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Archiv "Gesundheits- und Sozialpolitik: Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität sichern Freiheit und sozialen Rechtsstaat" (21.05.1993)

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POLITIK 96. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Gesundheits- und Sozialpolitik

Eigenverantwortung, Subsidiarität und Solidarität sichern Freiheit und sozialen Rechtsstaat

Dr. Karsten Vilmar,

Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages

Referat zu Punkt 1 der Tagesordnung

A,

ls der 94. Deutsche Ärztetag Anfang Mai 1991 in Hamburg beschloß, den 96. Deutschen rztetag aufgrund einer be- reits 1990 in Würzburg ausgespro- chenen unbefristeten Einladung in Dresden durchzuführen, geschah dies im Gefühl der Freude über die nach nahezu vier Jahrzehnten der Teilung erreichte Wiedervereinigung Deutschlands. Damit konnten im öst- lichen Teil unseres Landes nahezu sechs Jahrzehnte nationalsozialisti- scher und sozialistischer Diktatur nach einer unblutigen Revolution vom Oktober 1989 in der damaligen DDR und vor allem in Sachsen been- det werden. Verbunden war damit der Zusammenbruch jahrzehntelan- ger staatlicher Zentral-Verwaltungs- wirtschaft mit dirigistischer Regle- mentierung nahezu aller Lebensbe- reiche sowie der Enteignung und Ausplünderung der privaten und volkswirtschaftlichen Ressourcen einschließlich einer nachhaltigen Schädigung der Umwelt. Das verhee- rende Ausmaß der Schäden war zu- nächst nur in Umrissen erkennbar.

Wir ahnten aber die Größe der Auf- gabe, und Freude und Aufbruchstim- mung bewegten uns — so auch im Ge- sundheitswesen. In einer großen ge- meinsamen Anstrengung wurde sehr schnell eine funktionierende ärztli- che Selbstverwaltung aufgebaut, ebenso rasch gelang die Umstellung der sozialen Sicherungssysteme. Ins- besondere in der Krankenversiche-

rung wurden auf der Grundlage der seit 1883 geltenden Prinzipien: „Ei- genverantwortung", „Subsidiarität"

und „Solidarität" beitragsfinanzierte und selbstverwaltete Krankenkassen in den inzwischen gebildeten neuen Bundesländern etabliert.

Auf dem ersten Gesamtdeut- schen Ärztetag nach 60jähriger Un- terbrechung im Mai 1991 in Ham- burg führte Bundeskanzler Dr. Hel- mut Kohl aus, mit der Schaffung ei- nes eigenen Gesundheitsministeri- ums habe er der gewachsenen Be- deutung der Gesundheitspolitik im nationalen und internationalen Rah- men Rechnung getragen; das Ge- sundheitswesen habe sich zu einem

Wahrlich ein hoffnungsvoller Neuanfang!

Es kam anders: Knapp 12 Mona- te später legte die damalige Bundes- ministerin für Gesundheit, Gerda Hasselfeldt, „Handlungsschwerpunk- te in der Gesundheitspolitik" vor, auf deren Grundlage unmittelbar nach ihrem Rücktritt von dem neuen Bun- desminister für Gesundheit, Horst Seehofer, seit seiner Amtsübernah- me am 6. Mai 1992 mit großem Zeit- druck konkrete Gesetzesentwürfe entwickelt wurden. Die erheblichen Auseinandersetzungen auch in der Öffentlichkeit um Notwendigkeit und Verfahrensweise sowie viele

Kernbereich unserer freiheitlichen Sozialordnung entwickelt. Der Kanz- ler betonte, daß die von ihm geführte Bundesregierung allen Tendenzen zu einem staatlichen Gesundheitswesen eine klare Absage erteilt — das gelte

„jetzt und für die Zukunft". Bundes- kanzler Dr. Helmut Kohl fuhr fort:

„Der Beruf des Arztes verbindet En- gagement und Bewußtsein für die Würde eines jeden einzelnen Men- schen mit Selbständigkeit, Eigenver- antwortung und auch im besten Sinne des Wortes Unternehmungsgeist."

Und er sagte abschließend den Dele- gierten in allen sie unmittelbar berüh- renden Fragen jede nur denkbare Un- terstützung der Bundesregierung zu.

Einzelbestimmungen des zum 1. Ja- nuar 1993 in Kraft getretenen Geset- zes zur Sicherung und Strukturver- besserung der gesetzlichen Kranken- versicherung (Gesundheitsstruktur- gesetz) prägten die Arbeit der ärztli- chen Selbstverwaltungskörperschaf- ten in den folgenden Monaten — sie waren sogar Anlaß für einen außer- ordentlichen Deutschen Ärztetag am 10. September 1992 in Köln. Unter dem Motto „Für den Erhalt eines freiheitlichen Gesundheitswesens:

verantwortbare Sparsamkeit und Entwicklung in Freiheit" setzte er sich ein gegen den Dirigismus im Ge- sundheitswesen. Er erinnerte an die längst veröffentlichten Vorschläge der Ärzteschaft zur Weiterentwick- A1 -1486 (26) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993

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OLITIK

lung der Gesundheits- und Sozialpo- litik und zur Anpassung der Struktu- ren der ärztlichen Versorgung an die durch medizinischen Fortschritt und Verschiebungen im Bevölkerungs- aufbau veränderten Rahmenbedin- gungen. Doch nahezu alle sachge- rechten Strukturvorschläge wurden ebenso wie sachkundige Politikbera- tung in Einzelfragen von einer gleich- sam über Nacht gebildeten „Großen Zweck-Koalition" aus CDU, CSU, SPD und FDP in den Wind geschla- gen. Öffentlich wurde das Ergebnis dieser christlich-sozialistischen Alli- anz als Sieg der Demokraten über den Lobbyismus gefeiert.

