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A3402 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 50½½½½15. Dezember 2000 P O L I T I K
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an kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Das deutsche Gesundheitswesen ist ord- nungspolitisch aus dem Tritt geraten.Neuerdings richten sich politische Hoffnungen auf die Regulierungs- kräfte des Marktes (Krankenhaus), andererseits werden von der Selbst- verwaltung Wunder erwartet („Vor- fahrt für die Selbstverwaltung“), und gleichzeitig bestimmt der Staat die primären Spielregeln (Budgets). Die- ses Mischungsverhältnis ist zum größ- ten Teil hochgiftig.
Insbesondere stellt sich in diesem Szenario die Frage, welchen Sinn die Bindung ärztlichen Handelns an Be- rufsnormen macht. Es ist daran zu er- innern, dass die ärztliche Selbstver- waltung, deren Kern die Berufsord- nung für Ärzte darstellt, von der Vor- stellung ausgeht, dass die Gesellschaft den Ärzten die Autonomie in der Be- rufsausübung, Freiheit von Kontrolle durch Laien, Schutz gegen unqualifi- zierten Wettbewerb, hohes Einkom- men und Prestige gegen das glaubwür- dige Versprechen der Selbstkontrolle und die sorgfältige Auswahl der An- gehörigen dieser Profession gewährt (Jochen Taupitz, Universität Mann- heim).
Die staatstheoretischen Überle- gungen, die der Einrichtung der Selbstverwaltung vorausgehen, unter- stellen, dass Selbstkontrolle durch die Selbstverwaltung besser funktioniert als durch Staatsbürokratie bezie- hungsweise den freien Markt. In die- sem System verpflichtet sich der Arzt – jenseits der Normen des Strafrechts –
zu einem bestimmten Verhalten dem Patienten, der Öffentlichkeit und sei- nen Kollegen gegenüber (nicht scha- den, nichts Unredliches versprechen, die fachliche Überlegenheit nicht aus- nutzen, schwarze Schafe bestrafen usw.). In diesem Sinne stellt die ärztli- che Berufsordnung nichts anderes als
„geronnenen Patientenschutz“ dar.
Dies ist gleichzeitig auch gelebte Ver- antwortung eines akademisch hoch stehenden Berufs.
Für die eingelöste Verantwortung zugunsten das Gemeinwesens hat die
Gesellschaft dem Arzt die freie Be- rufsausübung versprochen. Im ord- nungspolitischen Durcheinander las- sen sich aber einige Freiheitskiller er- ster Ordnung identifizieren.
Eine Bedrohung der Freiheit der ärztlichen Berufsausübung geht vor allem von Organisationsmodellen aus, die Ärzte einer betriebswirtschaftli- chen Gängelung unterwerfen (HMO- staff-model); von den Budgets, deren Konsequenzen für ärztliches Handeln und die Versorgung immer deutlicher werden, und einigen Instrumenten der Standardisierung der Medizin.
Auch zum Erhalt der Freiheit des Arztes ist es geboten, die patienten- schützenden Regeln der Berufsord- nung in wenigen klaren und ver- ständlichen Normen zu formulieren und konsequent durchzuhalten, die gesundheitspolitische Gestaltungs- kraft der ärztlichen Körperschaften zu stärken und sich politisch für die Freiheit des Arztes außerhalb der lähmenden Solidarbudgets einzu- setzen. Dr. rer. pol. Wolfgang Klitzsch