• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Transplantationsskandal: „Kein systemisches Versagen“" (20.08.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Transplantationsskandal: „Kein systemisches Versagen“" (20.08.2012)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 1676 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 33–34

|

17. August 2012

TRANSPLANTATIONSSKANDAL

„Kein systemisches Versagen“

Ärzte, Kliniken, Kassen und Politik ziehen Konsequenzen aus dem Skandal um

gefälschte Daten bei Organempfängern: mehr Transparenz und schärfere Kontrollen.

Aber auch bestimmte Regeln zur Organverteilung kommen auf den Prüfstand.

E

s geht um nicht mehr und nicht weniger als um Leben oder Tod. Organspende und Trans- plantation stehen im öffentlichen Interesse ganz oben. Kein Wunder also, dass der große Sitzungssaal der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin am 9. August mit Pressever- tretern gefüllt war wie selten. Mit Spannung erwarteten sie die Ergeb- nisse des Spitzengesprächs der BÄK mit der Deutschen Kranken- hausgesellschaft (DKG), dem Spit- zenverband der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV) und den Prüf- und Überwachungskommis- sionen von Ärzten, Kliniken und Krankenkassen.

Anlass zu dem Krisentreffen wa- ren die zuvor bekanntgewordenen Vorgänge in der Transplantations- medizin (DÄ, Heft 31–32/2012).

Ärzten der Universitätskliniken Göt - tingen und Regensburg wird vorge- worfen, Krankenakten gefälscht zu haben, damit ihre Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan nach oben rutschen. Der Skandal hatte den Eindruck in der Bevölke- rung erweckt, das gesamte Trans- plantationssystem sei manipulati- onsanfällig. Dabei gibt es offenbar

nur wenige „schwarze Schafe“, die versuchen, die konkreten Regeln für die Zuteilung der Organe, die in den Richtlinien der BÄK verankert sind, zu umgehen. So habe es bei 30 000 Organtransplantationen seit Inkrafttreten des Transplantations- gesetzes Ende der 90er Jahre nur in 20 Fällen einen gemeldeten Ver- dacht auf Fehlverhalten gegeben, bestätigte Prof. Dr. jur. Hans Lilie, Strafrechtler an der Universität Hal- le und Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation.

Treffen mit dem Minister Der Schaden, den die jüngsten Ma- nipulationen angerichtet haben, ist trotzdem immens. Die BÄK will deshalb nun durch noch mehr Trans- parenz und schärfere Kontrollen das Vertrauen der Bürger zurückgewin- nen. „Wir haben uns dazu auf ein Maßnahmenbündel verständigt, das wir am 27. August bei einem Spit- zentreffen mit Bundesgesundheits- minister Daniel Bahr diskutieren wollen“, erklärte BÄK-Präsident Dr. med. Frank Ulrich Montgomery.

„Es liegt kein systemisches Versa- gen vor“, betonte auch DKG-Ge- schäftsführer Georg Baum. Die Be-

ratungen hätten jedoch verdeutlicht, dass die Richtlinien überarbeitet werden müssten.

Im Einzelnen solle künftig nach dem Mehraugenprinzip geprüft werden, welche Patienten zur Or- ganzuteilung gemeldet werden, sagte Montgomery. Das bedeutet:

Ärzte, die nicht in die Transplanta- tion involviert sind, wie beispiels- weise Labormediziner, sollen die Daten nochmals kontrollieren. In- terdisziplinäre Transplantationskon- ferenzen in den Zentren sollen obligatorisch werden.

Die Vorschläge zur Änderung der Richtlinien sollen in der nächs- ten Sitzung der Kommission im September diskutiert werden und könnten dann gegebenenfalls un- mittelbar nach der Zustimmung durch den Vorstand der BÄK im Herbst in Kraft treten, erläuterte Li- lie. Zu diesen Vorschlägen gehören ferner verdachtsunabhängige, flä- chendeckende Kontrollen. Zudem forderte Montgomery eine engere Zusammenarbeit von Behörden und Ärzteschaft.

Pläne, der BÄK die Aufsicht zu entziehen, wies der Präsident je- doch zurück: In Regensburg habe Sie wollen bedin-

gungslos aufklären und Regeln ändern:

Georg Baum, Frank Ulrich Montgomery und Hans Lilie (v.l.).

