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Archiv "1947/1997 – Bundesärztekammer im Wandel (II): Arzt im Krankenhaus Von den Notjahren nach dem Krieg über die Westerländer Leitsätze bis zur anhaltenden Diskussion über die Verzahnung der Leistungsbereiche" (08.11.1996)

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Academic year: 2022

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Die Geschichte der Beziehungen zwischen den Krankenhäusern und ihren Ärzten in den fünf Jahrzehnten seit Ende des Zweiten Weltkriegs hat zwei gegensätzliche Aspekte: Auf der einen Seite steht der gelungene Wie- deraufbau zahlreicher im Krieg zer- störter oder in ihrer Substanz geschä- digter Krankenhäuser und an- schließend daran die Modernisierung und der Ausbau der deutschen Kran- kenhäuser auf den heutigen moder- nen, international anerkannten Lei- stungsstand. Ungeachtet der Partner- schaft zwischen Arzt und Träger im jeweiligen Krankenhaus, die eine we- sentliche Voraussetzung dieses Auf- baus war, und ungeachtet der Koope- ration, die die Verbände beider Seiten in der Gesundheits- und Sozialpolitik notwendigerweise verbindet, gab es andererseits aber auch eine Anzahl interessenbedingter, nicht selten spannungsreicher Auseinanderset- zungen.

Nach schweren Aufbaujahren, nach hohen Investitionen vor allem in den 70er und 80er Jahren, die Staat und Versicherungen finanziell ermög- lichten, standen 1994 insgesamt 2 337 Krankenhäuser mit 618 000 Betten in der Bundesrepublik für die Versor- gung der Patienten bereit (ohne Re- ha-Häuser). Leistungsumfang und Leistungsintensität haben sich ständig erhöht, und hieran haben alle mitge- wirkt: Krankenhausträger, Ärzte, Schwestern und Pfleger sowie die An- gehörigen der zunehmend speziali- sierten weiteren Krankenhausberufe.

Die Zahl der stationär aufgenomme- nen Patienten hat sich von 6,31 Millio- nen (1954) auf 14,62 Millionen (1994) mehr als verdoppelt, die Verweildau- er für Akutkranke sank von 21,6 Ta- gen (1960) auf 11,9 Tage (1994). Im statistischen Durchschnitt wird der-

zeit nahezu jeder fünfte Bundesbür- ger einmal jährlich ins Krankenhaus aufgenommen. 98 Prozent der Kinder werden hier geboren, und etwa die Hälfte aller Sterbenden wird hier in den letzten Stunden betreut.

Die deutschen Krankenhäuser sind ein beachtlicher Wirtschaftsfak- tor mit (1994) 1,147 Millionen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern und ei- nem Jahresumsatz von mehr als 99 Milliarden DM. Allein aus der gesetz- lichen Krankenversicherung bezogen sie 1995 circa 77,6 Milliarden DM, das ist – übrigens seit mehreren Jahren – etwa ein Drittel der gesamten Lei- stungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung.

Rollenverständnis und Interessenkonflikte

Die Zahl der Krankenhausärzte wuchs – parallel mit der Behandlungs- intensität und der Verkürzung der Ar- beitszeit – von 1947 mit circa 19 000 auf 133 000 im Jahre 1995; davon wa- ren 1947 circa 4 000 und 1995 circa 13 000 Chefärzte. Das Krankenhaus hat schon seit Jahren die freie Praxis als Beschäftigungsort für Ärzte weit überflügelt (1995 waren etwa 111 000 Ärzte niedergelassen).

Der angestellte oder beamtete Krankenhausarzt hat ein spezifisches Rollenverständnis. Er ist, wie das auch die Bundesärzteverordnung von 1961 statuiert, Angehöriger eines dem Wesen nach freien Berufes, ins- besondere was seine Unabhängigkeit und Eigenverantwortung in Diagno- stik und Therapie anbelangt. Die Krankenhausärzte mochten sich dem- entsprechend noch nie – im gesell- schaftlichen Sinne – als „Erfüllungs- gehilfen“ der Krankenhausträger de-

finieren – wenngleich sie das im stren- gen juristischen, insbesondere dienst- rechtlichen Kontext sind.

