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Archiv "FOLTER: Geißel des 20. Jahrhunderts" (09.03.1989)

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AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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egierungen lassen foltern. Zu den Folterknechten zählen nicht selten - und das ist be- drückend zu wissen - auch Ärzte.

Bereits 1975 hatte sich der Weltärz- tebund auf seiner Generalversamm- lung in Tokyo dieses Themas anneh- men müssen und schließlich in der

„Deklaration von Tokyo" die Teil- nahme von Ärzten an Folterungen, Grausamkeiten und anderen un- menschlichen, die menschliche Wür- de verletzende Handlungen und Mißhandlungen in Verbindung mit Haft und Gefangenschaft verurteilt.

Die „Deklaration von Tokyo" ist aktuell wie nie zuvor. Soeben erst hat der „Ständige Ausschuß der Ärz- te der Europäischen Gemeinschaft"

angestoßen durch Hilferufe aus aller Welt anläßlich einer Tagung in Ma- drid wieder über die Beteiligung von Ärzten an Folter beraten müssen.

Vor allem die dänische Ärzte-Orga- nisation drängte in einer Sitzung der Arbeitsgruppe „Berufsordnung und ärztliche Ethik" auf eine Erklärung der EG-Ärzteschaft. Die Arbeits- gruppe stimmte schließlich den Grundzügen einer solchen Erklä- rung zu; im einzelnen muß eine sol- che Deklaration noch formuliert werden. Sie wird dann bei der Ta- gung der Delegationsleiter der EG- Arzteschaften im Mai vorgelegt wer- den; aller Voraussicht nach wird es dann zu einer Erklärung gegen die direkte und indirekte Teilnahme an Folterungen und zu einem Aufruf an alle Ärzte kommen, Kollegen, die in Bedrängnis geraten sind, zu unter- stützen.

Die dänische Ärzte-Organisa- tion ist, ähnlich wie die British Medi- cal Association (BMA), auf diesem Gebiet schon seit Jahren besonders aktiv. In Kopenhagen gibt es ein in- ternationales Rehabilitations- und Forschungszentrum für Folteropfer.

In Kopenhagen fand 1986 erstmals ein internationales Treffen über ärztliche Ethik und Folter statt. Die BMA hat 1986 ihren „Torture Re- port" herausgebracht. In London trafen sich im Oktober 1988 erneut Ärzte und Angehörige anderer Ge- sundheitsberufe zu einem Seminar über die Rehabilitation der Opfer von Folterungen und deren Fami- lien.

Ein dänischer Delegierter be- zeichnete bei der EG-Tagung in Ma- drid die Folter „als die Geißel des 20. Jahrhunderts", und er beklagte, daß der Berufsstand, der hierbei be- sonders „häufig, wenn nicht am mei- sten" beteiligt sei, die Arzte seien - trotz des hippokratischen Eides, trotz der „Deklaration von Tokyo",

FOLTER

Geißel des 20.

Jahrhunderts

trotz der Erklärung der Vereinten Nationen über die Grundsätze medi- zinischer Ethik von 1982 und der Konvention der Vereinten Nationen über die Verletzungen der Men- schenrechte von 1984. Der Däne nannte ein kleines Land in Südame- rika, in dem die Zahl der an Folte- rungen teilnehmenden Ärzte inner- halb der letzten 15 Jahre von rund 160 auf 800 gestiegen sei. Aus den Diskussionen in Madrid und den Hilferufen aus vielen Ländern geht übrigens hervor, daß die Folter keine Spezialität bestimmter politischer Systeme oder Ideologien ist.

Weshalb beteiligen sich Ärzte?

In Madrid kamen zwei Motive zur Sprache. An erster Stelle steht schlichtweg die Angst. Wer nein sagt, riskiert seine Stelle, riskiert es, selbst gefoltert zu werden, riskiert sein Leben. Das zweite Motiv er- scheint kaum glaublich, doch es stimmt wohl: manche Arzte und manche Regierungen wissen offen- bar nicht genügend Bescheid über die berufsethischen Vorschriften, die Ärzten die Teilnahme an Folterun- gen untersagt. Folglich wurde auch in Madrid wieder, wie zuvor in To- kyo und bei anderen einschlägigen Treffen, eine breite Aufklärung der Ärzteschaft und von vornherein eine bessere Ausbildung in Berufsethik gefordert. Ärzte, die sich trotz aus- reichender Informationen an Folte- rungen beteiligten, sollten aus dem Berufsstand ausgeschlossen werden.

Einfache Rezepte gegen die Angst gibt es nicht Hilfreich kann es aber für viele Ärzte sein, wenn sie über das Ansinnen, an Folterungen teilnehmen zu sollen, internationale Organisationen informieren können und wenn der Fall über diesen Weg publik wird. Öffentlichkeit ist immer noch der beste Schutz für bedrängte Ärzte.

Zwei weitere Grenzfragen ka- men bei der EG-Tagung in Madrid zur Sprache:

1. Wie steht es mit der indirek- ten Beteiligung des Arztes? Gemeint ist, daß ein Arzt einen Gefolterten behandelt, wohlwissend, daß der durch die Behandlung nur insoweit wieder hergestellt werden soll, damit er weiter gefoltert werden kann. Im Prinzip gilt auch hier: Das ist gleich- falls Beteiligung an Foltermaßnah- men. Aber: wo liegt die Grenze zur ärztlichen Hilfe für einen behand- lungsbedürftigen Patienten? Man wird die Antwort dem einzelnen Arzt, freilich dem ethisch wohlausge- bildeten und informierten Arzt, zur individuellen Entscheidung überlas- sen müssen.

2. Gehört auch die Zwangsbe- handlung Hungerstreikender zu dem Komplex „Folter"? Die Meinungen zu dieser Frage wogten in der Ar- beitsgruppe „Berufsordnung und ärztliche Ethik" des Ständigen Aus- schusses der EG-Ärzteschaft hin und her. Man gab sich aber schließlich mit dem Hinweis zufrieden, daß die

„Deklaration von Tokyo" die Zwangsernährung verurteilt; in To- kyo sei man, hieß es, davon ausge- gangen, daß jeder Patient, so er kla- ren Willens sei, das Recht habe, eine Behandlung abzulehnen. Doch wie- derum treten Grenzfragen auf: wann und wie lange kann ein Gefangener, der im Hungerstreik ist, klaren Wil- lens eine Entscheidung treffen?

Wann muß ein Arzt ihn gleichsam wie einen Notfall ärztlich versorgen?

Auch hier wird der einzelne Arzt letzten Endes auf sich allein gestellt sein.

In Madrid löste man das Pro- blem

Zwangsernährung insofern fürs

erste, eher formal, indem man sagte, dieses Thema gehöre nicht in die in Aussicht genommene Erklärung zur Folter. NJ Dt. Ärztebl. 86, Heft 10, 9. März 1989 (17) A-609

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