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Archiv "Gegen Überforderung des Arztes" (27.11.1975)

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Die Information:

Bericht und Meinung DIE GLOSSE

„Offener Brief an einen Mann, den beim Warten

revolutionäre Ideen plagen

Sehr geehrter Herr Kottmann, das ist ja einfach kolossal, was Sie da in der Ausgabe 15 von „Metall" be- richtet haben:

> Bei Ihnen stellen sich ,die ab- sonderlichsten Gedanken' ein, wenn Sie beim Arzt warten müs- sen,

1> nämlich manche Revolutionen hätten gar nicht stattgefunden, wenn man die Revolutionäre nicht hätte warten lassen.

Bravo so, lieber Herr Kottmann, in Ihnen steckt noch mancherlei, von dem Sie gar nichts gewußt haben;

Sie haben geglaubt, Sie seien ein Journalist, und nun entdecken Sie dank des Wartens auf Ihren Arzt, daß Sie das eigentlich gar nicht sind, sondern daß mit ,der Gesell- schaft' etwas nicht in Ordnung ist, und daß in Ihnen ein richtiger Re- volutionär steckt!

Schöne Gesellschaft das und schö- ne Erkenntnisse, die Sie da gewin- nen! Nun, machen Sie sich da mal keine Sorgen, Journalisten gibt's genug, und Sie werden die Gesell- schaft schon ändern! Sie haben bestimmt das Zeug dazu, denn mit dem Journalismus ist das so'n Ding:

Immer dieser Zwang zur objektiven Berichterstattung, immer dieses seriöse journalistische Berufsethos!

Alles kalter Kaffee, da hat es so'n richtiger Revolutionär doch viel besser — im allgemeinen meine ich. In Ihrem besonderen Falle ist es schon schwieriger, denn Sie machen nur so'n bißchen in Klas- senkampf und dazu noch in so 'nem zahmen Blatt wie ‚Metall', dessen kritischen Lesern Sie nicht allerdicksten Senf verpassen kön- nen. Eigentlich schade für Sie, daß Sie ein wenig spät geboren sind;

nach solchen Kerlen wie Sie hätte sich Julius Streicher beim ‚Stür- mer' die Finger geschleckt! Sie ha-

ben den richtigen Stil für so funda- mentale Erklärungen, daß eine be- stimmte Minderheit ,an allem schuld' ist. Prima machen Sie das, aber ich bin — wie oben schon an- gedeutet — nicht überzeugt, daß die Gewerkschaftler das alles so unverdaut schlucken, wie Sie es produzieren.

Sie haben sich beim Warten auf ärztliche Behandlung gefragt, ob Sie mit Ihren Zweifeln über den Sinn des Wartens und den Gleich- heitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht lieber zum Psychiater gehen sollen? Ich kann Ihnen dazu nur dringend raten, denn Sie machen aus einer Sache, um deren Milde-

-ZITAT

Gegen Überforderung des Arztes

Wir dürfen vom Arzt nichts verlangen, was er nicht lei- sten kann. Es gibt eben keine Pille für den Herzinfarkt. Wir müssen den Arzt weniger in die Versuchung bringen, durch autoritäres Gehabe und den Griff zum Rezept- block, der Rolle gerecht zu werden, in die er sich durch Interessen und Vorurteile ge- drängt sieht. Wenn es auch keine klar lokalisierbaren Ur- sachen für die modernen Volkskrankheiten geben mag, die sogenannten Risikofakto-

ren sind um so einfacher deutlich zu machen: übermä- ßige oder falsche Ernährung, Bewegungsmangel, aktives und passives Rauchen, un- mäßiger Medikamentenkon- sum.

Dr. Erhard Eppler, Landes- vorsitzender der SPD Baden- Württemberg, auf deren Lan- desparteitag in Freiburg

rung Tausende von Ärzten bemüht sind, eine paranoide Story. Der Le- ser von ‚Metall', der mir Ihren Arti- kel zusandte, meinte jedenfalls, in diesem Blatt sei der Unterschied zwischen Pressefreiheit und Nar- renfreiheit unbekannt, und ich be- ziehe diese Vermutung auf Ihren Aufruf zur Revolution.

Ein kurzes Wort zum Thema ‚War- tezeiten beim Arzt': Ich habe eine Broschüre für Ärzte geschrieben, welche Ratschläge für die Verkür- zung von Wartezeiten gibt und in Tausenden von Exemplaren ver- breitet wurde. Viele meiner Kolle- gen und ich fanden, daß die Zumu- tungen einer uns aufgedrängten Massenmedizin Verwaltungsmaß- nahmen im Praxisablauf erforder- lich machten, um den Kranken das Warten zu erleichtern. Dies war im Jahre 1972, als Sie, Herr Kottmann, vermutlich noch versuchten das Schreiben zu lernen!

Ich habe also ziemlich viel Erfah- rung mit der Bewältigung des War- teproblems, und ich sage Ihnen fol- gendes:

0 Es gibt nichts Ungewisseres als den Ablauf eines Praxistages.

0 Ein einziger zeitaufwendiger Krankheitsfall kann alle Planung zunichte machen.

'0 In einer großen Praxis sind Pa- tienten, die an den Wartenden vor- bei Einlaß finden, die Regel, denn laufende Behandlungsfälle sollen nicht täglich neu warten müssen.

Diese Kranken sind in der Tat ‚pri- vilegiert' nicht ,wegen ihrer Her- kunft', sondern weil sie täglich In- jektionen, Verbände, Bestrahlun- gen oder was weiß ich erhalten und deshalb bestellt werden.

Ihre unqualifizierten Unterstellun- gen, Herr Kottmann, deren geistige Verarbeitung in Ihnen den Ent- schluß zur Reife gebracht hat, Re- volutionär zu werden, sind also un- begründet. Wenn Sie solchen Mist in meiner Praxis verbreiten wür- den, bekämen Sie es mit meinen Patienten handgreiflich zu tun! >

3298 Heft 48 vom 27. November 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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