Demgegenüber betonten die Krankenhausträger stets ihren gesell- schaftlich und juristisch gesicherten Versorgungsauftrag, die kirchlichen außerdem ihr Selbstverständnis als religiös-karitative Einrichtungen und ihre verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit vom Staat.

Neben diesem unterschiedlichen Rollenverständnis hatte in den letzten fünf Jahrzehnten auch die Art der Krankenhausfinanzierung starken Einfluß auf die Beziehungen der Krankenhausträger zu den Ärzten.

Vor allem bis Anfang der 70er Jahre waren die Krankenhäuser weit- gehend unterfinanziert. Die Pflege- sätze deckten die Kosten nicht, und das war politisch sogar so gewollt, um die Beitragsmittel der Krankenkassen zu schonen. Investitionen und laufen- de Betriebsführung waren den Kran- kenhäusern damals in aller Regel nur dank erheblicher Zuschüsse ihrer Träger möglich, und diese fielen den steuerfinanzierten Kommunen zu- meist leichter als zum Beispiel Kir- chengemeinden oder religiösen Or- den.

Erst das Krankenhausfinanzie- rungsgesetz von 1972 brachte dann ei- ne – auch von der verfaßten Ärzte- schaft wiederholt angemahnte und damals selbstverständlich erscheinen- de – Kostendeckungsgarantie für die Krankenhäuser. Der Staat trägt seit- her – wenn auch, wie die Beteiligten meinen, derzeit unzureichend – die Investitionskosten im Rahmen einer den Ländern obliegenden Kranken- hausbedarfsplanung. Die Pflegesätze, getragen von den Patienten und ihren Versicherungen, hatten die nachge- wiesenen Betriebskosten eines spar- sam wirtschaftenden Krankenhauses zu decken.

Dieses zeitweise recht großzügig gehandhabte Finanzierungssystem aufgrund nachgewiesener Kosten stieß allerdings je länger, desto stärker auf Kritik und fand auch immer weni- ger die Zustimmung der Bundesärzte- kammer und der Landesärztekam- mern. 1993 wurde es aufgegeben, es wurden Krankenhausbudgets sowie verpflichtend ab 1997 Leistungspau- schalen und Sonderentgelte einge- A-2934 (42) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996

1947/1997: Bundesärztekammer im Wandel (II)

Arzt im Krankenhaus

B U N D E S A R Z T E K A M M E R. .

Gerhard Vogt

Von den Notjahren nach dem Krieg über die Westerländer Leitsätze bis zur anhaltenden Diskussion über

die Verzahnung der Leistungsbereiche

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führt; auch wird für die Zukunft eine Krankenhausfinanzierung aus einer Hand angestrebt. Allerdings geht auch diese Umstellung mit Proble- men in einzelnen Krankenhäusern einher, die unter anderem die Ar- beitsbedingungen der Mitarbeiter und die Leistungsfähigkeit der Häu- ser insgesamt stark beeinträchtigen können, wie die aktuelle Berichter- stattung in dieser Zeitschrift zeigt.

Notjahre der Ärzte nach dem Kriege

1945 erschienen auf dem Arbeits- markt neben den Ärzten, die schon bisher für die einheimische Zivilbe- völkerung gearbeitet hatten, die vie- len anderen, die aus dem Kriegs- dienst, aus Kriegsgefangenschaft oder einer Evakuierung heimkehrten oder aus den verlorenen Ostgebieten oder der damaligen sowjetischen Besat- zungszone geflüchtet waren. Auch hatte man in der NS-Zeit wesentlich mehr Ärzte als bisher ausgebildet, um den zusätzlichen Bedarf der Streit- kräfte und paramilitärischen Organi- sationen zu decken.

