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Archiv "Die Eröffnungsveranstaltung: Sachlich und politisch" (08.06.1978)

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Die Information:

Bericht und Meinung

und Ärzte im Mazartsaal des Mannheimer "Rosengarten" bei der Eröffnungsveranstaltung des 81. Deutschen Ärztetages

Die Eröffnungsveranstaltung:

Sachlich und politisch

Betont nüchtern und betont poli- tisch lief am Nachmittag des 23.

Mai 1978 die Eröffnungsveranstal- tung des 81. Deutschen Ärztetages

im Mannheimer Rosengarten ab:

Zwar hatten sich die Delegierten und Gäste im Mazartsaal des su- permodernen Kongreßzentrums versammelt, aber die obligate Kammermusik zuvor und danach gab es nicht; der Festvortrag war einem überaus politischen Sach- thema gewidmet, und die Begrü- ßungsreden enthielten zum Teil harte und konkrete politische Aus- sagen.

Maiwald: Die Ausstrahlung des Ärztetages

Als Präsident der gastgebenden Landesärztekammer Baden-Würt- temberg eröffnete Dr. Dietrich Maiwald die Veranstaltung. Er gab einige Hinweise auf die Geschich- te und Medizingeschichte dieses

Landes- gerade zum Ärztetag ist

eine Chronik der Ärzteschaft Mannheim erschienen, in der un- ter anderem von der ersten Kran- kenpflegeschule, vom ersten Schularzt, aber .auch von kollegia- len Querelen die Rede ist. Ärztli- che Tradition wiege schwer; in mehr als einhundert Jahren hätten Ärztetage im deutschen Gesund- heitswesen eindrucksvolle Merk- male hinterlassen:

..,.. "Es gibt keinen Gedanken in der internationalen Diskussion über die Gestaltung der Systeme gesundheitlicher Sicherung und Betreuung, keine Alternativen, die nicht in diesem Gremium über- dacht, diskutiert oder formuliert worden wären. Es gibt auch keine Struktur im gesamten Gesund- heitswesen, die nicht von Ärzten aus eigener Erfahrung und subti- ler Kenntnis der Materie gebildet worden wäre, kein Reformpro- gramm irgendwelcher politischer Gruppen, welches nicht schon einmal die Diskussion anläßlich ei-

nes Ärztetages belebt hätte! Ich glaube sagen zu müssen, daß der Deutsche Ärztetag als die am mei- sten demokratische Struktur im Konzert der meinungsbildenden Gruppen innerhalb der Ärzteschaft sein unvermindertes Gewicht, sei- ne Bedeutung und sei-ne Ausstrah- lung beibehalten hat. Hier ist in der Tat das realisiert, was wir alle wünschen: die umfassendste und zudem alle ärztlichen Gruppen ei nsch I ießende demokratische Dachorganisation der Ärzte Deutsch Iands. · ·

Das Schicksal der Ärzte aber und das diesem folgende Schicksal der Patienten werde niemals abhängig sein von Personen und ·von dem Beifall, den diesen die öffentliche Meinung jeweils zolle: "Maßge- bend ist allein Inhalt und Auftrag der Beschlüsse, welche das Parla- ment aller Ärzte, wo man es auch immer zu realisieren vermag, den agierenden Personen erteilt und deren Realisierung unablässig for-

dert." ·

Dr. Maiwald begüBte die Gäste, die zur Teilnahme am Ärztetag zum Teil von weither nach Mannheim gekommen waren, darunter dieje- nigen aus dem Ausland. Fünfzehn

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 23 vom 8. Juni 1978 1363

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Die Information:

Bericht und Meinung E röffnu ngsveranstaltu ng

Länder waren schon des öfteren auf dem Ärztetag vertreten, und ihre Repräsentanten waren auch diesesmal wieder dabei. Erstmalig waren Ärzte aus vier weiteren Län- dern gekommen: aus Indien, Ja- maica, Portugal und der Sowjet- union. "Angesichts der Anwesen- heit von Kollegen - die Franzosen haben hierfür das schöne Wort

,Confn§res', und das bedeutet Mit-

brüder - aus Ostblockstaaten be- daure ich die Abwesenheit unserer Brüder im wahrsten Sinne des Wortes, der Kollegen aus der DDR", sagte Dr. Maiwald.

