hervorzuheben ist, welche Bedeu- tung die Experten den ökonomi- schen Leistungsbegrenzungen ge- ben; sie werden mit 55 v. H. bereits am vierthäufigsten genannt.

Insgesamt kommt es zu der in der Tabelle (auf der nächsten Seite) dargestellten Reihenfolge.

Ergänzungen betrafen insbeson- dere die „Zunahme der Ärzte" mit 2 v. H., eine zunehmende Bedeutung von Verhaltens-, Arbeits- und Prä- ventivmedizin und eine Hervorhe- bung des Pflegepersonalmangels, was jedoch meistens schon bei „zu- nehmender Bedeutung der Geria- trie" berücksichtigt worden sein dürfte.

Summa summarum: sicher hat dieses Ergebnis keinen repräsenti- ven Aussagewert, doch bietet es durch seine gewichtige Basis, die Er- fassung von Einschätzungen führen- der Mediziner, wichtige Erkenntnis- se und Denkanstöße für eine ver- stärkte Diskussion zur Medizin der neunziger Jahre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Experten nicht nur eine Prognose abgaben, sondern auch ihre größte Hoffnung und ihre größte Sorge benannten.

Die größten Hoffnungen An der Spitze der Aussagen zu den größten Hoffnungen für die Me- dizin der neunziger Jahre stehen Fortschritte auf dem Gebiet der Krebstherapie durch weitere immun- biologische Erkenntnisse und Thera- pieansätze. Gehofft wird, „Mittel zu finden, die die bisher nicht heilbaren Krebserkrankungen heilen können".

Und daß in deutlich zunehmenden Maße mehr Erkrankungen „von ih- rer Ursache her behandelt werden können und nicht wie bisher nur in ihren Auswirkungen". Dabei wird immer wieder auch auf eine Nutzung immunologischer Methoden für Dia- gnostik und Therapie gesetzt, wird in der Forschung von Molekularbiolo- gie und Immunologie auf Schlüssel- erlebnisse und -ergebnisse gehofft, die fast alle Teilbereiche beeinflus- sen könnten. — Gehofft wird,

D „daß es durch relativ einfa- che Teste gelingen wird, mehr Vor- sorge und Früherkennung von Krankheiten zu erreichen",

D eine „größere Akzeptanz der präventivmedizinischen Aktivitäten in der Gesundheitspolitik, bei Arz- ten in Klinik und Praxis, die primäre, sekundäre und tertiäre Prävention umfassend",

D daß die Bundesrepublik „die lösbaren diagnostischen, therapeuti- schen und präventiven Probleme so- zialer Ungleichheit angesichts von Krankheit und Tod konsequent an- geht",

D „für die Bundesrepublik, daß

sie in Forschung, Krankenversor- gung und Lehre so viel Qualität be- weist, daß sie in den nächsten Jahr- zehnten hilfreich wirken kann", D

Medizin der neunziger Jahre

Ergebnisse einer ZDF-Experten-Umfrage

Stoff zum Nachdenken, zum Diskutieren bieten die Ergebnisse ei- ner Umfrage des ZDF-Gesundheitsmagazins Praxis bei 200 deut- schen Ärzten über deren Prognosen der medizinischen Entwicklung in den neunziger Jahren. Das Zweite Deutsche Fernsehen ging und geht in drei Sendungen auf die Medizin der neunziger Jahre ein: am 11. Januar, am 1. Februar und am 1. März, jeweils um 21 Uhr. Die Sendungen nennen zwar immer wieder einzelne Teilergebnisse der Umfrage, jedoch nicht alle Ergebnisse zusammenfassend. Den Ärz- ten gibt Dr. h. c. Hans Mohl im folgenden eine komplette Übersicht.

Dt. Ärztebl. 87, Heft 9, 1. März 1990 (35) A-663

(2)

Das Umfrage-Ergebnis

I

Nermungen

I

v.H.

01. Gentechnologische Diagnostik 86 66

02. Zunelunende Bedeutung der Geriatrie 80 61

03. qentechnologische Therapie 75 57

04. Okonomische Leistungsbegrenzungen 72 55

05. Medizintechnische Diagnostik 61 46,5

(wie Ultraschall)

06. Medizintechnische Therapie 53 40

(wie Laser oder Lithotripsie)

07. Verschärfung von Suchtproblemen 51 39

08. Zunelunende Bedeutung ethischer Probleme 48 37 09. Zunelunende Bedeutung der Umweltmedizin 43 33

(auch durch Zunalune von umweltbedingten Erlcrankungen)

10. Mehr Transplantationen 36 27

11. Drastische Zunalune von AIDS-Fällen 31 24

12. Neuartige Medikamente 27 21

13. Verstärkung der Selbsthilfebewegung 27 21

14. Krebs 25 19

15. Zunalune allergischer Erkrankungen 24 18 16. Drastische Zunalune von Alzheimer-Fällen 21 16 17. Zunalune psychosomatischer Erkrankungen 18 14 18. Zunelunende Bedeutung der Ersatzteilmedizin 15 11 19. Verschärfung psychiatrischer Probleme 11 8 20. Zunelunende Bedeutung von Defensivmedizin 11 8 21. Zunelunende Bedeutung der Alternativmedizin 8 6 22. Iatrogene Erlcrankungen

