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Archiv "ICD-10: Das Problem ist vom Tisch" (09.02.1996)

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P O L I T I K LEITARTIKEL

D

ie Diskussion um die Ver- schlüsselung der Abrech- nungsdiagnosen unter Ver- wendung der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD) reicht bis ins Jahr 1992 zurück. Im Herbst dieses Jahres hatten sich die Regierungskoalition und die SPD- Opposition in Lahnstein über die In- halte des Gesundheitsstrukturgeset- zes verständigt. Die Diskussion auf seiten der Kassenärzte wurde seiner- zeit beherrscht von der Ankündigung einer dreijährigen Honorardeckelung, der unbefristeten Budgetierung von Arzneimitteln und Heilmitteln, der Einführung von Richtgrößen und der Bedarfsplanung einschließlich der Festlegung einer Altersgrenze für Kassenärzte. Gegen diese in der Ge- schichte des Kassenarztrechts einmali- gen Interventionsinstrumente richte- ten sich alle Bemühungen der Kas- senärzte, der Kassenärztlichen Verei- nigungen und der freien Verbände – leider gegen die damalige „große Ko- alition“ völlig vergeblich.

Ein seinerzeit eher wenig beach- teter Eckpunkt der gesetzlichen Re- gelungen war die stufenweise Ein- führung einer umfassenden Transpa- renz im Abrechnungsverkehr zwi- schen den Krankenkassen und den so- genannten „Leistungserbringern“, al- so auch den Kassenärzten. Ein Be- standteil dieser Transparenzvorschrif- ten wiederum war die Einführung der Verschlüsselung von Diagnosen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mittels des ICD-Schlüssels in der je- weils vom Bundesminister für Ge- sundheit bekanntgegebenen Fassung.

Das gravierende Element dieser Re- gelung lag von Anfang an darin, daß alle Abrechnungen, die nicht mittels ICD verschlüsselt würden, von den Krankenkassen nicht vergütet wer- den sollten.

Es ist in diesem Zusammenhang daran zu erinnern, daß die umfangrei- chen Transparenzregelungen vom Gesetzgeber damit begründet wur- den, daß die Kassenärzte am Beispiel der angeblichen Verzögerung der Einführung der Krankenversicher- tenkarte gezeigt hätten, daß sie sich systematisch gegen die vom Gesetz- geber als notwendig eingeschätzten Transparenzregelungen sperren wür- den und diese Verweigerungshaltung nur mit einer klaren gesetzlichen Re- gelung gebrochen werden könne.

Aufschub als erster Erfolg

Die Einführung der Verschlüsse- lungspflicht war ursprünglich mit dem Gesundheitsstrukturgesetz auf den 1. Januar 1995 festgesetzt worden. Als sich jedoch der aus der Fülle der ge- setzlichen Einzelvorschriften resultie- rende „Nebel“ ein wenig gelichtet und sich zudem gezeigt hatte, daß die Ein- sparerfolge des Gesetzes praktisch ausschließlich auf das disziplinierte Verhalten der Kassenärzte zurückzu- führen sind, war jedenfalls die Regie- rungskoalition zu Gesprächen über einzelne Modifikationen und uner- wünschte Auswirkungen des GSG zu- nehmend bereit. Vor diesem Hinter- grund gelang es der KBV schließlich,

die verbindliche Verpflichtung zur Diagnosenverschlüsselung auf den 1. Januar 1996 zu verschieben. Hier- für wurde das Sozialgesetzbuch ent- sprechend geändert.

Wer heute behauptet, diese Bemühungen der KBV seien gerade- zu kontraproduktiv gewesen, da der seinerzeit vorgesehene ICD-9-Schlüs- sel für die vertragsärztlichen Ver- schlüsselungsaufgaben besser geeig- net sei als der danach in die Diskussi- on gebrachte ICD-10-Schlüssel, über- sieht zweierlei:

1 Zum einen war angekündigt worden, daß die Kassenärzte im Jahre 1995 mit der ICD-9 „schon einmal be- ginnen sollten“, um bereits ein oder zwei Jahre später auf die dann vorlie- gende ICD-10 umzustellen. Derartige

„Transparenzexperimente“ auf dem Rücken der Kassenärzte mit einer in kurzen Abständen wechselnden Zif- fernflut konnten den von Honorar- deckelung und Arzneimittelbudget gebeutelten Kollegen einfach nicht zugemutet werden.