Nicht alle, die nun im Kranken- haus arbeiten wollten, wurden dort auch benötigt, ein noch kleinerer Teil erhielt eine Planstelle, und die Verträ- ge waren zumeist auch noch zeitlich li- mitiert. Viele junge Ärztinnen und Ärzte, die ihre Weiterbildung oder die kassenärztliche Vorbereitungszeit ab- solvieren wollten, arbeiteten daher als „Volontärärzte“, „Hilfsärzte“

oder „Gastärzte“: nur teilweise be- zahlt oder – was oft vorkam – ganz oh- ne Gehalt, nur für ein Taschengeld oder freie Verpflegung und Unter- kunft oder nicht einmal dafür. So wa- ren 1947 von 15 000 nachgeordneten Krankenhausärzten in den Westzo- nen nur 8 000 tariflich bezahlt. Noch 1961 hatten 710 von circa 16 500 nach- geordneten Ärzten keine vollbezahlte Stelle.

Die meisten Betroffenen fühlten sich ausgebeutet, weil sie in aller Re- gel vollwertige Arbeit im Kranken- haus zu leisten hatten und nicht, wie manche Träger argumentierten, nur zum zeitlich begrenzten Erwerb von Kenntnissen und Erfahrungen tätig wurden. Die Situation änderte sich

erst allmählich, nicht zuletzt aber auch aufgrund von Musterprozessen, die der Marburger Bund alsbald nach der Währungsreform mit solidari- scher Unterstützung der verfaßten Ärzteschaft für die Betroffenen be- gonnen hatte.

Außerdem entfielen 1960 gemäß einer Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts bis dahin bestehende Zulassungsbeschränkungen für die Kassenpraxis, mehr Ärzte als bisher ließen sich nieder. Die Verbitterung unter den damals jungen Ärzten, die oft auch noch durch kleinliches Ver- halten im einzelnen Krankenhaus ge- steigert wurde, wirkte aber noch jahr- zehntelang nach.

Weitere Verbesserungen der Ar- beitsbedingungen brachte 1961 der BAT, den der Marburger Bund maß- geblich mitgestaltet hatte. Erstmals gab es nun eine tariflich festgelegte Arbeitszeit für Ärzte von 48 Stunden;

bis 1956 waren noch 60 Wochenar- beitsstunden gefordert worden; Über- stunden und zusätzliche Dienste muß- ten oft unbezahlt geleistet werden.

Seither aber gibt es eine bis heute in der Struktur unveränderte Regelung für die Abgeltung von Überstunden, Bereitschaftsdiensten und Rufbereit- schaften. Sie wurde in den 80er Jah- ren durch weitere Tarifverträge und ab 1996 durch das Arbeitszeitgesetz ausgebaut – im Sinne des Gesund- heitsschutzes für den Arzt und vor al- lem, um Patienten vor einer mögli- chen Fehlbehandlung durch zu stark beanspruchte, unausgeruhte Ärzte zu bewahren.

Insgesamt gesehen führten die Tarifregelungen zu einer wesentlich besseren Einkommenssituation der Krankenhausärzte, vor allem, soweit sie regelmäßig Dienste verrichten.

1987 kam zu der Kostendämp- fungspolitik, die den wirtschaftlichen Druck auf die Krankenhäuser in den letzten Jahren permanent erhöhte, ein von der Berufsorganisation von Anfang an abgelehntes Gesetz, nach dem Ärzte in Weiterbildung befristet angestellt werden können. Die Bun- desärztekammer befürchtet, daß da- durch die Kontinuität in der Personal- führung und als Folge davon die Pati- entenbetreuung gefährdet werde. Bei den Mitarbeitern entstehe durch die Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse ein „Wohlverhaltensdruck“.

Vertragsbedingungen für leitende Krankenhausärzte

Von unterschiedlichen Interes- sen überlagert waren zumeist auch die Vertragsverhältnisse der Träger zu den leitenden Krankenhausärzten.

