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Archiv "Eindrücke aus Israel und Palästina: Hoffnung im „Heiligen Land“" (03.09.2004)

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in zehnminütiger Rundgang in der Altstadt Jerusalems reicht aus, um zu drei religiösen Monumenten zu gelangen, die für die monotheistischen Weltreligionen zentrale Bedeutung haben: dem Tempelberg mit dem Felsen- dom, von dem aus der Prophet Moham- med der Legende nach auf seiner Stute gen Himmel ritt. Daran grenzt die west- liche Mauer, die Klagemauer, als ver- bliebener Teil des zweiten Tempels der Juden, den die römischen Besatzer im Jahr 70 nach Christus zerstörten, womit

die Diaspora des jüdischen Volks be- gann. Und schließlich, an der Via Dolo- rosa, die Grabeskirche, die Golgatha und das Grab des gekreuzigten Christus überwölbt. Heilige Orte all dies, die von Gläubigen aus der ganzen Welt aufge- sucht werden zum Gebet. Gleichzeitig aber auch Orte des hasserfüllten Streits vor allem zwischen Muslims und Juden um die Kontrolle über diese Stätten.

Deutschlands Geschichte ist auf ver- hängnisvolle Weise mit der Gründung Israels und der Vertreibung palästinen- sischer Einwohner verknüpft. Ein Be- such des Holocaust-Museums in der Ge-

denkstätte Yad Vashem erinnert einmal mehr an das ungeheuerliche Geschehen der Verfolgung und systematischen Aus- rottung von Millionen von Juden. Die Erinnerung lässt aber auch die Schluss- folgerung der Überlebenden nachvoll- ziehbar erscheinen, dass angesichts der Billigung oder Hinnahme des Grauens durch deutsche und andere europäische Nachbarn nur die eigene militärische Macht Vergleichbares in Zukunft ver- hindern kann. Die Regierung Sharon verbindet dies darüber hinaus mit den expansiven Zielen ei- nes „Groß-Israel“, das Anspruch auf den bi- blischen Lebensraum erhebt – ohne „frem- de“ Mitbewohner.

Dass man auch andere Konsequenzen

aus der Geschichte ziehen kann, belegt die Arbeit der israelischen Sektion der

„Ärzte für Menschenrechte“ (Physi- cians for Human Rights, PHR). Wir be- gleiten deren „mobile clinic“ und fahren zusammen mit 20 israelischen und inter- nationalen Ärzten, Krankenschwestern und Journalisten an einem Sabbat in die besetzte West Bank. Nachdem wir einen Militär-Checkpoint passiert haben, wer- den wir in der kleinen palästinensischen Stadt Tubas freudig empfangen. Als deutscher Orthopäde ist man in der am- bulanten Sprechstunde in den Räumen des „Roten Halbmonds“ hoch willkom- men, unterstützt von Pnina Feiler, einer israelischen Krankenschwester, die sehr gut deutsch und arabisch spricht.

Protest gegen den Mauerbau

Das gemeinsame Essen mit den palä- stinensischen Gastgebern drückt deut- lich den Wunsch aus, nicht nur Hilfe zu empfangen, sondern auch etwas zurückzugeben. In der freundschaft- lichen Atmosphäre scheint die sehr reale Möglichkeit der Versöhnung und des friedlichen Zusammenlebens von Arabern und jüdischen Israelis auf.

Pnina Feiler treffen wir zwei Tage später vor dem Amtssitz von Minister- präsident Ariel Sharon in West-Jeru- salem wieder. Israelische Friedensakti- visten protestieren dort gegen den T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 363. September 2004 AA2379

Eindrücke aus Israel und Palästina

Hoffnung im

„Heiligen Land“

Eine Delegation der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs besucht gemeinsame Gesundheitsprojekte von Israelis und Palästinensern.

Israelische Soldaten durchsuchen einen palästi- nensischen Krankenwagen.