1 Zum anderen war das Jahr 1994 von der Einführung der Kran- kenversichertenkarte gekennzeich- net, wodurch die Kassenärzte eben- falls bereits in erheblichem Maße or- ganisatorisch belastet waren. Mit der Verschiebung auf den 1. Januar 1996 wurde daher auch eine Entkoppelung der verschiedenartigen bürokrati- schen Maßnahmen angestrebt.

Es war damals nicht absehbar, daß zum 1. Januar 1996 nicht nur die ICD- Codierung, sondern zeitgleich auch der ursprünglich bereits für den 1. Juli 1995 vorgesehene EBM und die A-287 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 6, 9. Februar 1996 (15)

ICD-10

Das Problem ist vom Tisch

In der Auseinandersetzung um die ICD-10 ist eine Lösung ge- funden worden. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen haben sich in Abstimmung mit dem Bun- desgesundheitsminister auf ein zweijähriges Moratorium

verständigt. Im folgenden nimmt der Erste Vorsitzende der

Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. med. Winfried

Schorre, zu der Diskussion um die ICD-10-Codierung Stellung

und stellt die Eckpunkte der neuen Rahmenvereinbarung vor.

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erst für den 1. Juli 1996 erwartete GOÄ eingeführt werden würden. Dies wurde vielmehr erst in den Monaten August bis Oktober vergangenen Jah- res erkennbar. Kurze Zeit vorher war vom Deutschen Institut für Medizini- sche Dokumentation und Information (DIMDI) die deutsche

Übersetzung der eng- lischen Originalversi- on der ICD-10 vorge- legt worden. Bei der zunehmenden Befas- sung mit diesem Werk wurde rasch offenkun- dig, daß der ICD-10- Schlüssel für die Ab- bildung der ambulan- ten Versorgung wenig brauchbar ist. Er ent- hält eine Unzahl von Diagnosen und Zu- standsbeschreibun- gen, die für die ärztli- che Versorgung ent- weder keine Rolle spielen oder aber gera-

dezu provozierend wirken müssen.

Andererseits sind viele für die ambu- lante Versorgung wichtige Aspekte (wie Verdachtsdiagnose, „Zustand nach“ oder Rechts-links-Kennzeich- nung) überhaupt nicht enthalten.

Stimmungswandel im November 1995

Der „Stimmungsumschwung“ in der Regierungskoalition und insbe- sondere beim Bundesgesundheitsmi- nister im November 1995 ist vor allem auf das geschlossene Auftreten der deutschen Ärzteschaft in den „Peters- berger Gesprächen“ in der ersten Hälfte des Jahres 1995 zurückzu- führen. Die Kassenärzteschaft und ih- re politische Vertretung konnten erst hierdurch wieder in ihre Rolle als ernstzunehmender Akteur der Ge- sundheitspolitik zurückfinden.

Die durch die Petersberger Ge- spräche gefestigte vertrauensvolle Zu- sammenarbeit zwischen Regierungs- koalition und Ärzteschaft hat letztlich bewirkt, daß die von einer Vielzahl von Kassenärzten ausgesendeten Protest- signale, die noch in den Jahren 1992 und 1993 ungehört verhallt wären, nunmehr auf entsprechendes Ver-

ständnis bei den gesundheitspolitisch Verantwortlichen im Lande gestoßen sind. Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang den zahlreichen enga- gierten Kollegen der ärztlichen Basis, die durch konsequentes Aufzeigen der Schwachstellen der ICD-10-Codie- rung entscheidend zu diesem Meinungswan- del beigetragen haben.

