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Archiv "Gesundheits- und Sozialpolitik: Freiheit und Verantwortung in der modernen Medizin" (01.06.2001)

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Freiheit und Verantwortung in der modernen Medi- zin – das heißt für uns vor allen Dingen Freiheit in Verantwortung. Diese ethische Selbstverpflichtung eben ist der entscheidende Unterschied zur Belie- bigkeit. Bei keinem anderen Thema offenbart sich diese Differenz so gravierend wie bei der Diskussion um die Sterbehilfe.

Die Entscheidung des niederländischen Parla- ments, das Tötungsverbot in bestimmten Fällen aufzuheben und ärztlich gestützte Euthanasie zuzu- lassen, rührt an den Grundfesten einer humanen Gesellschaft. Es ist zu befürchten, dass nunmehr

auch in anderen europäischen Ländern diejenigen Auftrieb bekommen werden, die einer Legalisierung der Euthanasie das Wort reden.

Für uns aber ist eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, nach wie vor mit

den Prinzipien des Arztberufes unvereinbar. Das hat auch der Weltärztebund wiederholt festgestellt, zu- letzt am vergangenen 5. Mai mit nur einer Gegen- stimme, und die kam aus den Niederlanden.

Denn ethische Werte sind keine Modeerschei- nungen der Postmoderne, ethische Werte sind Prin- zipien des Humanismus, ihrem Wesen nach unver- brüchlich, vielleicht sogar naturgegeben. Wie schnell allerdings solche Werte durch Ignoranz, Ideologie oder schlicht durch eine Gebrauchsethik ersetzt werden können, zeigt schon ein kurzer Blick zurück in die Vergangenheit.

Das Euthanasie-Programm der Nazis, die Ver- nichtung so genannten lebensunwerten Lebens, nahm seinen Anfang in der Diskreditierung des Ver- bots aktiver Sterbehilfe. Erst als Tötung auf Verlan- gen gesellschaftlich akzeptiert erschien und das un- bedingte Lebensrecht des Menschen an sich schon

nichts mehr galt, begannen die Nazis mit der Mas- sentötung behinderter Menschen. Der Bevölkerung wurde dann eingeredet, man täte den „armseligen Kreaturen“ – wie es damals hieß – nur einen Gefal- len und gewähre ihnen deshalb den „Gnadentod“.

Ohne die Gleichgültigkeit beziehungsweise schweigende Zustimmung in der Bevölkerung hätten diese Mordtaten an psychisch Kranken, geistig und körperlich Behinderten so nicht geschehen können.

Warum dieser kleine Exkurs in unsere Geschich- te? Ich glaube, dass ethische Werte verteidigt wer- den müssen, wenn sie bewahrt werden sollen, dass man für die Werte des Humanismus kämpfen muss und dass Ignoranz und Gleichgültigkeit gegenüber den Schwächeren der Anfang vom Ende sind.

Auch dürfen wir uns nicht gefälligen Argumenta- tionen des Zeitgeistes hingeben und uns allzu sehr von Meinungsumfragen beeindrucken lassen. Zu- mal wenn sie lapidar formuliert sind wie etwa „Soll- te die aktive Sterbehilfe erlaubt werden?“. Wer denkt da nicht sofort an das Selbstbestimmungs- recht des mündigen Menschen?

Wie aber würde wohl das Ergebnis einer solchen Umfrage aussehen, wenn die Frage lautete: „Sollte ihr Arzt Patienten im finalen Stadium töten dürfen?“

Wir müssen uns mit aller Macht dagegen wen- den, dass ein gesellschaftliches Klima entsteht, das Sterbehilfe zum Mittel der Wahl bei schwerstkran- ken und lebensmüden Menschen erklärt. Schon ei- ne Relativierung würde unweigerlich auf eine schie- fe Ebene führen. Denn dadurch würde auch der Druck auf diejenigen Patienten, welche sich den Tod nicht wünschen, sondern bis zum letzten Atem- zug zu hoffen wagen, unerträglich steigen.

