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Archiv "(Familien-)Geschichte: Mit sanfter Ironie" (22.09.2006)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006 A2487

K U LT U R

D

ieses Buch ist eine Fundgrube für alle, die sich für deutsch- jüdische und Berliner (Medizin-) Geschichte interessieren. Der Autor, Professor emeritus of Economics an der Michigan State University, hat das Buch seiner Familie vorgelegt, aus der zahlreiche berühmte Ge- lehrte, Mediziner, (Lebens-)Künst- ler und Politiker hervorgingen. Le- bendig und liebevoll werden die Wurzeln einer jüdischen Familie beschrieben, die ihren Lebens- schwerpunkt aus dem westpreußi- schen Rawicz in das Berlin des Vormärz verlegt. Nach dem Edikt von 1812, das Juden zu Einländern erklärte, nahm die preußische Juden- gesetzgebung eine zähe, langwierige Entwicklung. Zahlreiche Berufe und Ämter blieben für deutsche Juden verschlossen. So wundert es nicht, dass viele junge deutsche Juden sich dem Studium der Medizin, der Juri- sterei und der philosophischen Fächer zuwandten, nicht, um eine Hochschullehrerlaufbahn einzu- schlagen, sondern um als Ärzte, Rechtsanwälte oder Schriftsteller ar- beiten zu können. Es wundert auch nicht, dass unter diesen Umständen zahlreiche Juden politisch engagiert waren – und schon gar nicht, dass zahlreiche politisch Denkende und Handelnde Ärzte waren, man denke nur an Rudolf Virchow. So auch Mit- glieder der Familie Strassmann: Sa- muel (1826–1879) und Wolfgang Strassmann (1821–1885) waren be- reits 1848 in der revolutionären Stu- dentenschaft aktiv. Dr. med. Wolf- gang Strassmann, mit Gefängnis und Exil bestraft, wurde später elf Jahre lang immer wieder zum Stadtverord- netenvorsteher Berlins gewählt. Er arbeitete in dieser Funktion jahre- lang mit Rudolf Virchow zusam- men, wobei unter anderem Probleme der Hygiene, der regelmäßigen Müllabfuhr, der Trinkwasserkon- trolle, der Schulgesundheit, der Berli- ner Rieselfelder im Mittelpunkt stan- den. Dr. med. Heinrich Strassmann

(1834–1905) praktizierte als Kassen- und Frauenarzt. Sein jüngster Bruder, Dr. med. Ferdinand Strassmann (1838–1931), wurde für sein soziales Engagement 53. Ehrenbürger Berlins.

Gemeinsam gaben die Brüder unter anderem die damals bekannte Fach- zeitschrift „Graevelsche Notizen für praktische Ärzte“ bei Hirschwald heraus. Bis 1913 brachte die Familie Strassmann acht Ärzte hervor, dar- unter so bekannte wie Paul und Fritz Strassmann.

Prof. Paul Ferdinand Strassmann (1866–1938) war einer der bedeu- tendsten Frauenärzte der Weimarer

Republik. Sein Name ist noch heute aufgrund seiner Metroplastik (Strass- mann-Operation) in den operativen Lehrbüchern zu finden und bleibt auch mit der 1844 gegründeten Berli- ner Gesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie, deren Schriftführer und Vorsitzender er jahrzehntelang war, verbunden. Zahlreiche ausländi- sche Ärzte besuchten damals die als vorbildlich geltende Strassmann-Kli- nik in der Schumannstraße, so auch die Mayo-Brüder aus Rochester, die später Erwin Strassmann, dem Sohn Pauls, bei der Emigration in die USA halfen. Prof. Erwin Strassmann (1895–1972), Frauenarzt wie sein Va- ter, seit 1942 amerikanischer Staats-

bürger und 1965 von Bundespräsi- dent Heinrich Lübke mit dem Bun- desverdienstkreuz Erster Klasse aus- gezeichnet, lieferte wesentliche Bei- träge zur Etablierung der modernen Frauenheilkunde in den USA.

Prof. Fritz Strassmann (1858–

1940), ein Schüler Virchows und Limans, war über Jahrzehnte einer der führenden Gerichtsmediziner Deutschlands. Sein Wirken führte unter anderem dazu, dass sich die Rechtsmedizin zu einem eigenstän- digen Fach im universitären Fächer- kanon entwickelte. Die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin ehrt heute ihre verdienten Mitglieder mit der Fritz-Strassmann-Medaille, und die Freie Universität Berlin hat ihr Gebäude für Rechtsmedizin in Fritz-Strassmann-Haus umbenannt.

Zahlreiche, bisher unbekannte Originalfotografien illustrieren ein- drucksvoll die Höhepunkte der fruchtbaren deutsch-jüdischen Sym- biose, wie sie von vielen gesehen wurde – bis 1933 die Nationalsozia- listen einen mörderischen Schluss- strich unter den hohen Traum der vollendeten Emanzipation zogen.

Entrechtung und Erniedrigung, Aus- bürgerung und Emigration, staatlich sanktionierter Raub, Folter und sy- stematische Ermordung folgten.

Auch die Strassmann-Familie wurde nicht verschont. Ein Strassmann, Ernst, leitete sogar eine Wider- standsgruppe. Andere Familienmit- glieder konnten emigrieren, doch der Name Theresienstadt wurde für immer in den Stammbaum der Fami- lie eingebrannt.

W. P. Strassmann erzählt kennt- nisreich mit sanfter, gelegentlich bitterer Ironie und lässt deutsche Geschichte subjektiv Revue passie- ren. Strassmann hat dieses Buch zu seinem 80. Geburtstag herausbrin- gen können, den er in beneidens- werter Gesundheit und Frische mit seiner amerikanischen Familie und den deutschen Freunden im Juli in Berlin feierte. Der Kreis, ausgehend von seiner Berliner Kindheit, der er- zwungenen Emigration und dem Neubeginn sowie der Blüte der Strassmann-Familie in den USA und anderswo in der Welt, hat sich teilweise geschlossen. I Andreas D. Ebert

(FAMILIEN-)GESCHICHTE

Mit sanfter Ironie

W. Paul Strassmann:

Die Strassmanns.

Schicksale einer deutsch-jüdischen Familie über zwei Jahrhunderte. Campus, Frankfurt, New York, 2006, 376 Seiten, gebunden, 24,90 F

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