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Archiv "US-Gesundheitspolitik: Wenig Reformeifer" (09.02.2001)

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T H E M E N D E R Z E I T

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A310 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 6½½½½9. Februar 2001

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merika hat einen neuen Präsiden- ten. Gesundheitspolitisch wird sich freilich nach Ansicht von Ex- perten in Washington zunächst wenig ändern. Dennoch wird der Texaner George W. Bush nicht daran vorbei- kommen, die dringendsten Reformen durch den Senat zu boxen. Der Streit mit den bei den Wahlen im November nur sehr knapp unterlegenen Demokra- ten ist damit programmiert.

Die Gesundheitspolitik spielt im amerikanischen Wahlkampf erfah- rungsgemäß eine eher bescheidene Rolle. Weder Bush noch sein Kontra- hent Al Gore hielten es für sinnvoll, da- mit auf Stimmenfang zu gehen. Statt- dessen dominierten Wirtschafts- und Verteidigungspolitik. Bush stellt sich dabei gerne als der starke Mann aus Te- xas dar, Wächter über den Weltfrieden und Hüter der vom Bürgertum gepräg- ten amerikanischen Moral.

In der Gesundheitspolitik ist Bush dagegen eher ein unbeschriebenes Blatt. „Tatsache ist, dass wir bisher nur wenig über seine gesundheitspoliti- schen Ideen wissen“, sagt der für den amerikanischen Nachrichtensender CNN tätige Journalist Mike Ferullo. Das dürfte sich bald ändern. Lobbygruppen wie die bestens organisierten Rentner, die einflussreichen privaten Kranken- versicherungen und Health Mainte- nance Organizations (HMOs) drängen den Präsidenten und seinen Gesund- heitsminister Tommy Thompson, Farbe zu bekennen.

Der 59-jährige Thompson gilt als en- ger und langjähriger Vertrauter des Bush-Clans. Er deutete bereits an, als Erstes das Problem der stark steigen- den Kosten für verschreibungspflich- tige Arzneimittel angehen zu wollen.

Die Ausgaben für Verordnungen dürf- ten in diesem Jahr nach Schätzungen von CNN „mindestens 110 Milliarden

Dollar“ verschlingen. Zum Vergleich:

1990 waren es lediglich rund 38 Milliar- den Dollar.

Jeder dritte in diesem Jahr in Ame- rika für verschreibungspflichtige Arz- neimittel ausgegebene Dollar kommt aus den Taschen der Rentner. Viele von ihnen müssen aufgrund niedriger Renten gut haushalten. „Oftmals lau- tet die Entscheidung, entweder ein teures Medikament zu kaufen oder die Heizkostenrechnung zu bezahlen“, sagt Mike Ferullo. Die staatlichen me- dizinischen Versorgungsangebote wie

Medicare können in den meisten Fäl- len die Lücken im individuellen pri- vaten Versicherungsschutz nicht aus- füllen.

Alle Versuche der Clinton-Regie- rung, das US-amerikanische Gesund- heitswesen auf ein sozial verträgliches Fundament zu stellen, das allen Bür- gern guten und preiswerten Zugang zu Gesundheitsleistungen gewährt, ver- liefen im Sande. Clintons ehrgeizige Gesundheitsreform scheiterte 1994 am Kongress, bereits zwei Jahre nach Gleichzeitig brachten die Jahre des

Umbruchs eine große Errungenschaft, Selbsthilfegruppen der Angehörigen und Betroffenen erweiterten sich. Bis- her hatte es sie fast nur in der Sucht- krankenbetreuung gegeben. Für viele psychiatrische Patienten war die „Wen- de“ jedoch ein tief greifender, nicht son- derlich positiver Einschnitt in ihr Le- ben. Sie verloren ihre Arbeitsplätze und zum Teil auch ihre Wohnungen.

Geschützte Werkstätten und Wohnhei- me waren noch nicht ausreichend vor- handen. In der freien Marktwirtschaft hatten die chronisch psychisch Kran- ken, die vorher in der großen „Ge- schützten Werkstatt DDR“ tätig waren, kaum mehr eine Chance. „Mit dem Betreuungssystem nach dem Muster der alten Bundesländer übernahmen die östlichen Länder gleichzeitig die Defizite in der Psychiatrie in West- deutschland, die seit Jahren bemängelt wurden und werden“, beklagt Weise heute. „Positive Ansätze, wie die kom- plexe und integrierte Behandlung in den Polikliniken, gingen verloren.“

Polikliniken waren

„erhaltenswert“ gewesen

19991/92 analysierte eine „Psychiatrie- enquete Ost“ die Situation der ostdeut- schen Psychiatrie. Die poliklinischen Behandlungsformen wurden als „erhal- tenswert“ bezeichnet, die unmenschli- chen Bedingungen, unter denen Patien- ten in den Großkrankenhäusern lebten, angeprangert. Sie glichen den Zustän- den in Westdeutschland vor der Psych- iatriereform, waren jedoch von einem größeren materiellen Mangel geprägt.

Es folgte eine „Enthospitalisierungs- welle“, die vor allem die Langzeit- bereiche der Häuser betraf. Da eine Nachsorge noch nicht vorhanden war, landeten viele der Patienten in Heimen und Obdachlosenunterkünften. Die Bettenzahl wurde drastisch reduziert.

Doch die Ziele der Psychiatrie-Enquete wurden auch vor zehn Jahren in Ost- deutschland nicht konsequent verfolgt.

Ärzte, Patienten und Angehörige in Gesamtdeutschland kämpfen weiter- hin um eine gemeindenahe Psychiatrie und eine Gleichstellung der psychisch Kranken. Dr. med. Eva A. Richter

US-Gesundheitspolitik

Wenig Reformeifer

George W. Bush, den neuen Präsidenten der USA, erwarten drängende Probleme im Gesundheitswesen.