Jan Roß hat Recht, wenn er sagt: „Wer meint, dass getötet werden darf, wer getötet werden will, wird leicht zu dem Schluss kommen, dass nur der nicht getötet werden darf, der nicht getötet werden will.“ Zitatende

Es ist deshalb nicht nur Verpflichtung der Ärzte, sondern aller Menschen in diesem Land, die Unver- fügbarkeit menschlichen Lebens anzuerkennen und zu bewahren. Deshalb plädieren wir mit Nachdruck für einen Ausbau der Hospize und der palliativmedi- zinischen Versorgung und wenden uns mit aller Macht gegen jeden Versuch, Ärzte zu staatlich legi- timierten Euthanatikern zu machen!

N

Wie am Ende des menschlichen Lebens, so müssen wir uns auch an dessen Beginn immer wieder dar- auf besinnen, was originäre Aufgabe des Arztes ist.

Darüber haben wir gerade bei der Präimplanta- tionsdiagnostik in der Ärzteschaft eine intensive Diskussion geführt. Und ich bin dem Chefredakteur des Deutschen Ärzteblattes, Herrn Jachertz, außer- ordentlich dankbar, dass er in einer umfangreichen Dokumentation die verschiedenen Meinungsbei- träge für uns zusammengefasst hat. ✁ D O K U M E N T A T I O N

104. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001 AA1461

Gesundheits- und Sozialpolitik

Freiheit und Verantwortung in der modernen Medizin

Auszug aus der Rede zur Eröffnung des 104. Deutschen Ärztetages: Die Aussagen zur ärztlichen Ethik

Jörg-Dietrich Hoppe

Freundlichkeiten bei der Ärztetagseröffnung: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Hoppe, aus dessen Rede hier die medizinethischen Aussagen dokumentiert werden. Frau Schmidt ging auf diese Problematik in ihrer Rede nur kurz ein. Die betreffende Passage lau- tet: „Der Bundeskanzler und die Bundesregierung messen auch der Biomedizin und den gen- technischen Entwicklungen ei-

nen hohen Stellenwert bei. Dies zeigt auch die Einrichtung des Nationalen Ethikrates. Denn wir können es uns nicht einfach machen und sagen: Freie Fahrt der Forschung. Wir können aber auch nicht an den Anfang einer neuen Entwicklung neue Ver- bote stellen. Es gilt, in einer sachlichen Debatte Chancen und Risiken auszuloten und ei- nen gesellschaftlichen Konsens darüber zu entwickeln, welche Entscheidungen letztlich die Politik verantwortlich zu treffen hat. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie sich bereits seit langem an der gesellschaft- lichen Diskussion über diese

Fragen beteiligen. Ihre besonnenen Positionen zur Biomedizin wie auch zur Sterbehilfe sind sehr wichtig. Und ich möchte Sie auffordern, diesen Weg fortzusetzen. Auch für diese Frage gilt, dass wir sie im europäischen Kontext sehen müssen. Wir können uns in Deutschland kei- ne Insellösungen leisten. Denn die hätten innerhalb der Europäischen Union keinen Bestand.“

(2)

Unser grundlegendes Problem in der Bewertung neuester Medizintechniken liegt in ihrem offensicht- lichen Wertewiderspruch. Einerseits versprechen sie bisher unheilbare Krankheiten zu heilen oder zu ver- hindern, zum anderen aber drohen wir in die Selektion oder Verwertung menschlichen Lebens zu geraten.

Auch der Gesetzgeber kann längst nicht mehr Schritt halten mit medizinischem Fortschritt. So re- gelt das Embryonenschutzgesetz von 1990 zwar den Umgang mit befruchteten Eizellen und Embryo- nen bis zur Nidation. Inwieweit aber die Präimplan- tationsdiagnostik – oder auch PID – mit diesem Ge- setz vereinbar ist, ist nach wie vor umstritten.

