DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
DAS BESONDERE BUCH
V
erbis, herbis, lapide". Diese Stufenfolge der ärztlichen Maßnahmen bestimmt tradi- tionell die Therapie des Arztes. Von Honorar und Abrechnungsmodalitä- ten ist in diesen alten Grundsätzen nicht die Rede, wie wenn der Arzt nur vom Heilerfolg leben könnte. Es ist auch nicht die Rede von Versu- chungen, die von einer vermuteten, scheinbar unüberwachten Gestal- tungsfreiheit im Abrechnungswesen auszugehen scheinen. An diesem Punkt setzt das Buch') unter straf- rechtlichen Gesichtspunkten (Hem- pler) mit einer kriminologischen Er- gänzung (Schäfer) an.Die Schrift Hemplers sieht das ärztliche Abrechnungswesen vor- nehmlich in seinen „Entartungser- scheinungen" und mit den Augen der Staatsanwaltschaft, die bekannt- lich dem Verfolgungszwang unter- liegt. Er konzentriert seine Auf- merksamkeit auf die Auswertung je- ner Betrugsverfahren der vergange- nen Jahre, in denen Ärzte als Ab- rechnungsmißbraucher bloßgestellt wurden. Die Mehrzahl der ordent- lichen Abrechner spielt hier keine Rolle.
Die Intention des mit Sachver- stand aufbereiteten Materials, das in leicht verständlicher Form durch ein fremdes Fachgebiet den Ärzten an- geboten wird, liegt in der Präven- tion. Das Buch will Versuchungen dämpfen, indem es die Anlässe auf- zeigt, bei denen bisher Ärzte in zu großer Zahl scheiterten, weil sie den Gelegenheiten unterlagen und die schwachen Selbstkontrollen nicht fürchteten. Die Beschreibung der Lage und die verwendeten Begriffe mögen gelegentlich vom Arzt als un- angenehm empfunden werden. Das subjektive Unbehagen des Lesers ändert nichts an dem hochanzuset- zenden Nutzwert der vermittelten Informationen. Sie können Schlim- meres verhüten. Vor allem wohl deshalb hat der Präsident der Bun- desärztekammer, Dr. med. Karsten
1) Werner Hempler, Abrechnungsmani- pulationen bei ärztlichen Honoraren und Arz- neimittelabgaben. Mit einem Anhang von Dr. jur. Herbert Schäfer: zur Täterpersönlich- keit des Wirtschaftskriminellen, Fachschriften- verlag Dr. jur. Schäfer, Bremen, 1988, bro- schiert, 190 Seiten, 38 DM
Vilmar, ein empfehlendes Vorwort geschrieben. Er hebt nicht nur die Abgrenzungskriterien hervor, mit deren Hilfe die „Schwarzen Schafe`
Berufsstandes von rechtstreu ab- rechnenden Ärzten unterschieden werden können, sondern er sieht auch in Hemplers Materialien ein wichtiges Instrument, um einer um- sichgreifenden Pauschalverdächti- gung der Ärzteschaft entgegentreten zu können.
Der Arzt, der die Erfahrungen der Staatsanwaltschaft berücksich- tigt und auch die kriminologische Beschreibung der „Berufskriminali- tät" (Schäfer) akzeptiert, wird sich
Abrechnungsmanipulation
us
Nähkästchen eines Staatsanwaltes
selbst gegenüber voreiligen Ver- dächtigungen absichern können. Er kann mit Hilfe des Leit(d)-Fadens leichter den „bösen Schein" ver- meiden, der zu strafprozessualen Zwangsmaßnahmen führen kann, zur Durchsuchung seiner Praxis, zur Sicherstellung seiner Karteien, im schlimmsten Falle zur Untersu- chungshaft . . . und mittelbar zum Ruin der Praxis selbst dann, wenn sich der Anfangsverdacht entkräften sollte.
Prävention beginnt mit dem Er- kennen der Problemlage, mit dem Willen zum Selbstschutz und der entsprechenden Information. Die Rezeption verdichteter Fremderfah- rung, von Juristen aufbereitet, ist daher ein Akt der Klugheit!
Autor Hempler hat sich seit Jahrzehnten als Wirtschaftskrimina- list — und dann als Leiter der Staats- anwaltschaft in Mainz — einen Na- men als Fachmann erarbeitet. Er be- arbeitete die großen Fälle der „Rü- stungskriminalität" und Wiedergut- machungsbetrügereien in Koblenz und zentral für Rheinland-Pfalz alle Fälle von Weinfälschung. Er ist Praktiker, und er bietet praktikable
Erfahrungen. Sein Beitrag beginnt mit der Beschreibung des Hono- rar- und Rezeptbetruges als Lage, führt dann über die Kapitel „Arzt- recht` „Apothekerrecht" zu den im einzelnen beschriebenen Beispie- len des ärztlichen Abrechnungsbe- trugs.
Es folgen Ausführungen über verschiedene Betrugsmethoden und zum Abrechnungsbetrug als Teil der Wirtschaftskriminalität. Er belegt die verschiedenen Abrechnungsva- rianten mit plastischen Begriffen wie
„Luftabrechnung" , „Leistungsauf- wertung` „Leistungssplitting" ,
„Luftrezepte" , „Doppelabrechnun- gen" , „Leistungsanreicherungen",
„Rabattbetrug". Er beschreibt die unzulässige Berechnung von Hilfs- personalleistungen, verbotene
„Vertretungen" , die Luftabrech- nungen als „Eintrittsgebühr" und
„Leistungsblasen". Sämtliche Fälle, die er auswertet, stammen aus rechtskräftig abgeschlossenen Straf- verfahren, die mit der Verurteilung der inkriminierten Ärzte endeten.
Daran anknüpfend beschreibt Herbert Schäfer, Kriminalist mit vierzigjähriger Berufserfahrung, die Figur des Wirtschaftskriminellen aus kriminologisch-soziologischer Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Schichtzugehörigkeit und der damit im Zusammenhang zu sehen- den schichtspezifischen Verhaltens- weisen, Einstellungen und Tricks.
Hier werden jene Arzte mit 25stün- digen Arbeitstagen erwähnt, von de- ren Umtrieben eine nahezu anstif- tende Sog- und Spiralwirkung auf die Praxen der ehrlichen Ärztemehr- heit ausgeht.
Vilmar schrieb zu diesem Buch,
„daß es sich (bei den geschilderten Fällen; d. Rez.) nicht um reine Ba- gatellen gehandelt hat" , und er meint: „Wenn die Darstellung so gravierender Straftaten durch Arzte auf dem Gebiet des Abrechnungs- wesens dazu beitragen kann, ab- schreckend zu wirken, so wäre dies auch aus der Sicht der Ärzteschaft zu begrüßen."
Inzwischen liegen zustimmende Äußerungen von Ärzten mit „ein- schlägigen Erfahrungen" vor. Sie le- sen den Report „zu spät".
Dr. K. L. de Wey, Bremen A-84 (24) Dt. Ärztebl. 86, Heft 3, 19. Januar 1989