Deren wirtschaftliche Situation be- ruht traditionsgemäß auf einem ver- gleichsweise bescheidenen Gehalt für die Behandlung der Sozialversiche- rungspatienten sowie dem – zumin- dest in den klinischen Fächern zu- meist ertragreichen – Liquidations- recht bei stationären und ambulanten

„Privatpatienten“, aus der Kassenbe- teiligung und aus Gutachtertätigkeit.

Im Rahmen ideologisch moti- vierter Auseinandersetzungen zu Be- ginn der 70er Jahre, die unter ande- rem in der Forderung nach einem

„klassenlosen“ Krankenhaus gipfel- ten, versuchten politisch links orien- tierte Kräfte, das Liquidationsrecht zu beseitigen oder ersatzlos auf das Krankenhaus selbst überzuleiten.

Hiergegen opponierte damals die ärztliche Berufsorganisation sehr nachhaltig: Nur durch das Liquidati-

A-2935 Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996 (43)

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Mit Blick auf das 50jährige Be- stehen der Bundesärztekammer im kommenden Jahr erscheinen in lo- ser Folge Artikel zur Gesundheits- und Berufspolitik der letzten Jahr- zehnte. Die Artikelfolge begann in Heft 38 mit einer Darstellung des Neuaufbaus der ärztlichen Organi- sationen. Der Verfasser des vorlie-

genden Beitrags, der viele Jahre ge- schäftsführend für das Kranken- hauswesen bei der Bundesärzte- kammer tätig war, behandelt insbe- sondere die Bemühungen zur Ver- besserung der Position des ärztli- chen Dienstes im Krankenhaus.

Der an sich vorgesehene Arti- kel über die Stellung des Kassen- arztes in der Sozialversicherung mußte zurückgestellt werden. DÄ

Artikelserie

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onsrecht sei realistischerweise eine angemessene Honorierung der an der Leistungsspitze der Ärzteschaft ste- henden Kräfte zu erreichen. Diese Ansicht setzte sich damals in der Poli- tik durch. Allerdings wurden die bis- her bestehenden Privatstationen auf- gelöst, seither können alle stationären Patienten im Krankenhaus „wahlärzt- liche Leistungen“ in Anspruch neh- men.

Da der Chefarzt bei seinen liqui- dationsberechtigten Tätigkeiten Mit- arbeiter und Ausstattungen des Kran- kenhauses nutzt, hat er, auch nach Meinung der verfaßten Ärzteschaft, eine Abgabe an das Krankenhaus zu leisten, die dessen Kosten in diesem Bereich decken soll. In früheren Jah- ren waren diese Abgaben keineswegs so selbstverständlich wie heute. Nach dem Kriege stellten die Krankenhäu- ser aber zunehmend ihre Forderun- gen; viele verlangen inzwischen einen über eine Kostenerstattung hinausge- henden „Vorteilsausgleich“; dieser trägt – systemwidrig – direkt zur Fi- nanzierung der Krankenhäuser bei.

Inzwischen werden derartige Forde- rungen durch Vertragsmuster der Trä- gerverbände und in den letzten Jah- ren auch durch komplizierte Gestal- tungsformen in Bundespflegesatzver- ordnung und GOÄ gestützt.

Erhöhte Abgaben beeinflussen nicht nur erheblich die Einkommens- situation der leitenden Kranken- hausärzte, sondern auch deren Mög- lichkeit, ärztliche Mitarbeiter an ihren privaten Honorareinnahmen zu be- teiligen, wie ihnen das – nach langen innerärztlichen Auseinandersetzun- gen – seit 1970 der 73. Deutsche Ärz- tetag in Stuttgart durch Änderung der Muster-Berufsordnung aufgab.