Mit dem „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantationsdiagnostik“ vom Februar ver- gangenen Jahres, in dem die Zulassungskriterien äußerst restriktiv gefasst sind, haben wir den öf- fentlichen Diskurs zu diesem Thema gefordert, ja re- gelrecht provoziert. Wir wollten Problembewusst- sein schärfen, und es sollte niemand mehr sagen können, er habe nicht gewusst, um was es geht.

Dafür sind wir auch gescholten worden.

Aber es bleibt dabei, was auch Bundespräsident Johannes Rau in seiner jüngsten, bemerkenswerten Berliner Rede angemerkt hat:

„Nachdenken kann man nur, wenn zwischen Entdeckung und Anwendung Zeit bleibt, wenn wir die möglichen Folgen bedenken können, bevor sie eingetreten sind.“ Zitatende

Ich darf noch einmal daran erinnern: Durch die rasante Entwicklung im Bereich der Fortpflanzungs- medizin ist es in den vergangenen Jahren möglich geworden, einen Embryo außerhalb des Mutterlei- bes zu erzeugen und bereits in den ersten Tagen nach der Befruchtung auf bestimmte genetische Be- lastungen oder Chromosomenstörungen zu unter- suchen. Nach einer solchen Präimplantationsdia- gnostik kann entschieden werden, ob eine Einni- stung erfolgen oder ob der Embryo dem Absterben anheim gegeben werden soll.

PID ermöglicht es erblich schwer belasteten Paa- ren mit Kinderwunsch, auf eine so genannte

„Schwangerschaft auf Probe“, also auf Postnida- tionsdiagnostik beziehungsweise Pränataldiagno- stik mit der möglichen Konsequenz eines Schwan- gerschaftsabbruchs, zu verzichten. In elf Ländern der Europäischen Union ist die PID erlaubt, in drei Ländern ausdrücklich verboten, in Deutschland bis- her umstritten – und das zu Recht.

Denn allein schon aufgrund von Gesetzgebung und Rechtsprechung ist der Mensch bei uns in sei- ner Entwicklung vom befruchteten Ei bis zum Greis unterschiedlich geschützt:

1. Der Keim, also das in Teilung befindliche be- fruchtete Ei im Reagenzglas, ist de jure und zugleich de facto geschützt.

2. Der Embryo im Mutterleib ist zwar de jure ge- schützt, de facto aber nicht:

a) vor der Nidation durch die Spirale oder die Pille danach als Mittel der Einnistungsverhütung – das heißt ohne konkrete Konfliktsituation Frau/Kind b) nach der Nidation wegen der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs wegen eines Konfliktes Frau/Kind bis zur 12. Schwangerschaftswoche

c) während der gesamten Schwangerschafts- dauer bei so genannter medizinischer Indikation (nach Pränataldiagnostik) bis zum Geburtsbeginn

3. Sonderfall: Ein Kind, das den Schwanger- schaftsabbruch überlebt hat, ist de jure und de facto geschützt – trotz des Konfliktes Frau/Kind.

Schlussfolgerung: Eine völlig inkonsistente Rechtslage, die auch der Verfassung nicht entspre- chen kann.

Eine unerträgliche Situation für unsere Gynäko- logen und Perinatalärzte!

Darüber hinaus sind weitere wichtige Fragen un- geklärt:

❃Wie lässt sich gewährleisten, dass der Embryo nur auf die genetischen Belastungen oder Chromo- somenstörungen der Eltern untersucht wird?

❃Ist es sicher auszuschließen, dass die Entnah- me einer Zelle zur Diagnostik wirklich keine Schädi- gung des „Rest“-Embryos zur Folge hat?

❃Darf ein künstlich gezeugter Embryo im Rea- genzglas nicht untersucht werden, während ein Em- bryo im Mutterleib jederzeit untersucht werden darf?

❃Und schließlich: Lässt sich die Möglichkeit ei- nes Spätschwangerschaftsabbruchs nach Pränatal- diagnostik mit einem Verbot der PID widerspruchs- frei vereinbaren?

Wie wird denn schon jetzt im Rahmen einer IvF- Behandlung mit Embryonen verfahren, die als schad- haft gelten oder infiziert sind? Man lässt sie sterben.