Mit dem Gesundheitsstrukturge- setz erfolgten 1993 die seit Begrün- dung der gesetzlichen Krankenversi- cherung durch Bismarck vor 110 Jah- ren tiefstgreifenden Veränderungen unseres Gesundheitssystems. Eine Lösung der Probleme ist damit je- doch — selbst nach Auffassung der Urheber und des Gesetzgebers — nicht erfolgt. Mit ordnungspolitisch fragwürdigen Mitteln wurde eine

„Sofortbremsung" der angeblich

„überproportional" steigenden Aus- gaben im Gesundheitswesen ange- strebt. Deren Ursache wurde entge- gen wissenschaftlichen Untersuchun- gen und internationalen Vergleichen vor allem in der seit 1960 nahezu ver- dreifachten Zahl berufstätiger Ärzte gesehen. Diese Begründung steht al- lerdings in krassem Widerspruch zu der noch 1977 behaupteten angeblich drohenden Unterversorgung mit Ärz- ten, die damals für die sozial-liberale Koalition Anlaß war, das Kranken- versich erungs-Weiterentwicklungs- gesetz (KVWG) durchzupeitschen.

Bereits für 1995 hat die Regie- rungskoalition eine weitere Stufe der

„Gesundheitsreform" angekündigt.

Wenn jedoch nicht auch dieses Ge- setz die sich seit 1972 in rascher Fol- ge und immer kürzeren Abständen jagenden acht „Jahrhundertgesetze"

um ein neuntes aufstocken soll, müs- sen endlich nicht nur die Finanzie- rungsstrukturen, sondern vor allem die Leistungsstrukturen der medizi- nisch-wissenschaftlichen Entwick- lung und dem gesellschaftlichen Wandel angepaßt und neu geordnet werden. Mit dem nur politisch be- gründbaren Dogma der Beitragssatz-

96. DEUTSCHER ARZTETAG

stabilität ist auf Dauer der hohe Lei- stungs- und Versorgungsstandard nicht vereinbar.

Um die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems auch über das Jahr 2000 hinaus zu sichern, ist unter Beachtung der Prinzipien des deut- schen Gesundheitswesens von 1883, nämlich Eigenverantwortung, Subsi- diarität und Solidarität, eine Über- prüfung und Neuorientierung nötig.

Ebenso wie der durch Rechtspre- chung und politischen Beschluß stän- dig erweiterte Leistungskatalog zu

straffen ist, muß auch der versicherte Personenkreis*) neu definiert wer- den. Die Finanzprobleme der gesetz- lichen Krankenversicherung sind nämlich nicht durch ständige Aus- weitungen der Versicherungspflicht- grenzen lösbar — und auch nicht unter Hinweis auf den Generationen-Ver- trag durch die Erschließung neuer Beitragsquellen aus dem Vermögen der sogenannten „Erbengeneration".

Das auch im internationalen Vergleich zweifellos hohe gesund-

*) Waren ursprünglich im Jahre 1885 nur 9,3 Prozent der Bevölkerung im Deutschen Reich in der gesetzlichen Krankenversicherung er- faßt, erhöhte sich dieser Anteil bis 1940 auf 41,1 Prozent — er betrug dann in der Bundesre- publik Deutschland 1950 40,8 Prozent und er- reichte 1991 insgesamt 60,4 Prozent. Zusamm- men mit den mitversicherten Angehörigen sind damit weit über 90 Prozent der Bevölke- rung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Im gleichen Zeitraum stiegen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung von 0,4 Prozent des Volkseinkommens im Jahre 1885 über 2,1 Prozent im Jahr 1940 und 8,3 Prozent im Jahre 1982 auf 7,7 Prozent 1991.

heitliche Versorgungsniveau ist nur zu erhalten, wenn die tragenden Strukturen endlich von „überborden- dem Sozialbarock" und „Sozialni- schen" befreit werden.

Die grundsätzliche Neuregelung sollte nicht erneut mit hektischer Be- triebsamkeit und Blick auf Wahlter- mine einhergehen. Sie darf nicht wie- derum „quacksalberisch" nur an Symptomen kurieren. Um dauerhafte Lösungen zu erreichen, ist — wie in der Medizin — eine Analyse aller Be- funde und äußerer Einflüsse erfor-

Dr. med. Karsten Vilmar, der hier so freundlich ins Plenum des Deutschen Ärzteteiges blickt, bekun- dete den Politikern, vor allem jenen in Bonn, Ge- sprächsbereitschaft über die anstehende und von Bundesgesundheitsmini- ster Horst Seehofer ange- kündigte nächste Stufe der „Gesundheitsreform".

Vilmars Referat wird auf diesen Seiten im vollen Wortlaut wiedergegeben, während es in Dresden nur auszugsweise gehal- ten werden konnte.

derlich, um zu einer klaren Diagnose zu kommen, die allein Grundlage für zielgerechtes Handeln sein kann.