Präsident George W. Bush und Gesundheitsmini- ster Tommy Thompson

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seinem Amtsantritt. Immer wieder sorgen in den USA Berichte über „tra- veling Grannies“ (übersetzt: reise- freudige Omas) für Schlagzeilen. Die cleveren Senioren fanden heraus, dass viele verschreibungspflichtige Medi- kamente im Nachbarland Kanada deutlich billiger zu haben sind. In Bus- sen fahren die Pensionäre über die Grenze, um dort in grenznahen Apo- theken ihren Medikamentenbedarf zu decken.

Der unterlegene Präsidentschafts- kandidat Al Gore warb im Wahlkampf unter anderem mit dem Vorschlag, Medicare für die Arzneimittelversor- gung der Senioren aufkommen zu las- sen. Die Kosten von rund 253 Milliar- den Dollar über zehn Jahre, so Gore, sollten aus Steuermitteln finanziert werden. Präsident Bush lehnt derartige Großzügigkeit ab: „Das ist nichts ande- res als Sozialismus durch die Hinter- tür.“ Er will das drängende Problem der steigenden Arzneimittelausgaben, das Millionen amerikanische Privat- haushalte finanziell belastet, wie folgt lösen: Innerhalb der nächsten zehn Jahre soll Medicare modernisiert und bürokratisch entrümpelt werden. Da- für stellt die Bush-Regierung rund 110 Milliarden Dollar bereit. Bush ver- spricht, dass Medicare von 2002 an 25 Prozent der Arzneimittelkosten für die rund 20 Millionen am schlechtesten ge- stellten Rentner übernehmen wird.

Gibt ein Medicare-Patient jährlich mehr als 6 000 Dollar für Medikamente aus, trägt der Staat die Kosten, die die- sen Grenzwert überschreiten. Landes- weit vertrauen rund 39 Millionen Pati- enten auf Medicare.

Steuervorteile für private Zusatzversicherungen

Senioren, die sich freiwillig privat zu- satzversichern, verspricht der neue Präsident Steuervorteile. Bushs ge- sundheitspolitischer Berater Dr. Gail Wilensky: „Präsident Bush glaubt dar- an, Patienten die Wahl zu geben zwi- schen staatlicher Medicare-Medizin und qualitativ besseren privaten Ver- sorgungsangeboten.“ Derartige Rheto- rik kommt bei den Amerikanern gut an. Kritiker befürchten, der Bush-Plan

von reformierter Medicare kombiniert mit größerer Wahlfreiheit unter den HMOs könnte leicht den erwünschten Effekt verfehlen. „Ich rechne damit, dass die HMOs Millionen finanziell nicht sonderlich attraktive Patienten einfach fallen lassen“, meint Amanda McCloskey von der Organisation

„Families USA“. 6,2 Millionen Medi- care-Patienten sind zugleich HMO-Pa- tienten. McCloskey bezweifelt, dass die von Bush in Aussicht gestellten 110

Milliarden Dollar über zehn Jahre aus- reichen, um Medicare zu reformieren und gleichzeitig die Arzneimittelko- sten für Millionen von Rentnern zu subventionieren.

George W. Bush hat darüber hinaus angekündigt, Patienten mehr Rechte gegenüber den HMOs einzuräumen.

Rund 56 Millionen freiwillig privat Krankenversicherte sollen in die Lage versetzt werden, ihre HMO verklagen zu können. Der von den Republikanern kontrollierte US-Senat steht hinter den Plänen. Allerdings sollen Gerichte ma- ximal eine Entschädigung von 350 000 Dollar gewähren können. Die freie Arztwahl – bis heute keine Selbstver- ständlichkeit – soll ausgebaut werden.

Interessant: US-Krankenversicherer unterstützten CNN zufolge den Wahl- kampf von Bush mit mindestens 1,5

Millionen Dollar. Das ist fünfmal mehr, als Gore erhielt.

Bush plant außerdem die Reform des Children Healthcare Insurance Pro- gram (CHIP). Dabei handelt es sich um ein staatlich mitfinanziertes Hilfspro- gramm für Eltern, deren Einkommen für eine kostenfreie Medicare-Behand- lung ihrer Kinder zu hoch ist, die aber nicht in der Lage sind, diese privat zu versichern. Bush will die Bundesstaaten stärker in die finanzielle Verantwor-

tung nehmen, um mehr Familien den CHIP-Zugang zu ermöglichen. In Texas wurde auf diese Weise bereits rund 400 000 Kindern geholfen. Weiterhin gilt jedoch eine Einkommensgrenze von 41 000 Dollar jährlich pro Familie, um in den Genuss von CHIP-Leistun- gen zu kommen.

Bush gewann die Wahl nicht zuletzt wegen seines Versprechens, die Steuern senken zu wollen. Steuervorteile und Abschreibungsmöglichkeiten für pri- vate Krankenversicherungen dürften nach Ansicht von Gesundheitsminister Thompson rund 18 Millionen Patienten den Zugang zur Privatversicherung er- möglichen. Um ihre Angestellten pri- vat krankenversichern zu lassen, erhal- ten auch kleine und mittelständische Unternehmen zusätzliche steuerliche

Vorteile. Kurt Thomas

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 6½½½½9. Februar 2001 AA311

Präsident Bush hat versprochen, dass Medicare von 2002 an 25 Prozent der Arzneimittelkosten für die rund 20 Millionen am schlechtesten gestellten Rentner übernehmen wird. Fotos: ap

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