Ich persönlich sehe die Präimplantationsdiagno- stik von ihrer Intention her genauso wie die Präna- taldiagnostik primär nicht als selektive Methode, sondern als eine Möglichkeit, erbbelasteten Eltern

zu einem gesunden Kind zu verhelfen. Man kann das ablehnen und Paaren mit einer schweren erbli- chen Belastung empfehlen, auf Kinder zu verzich- ten. Das wäre uneingeschränkt auch meine Präfe- renz. Und ich stimme dem Bundespräsidenten un- eingeschränkt zu in seiner Feststellung:

„Wenn es die Möglichkeit gibt, Kinder künstlich zu erzeugen oder die genetischen Anlagen eines Embryos zu testen – entsteht dann nicht leicht eine Haltung, dass jede und jeder, der eigene Kinder be- kommen will, auch das Recht dazu habe – und zwar sogar ein Recht auf gesunde Kinder? Wo bisher un- erfüllbare Wünsche erfüllbar werden oder erfüllbar erscheinen, da entsteht daraus schnell ein Anschein von Recht. Wir wissen aber doch, dass es ein sol- ches Recht nicht gibt.“ Zitatende

Aber, meine Damen und Herren, ist diese Auffas- sung noch mehrheitsfähig, seit die In-vitro-Fertilisa- tion zugelassen ist und Pränataldiagnostik durchge- führt wird mit dem Ziel, intrauterin mögliche Erb- schädigungen bei Kindern festzustellen und diese Kinder dann abzutreiben?

Deshalb sage ich: Durch ein Verbot der Präim- plantationsdiagnostik allein ist die Welt nicht in Ordnung zu bringen. Die Problematik ist komplexer und sollte nicht simplifiziert diskutiert werden.

Ich mahne aber zugleich, dass wir dann die PID unter strikter Kontrolle halten müssen, damit nicht Antworten gesucht werden auf Fragen, die wir nicht stellen wollen. Dann nämlich wäre PID tatsächlich der erste Schritt in Richtung Selektion.

Bedingt durch die derzeit ungeklärte Rechtslage in Deutschland, sehen sich Ärzte häufig dazu ge- drängt, Rat suchende Paare mit erblichen Belastun- gen in einer Konfliktsituation auf eine Behandlung im Ausland hinzuweisen und sich dadurch mögli- cherweise strafbar zu machen. Dies ist für die Ärzte- schaft eine untragbare Situation.

Deshalb appellieren wir dringend an den Gesetz- geber, eine Klärung der Rechtslage herbeizuführen und für den Fall einer Zulassung der PID weitere Kri- terien einer restriktiven Handhabung mitzugestalten.

Diese ganze Diskussion wäre im Übrigen über- flüssig, wenn wir in unserer Gesellschaft Behinderte ohne Wenn und Aber akzeptieren würden.

Umso wichtiger ist es, dass wir Ärzte immer wie- der klarstellen, dass Menschen selbst im frühesten Stadium ihrer Entwicklung, also von der Verschmel- zung der Gameten an, nicht für andere Menschen verfügbar gemacht werden dürfen. Es darf niemals so sein, dass Menschen für den Heilungsprozess an- derer ausgenutzt werden. Verbrauchende Embryo- nenforschung lehnen wir deshalb strikt ab.

Eine ethisch vertretbare Alternative ist die For- schung mit adulten Stammzellen oder Stammzellen aus Nabelschnurblut. Diese müssen wir fördern, so wie es auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft in ih- rer vorletzten Stellungnahme noch empfohlen hat.✮

D O K U M E N T A T I O N 104. DEUTSCHER ÄRZTETAG

A

A1462 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 22½½1. Juni 2001

Eine Zusammenstellung der im Deutschen Ärzte- blatt erschienenen Beiträge zu PID, PND und Em- bryonenschutz lag beim Deutschen Ärztetag aus. Sie kann auch über das Internet unter www.aerzteblatt.de abgerufen werden.

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