Die Ärzteschaft hat schon seit langem Vorschläge für eine wirksa- me Therapie erarbeitet. Sie ist wei- terhin bereit, an der Gestaltung un- seres Gesundheitswesens mitzuwir- ken; sie begrüßt den Auftrag des Bundesministers für Gesundheit an den Sachverständigenrat für die Kon- zertierte Aktion im Gesundheitswe- sen, ein Sondergutachten vorzulegen, in dem unter der Überschrift „Ge- setzliche Krankenversicherung im Jahr 2000 — Solidarität und Eigenver- antwortung bei sich ändernden ge- sundheits- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen" wichtige Fra- gen untersucht und beantwortet wer- den sollen. Es geht vor allem um die Auswirkungen der demographischen

Entwicklung mit einer zunehmenden

Zahl älterer Menschen, um den me- dizinisch-wissenschaftlichen und -technischen Fortschritt und schließ- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993 (27) A1-1487

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Aufmerksame Zuhörer während der Debatten des Deutschen Ärztetages — die beiden Vizepräsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Helmuth Klotz (links) und Dr. Jörg-D. Hoppe.

POLITIK

lich um die Frage, ob „bei der solida- rischen Finanzierung der gesetzli- chen Krankenversicherung aus weit- gehend von Arbeitnehmern und Ar- beitgebern aufzubringenden Pflicht- beiträgen angesichts veränderter Einkommens- und Vermögensver- hältnisse sowie sich wandelnder Le- bensgewohnheiten ethisch vertretba- re medizinische Prioritäten und Grenzen bei den Leistungen der Soli- dargemeinschaft erforderlich" sind.

Ferner soll untersucht werden, welche Leistungen auch nach dem

Jahr 2000 erforderliche Bestandteile der sozialen Krankenversicherung sein sollen und für welche Leistun- gen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Solidarität und der Subsidiarität eine Absicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung aus gesundheits- und sozialpoliti- scher Sicht nicht mehr gerechtfertigt erscheint. Diese Leistungen und ge- sundheitlichen Risiken müßten dann auf freiwilliger Basis abgedeckt wer- den. Damit könnte gleichzeitig marktwirtschaftlicher Wettbewerb in der Krankenversicherung gefördert werden.

Die Themenschwerpunkte des Sondergutachtens hat auf der Sit- zung der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen in der letzten Wo- che, am 27. April 1993, der Vorsit- zende des Sachverständigenrates, Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke, erläu- tert. Danach sollen die Rahmenbe- dingungen und Entwicklungstenden-

96. DEUTSCHER ARZTETAG

zen im Sinne einer Bestandsaufnah- me dargestellt und zu den Grund- prinzipien in der Krankenversorgung Stellung bezogen werden, um dann die Fragen der Gestaltung der medi- zinischen Orientierung und der Ra- tionalität der Gesundheitspolitik zu untersuchen. Daraus werden sich Handlungsbedarf und Handlungsop- tionen ergeben, zum Beispiel ob die Finanzmittel durch Beiträge oder Steuern aufgebracht werden sollen, aber auch die denkbare Trennung von Grund- und Zusatzversorgung

sowie Möglichkeiten zur künftigen Gestaltung des Vertragsrechts.

Es ist erfreulich, daß der Sach- verständigenrat zur Vorbereitung ei- ne intensive Diskussion mit allen Be- teiligten führen wird — um so mehr darf man hoffen, daß die Ergebnisse des Sondergutachtens tragfähige Grundlagen für zukunftsweisende gesundheitspolitische Entscheidun- gen bieten können.

Solidarprinzip und Eigenbeteiligung

Auch in Zukunft müssen die gro- ßen Risiken, die die Leistungsfähig- keit des einzelnen überfordern, ver- nünftig abgesichert werden — selbst wenn zu diesem Zweck kleine Risi- ken und Ausgaben in den privaten Bereich verlagert und damit der Ei- genverantwortung überlassen werden müssen. Von Eigenbeteiligungen für

veranlaßte Leistungen ist mehr Transparenz und eine Besserung des Nachfrage-Verhaltens zu erwarten.

Unbedingt vermieden werden muß jedoch, Leistungen im Gesundheits- wesen zuzuteilen, zu rationieren oder gar ganze Alters- und Krankheits- gruppen aus der Solidargemeinschaft auszugrenzen und sich selbst zu überlassen — nur um das politische Ziel der Beitragssatzstabilität zu er- reichen, die im SGB V, § 71, sogar als Rechtsnorm vorgeschrieben ist.

Diese Auswirkung wäre weder mit den Grundsätzen eines freiheitli- chen sozialen Rechtsstaates noch mit einer humanen ärztlichen und medi- zinischen Versorgung der Bevölke- rung vereinbar — es wäre der sichere Weg in eine Zwei-Klassen-Medizin.

Das Solidarprinzip muß das Fundament der sozialen Sicherung in Deutschland bleiben. Dazu muß al- lerdings endlich definiert werden, welche „medizinisch notwendigen, zweckmäßigen und ausreichenden Leistungen" künftig zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden sollen und welche darüber hinausgehenden wünschba- ren oder angenehmen Leistungen in den Verantwortungsbereich des ein- zelnen verwiesen werden. Viele Lö- sungsansätze wären denkbar, zum Beispiel gestaffelte Eigenbeteili- gungsregelungen, vollständige oder teilweise Herausnahme bestimmter Leistungen aus dem Pflichtleistungs- katalog mit der Möglichkeit, in eige- ner Initiative eine Absicherung vor- zunehmen oder das Risiko selbst zu tragen. Dem Vorsitzenden der CDU/

CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Wolf- gang Schäuble, ist deshalb zuzustim- men, wenn er schreibt: „Die Sozial- politik muß sich stärker auf die Absi- cherung der großen Risiken konzen- trieren, während kleinere Risiken und Ausgaben privat getragen und abgesichert werden können. Dies gilt auch für die Einführung der Pflege- versicherung und die Neuregelung der Lohnfortzahlung im Krankheits- fall, bei denen Elemente der Eigen- beteiligung und Eigenverantwortung unverzichtbar sind."