Da die Regie- rungskoalition den- noch nicht bereit war, die gesetzliche Codie- rungspflicht aufzuhe- ben, hat die KBV er- neut die Initiative er- griffen und am 30. No- vember 1995 mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen die be- kannte Übergangsver- einbarung für das erste Halbjahr 1996 getrof- fen. Nach der „Magde- burger Rede“ von Horst Seehofer vor der Vertreterversammlung der KBV am 9. Dezember 1995 war dann klar, daß der Minister die erforderliche politi- sche Absicherung eines noch weiterge- henden Moratoriums zu leisten bereit war. Vor diesem Hintergrund haben sich nun KBV, Spitzenverbände der Krankenkassen und Deutsche Kran- kenhausgesellschaft in Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministeri- um Anfang Februar 1996 auf die Inhal- te einer zweijährigen Übergangsphase verständigt:

¿ Die Frist für das bereits bis 30. Juni 1996 bestehende Wahlrecht für die Diagnoseangabe auf Abrech- nungsbelegen (ICD-10 oder Klar- schrift) wird bis zum 31. Dezember 1997 verlängert.

À KBV, Spitzenverbände der Krankenkassen und Deutsche Kran- kenhausgesellschaft werden unter Koordination des Bundesgesund- heitsministers eine auf die Notwendig- keiten der Leistungsdokumentation in der ambulanten und stationären Ver- sorgung zugeschnittene Fassung der Diagnosenverschlüsselung erarbei- ten, die ab dem 1. Januar 1997 in aus- gewählten Krankenhäusern und Kas- senärztlichen Vereinigungen unter wissenschaftlicher Begleitung auf ihre Praktikabilität getestet werden soll.

Á Nach einer Erprobungsphase mit ausgewählten Praxen und Kran- kenhäusern soll die überarbeitete Diagnosenverschlüsselung dann zum 1. Januar 1998 verbindlich für die am- bulante und die stationäre Versor- gung eingeführt werden.

 Auf Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigungen soll demgegenüber bis zum 31. Dezember 1997 die Diagnose nach Möglichkeit weiter in Klarschrift angegeben werden.

Als Ergebnis der konzertierten Bemühungen der kassenärztlichen Basis, der freien Verbände sowie der KBV und der KVen kann somit heute festgestellt werden, daß den Forde- rungen der Ärzteschaft weitgehend entsprochen worden ist. Es besteht in den kommenden zwei Jahren hinrei- chend Zeit, in den Gremien der ge- meinsamen Selbstverwaltung aus Ärzten und Krankenkassen eine der gesetzlichen Codierungspflicht genü- gende Verschlüsselungsgrundlage zu erarbeiten, die auf die Notwendigkei- ten in der vertragsärztlichen Versor- gung Rücksicht nimmt und ohne größere bürokratische Belastungen praktiziert werden kann. Auch müs- sen die noch verbliebenen daten- schutzrechtlichen Bedenken geklärt werden, ehe ein revidierter Schlüssel zum praktischen Einsatz kommt.

Es könnte sich in den künftigen Auseinandersetzungen in der Ge- sundheitspolitik vielleicht schon sehr bald als hilfreich erweisen, wenn die 110 000 Vertragsärzte ihren großen und seit Jahren stetig wachsenden Anteil an der ärztlichen Versorgung in der Bundesrepublik anhand solider Daten, auch unter Einschluß der Aus- wertung von Diagnosenverschlüsse- lungen, belegen können. Im übrigen stehen harte Auseinandersetzungen unmittelbar bevor. Die SPD-Bundes- tagsfraktion plant mit der faktischen Zerschlagung einer kassenärztlichen Interessenvertretung sowie der tota- len Öffnung der Krankenhäuser für die fachärztliche Behandlung einen Frontalangriff auf die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung. Dieser Angriff, über dessen Erfolg bereits in den nächsten Monaten politisch ent- schieden werden wird, kann nur bei geschlossenem Auftreten der deut- schen Kassenärzteschaft abgewendet werden. Dr. med. Winfried Schorre A-288

P O L I T I K LEITARTIKEL

(16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 6, 9. Februar 1996 Dr. Schorre: „Den Forderungen weitge- hend entsprochen.“Foto: Archiv/Bernhard Eifrig

Referenzen

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