Filbinger: Das freiheitliche System verteidigen

Mit lang anhaltendem Beifall wur- de Hans Filbinger, Ministerpräsi- dent von Baden-Württemberg, von den Delegierten und Gästen be- grüßt. Er gab den Gruß zurück:

"Als Sohn dieser Stadt bin ich

glücklich darüber, daß ein so be- deutungsvolles Gremium hier zu-

Am Tag des "Großen Regens": Der Prä- sident der Landesärztekammer mit dem Ministerpräsidenten Baden-Württem- bergs

ln der ersten Reihe v. I. n. r.: Dr. Karsten Vilmar, Gesundheitsministerin Annemarie Griesinger, Prof. Hans Joachim Sewering, Ministerpräsident Hans Filbinger, Dr.

Dietrich Maiwald

sammentritt, eine so wichtige und bedeutungsvolle Tagung in die- ser Stadt und in unserem Land Baden-Württemberg stattfinden

kann." Er hoffe, daß der Ärztetag

Aussagen zur gegenwärtigen Si- tuation des Gesundheitswesens machen werde, die weit in die Öf- fentlichkeit hineingelangen und so dazu beitragen. daß "gegenüber so vielen Verzerrungen des Arzte- standes" Wahrheit und Tatsachen sich durchsetzen.

Mit der Kampagne gegen die Arz- teschaft ("gestern waren es die Unternehmer, morgen werden es vielleicht wieder die Beamten sein ... ") werde sicher kein Bei- trag zu einer guten gesundheitli- chen Versorgung der Bevölkerung geleistet. Die Bevölkerung brau- che keine bürokratischen Gesund- heitsprogramme, sondern ein frei- heitliches System ärztlicher Ver- sorgung. Den Versuchungen, die durch die immensen technischen Möglichkeiten der heutigen Medi- zin heraufbeschworen werden, müsse man widerstehen - die

Technik müsse Hilfsmittel in der Hand des Arztes bleiben. Filbinger sagte für die Landesregierung, sie messe gerade deshalb der Verstär- kung der Allgemeinmedizin als der

"wesentlichen Säule unseres Ge- sundheitswesens" große Bedeu- tung bei:

..,.. "Wir lehnen eine ideologisch motivierte Systemveränderung entschieden ab" -auch wenn dies mit dem Motiv der Kosteneingren- zunQ bemäntelt werde. ln ihrer ab- lehnenden Haltung zum Kasten- dämpfungsgesetz sehe sich die Landesregierung durch die jüng- ste Entwicklung bestätigt; die

"Kostenexplosion" könne auch

ohne dirigistische Eingriffe des Staates gebremst werden.

Im Hinblick auf den Festvortrag über die "Soziale Sicherung des Kindes und der Familie" berichte- te Filbinger über die von der Lan- desregierung in diesem Jahr ein- geleitete und von der auch anwe- senden Sozial- und Gesundheits- ministerin Annemarie Griesinger

1364 Heft 23 vom 8. Juni 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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betriebene "Aktion Familie". Da- bei erwähnte er als Beispiele da- für, wie Familienpolitik nicht sein sollte, die von der Bundesregie-

rung geplanten Neuregelungen des Rechts der elterlichen Sorge und der Jugendhilfe. Eine bemer- kenswerte Bewertung des Stellen- wertes der Erziehung folgte: "Er- ziehung ist keine ,gesamtgesell- schaftliche Aufgabe', die der Fa- milie vom Staat nur vorüberge- hend auf Zeit übertragen ist. Sie ist eine aus natürlichem Recht fol- gende Aufgabe der Eltern, und dann erst kommt subsidiär der Staat ... ".

Die Familien aber sollten sich auch im Bereich des Erziehungs- wesens der ärztlichen Unterstüt- zung versichern dürfen.