Im Handbuch des Verfassungs- rechts der Bundesrepublik Deutsch- land aus dem Jahre 1983 schreibt zur gleichen Thematik Prof. Dr. Ernst A1 -1488 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993

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POLITIK

Benda, der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts: „Freiheit für alle bedeutet, daß Unterprivile- gierte gezielt gefördert werden kön- nen, um Gleichheit der Chancen zu erreichen. Aber die Herstellung glei- cher Staatschancen soll nicht zur ge- dankenlosen Gleichmacherei führen.

Im Gegenteil: Es ist ein elementares Gebot des Sozialstaates, daß die be- grenzten Mittel der Allgemeinheit nicht schematisch ausgestreut, son- dern auf diejenigen konzentriert wer- den, die wirklich hilfsbedürftig sind.

Sozialstaatswidrig ist es, wenn Hilfen von denen in Anspruch genommen werden können, die nicht hilfsbe- dürftig sind. Die als ,Gießkannen- prinzip' bezeichnete politische Pra- xis, die wegen der Chance, breite Wählerschichten zu beeindrucken, eine ständige Versuchung darstellt, widerspricht sozialstaatlichen Gebo- ten." Soweit Benda.

Der Gesetzgeber muß ferner darauf achten, nicht durch ein Über- maß an gesetzlichen Regelungen und eine allumfassende staatliche, letzt- lich aber alles erdrückende Fürsorge Eigeninitiative und Eigenverantwor- tung zu ersticken. Er mißachtet da- mit nicht nur das Subsidiaritätsprin- zip, er steigert vielmehr auch die An- spruchsmentalität ins Unermeßliche.

Unser sozialer Rechtsstaat mit seiner sozialen Marktwirtschaft ist schließ- lich kein Wohlfahrts- und Versor- gungsstaat. Der in der Öffentlichkeit allzu leichtfertig erhobene Vorwurf des Sozialabbaues darf nicht zur Handlungsunfähigkeit der Politik und damit letztlich zum „Sozialraub- bau" führen.

Auch im Gesundheitswesen pro- voziert ein allzu enges Regelungsnetz die Entwicklung von Umgehungsme- chanismen. Diese sind jedoch mit den Grundsätzen eines sozialen Rechtsstaates unvereinbar, weil sie nicht nur den Gemeinsinn, sondern auch das Unrechtsbewußtsein ver- kümmern lassen. Warum soll der mündige Bürger im Krankheitsfall seine höchst individuellen Wünsche und Bedürfnisse und deren Finanzie- rung nicht selbst regeln können und so zum entmündigten Patienten wer- den? Das wäre doch auch ein Wider- spruch zu der allgemein gebilligten Ansicht, daß der Patient nach mög-

96. DEUTSCHER ÄRZTETAG

liehst umfassender Aufklärung durch den Arzt durchaus für fähig gehalten wird, über hochdifferenzierte medi- kamentöse und operative Behand- lungsmaßnahmen selbst zu entschei- den. Selbstverständlich muß dafür gesorgt werden, daß eventuell ver- bleibende oder unerwartet entste- hende echte Versorgungslücken ge- schlossen werden. Dies gilt auch für die Absicherung des Risikos der Pfle- gebedürftigkeit. Schon der 93. Deut- sche Ärztetag 1990 hat dafür eine an- gemessene Verteilung der Lasten mit erwünschten Steuerungswirkungen vorgeschlagen — so insbesondere:

• zumutbare Eigenbeteiligung der Betroffenen

• finanzielle Entlastung der So- zialhilfe, ohne sie gänzlich aus ihren nachrangigen Verpflichtungen zu entlassen

• sachgerechte Belastung der Krankenversicherung im Rahmen ih- rer originären Aufgabenzuweisung

• angemessene Belastung der öffentlichen Hand, um die gesamte Bevölkerung über Steuern an dieser umfassenden sozialpolitischen Auf- gabe zu beteiligen.

Dies wäre am besten mit einem Leistungsgesetz möglich, weil darin Anspruchsvoraussetzungen definiert werden können. Wie vergleichbare Regelungen — zum Beispiel beim Ba- fög- oder beim Wohngeldgesetz — zeigen, widerspricht dies nicht dem Sozialstaatsprinzip.

Freiberuflichkeit

• nd Tarifautonomie

Berufliche Unabhängigkeit und Freiberuflichkeit sind auch künftig wichtigste Voraussetzungen für eine individuelle ärztliche Versorgung der Patienten. Sie dürfen nicht durch staatliche Reglementierungen wie Zulassungssperren und Altersgren- zen für freiberuflich tätige Ärzte ge- fährdet oder gar zerstört werden.

