ngesichts zunehmender Resi- stenz bei den häufigsten Erre- gern bakterieller Infektionen ist die Entwicklung neuer antimikro- bieller Substanzen zu einer Dringlich- keit ersten Ranges geworden. Mersa- cidin, das einer völlig neuen, von grampositiven Bakterien gebildeten Substanzgruppe, den Lantibiotika, angehört, verspricht nach neuesten Forschungsergebnissen der Arbeits- gruppe von Prof. Dr. Hans-Georg Sahl am Institut für Medizinische Mi- krobiologie und Immunologie der Universität Bonn hohe Wirksamkeit gegen Staphylokokkeninfektionen.
Neuartiger
Resistenzmechanismus
Bis vor wenigen Jahren konnte man dank der enormen Leistungen der forschenden Pharmaindustrie in den Jahrzehnten zuvor immer damit rechnen, daß für die Behandlung bak- terieller Infektionen eine wirksame Substanz zur Verfügung steht. Die Si- tuation hat sich in den letzten Jahren geändert. Für Infektionen mit glyko- peptidresistenten Enterokokken, die sich in den USA zu einer der dominie- renden nosokomialen Infektion ent- wickelt haben, steht in den meisten Fällen keine wirksame Therapie zur Verfügung. Dasselbe gilt für multiresi- stente Tuberkulosen, die schon vor Jahren in New York Patienten, Ärzten und Pflegern zum Verhängnis wurden und die sich weltweit ausbreiten.
Bedenkliche Entwicklungen zeichnen sich auch bei Staphylokok- ken ab, die zu den häufigsten Erre- gern bakterieller Infektionen im am- bulanten wie im Krankenhausbereich gehören. Die schon zehn Jahre nach der Einführung von Penicillin folgen- den, durch Penicillinasebildung be-
dingten Resistenzprobleme konnten dank der Entwicklung enzymresisten- ter Penicilline und Cephalosporine gelöst werden. Mit der Oxacillin-(Me- thicillin-)Resistenz stellte sich ein völ- lig neuartiger Resistenzmechanismus ein, der praktisch die gesamte Gruppe der -Laktamantibiotika unwirksam macht.
Die Daten der „Arbeitsgemein- schaft Resistenz“ der Paul-Ehrlich- Gesellschaft für Chemotherapie e.V.
zeigen nach einer Konstanz der Resi-
stenzquoten in den Jahren 1975 bis 1986 in den Jahren 1990 bis 1995 einen mehr als zweifachen Anstieg der oxa- cillinresistenten Staphylokokken auf 12,9 Prozent bei gleichzeitig erhebli- cher Zunahme der Aminoglykosidre- sistenz an. Die Glykopeptidantibioti- ka Vancomycin und Teicoplanin ste- hen derzeit als einzige Substanzgrup- pe für die Behandlung von Infektio- nen mit oxacillinresistenten Staphylo- kokken zur Verfügung.
Prof. Sahl und Mitarbeiter stellen mit Mersacidin eine völlig neuartige
antimikrobielle Substanz mit nahezu ausschließlicher Wirksamkeit gegen Staphylokokken vor. Mersacidin ist eine von grampositiven Bakterien ge- bildete Substanz, die den Lantibioti- ka, einer Gruppe antibakterieller Ei- weißstoffe, angehört. Der Gruppen- name leitet sich aus der Aminosäure Lanthionin ab. Nach Struktur und Wirkungsmechanismus werden Typ- A-Lantibiotika mit langen, gering ver- brückten Ketten von Typ-B-Lantibio- tika mit kugelförmigen Molekülen unterschieden. Dieser Gruppe gehört Mersacidin an.
Punktmutation
Die Bonner Forschergruppe stellte fest, daß Mersacidin enzymati- sche Reaktionen, die für den Aufbau der Bakterienzellwand erforderlich sind, unterbricht. Der hierfür verant- wortliche Wirkungsmechanismus ist
neuartig, so daß es keine Kreuzresistenzen zu bisher verwendeten Antibiotika gibt. Elek- tronenmikroskopische Untersuchungen ließen erkennen, daß es be- reits nach kurzer Ein- wirkungszeit von Mer- sacidin auf Staphylo- kokken zu einer Lyse der Bakterienzellen kommt. In Infektions- modellen bei Ratten und Mäusen erwies sich Mersacidin als thera- peutisch wirksamer als die Standardsubstanz Vancomycin.
Weitere interessan- te Entwicklungen sind durch Gewinnung zahlreicher Vari- anten von Lantibiotika nach Punkt- mutation im genetischen Code der produzierenden Bakterienstämme mit dem gezielten Austausch einzel- nen Aminosäuren zu erwarten. Die Bonner Forschergruppe sieht in der Weiterentwicklung der Lantibiotika einen breiten Anwendungsbereich in der Behandlung von Infektionen, aber auch als physiologisch abbauba- rer Konservierungsstoff und Stoff ge- gen Zahnplaque und Akne.
Dr. med. E. Gabler Sandberger A-2074 (26) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 36, 4. September 1998
P O L I T I K MEDIZINREPORT
Lantibiotika
Neue Substanzgruppe gegen Staphylokokken
Reaktionen in der Zellwand führen zur Lyse der Bakterien.
A
Staphylococcus aureus auf Blutagar ist durch eine ausgeprägte -Hämo- lyse um die einzelnen Kolonien herum und durch seine Pigmentbil- dung gut zu erkennen. Foto: Dr. Karl Thomae GmbH