I> "daß die ökonomischen

Zwänge nicht zu einer Zweiklassen- medizin führen werden! Siehe Eng- land, Schweden, DDR und andere Ostblockländer",

I> auf die "Einsicht von Patient

und Arzt in das ,Machbare"',

I> auf "Fortschritte in der Un-

terscheidung zwischen dem Ver- nünftigen, Notwendigen und Mach- baren",

I> "daß die Medizin bezahlbar

bleibt",

I> auf "eine tragfähige, die

Würde des Menschen achtende Ethik (für alle Fragen der Gentech- nologie, Transplantations- und In- tensivmedizin )",

I> auf "mehr Rückbesinnung

der Patienten auf Eigenverantwor- tung, damit mehr Mittel und Zeit für die wirklichen Probleme übrig bleibt",

I> auf eine Orientierung auf

den "Menschen als biologische und psychosoziale Einheit",

I> auf eine "stärkere Akzen-

tuierung der 'sprechenden' gegen- über der 'handelnden' Medizin, und das heißt, stärkere Berücksichtigung der psychosozialen Dimension von Krankheit",

I> auf eine "Entwicklung hin zu

einer ganzheitlichen Medizin, in de- ren Mittelpunkt der Mensch steht",

I> auf die "politische Einsicht,

5 4

daß auch im Gesundheitswesen alles seinen Preis hat".

Hier treffen oft schon die größ- ten Hoffnungen mit den größten Sorgen zusammen.

Die größten Sorgen

An der Spitze der Sorge!,l-Liste stehen mit weitem Abstand Okono- misierung, Politisierung und Büro- kratisierung der Medizin mit insge- samt 51 v. H. aller Anmerkungen.

Im einzelnen werden genannt:

~ eine "ökonomische Begren- zung!V erweigerung von Operatio- nen und ,teurer Medizin' für ältere Menschen über 60",

~ "daß das, was medizinisch machbar ist, aus Kostengründen nicht durchführbar ist. Diese Ent- wicklung beginnt sich schon jetzt, vor allem im Personalbereich, abzu- zeichnen",

~ "daß das ,Machbare' auch

das uneingeschränkte ,Erstrebens- werte' wird",

~ eine "Beschränkung der fi- nanziellen Reserven für die medizi- nische Forschung",

~ eine "zunehmende Bedeu- tung von nicht finanzierbaren ,Lu- xus-Therapien' und fehlerhafte öko- nomische Leistungsbegrenzungen",

~ eine "Diskrepanz zwischen Möglichkeiten und Realitäten", A-664 (36) Dt. Ärztebl. 87, Heft 9, 1. März 1990

~ "daß das Geld nicht reichen

wird, um alle Bedürfnisse zu befrie- digen",

~ eine "weitere Zunahme der Verbürokratisierung und Verpla- nung, eine unbegrenzte Zunahme der Ärzte, eine Nivellierung der Hochschulen, eine einseitige Förde- rung der Anspruchsmentalität im So- zialsystem, ein Qualifikationsver- fall",

~ "daß die Entscheidungskom- petenz der Ärzte/Ärztinnen auf dem Gebiet der Heilkunde durch ökono- mische, juristische und bürokratische Maßnahmen zurückgedrängt wird",

~ "daß es kostenspielige Ent- wicklungen in der Medizin geben wird, die nicht mehr ohne weiteres jedem einzelnen zugänglich gemacht werden können",

~ eine "Überschreitung der Grenze des zwar technisch Machba- ren, aber ethisch Bedenklichen",

~ eine "Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Kliniken durch Hochleistungsmedizin und Pflegenot",

~ eine "Zunahme der extre- men Spezialisierung mit einer damit verbundenen reinen Technisierung in Diagnostik und Therapie",

~ "daß das hohe Niveau fach- ärztlicher Versorgung durch zuneh- mende Zahl schlecht ausgebildeter ,Basisärzte' gar nicht mehr zum Pa- tienten kommt",

~ "daß sich eine ,entmensch- lichte' Medizin entwickelt",

~ "daß durch das ärztliche Überangebot aus Konkurrenzgrün- den eine zunehmende Kommerziali- sierung des Medizinbetriebes statt- findet",

~ ein "zunehmendes Abwan-

dern von Patienten in alternativ-me- dizinische Bereiche".

Auffallend ist, daß insgesamt mehr Sorgen als Hoffnungen ange- merkt werden - mit dem Hinweis, daß mit der Gesellschaft auch die Medizin Schaden nehmen wird, wenn die Probleme der Medizin nicht angemessen gelöst werden.

Aber: "Jede Gesellschaft hat die Me- dizin und die Mediziner, welche sie verdient". Viel Stoff zum Nachden-

ken, zum Diskutieren.

Dr. h. c. Hans Mohl

Fontauestraße 49, 6500 Mainz 31

Referenzen

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