Auch befristete Arbeitsverträge für Krankenhausärzte sind damit eben- sowenig vereinbar wie das von der SPD favorisierte sogenannte „Ein- kaufsmodell". Bei der gesetzlichen Neuordnung müssen daher derartige, eher staatlichen Gesundheitssyste- men eigene Eingriffe in freiberufli-

che Tätigkeiten und in die Tarifauto- nomie wieder beseitigt werden. Und es sollten auch keine nur scheinbar marktwirtschaftlichen Lösungen ein- geführt werden, die wie das soge- nannte „Einkaufsmodell" eine ledig- lich am Wohl des Patienten orientier- te unabhängige ärztliche Entschei- dung erschweren oder gar unmöglich machen.

Langfristig zufriedenstellende Lösungen können nicht durch Plan- wirtschaft und staatliche Reglemen- tierung mit strangulierendem Dirigis- mus erreicht werden. Das Studium der Gesundheitssysteme in Osteuro- pa sollte doch endlich alle Planungs- ideologen ebenso überzeugen wie der ja bereits seit 1972 durch das Krankenhausfinanzierungs-Gesetz (KHG) der staatlichen Planung un- terworfene stationäre Bereich unse- res Gesundheitswesens: Dort ist der ursprünglich lautstark beklagte Bet- tenmangel entgegen aller Planungs- weisheit inzwischen einem Betten- überschuß gewichen. Der wird an- geblich durch „Fehlbelegungen"

künstlich kaschiert.

Doch dagegen sprechen immer wieder auftretende Engpässe in der stationären Versorgung, so insbeson- dere wegen vieler zeitweise Versor- gungsbedürftiger, ohne daß diese

„Pflegebedürftige" im Rechtssinn wären, und natürlich auch wegen der tatsächlichen Pflegefälle, die anders nicht unterzubringen sind, sowie im Intensivbereich. Hier hat nicht die Selbstverwaltung versagt, sondern die Politik und die angeblich allwis- sende staatliche Planung! Eindrucks- volle Beweise für Praxisferne und Leistungsfeindlichkeit sind auch Durchschnittsbelegungen aufgrund der Zahl „mitternachtswarmer" Bet- ten sowie die darauf basierenden Festlegungen des Personalschlüssels für Ärzte. Dem gesetzlichen Auftrag, auch für Ärzte endlich leistungsbezo- gene Regelungen zu erarbeiten, ist im übrigen das Bundesministerium für Gesundheit bis heute nicht nach- gekommen. Deshalb ist mit Sicher- heit vorauszusagen, daß auch künftig staatliche „Bedarfs"planungen unbe- friedigende, wenn nicht gar katastro- phale Ergebnisse haben werden. Aus solchen Gründen wird auch die Be- darfsplanung für den vertragsärztli- A1 -1490 (30) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993

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1. 1.

1960 1. 1.

1982 1. 1.

1993

28,9 49,7 49,3 21 544

71 724 103 158 60,8

42,0 38,5 45 320

60 652 80 520 74 486

144 224 209 255

davon

gesamt in eigener Praxis im Krankenhaus

Jahr in % in %

Entwicklung der Zahl der berufstätigen Ärzte

Veränderungen

+ 69 738 + 132 769 + 65 031

+ 15 332 + 35 200 + 19 868

+ 50 180 + 81 614 + 31 434 1960-

1982 1960- 1993 1982- 1993

a) Teilgebiete der Chirurgie 1981 1987 1992 91,8

82,1 70,0 89,9 77,6

90,0 84,0 73,6 97,4 79,9 Gefäßchirurgie

Kinderchirurgie Plastische Chirurgie Thorax- und

Kardiovaskulär-Chirurgie Unfallchirurgie

95,1 87,6 72,0 92,8 86,7 b) Teilgebiete der Inneren

Medizin Endokrinologie Gastroenterologie Hämatologie Kardiologie Nephrologie Rheumatologie

85,4 72,4 75,6 75,9 78,9 64,3

76,9 67,2 76,5 68,8 66,1 70,2

72,8 68,6 78,5 69,7 60,2 68,1

zum Beispiel 1981 1987 1992

Anästhesisten 91,0 87,1 83,4

Chirurgen 72,7 72,5 71,5

Neurochirurgen 92,7 88,4 86,2

in einzelnen Teilgebieten wird diese Tendenz noch deutlicher:

POLITIK

im Krankenhaus tätig (in Prozent):

chen Bereich auf der Grundlage von Verhältniszahlen scheitern. Es ist nämlich schwer oder gar unmöglich, schon heute den im Jahr 2010 oder 2020 zu erwartenden Bedarf in der Medizin und die Nachfrage nach Ge- sundheitsleistungen durch die Pa- tienten zu planen. Ebenso falsch ist es, die Vorausschau ausschließlich auf den Bereich der ambulanten Ver- sorgung auszurichten und den statio- nären Bereich dabei völlig auszu- klammern. Gerade hier können sich erhebliche Veränderungen des Nachfrageverhaltens der Patienten durch die vom Gesundheitsstruktur- gesetz geschaffene Öffnung der Krankenhäuser für prästationäre Diagnostik und poststationäre The- rapie sowie für ambulantes Operie- ren ergeben.

Die Gliederung der vertragsärzt- lichen Versorgung in eine hausärztli- che und eine fachärztliche kann bei Wahrung der freien Arztwahl ebenso wie im Bereich des ambulanten Ope- rierens erhebliche Auswirkungen bei der Inanspruchnahme durch die Pa- tienten haben; sie können wiederum die Bedarfslage in der freien Praxis oder im Krankenhaus nachhaltig ver- ändern.