Mauerabschnitt in der West Bank: Das Oberste Gericht in Jerusalem hat Zeitungsberichten zufolge am 30. Juni Grenzkorrekturen gefordert. Die bisherige Route missachte in unzulässiger Weise Eigentums- und Grundrechte der Palästinenser. Premierminister Ariel Sharon hat daraufhin betont, dass es keine geschlossenen palästinensischen Enklaven geben werde.

Foto:AP

Foto: AFP

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Mauerbau auf palästinensischem Ge- biet. Die Stimmung ist gedrückt, denn wieder einmal haben palästinensische Attentäter am Vortag durch einen grau- enhaften Selbstmordanschlag in einem Jerusalemer Bus acht Menschen getötet und etliche schwer verletzt und den berechtigten politischen Anliegen der palästinensischen Bevölkerung in der Öffentlichkeit erheblichen Schaden zu- gefügt. Die Regierung Sharon nutzt die Untat unmittelbar, um die Berechtigung ihres „Separation Fence“ zu belegen.

Aber dieser Zaun beziehungsweise die bis zu acht Meter hohe Betonmauer kann nicht als legitimer Grenzschutz verstanden werden, wie das Beispiel Bu- drus zeigt.Der Gemeinderatsvorsitzende des palästinensischen Dorfes und Mit- organisator des zivilen Ungehorsams gegen den Bau des „Trennungszauns“, Muhamed Khaled, erläutert, dass sein Dorf dadurch weitere 50 Prozent seiner Olivenplantagen verliere, außerdem die Möglichkeit der Arbeit auf israelischen Baustellen, was die Arbeitslosigkeit im Dorf über die durchschnittlichen 70 Prozent ansteigen ließe. Die Aufforde- rung an die israelischen Behörden, den Zaun zumindest um rund 100 Meter zurück- und damit auf die gültige De- markationslinie zu versetzen, stieß auf taube Ohren. Allerdings waren durch Sitzblockaden israelischer und interna- tionaler Aktivisten die Bauarbeiten vor- läufig eingestellt worden. Der Plan der israelischen Regierung sah im Übri- gen vor, dass Budrus nicht nur im Westen, sondern zusammen mit sechs weiteren palästinensischen Dörfern auch von Osten eingezäunt werden sollte, sodass die Bewohner den um- zäunten Bereich nur durch von israeli- schem Militär bewachte Zugänge ver- lassen könnten. Israelische Mauer- gegner sprachen von neuen Ghettos.

In der West Bank waren 16 solcher En- klaven geplant. Aber auch die Israelis leben mehr und mehr in einem Sicher- heitsstaat, auch sie würden zu Gefäng- nisinsassen mit Ausgang, sagt Prof.

Dan Bar On bei unserem Besuch in der Beer-Sheva-Universität.

Einen halben Tag verbringen wir in zwei Flüchtlingslagern in der Nähe von Bethlehem. Zwei palästinensische Me- dizinstudentinnen, Nedaa Issa und Maha, die bei den Internationalen Ärz-

ten für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) mitarbeiten, bereiten dort ein Projekt über psychosoziale Auswirkun- gen von Krieg und Gewalt auf Kinder und Jugendliche vor, das Palestinian Refugee Project. In der größeren Not- siedlung Dheisheh leben 11 000 Men- schen auf engstem Raum. Im dortigen Kulturzentrum versuchen die palästinen- sischen Mitarbeiter, vor allem für Kinder, Jugendliche und Frauen Betätigungs- und Ausdrucksmöglichkeiten zu schaf- fen (www.ippnw-students.org/ReCap).

Gesundheitlicher Notstand

Daten des Institute of Community and Public Health der Birzeit-Universität und der PHR in Tel Aviv belegen den ge- sundheitlichen Notstand, dem die etwa 3,8 Millionen Menschen in den palästi- nensischen Autonomiegebieten unter militärischer Besatzung ausgesetzt sind:

Mehr als 61 Prozent der Bevölkerung leben in extremer Armut. 35 Prozent der Kinder unter zehn Jahren leiden an Anämie. Bei 20 Prozent der Kinder un- ter fünf Jahren sind schwere zerebrale Entwicklungsstörungen aufgrund per- manenter Unterernährung nachweisbar, teilte der Schweizer UN-Sonderbericht- erstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler,im Juli 2003 mit.Das Kinderhilfs- werk der Vereinten Nationen stellte ebenfalls 2003 fest, dass alle 1,8 Millionen palästinensischen Kinder Gewalt in ver- schiedenen Formen erlebt haben. Das Gaza Community Mental Health Center erklärte, dass 99 Prozent der im Jahr 2002 therapierten traumatisierten Kin- der erlebten, dass ihr Haus beschossen wurde, 4,2 Prozent wurden selbst durch Plastikgeschosse verletzt, und 2,5 Prozent verloren aufgrund von Verletzungen das Bewusstsein. 97 Prozent der Kinder wur-

den Zeugen von Schießereien, Kämpfen oder Explosionen, 52 Prozent erlebten die Tötung fremder Personen, und 36 Prozent sahen, wie Nachbarn, Freunde oder Verwandte verletzt oder getötet wurden. Das Team des Zentrums regi- strierte bei den Kindern Bettnässen, Kopf- und Bauchschmerzen, Schwer- mütigkeit, Weinanfälle, Nervosität, Äng- ste, Aggressionen mit Gewalttätigkeiten gegen andere Kinder, Selbstschädigun- gen, Schlaf- und Essstörungen.

Allein in der Offensive der israeli- schen Armee im April/Mai 2002 wurden 394 palästinensische Kinder getötet.

Palästinensischen Attentaten und An- griffen auf Siedlungen fielen 81 israeli- sche Kinder zum Opfer, 7 000 wurden verletzt. Eine Erzieherin beklagt, dass die Kinder im Kindergarten nur noch Bilder von Begräbnissen und getöteten Kindern malen.

Laut PHR und UNICEF ist Kranken- wagen und Notarztambulanzen regel- mäßig die Weiterfahrt verwehrt worden.

In 940 Fällen wurde Patienten am Checkpoint die Weiterfahrt ins Kran- kenhaus verweigert, 80 sind infolge des- sen gestorben. An Checkpoints kam es zu 33 Entbindungen, 22 Schwangere und 27 Neugeborene starben zwischen Sep- tember 2000 und Juli 2002. Zur selben Zeit wurden 335 Armeeangriffe auf Am- bulanzen gezählt, 100 wurden beschädigt und 28 zerstört. 80 Ärzte wurden festge- nommen, 419 verwundet und 24 getötet.

Trotz allem hat unsere Reise auch Hoffnung geweckt: In Israel und Palästi- na gibt es mehr als Besatzer-Arroganz und fanatischen Fundamentalismus. Es gibt viele mutige, human denkende und verständigungsbereite Menschen, so- wohl unter der arabischen als auch unter der jüdischen Bevölkerung, gerade auch im Gesundheitswesen.

Matthias Jochheim, Dr. med. Manfred Lotze,IPPNW T H E M E N D E R Z E I T

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A2380 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 363. September 2004

Hilfe für folgende Projekte gesucht

1. Fortbildung für palästinensische Ärztinnen und Ärzte durch gastgebende deutsche Kliniken oder durch Kollegen, die bereit wären, eine oder mehrere Wochen in einer palästinensischen Klinik zu lehren. Quali- fizierte deutsche Ärztinnen und Ärzte werden dabei durch das Hammer Forum e.V. unterstützt, das ein Büro in Jerusalem unterhält (info@hammer-forum.de).

2. Kontaktaufnahme zur Medizinischen Fakultät der Birzeit-Universität, zum Beispiel zur Unterstützung von Projekten des Institute of Community and Public Health (rita@birzeit.edu).

3. Unterstützung der Physicians for Human Rights in Tel Aviv (shabtai@phr.org.il).

4. Sponsoren benötigt dringend auch das von europäischen IPPNW-Studierenden begonnene Palestinian Refugee Camp Project.

Weitere Auskünfte unter E-Mail: Matthias.Jochheim@t-online.de und M.Lotze@hamburg.de.

Referenzen

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