Ratzet: Rat für überforderte Kommunalpolitiker

Oberbürgermeister Dr. ..Ludwig Ratzel erinnerte an den Arztetag von 1963 in Mannheim, seit dem die Stadt eine beachtliche und wohl auch positive Entwicklung genommen habe. Das Stadtober- haupt schilderte die gesundheits- politischen Probleme der großen Städte- im Bereich der kommuna-

Hans Joachim Sewerlng

len Daseinsfürsorge seien den Städten Aufgaben entstanden, de- ren Bewältigung in starkem Maße von den Ergebnissen der medizini- schen Forschung und des ärztli- chen Wirkans abhängig sei. Insbe- sondere erwähnte Dr. Ratze! die starke, aus Anonymität, Vereinsa- mung und Hektik im städtischen Leben herrührende Zunahme see- lischer Erkrankungen innerhalb der städtischen Bevölkerung -

"ein Umstand, dem die Stadt

Mannheim durch nachhaltige För- derung des Baues eines Zentralin- stituts für seelische Gesundheit Rechnung getragen hat, der bis- her einzigen Einrichtung dieser Art in der Bundesrepublik."

..,.. Auf die Kommunalpolitiker kä- men - insbesondere im Zusam- menhang mit dem motorisierten Verkehr - Aufgaben zu, die sie nicht nur finanziell, sondern auch in ihrem Wissen und Können über- fordern: "Wir reagieren dann im allgemeinen mit technischen Mit- teln, ohne deren Folgewirkungen wiederum genügend zu kennen."

Paracelsus-Medaille:

Anerkennung für Ideen

Präsident Prof. Dr. Hans Joachim Sewering überreichte anschlie- ßend drei Ärzten die Paracelsus- Medaille 1978 der deutschen Ärz- teschaft und verlas die Laudatio- nes (sie sind bereits in Heft 22 des DEUTSCHEN ÄRZTEBLATTES auf den Seiten 1336 und 1337 veröf- fentlicht): an Dr. Werner Haupt, Prof. Dr. Dr. Hermann Mai und Prof. Dr. Fritz Rehbein. Prof. Mai bedankte sich im Namen aller:

..,.. Die Ehrung gelte nicht nur, sagte er, den Personen, sondern auch den Ideen, die sie vertreten.

Fritz Rehbein habe die Kinderchir- urgie entwickelt, und die Aus- zeichnung für ihn sei deshalb auch die Anerkennung der Tatsa-

che, daß die Kinderchirurgie nun-

mehr eine selbständige Persön- lichkeit geworden sei. Werner Haupt verkörpert den Gedanken eines gesunden Gleichgewichtes

Die fuformation:

Bericht und Meinung Eröffnungsveranstaltung

von medizinischer Technik, Wis- senschaft und den Erfordernissen der Praxis in der ärztlichen Tätig- keit. Er selbst, so fügte Hermann Mai an, betrach.te die Auszeich- nung als Hinweis darauf, daß man auch im Ruhestand noch etwas Sinnvolles tun könne (er hat sich intensiv für den Erhalt und den Ausbau des Albert-Schweitzer- Spitals in Lambarene eingesetzt).

Mai schloß mit dem Zitat aus ei- nem Brief Albert Schweitzers:

..,.. "Es ist meine tiefe Überzeu- gung, daß wir Ärzte, die wir uns um die Erhaltung von Leben be- mühen, in besonderer Weise beru- fen sind, die Menschen zur Ehr- furcht vor dem Leben zu erziehen und dadurch die Menschheit zur höheren ethischen Gesinnung ge- langen zu lassen, durch die siebe- fähigt werden wird, die schweren Probleme unserer Zeit zu verste- hen und zu lösen."

Jürgens: Das zweite Kind

"attraktiv machen"

Prof. Hans-Werner Jürgens, So- zialwissenschaftler in Kiel,. leitete dann seinen Festvortrag mit der Ankündigung ein, er werde die im

Hans-Werner Jürgens

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft

23

vom

8.

Juni

1978

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Die Information:

Bericht und Meinung Eröffnungsveranstaltung

Bereich der Familien- und Bevöl- kerungspolitik gängigen Begriffe und Vorstellungen "hinterfragen".

Die Familie in der Bundesrepublik habe heute im statistischen Durchschnitt knapp 1,5 Kinder; für eine Bestanderhaltung der Bevöl- kerungszahl seien jedoch 2,2 bis 2,3 Kinder erforderlich. Der "Fehl- bestand" beträgt also 50 Prozent.