Die mit der Entwicklung der Medizin zunehmende Spezialisie- rung und Differenzierung hat ohne- hin schon erhebliche Verschiebun- gen in der Relation der im Kranken- haus tätigen Ärzte zu den Ärzten in eigener Praxis ergeben. Bei Diszipli- nen mit hohem technischen und ap- parativen Aufwand oder dringend benötigter klinischer Infrastruktur hat dies zur Folge gehabt, daß heute der weit überwiegende Teil der Spe- zialisten oft nicht mehr in freier Pra- xis, sondern im Krankenhaus tätig ist (siehe Kasten auf dieser Seite).

Deren Tätigkeit kann nunmehr in Zukunft sowohl stationär als auch ambulant erfolgen. Dennoch können in vielen Gebieten und Teilgebieten der Medizin die Ärzte in ihrer Kran- kenhaustätigkeit nach wie vor nur ei- ne „Durchlaufposition" für die Dau- er von vielleicht vier bis zehn Jahren sehen, auf die dann eine weitere Pha- se von 20 bis 25 Jahren freiberufli- cher Tätigkeit folgen muß - eine Ent- wicklung, die manchmal durch unbe- friedigende Arbeitsbedingungen und

96. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Von den berufstätigen Ärzten waren

„Mobbing", vor allem aber durch das noch bis zum 31. Dezember 1997 gel- tende „Gesetz über befristete Ar- beitsverträge mit Ärzten in der Wei- terbildung" erheblich beschleunigt wird. Schon der 95. Deutsche Ärzte- tag hat deshalb die Abschaffung die- ses Gesetzes dringend gefordert. Zu-

sammen mit den jetzt rasch wirken- den Zulassungssperren werden sich befristete Arbeitsverträge entweder als „Knebelverträge" oder als Berufs- verbot für eine ganze Generation von Ärzten erweisen, die nach Abschluß ihrer Weiterbildung zum Facharzt, also nach insgesamt zwölf bis 15 Jah- Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993 (31) A1-1491

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POLITIK

ren, am Ende ihrer beruflichen Lauf- bahn steht und im Alter von 35 bis 40 Jahren in die Arbeitslosigkeit entlas- sen werden muß, während gleichzei- tig im Krankenhaus ein Mangel an qualifizierten Ärzten beklagt wird. In langen Wellenlinien wiederholt sich hier ein Phänomen, das in anderen Bereichen der stets auf nur eine Wahlperiode orientierten Politik we- gen der kürzeren Überlebenszeiten als „Schweine-Zyklus" bestens be- kannt ist.

Die Ärzteschaft hat diese Ent- wicklungen frühzeitig erkannt und auch deshalb die überkommenen Strukturen daraufhin untersucht, ob sie den Erfordernissen einer mög- lichst guten wirtschaftlichen Patien- tenversorgung weiterhin gerecht wer- den. Dabei wurden Erfahrungen aus europäischen Ländern und den USA mitgenutzt. Konkrete Vorschläge für eine Reform der Krankenhäuser und ihres ärztlichen Dienstes wurden be- reits vom 75. Deutschen Ärztetag 1972 vorgelegt; sie wurden seitdem von mehreren Deutschen Ärztetagen bekräftigt und erweitert durch das kooperative Belegarztsystem. Die jetzt beabsichtigten gesetzlichen Neuregelungen sollten endlich auch dazu genutzt werden, eine Verbesse- rung der Strukturqualität zu errei- chen, damit mehr qualifizierte Fach- ärzte in der Krankenhaustätigkeit ei- ne Daueraufgabe sehen können.

Verbunden damit wäre eine bessere personelle Verzahnung zwischen Krankenhaus und Praxis; durch in- tensive Zusammenarbeit — zum Bei- spiel bei bildgebenden Verfahren oder invasiven endoskopischen Me- thoden in Diagnostik und Therapie — könnten hohe gemeinsame Investi- tionen auch wirtschaftlich genutzt werden und darüber hinaus die Si- cherheit für den Patienten erhöhen.

Reformvorschläge der Ärzteschaft

Zur Strukturqualität hat auch der 95. Deutsche Ärztetag einen wichtigen Beitrag geleistet, als er die notwendige Spezialisierung und Dif- ferenzierung — entsprechend der me- dizinisch-wissenschaftlichen Ent- wicklung und in Anbetracht der Not-

96. DEUTSCHER ÄRZTETAG

wendigkeit für die Versorgung der Patienten — in der neuen Weiterbil- dungsordnung ermöglicht hat. Selbst- verständlich kann die beschlossene breite Auffächerung der medizini- schen Fachdisziplinen nicht alle me- dizinisch-wissenschaftlich abgrenzba- ren Subspezialitäten erfassen — um- gekehrt können natürlich auch nicht in jedem Krankenhaus Abteilungen für alle Fachgebiete, Schwerpunkte und sonstige Spezialisierungen vor- handen sein.

Eine dem heutigen Stand ent- sprechende Versorgung der Patien- ten erfordert eine Zusammenarbeit der Ärzte in freier Praxis und in den Krankenhäusern verschiedener Ver- sorgungsstufen auch unter Berück- sichtigung eines arbeitsteiligen Prin- zips. Im Krankenhaus sind dafür, wenn nötig, auch neue Planstellen oder Abteilungen einzurichten.