Fotos: dpa

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 109

|

Heft 33–34

|

17. August 2012 A 1677 die staatliche Ebene versagt, sagte

er. Von der Ärztekammer seien die Verstöße gegen das Transplantati- onsgesetz benannt worden, sie selbst habe keine Möglichkeit ge- habt, diese zu ahnden. Künftig brauche man eine „polizeiähnliche“

Kompetenz, forderte deshalb Mont- gomery. Der Staat wiederum brauche den Sachverstand der Trans - plantationsmediziner. Es bringe nichts, einen künstlichen Konflikt zwischen Selbstverwaltung und Staat zu konstruieren. „Wir müssen zusammenarbeiten“, betonte er.

Bald härtere Konsequenzen

„Bei nachgewiesenem schwerem ärztlichen Fehlverhalten ist das Ru- hen oder der Entzug der Approba - tion von den jeweils zuständigen Institutionen anzuordnen“, erklärte Montgomery weiter. Als letzte Konsequenz müsse im Falle von Fehlverhalten auch die vorüberge- hende oder dauerhafte Schließung von Transplantationsprogrammen durch die jeweils zuständigen In - stitutionen möglich sein. Um die Vorgänge in den Transplantations- zentren Göttingen und Regensburg umfassend aufzuklären, soll die Arbeit der Kontrollgremien durch Sonderprüfer verstärkt werden.

Aber auch das – regelkonforme – beschleunigte Vermittlungsverfah- ren stehe in der Kritik: Es werde zu häufig angewendet und unterminie- re das gesetzlich verankerte Prinzip der Chancengleichheit. „Das be- schleunigte Vermittlungsverfahren von Organen ist von den Kranken- kassen, dem Bundesverband der Krankenhausträger und der Bun- desärztekammer so gewollt, um die vorhandenen Organe bestmöglich zu nutzen“, sagte Montgomery. „Es gibt nachgewiesene medizinische Gründe für diese Ausnahmerege- lungen bei der Organvergabe“, be- tonte er. Das Verfahren werde aber nochmals genau unter die Lupe ge- nommen. „Der Sonderfall darf nicht zur Regel werden.“ Es fänden dazu bereits Beratungen in der Ständigen Kommission Organtrans- plantation statt.

Das beschleunigte Vermittlungs- verfahren ist stärker zentrumsorien- tiert als das Standard- oder das mo-

difizierte Vermittlungsverfahren. Es kommt immer dann zur Anwen- dung, wenn Organe über die ersten beiden Vergabemodi nicht zugeteilt werden können: wegen Funktions- einbußen oder Vorerkrankungen des Spenders. Eine exakte Definiti- on schwer vermittelbarer Organe sei nicht möglich, heißt es in den BÄK-Richtlinien. Genannt werden aber Malignome in der Anamnese des Spenders, Drogenabhängigkeit, Virushepatitis, Sepsis mit positiver Blutkultur und Meningitis. Die Ver- mittlungsstelle bietet solche Organe im modifizierten Verfahren patien- tengerichtet jenen Zentren an, für die sie nach Patienten- und Zen- trumsprofil infrage kommen.

Droht aus logistischen Gründen ein Organverlust oder lehnen drei Zentren das Angebot von Herz, Lunge, Pankreas oder einer Leber ab oder fünf Zentren eine Niere, folgt dann das beschleunigte Verfahren: Organe werden primär benachbarten Zentren angeboten:

Sie erhalten eine Liste potenzieller Empfänger und wählen selbst den

in der Reihenfolge am besten geeig- neten Patienten.

Nach Ansicht der Kritiker lassen sich diese Entscheidungen schwerer objektivieren als die patientenzen- trierte Vergabe von Organen, und sie wecken immer wieder Zweifel an der Fairness. So wird mit Argwohn betrachtet, dass in den letzten Jahren häufiger Organe nach dem beschleu- nigten Verfahren zugeteilt wurden:

2011 waren es 22 Prozent der Her- zen (2002: 8,4 Prozent), fast 29 Prozent der Lungen (2002: 10,6 Prozent ), 38,5 Prozent der Lebern

(2002: 9,1 Prozent) und 47,4 Prozent der Pankreata (2002: 6,3 Prozent).