Vorschläge der Ärzteschaft zur inneren Struktur

Seit Kriegsende nahm die verfaß- te Ärzteschaft immer wieder pro- grammatisch zur inneren Struktur der Krankenhäuser und ihres ärztlichen Dienstes Stellung und diskutierte dar- über mit den Verbänden der Kran- kenhausträger und mit politischen In- stanzen. Schon der 54. Deutsche Ärz- tetag 1951 in München formulierte erstmals berufspolitische Forderun-

gen, der 64. Deutsche Ärztetag 1961 in Wiesbaden bestätigte sie inhaltlich weitgehend. Danach beschlossen vor allem der 75. Deutsche Ärztetag 1972 in Westerland und der 80. Deutsche Ärztetag 1977 in Saarbrücken neu ge- staltete Leitsätze. Der 77. Deutsche Ärztetag 1974 ergänzte sie durch Leitsätze für die Hochschulreform.

Spätere Ärztetage übernahmen diese Programmatik immer wieder in die gesundheits- und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzte- schaft, und noch heute sind sie Grundlage der Kammerpolitik.

Ausgangspunkt aller Struktur- überlegungen war die zunehmende Differenzierung und Spezialisierung der Medizin. Die meisten Kranken- häuser waren nach dem Kriege darauf noch nicht eingestellt, auch viele größere hatten damals nur zwei bis drei Fachabteilungen (Chirurgie, In- nere Medizin und Gynäkologie, so- weit diese nicht von der Chirurgie mitvertreten wurde), und diese waren entsprechend groß: 150 bis 250 Bet- ten, manche hatten auch mehr, 300 und sogar darüber hinaus.

So viele Patienten aber – argu- mentierte die Bundesärztekammer – könne ein Chefarzt nicht verantwort- lich behandeln, er könne sich schlech- terdings kaum jedem einzelnen zu- wenden. Auch könne er die wachsen- de wissenschaftliche Breite seines Aufgabenbereichs immer schwerer übersehen und sei auf verantwortli- che Zusammenarbeit mit Spezialisten angewiesen. Deshalb, so schon die Forderung 1951, müßten große Ab- teilungen geteilt werden, und dies ist in der Folge auch geschehen.

Aus dem vorhandenen Bettenbe- stand entstanden neue Abteilungen für wichtige, in der ärztlichen Weiter- bildung ausgewiesene klinische Fächer (Urologie, Orthopädie, später auch Neurologie) und Funktionsbe- reiche (Anästhesie, Radiologie, Strahlenheilkunde, Pathologie, La- bormedizin und Blutbank). Außer- dem entwickelten sich in den verblei- benden „großen“ Fächern in den letz- ten zwanzig Jahren zumeist mehrere selbständige Parallelabteilungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten (in der Inneren Medizin zum Beispiel Kardiologie, Hämatologie, Gastroen- terologie, Nephrologie; in der Chirur-

gie zum Beispiel allgemeine Chirurgie und Unfallchirurgie). Am weitesten gedieh die Differenzierung natur- gemäß an Hochschulkliniken und Schwerpunktkrankenhäusern.

Heute gibt es an deutschen Kran- kenhäusern nur noch wenige Abtei- lungen mit mehr als 100/120 Betten.

Dadurch erweiterte sich – auch dank entsprechender apparativer Ausrü- stung – die spezialisierte Patienten- versorgung. Es entstanden aber auch neue selbständige Arbeitsmöglichkei- ten für Krankenhausärzte.

Parallel zur Neugliederung der Abteilungen forderte die ärztliche Berufsorganisation – ebenfalls schon seit den 50er Jahren – mehr Lebens- stellungen für Krankenhausärzte. Es sollten nicht nur junge Ärzte in den Gebieten und Bereichen der Medizin zu Fachärzten, die sich dann nieder- lassen, weitergebildet werden; es müsse vielmehr – über die Chefärzte hinaus – auch ein Stamm erfahrener Fachärzte am Krankenhaus bleiben, um die Spezialisierung der Medizin in der gewünschten Breite realisieren zu können. Auch diese Forderung der Ärztetage hat sich nach und nach ver- wirklicht.