Krankenhausstrukturen müssen sich nämlich den Notwendigkeiten der Patientenversorgung anpassen — der umgekehrte Weg wäre weder medizi- nisch-wissenschaftlich noch ärztlich ethisch vertretbar, ebensowenig un- ter dem Aspekt der Qualitätssiche- rung der ärztlichen Berufsausübung wie dem der Versorgung der Patien- ten.

Mit den notwendigen strukturel- len Veränderungen könnte gleichzei- tig das Verhältnis zwischen qualifi- zierten, langfristig im Krankenhaus tätigen Ärzten und jüngeren Ärzten in Weiterbildung zugunsten der Be- rufs- und lebenserfahrenen Ärzte verändert werden. Dies entspräche den Anforderungen aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.

März 1992, „rund um die Uhr" wäre die Versorgung auf dem Standard ei- nes erfahrenden Facharztes zu ge- währleisten. Das persönliche Schick- sal der Kranken kann nur so unbe- hindert von Einflüssen der Politik und Administration allein dem sach- gerechten und verantwortlichen Handeln der Ärzte und der übrigen Mitarbeiter im Krankenhaus und in der Hochschulklinik ebenso wie in freier Praxis anvertraut werden.

Für die ärztliche Berufsaus- übung sind auch aus den Bestimmun- gen des Sozialgesetzbuches V zur Qualitätssicherung Konsequenzen zu erwarten. Bei der Gestaltung der

Qualitätssicherungsmaßnahmen sind nunmehr nach § 137 die Ärztekam- mern einzubeziehen, die sich im übri- gen schon seit über 15 Jahren in be- sonderen Gremien mit allen Fragen der Prozeß- und Ergebnisqualität in dem mehr technisch-diagnostischen Bereich als auch der Strukturqualität sowohl im stationären wie im ambu- lanten Bereich befassen.

Kooperation zur Qualitätssicherung

Zwischen der Deutschen Kran- kenhausgesellschaft (DKG) und der Bundesärztekammer wurde bereits am 14. Mai 1986 eine Kooperations- vereinbarung zur Qualitätssicherung abgeschlossen — ähnliche Vereinba- rungen bestehen in einigen Bundes- ländern, in anderen stehen bedauer- licherweise derartige Vereinbarun- gen noch aus. Schwierigkeiten bei der Einführung von Qualitätssiche- rungsmaßnahmen haben sich in der Vergangenheit oft dadurch ergeben, daß zwar Pilotprojekte finanziert wurden oder aber auf den Idealismus der Beteiligten vertraut wurde, die Einführung in die Regelversorgung aber daran scheiterte, daß die dafür auf Dauer notwendigen Finanzmittel nicht zur Verfügung standen.

In der vertragsärztlichen Versor- gung stellt eine Kooperationsverein- barung zwischen Bundesärztekam- mer und Kassenärztlicher Bundes- vereinigung sicher, daß Regelungen aus dem Weiterbildungsrecht künftig so ausgestaltet werden, daß eine nahtlose Überführung in das Kassen- arztrecht möglich ist und damit Fach- kundenachweise auch Voraussetzung für die Abrechnungsfähigkeit ver- tragsärztlicher Leistungen sind, was zweifellos der Qualitätssicherung zu- gute kommt.

Dieser Ärztetag in Dresden wird sich schwerpunktmäßig mit dem The- ma „Qualitätssicherung der ärztli- chen Berufsausübung" beschäftigen.

Ziel der Ärzteschaft und ihrer Selbst- verwaltungskörperschaften ist es, gleiche Qualitätskriterien für alle Ärztinnen und Ärzte vorzusehen — unabhängig davon, ob sie im ambu- lanten oder stationären Bereich tätig sind. Dazu müssen Methoden zur A1-1492 (32) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993

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POLITIK

Qualitätssicherung medizinisch-wis- senschaftlich begründet und prak- tisch anwendbar sein. Dazu soll ein

„Beirat für Qualitätssicherung in der Medizin" bei der Bundesärztekam- mer dienen, der zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereini- gung, der Deutschen Krankenhaus- gesellschaft und den Spitzenverbän- den der gesetzlichen Krankenversi- cherung gebildet werden soll. Selbst- verständlich müssen auch die medizi- nisch-wissenschaftlichen Fachgesell- schaften mitwirken. Dieser Beirat soll entsprechend einer gemeinsa- men Grundsatzerklärung von Bun- desärztekammer, Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Deutscher Kran- kenhausgesellschaft und der Spitzen- verbände der Krankenkassen unter anderem folgende Aufgaben haben:

• Abstimmung und Feststel- lung des Qualitätssicherungsbedarfs in der ambulanten und stationären Versorgung (Situations- und Defizit- analysen)

• Abstimmung von Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkten zur Qualitätssicherung (Fördermaßnah- men)

• Prüfung der Einführung von Qualitätssicherungsprojekten in der medizinischen Versorgung auf ihre Relevanz für die jeweilige Versor- gungsfunktion (Prioritätenfestle- gung)

• Abstimmung von Qualitätssi- cherungsprojekten im ambulanten und stationären Bereich (Schnittstel- lenproblematik)

• Unterstützung und organisa- torische Hilfestellung bei der Ent- wicklung von Qualitätssicherungs- programmen ünd ihre Einführung in den Routinebetrieb, insbesondere bei der Sicherung der Finanzierung in der Entwicklungs- und Einfüh- rungsphase

• Überprüfung eingeführter Qualitätssicherungsverfahren auf ih- re Wirksamkeit

• Zusammenarbeit mit den für Qualitätssicherungsfragen zuständi- gen Bundesministerien.