Als Gründe für die rasante Zu- nahme der im beschleunigten Ver- fahren allozierten Organe nennen die BÄK und die Vermittlungsstelle Eurotransplant einen Anstieg des durchschnittlichen Spenderalters.

Zum Beispiel sei das Alter bei den Leberspendern von 25 Jahren im Jahr 1990 auf 53 Jahre im Jahr 2010 gestiegen. Aber auch der Anteil de- rer, die mindestens eines der leber- spezifischen erweiterten Spender- kriterien nach den Richtlinien der BÄK erfüllen, erhöhte sich.

Ergebnisregister gefordert „Die klinische Relevanz erweiterter Spenderkriterien bei der Leber und dabei besonders die Frage, welche Spender-Empfänger-Kombinationen vermieden werden sollten, ist für Deutschland völlig ungenügend eva- luiert“, sagte Prof. Dr. med. Günter Kirste, Medizinischer Direktor der Deutschen Stiftung Organtransplan- tation (DSO) zum Deutschen Ärzte- blatt. Eine unter Federführung der DSO publizierte Studie an 2 095 deutschen Leberempfängern hatte nach einer Cox-Regressionsanalyse nur für das Spenderalter, nicht aber die übrigen erweiterten Kriterien ein erhöhtes Risiko für Tod des Emp - fängers oder Organverlust ergeben (Transplantation 92; 2011: 1378–84).

Durch eine Modifikation der erwei- terten Spenderkriterien könnte mög- licherweise die Zahl der Organe nach Ausnahmeregeln gesenkt werden.

„Wir brauchen flächendeckende Re- gister für Transplantationsergebnis- se, um vergleichbar den USA Spen- der- und Empfängerrisiken realis- tisch abzuschätzen“, sagte Kirste.

Der Bundesgesundheitsminister begrüßte die Vorschläge von Ärz- ten, Kliniken und Kassen. „Das Vertrauen in die Organspende und die Verfahren bei der Vermittlung müssen wieder hergestellt werden.

Das gelingt uns nur gemeinsam“, erklärte er. Rufen nach einer Organ- vergabe durch staatliche Stellen er- teilte er eine Absage. Allerdings soll sich auch die DSO „einer kriti- schen Prüfung“ unterziehen.

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze Das Medieninter -

esse an den Ergeb- nissen des Krisen- treffens war riesig.

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Der- weil ermahnen das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Institut für Qualität und Wirtschaftlich- keit im Gesundheitswesen und die Arz- neimittelkommission

Obwohl auch die Veranlassung weitergehender diagno- stischer oder therapeutischer Maß- nahmen durchaus Gegenstand eines solchen Einsatzes sein kann, sind Zweck und Ziel einer

Dabei zeigte sich, wie weit Arzt und Patient bei diesem Krankheitsbild voneinander entfernt sind: Während bei- spielsweise 60 Prozent der Pa- tienten mit RA ihren Gesund-

Das Bundesgericht hielt diesbezüglich fest, dass eine Kosten- beteiligung von 10% im Falle einer ausschliesslichen Haf- tung der Beschwerdeführer als Standortinhaber exzessiv

In der CLASS-Studie waren die Ulkuskomplikationen unter Celecoxib nicht signifikant geringer als unter der Vergleichsmedikation (Diclofenac, Ibu- profen).Wenn der Unterschied nur

Während unter H 2 -Blok- ker-Behandlung etwa 50 Pro- zent der Patienten rezidivfrei bleiben, sind es mit PPI-Be- handlung rund 90 Prozent (ohne Dauertherapie bekom- men 25 Prozent

Die ASS-Einnahme wiederum eliminierte den Vorteil der COX-2-Inhibitoren bezüglich Ulkus- komplikationen (6): Unter Celecoxib und ASS hatten 2,91 Prozent, unter NSAR und ASS 2,12

Me- diziner der Cleveland Clinic Founda- tion berichten im amerikanischen Ärz- teblatt (JAMA 2001; 286: 954–959), dass in der VIGOR-Studie unter der Be- handlung mit