Inzwischen ist die Zahl der am Krankenhaus unbefristet angestellten Fachärzte beinahe genauso groß wie die der niedergelassenen Fachärzte – Anzeichen eines wesentlichen Struk- turwandels im krankenhausärztlichen Dienst gegenüber der Kriegs- und Vorkriegszeit.

Westerländer Leitsätze

Eine wesentlich andere Kran- kenhausstruktur als bisher gewohnt schlug der Westerländer Ärztetag 1972 vor. Er gab die bisherige Forde- rung, die Krankenhäuser in kleinere, für einen Chefarzt überschaubare Fachabteilungen mit weniger Betten zu untergliedern, auf – aus Sorge vor einer zu starken Zersplitterung der Medizin zum Nachteil der Patienten.

Statt dessen rückte er nun eine Inte- gration der Einzelaufgaben in einem übergreifenden Fachbereich in den Vordergrund.

Die Bettenzahl der das ganze Fachgebiet umfassenden Abteilun- gen solle nicht mehr schematisch be- A-2936 (44) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

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grenzt werden, sondern sich an der er- kennbaren Leistungsnachfrage im je- weiligen Fach und in seinen Teilgebie- ten orientieren. Die Abteilung solle dann gewissermaßen von innen her- aus, aber ohne eine zahlenmäßige Aufteilung der Betten, strukturiert werden; die Patienten sollen in gere- gelter kollegialer Zusammenarbeit von der Fachgruppe versorgt werden.

Dieses Team solle aus erfahrenen Fachgruppenärzten und einem koor- dinierenden leitenden Arzt bestehen und von in Weiterbildung stehenden Stationsärzten unterstützt werden. Je- der Patient solle einen für ihn persön- lich verantwortlichen und seine Be- handlung koordinierenden Fachgrup- penarzt haben.

Dem Westerländer Ärztetag ging es also nicht um eine „Demokratisie- rung“ der Krankenbehandlung und schon gar nicht um Mehrheitsabstim- mungen am Krankenbett. Gefördert werden sollte aber die gegenseitige Beratung und Information in einem überschaubaren Arbeitsbereich. Da- für sollten auch entsprechende Gre- mien sorgen.

Leitsätze bisher kaum verwirklicht

Bemerkenswerterweise verab- schiedete der 75. Deutsche Ärztetag 1972 in Westerland die Leitsätze da- mals einstimmig, mit Zustimmung al- ler wichtigen berufspolitischen Kräfte innerhalb der Ärzteschaft (Chefarzt- verband, Marburger Bund, Hart- mannbund, NAV, Kassenärztliche Bundesvereinigung und Allgemein- arztverband). Die Leitsätze entspra- chen ganz oder teilweise Reformvor- stellungen, die in diesen Gruppierun- gen, am weitesten gehend 1971 in der Mitgliederversammlung des Marbur- ger Bundes in Saarbrücken, ent- wickelt worden waren. In wesentli- chen Punkten entsprachen sie sogar einer danach 1973 herausgegebenen Empfehlung der Deutschen Kranken- hausgesellschaft („Moderne Kran- kenhausstrukturen“).

Trotzdem sind die Westerländer Leitsätze bis heute kaum verwirklicht worden. Insbesondere rückten die Trägerorganisationen und auch der Chefarztverband – teilweise unausge-

sprochen – später von dem 72er Ideengut wieder ab. Sie betonten die Notwendigkeit, den hierarchischen Aufbau des krankenhausärztlichen Dienstes beizubehalten, um eine ein- heitliche Führung und Lenkung des Krankenhauses ermöglichen und eine sichere wirtschaftliche Betriebs- führung gewährleisten zu können.

Vertreter der Ärzteschaft haben da- gegen bis in die jüngste Gegenwart betont, daß mit ihren Vorschlägen zahlreiche Probleme der weiteren Entwicklung der Krankenhäuser und Hochschulkliniken hätten gelöst wer- den können.

Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung

Noch weniger Zuspruch fand 1970/71 ein in den Gremien der Bun- desärztekammer und im Hartmann- bund diskutiertes Strukturmodell

„Krankenhausärztliche Vereinigun- gen“; es ging von Vorschlägen des Kölner Wirtschafts- und Sozialwis- senschaftlers Prof. Dr. Philipp Her- der-Dorneich aus. Kern dieser Über- legungen war es, die Krankenhaus- ärzte aus ihrem Angestelltenverhält- nis zu den Krankenhausträgern zu lö- sen, in eine begrenzte Freiberuflich- keit zu überführen und im Rahmen öffentlich-rechtlicher Selbstverwal- tungskörperschaften zusammenzu- schließen. Diese sollten im Rahmen eines Gesetzes- und dreiseitigen Ver- tragsgeflechts gegenüber Kranken- häusern und Krankenkassen die ärzt- liche Versorgung der Kranken- hauspatienten gewährleisten, die Ärz- te direkt honorieren und vor allem zu einer seit langem geforderten „Ver- zahnung“ zwischen ambulanter und stationärer Versorgung beitragen. In- teressanterweise wird ein derartiges Selbstverwaltungsmodell nun im Rahmen der Grundsatzüberlegungen zur dritten Stufe der Gesundheitsre- form ernsthaft diskutiert – obgleich wohl auch jetzt noch Ablehnung oder Desinteresse überwiegen.

Damit bleibt allerdings auch wei- terhin – trotz jahrzehntelanger Dis- kussionen – eine qualitätsgesicherte, gesundheitspolitisch und in den wirt- schaftlichen Auswirkungen überzeu- gende Verzahnung der ambulanten

und stationären Leistungsbereiche unvollendet. Die Ärzteschaft hat sich hier immer für personale Lösungen eingesetzt – im Gegensatz zu den per- manent seit 1945 wiederholten Forde- rungen der Krankenhausträger nach Einschaltung der Krankenhäuser als Institution in die ambulante Vor- und Nachbehandlung ihrer Patienten.

Eine solche personale Lösung wäre nach Meinung der Bundesärzte- kammer der entschlossene Ausbau ei- nes modifizierten kooperativen Be- legarztsystems; in Wirklichkeit geht die Zahl der Belegärzte langsam, wenn auch konstant zurück, und Ko- operationsmodelle, die diese Versor- gungsform in ihrer Effektivität glaub- haft machen könnten, werden kaum realisiert. Umgekehrt tendieren die Kassenärztlichen Vereinigungen, dem Gesetz entsprechend, dazu, die per- sönliche Beteiligung qualifizierter Krankenhausärzte an der ambulanten kassen(vertrags)ärztlichen Versor- gung zu reduzieren, weil sich das Lei- stungsspektrum der freien Praxen qualitativ und quantitativ ständig ver- dichtet hat und damit das Bedürfnis für Beteiligungen immer mehr sinkt.

Was zur Lösung des Verzah- nungsproblems bleibt, sind die zahl- reichen Empfehlungen der Berufs- vertretung (unter anderem wieder- holt seit dem 80. Deutschen Ärztetag 1977 in Saarbrücken), sind Gesetzes- vorschriften sowie Verträge der ge- meinsamen Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärzten, die eine engere praktische Kooperation zwi- schen den Berufskollegen im Kran- kenhaus und in freier Praxis bewirken sollen. Leider ist aber auch diese im manchmal beschwerlichen Alltag der Ärzte nicht optimal.

Es sind Lösungsansätze der Selbstverwaltung gefragt, wenn sich nicht die Politik dieses für die Struk- tur des deutschen Gesundheitswesens so brisanten Themas auf ihre Weise bemächtigen soll.

Anschrift des Verfassers:

Gerhard Vogt Im Eschfeld 54 52351 Düren A-2938 (45) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 45, 8. November 1996

T H E M E N D E R Z E I T 50 JAHRE BUNDESÄRZTEKAMMER

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-2934–2938 [Heft 45]

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