Für die zukünftige Qualitätssi- cherung werden, von diesem Deut- schen Arztetag richtungsweisende Beschlüsse erwartet. Das Thema

„Qualitätssicherung" hat inzwischen auch große Resonanz in der Öffent-

96. DEUTSCHER ÄRZTETAG

lichkeit gefunden. Deshalb ist es nicht mehr fraglich, ob eine solche Institution zur Qualitätssicherung ge- schaffen wird, sondern nur, wer Trä- ger einer derartigen Einrichtung wird. Wenn die Ärzteschaft in der Qualitätssicherung weiterhin ent- scheidend mitwirken will, ist daher diese Zusammenarbeit dringend ge- boten. Erfolg und Akzeptanz einer medizinisch-wissenschaftlichen ver- nünftigen Qualitätssicherung hängen schließlich entscheidend von der sachkundigen Mitarbeit der Ärzte- schaft ab.

Qualitätssicherung muß sich fer- ner nahtlos auf den stationären und ambulanten Bereich erstrecken — sie darf nicht sektoral betrieben werden und kann sich nicht lediglich auf die Einhaltung ökonomischer Bezugs- größen beschränken. Die Einbezie- hung ärztlichen Sachverstandes, vor allem bei Verhandlungen zum Ab- schluß von Rahmenempfehlungen für Verfahrensgrundsätze für die Qualitätssicherung in allen Berei- chen ärztlicher Berufsausübung, ist daher unverzichtbar. Ebenso nach- drücklich sei aber auch betont, daß Qualitätssicherung nicht kostenlos, gleichsam „zum Nulltarif" zu haben ist.

Gesprächsangebot an „die Politik"

Die Ergebnisse dieses 96. Deut- schen Ärztetages sollen wiederum dazu beitragen, endlich auch in der Gesundheitspolitik einen wirksamen therapeutischen Ansatz zu finden.

Sie werden zusammen mit den von früheren Deutschen Ärztetagen ent- wickelten Vorschlägen zu einem Strukturkonzept beitragen, das in die Beratungen für die sogenannte

„Dritte Stufe der Gesundheitsreform 1995" einfließen muß.

Von diesem Ärztetag werden auch wichtige Eckpunkte für die 1994 vom Deutschen Arztetag in Köln zu beratenden aktualisierten Gesund- heits- und sozialpolitischen Vorstel- lungen der deutschen Ärzteschaft aufgezeigt. Dabei sind wissenschaftli- che Erkenntnisse zu beachten, die im übrigen auch in allen anderen Berei- chen Grundlage für Fortschritt und

wirtschaftlichen Erfolg und damit auch soziale Sicherheit sind. Ausein- andersetzungen mit Schuldzuweisun- gen und Glaubenskämpfen aufgrund unbewiesener Heilslehren oder mit Schlagworten führen daher nicht weiter. Trotz der Enttäuschungen bei dem Gesetzgebungsverfahren zum Gesundheitsstrukturgesetz reagiert die Ärzteschaft im Interesse der Ver- sorgung des einzelnen Patienten und der gesamten Bevölkerung nicht mit Resignation. Die Ärzteschaft ist nach wie vor zur Mitwirkung bereit. Dazu ist allerdings die Gründung eigener Parteien ebensowenig geeignet wie die Umwandlung der im Grundsatz bewährten gesetzlich geregelten ärzt- lichen Selbstverwaltung zugunsten neuer genossenschaftlich organisier- ter Gruppierungen, die ein Rück- schritt in die Jahrzehnte zu Beginn dieses Jahrhunderts wären und letzt- lich das von einigen Gesundheitspoli- tikern favorisierte „Einkaufsmodell"

mit jeweils auf 5 Jahre befristeten Verträgen für niedergelassene wie für Krankenhausärzte fördern könn- ten. Eine individuelle ärztliche Ver- sorgung darf nicht dem Grundsatz der Beitragssatzstabilität geopfert werden nach dem Motto: „Der ein- zelne ist nichts, Beitragssatzstabilität ist alles". Die Ärzteschaft jedenfalls wird sich der Renaissance eines sol- chen „Sozial-Darwinismus" entge- genstellen.

Die Politik sollte andererseits aber die Belastungsfähigkeit der Ärz- teschaft nicht überstrapazieren — der- artige Versuche waren schon in an- deren Bereichen zum Scheitern ver- urteilt. Erinnert sei an die jetzt sicht- bar werdenden fatalen Folgen der Forderung, die Belastbarkeit der Wirtschaft zu prüfen. Auch die Bela- stungsfähigkeit unseres Staatswesens sollte deshalb nicht durch weiteres Kurieren an Symptomen, Schuldzu- weisungen, dröhnende politische Pa- rolen oder simple Geschwätzigkeit überstrapaziert werden — dies sind wir alle, gerade nach dem Zusam- menbruch der sozialistischen Dikta- turen und deren erschreckenden Fol- gen, unserem demokratischen sozia- len

Rechtsstaat schuldig, um auch in

Zukunft den Menschen ein Leben in Gesundheit, Frieden und Freiheit zu

ermöglichen.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 20, 21. Mai 1993 (37) A1-1493

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