Bei der Diskussion familienför- dernder Maßnahmen rede man von einer anzustrebenden Erhö- hung der Kinderzahl um 10 oder 20 Prozent - eine Steigerung um 50 Prozent werde von den Exper- ten für irreal gehalten. Vor einigen Jahrzehnten noch habe die Vier- kinderfamilieals normal gegolten.

Angesichts der Tatsache, daß eine Frau während ihrer Fruchtbar- keitsperiode theoretisch etwa 15 Kinder haben kann, stelle aber auch die Vierkinderfamilie bereits eine nicht biologisch, sondern so- zial bedingte Begrenzung dar.

~ Nach Auffassung von Prof. Jür- gens liegt die "natürliche Wider- standslinie", die die Kinderzahl

begrenzt, bereits bei einem Kind.

Die heutige Familienstruktur sei keine Erscheinung modernster Zeit, sondern beruhe auf einem Trend, der bereits zur Jahrhun- dertwende begann und mit weni- gen Abweichungen gleichmäßig weiterführte: Das Kind trat in Kon- kurrenz mit anderen Werten, Auf- fassungen und Ideen, die an sich voll anzuerkennen seien und bei denen materielle Dinge keines- wegs eine große Rolle spielen. Als Beispiel nannte Prof. Jürgens die Idee der partnerschaftliehen Ehe, die zur Mehrkinderfamilie im Wi- derspruch steht.

~ Die üblichen familien- und be- völ kerungspol itischen Maßnah- men könnten gar nicht wirksam sein, weil sie von falschen oder nur sehr kurzfristig verstandenen Annahmen ausgehen - Erfolgsbe- obachtungen entstehen nach Prof.

Jürgens meist nur, weil man den Erfolg wünscht. ln Frankreich ge- be es eine vorbildliche Familien- politik; ob die heutige, im westeu- ropäischen Vergleich beachtliche Familiengröße in Frankreich damit

Mit der Paracelsus-Medaille ausgezeichnet (v. I. n. r.): Prof. Dr. Dr. Hermann Mai, Dr.

Werner Haupt, Prof. Dr. Fritz Rehbein

1366 Heft 23 vom 8. Juni 1978 DEUTSCHES ARZTEBLATT

kausal zusammenhängt, sei aber nicht nachweisbar. Und in der ka- nadischen Provinz Quebec sei trotz der am französischen Bei- spiel ausgerichteten Familienpoli- tik die Familiengröße heute gerin- ger als in allen anderen kanadi- schen Provinzen. Außerdem seien Prognosen so unsicher, daß es problematisch sei, daraus Maß- nahmen abzuleiten:

~ 1966 sagte das Statistische Bundesamt noch bis zum Jahr 2000 für die Bundesrepublik ein Bevölkerungswachstum um 14 Millionen voraus!

Prof. Jürgens schlägt vor, die Fra- gestellung umzudrehen: Warum wollen Ehepaare Kinder haben?

Es finden sich dann zahlreiche Motive, die vor allem im psycholo- gischen und im ideellen Bereich liegen. Alle diese Motive aber ha- ben den Nachteil, daß sie sich nur auf das erste Kind beziehen. Zwei- te Kinder entstünden allenfalls aus dem Motiv, das erste vor den Nachteilen des Lebens und Auf- wachsans als Einzelkind zu be- wahren. Die Familienpolitik müßte also von der Frage ausgehen: Wie macht man das zweite Kind für die Eitern attraktiv und wünschbar?

Wie kann man den "Babyschock", der viele Frauen daran hindert, ein weiteres Kind zu bekommen, über- winden?

Im übrigen ist Prof. Jürgens der Meinung, daß es eine ganze An- zahl von Familien gibt -etwa 10

Prozent der Ehepaare -, die gern vier oder fünf Kinder haben wür- den. Sie fühlen sich daran gehin- dert, weil die Zweikinderfamilie als normal und angepaßt gilt.

~ Prof. Jürgens folgert daraus:

Die Familienpolitik muß, aus die- sen Erkenntnissen schlußfol- gernd, das bisher praktizierte Gießkannen pri nzi p abschaffen, gezielt Reserven an unterbewußt vorhandenen oder unterdrückten Kinderwünschen mobilisieren und

das "Durchschnittsdenken", die

Zweikinderfamilie sei "normal",

beseitigen. bt

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