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69 GWE XIV, 53

4.6. Zwei Wege der Gotteserkenntnis

Tillichs Interesse am Dialog mit dem Buddhismus erklärt sich nicht zuletzt aus seiner Theismuskritik, die sich durch sein ganzes Werk hindurchzieht.

Sie artikuliert sich etwa in seiner Unterscheidung zweier Wege der Got-teserkenntnis.

«Es gibt zwei Wege, auf denen man zu Gott gelangen kann: durch die Überwindung der Entfremdung und durch die Begegnung mit dem Frem-den»159 – mit diesem Satz beginnt Tillichs Aufsatz «Zwei Wege der Reli-gionsphilosophie», den er 1946 zuerst auf Englisch veröffentlicht hat.

Schon in dem früher erschienenen Artikel «Estrangement and Recon-ciliation in Modern Thought»160 hatte er diese beiden Wege einander gegenübergestellt. Es sind zwei Weisen der Gotteserkenntnis und des Gottesdenkens. Der erste Weg führt über die Betrachtung der Existenz-verfassung des Menschen zu Gott, der zweite sucht Gott außerhalb der

159 Paul Tillich: The Two Types of Philosophy of Religion (1946), in Paul Tillich – Ausgewählte Texte, hg. von Christian Danz, Werner Schüßler, Erdmann Sturm, Berlin 2008, 289. Dt. in: Paul Tillich: Zwei Wege der Religionsphilosophie, in: GW V, 122.

160 Paul Tillich: Estrangement and Reconciliation in Modern Thought (1944), in: Main Works / Hauptwerke VI: Theological Writings, hg. von Gert Hummel, Berlin 1992, 255–272.

menschlichen Existenz in der Schöpfung oder in einer externen Offen-barungsquelle auf. Dabei geht der Mensch gewissenmaßen aus sich heraus, erwartet Gott als den anderen seiner selbst, als ein Nicht-Ich, als einen Fremden, von außen auf ihn zukommend.

Die Begegnung mit Gott «in der Fremde» der menschlichen Existenz (also auf dem zweiten Weg) findet statt, wo der Mensch Gott aus der ext-rahumanen Wirklichkeit zu erkennen unternimmt. «Fremd» bedeutet hier:

nicht in einer wesenhaften Beziehung stehend. Der Mensch begegnet Gott als etwas von ihm Unterschiedenem, ihm Äußerlichem, das ihm auch im-mer wieder entgleitet. Auf diesem Erkenntnisweg kann es daher keine existenzielle Gewissheit geben, sondern nur intellektuelle Wahrscheinlich-keiten. «[M]an meets a stranger, when he meets God», heißt es im englisch-sprachigen Original.161

Tillich beschreibt diesen Weg folgendermaßen: «I approach God as one ‹unknown› who happens to come in my orbit. I make statements about him in terms of doubt and possibility and perhaps probability. I am at first suspicious, then friendly towards him, and may even become his friend.

And he, as the more powerful and more perfect one, may give me support, direction and mercy; he may reveal himself to me within the limits of our remaining alienation. But all this is accidental for both of us.»162

In dieser unverkennbar ironischen Beschreibung klingt Tillichs Kritik an einem theistischen Gottesverständnis an. Gott steht nicht in einer un-mittelbaren Beziehung zum Existenzvollzug des Menschen, sondern kommt wie eine fremde Person in meine Lebenswelt («orbit»). Die Begeg-nung mit ihm führt weg vom eigenen Selbst und so verstanden in die Selbstentfremdung.

Der erste, von Tillich bevorzugte Weg der Gottesbegegnung vollzieht sich demgegenüber als Überwindung der Entfremdung. Auf diesem Weg

«man meets himself and not a stranger. But in himself he meets something which is more himself than he is and which, at the same time, infinitely transcends himself. What he meets is so to speak the prius of himself, and consequently it is present even in the most radical self-estrangement and enmity against oneself and God. The basic certainty cannot be lost.»163

161 The Two Types of Philosophy of Religion (siehe Anm. 159), 289.

162 Paul Tillich: Estrangement and Reconciliation (siehe Anm. 160), 258.

163 Ibid.

Menschliches Leben steht immer in der Spannung von Existenz (dem faktischen Daseinsvollzug) und Essenz (der eigentlichen Bestimmung des Lebens), den «beiden Hauptqualitäten» des menschlichen Lebens.164 Die Differenz zwischen Existenz und Essenz nennt Tillich Selbstentfrem-dung. «Essenz» ist der existenzphilosophische Ausdruck für die Gott-ebenbildlichkeit des Menschen, das Urbild des Menschen, der Mensch, wie er von Gott gemeint war und ist, der Mensch, wie er von Gott bestimmt ist. Gott ist nicht identisch mit der Essenz, sondern steht jenseits von Essenz und Existenz.165

Subjekt und Objekt der Entfremdung ist die gleiche Person. Sie ist ent-fremdet von sich selbst, von ihrem eigentlichen und wahren Sein (der Essenz) und das heißt auch: vom Grund ihres Seins (Gott). Die Überwin-dung der SelbstentfremÜberwin-dung, der Weg zum eigentlichen und wahren Sein ist also der Weg zu Gott. Das Beschreiten dieses Weges vollzieht sich in der Ausrichtung des eigenen Seins auf das Sein-Selbst. Indem der Mensch sich selbst in seiner Urbildlichkeit entdeckt, erkennt er Gott als Urgrund dieses Urbildes. Und umgekehrt: Der Mensch entdeckt sich selbst, indem er Gott entdeckt.166 Es ist dies eine Erkenntnis von Einheit und Differenz zugleich. Der Mensch entdeckt sein eigentliches Sein als etwas, «das mit ihm selbst eins ist, obgleich es ihn unendlich transzendiert»167. Und in die-sem eigentlichen Sein erschließt sich ihm der Seinsgrund, das Sein-Selbst, die Seinsmacht.

Der erste der beiden Wege der Gotteserkenntnis führt also in die Tiefe der eigenen Existenz, wo sich die essenzielle Beziehung zu Gott als dem Grund dieser Existenz erschließt. In dieser Erschließung ereignet sich die Überwindung der Selbstentfremdung. Unter den Bedingungen der Exis-tenz kann das allerdings immer nur fragmentarisch geschehen.

Aus dieser Unterscheidung der beiden Wege zu Gott entwickelt Tillich in «The Two Types of Philosophy of Religion» die Gegenüberstellung von zwei Typen (bzw. Methoden) der Religionsphilosophie: den ontologi-schen (analog zum ersten der beiden Wege) und den kosmologiontologi-schen Ty-pus (analog zum zweiten der beiden Wege). Er spricht sich dafür aus, dem

164 ST III, 21.

165 ST I 239.

166 GW V, 122.

167 Ebd.

ontologischen Typus bzw. der ontologischen Methode den Vorrang zu geben.

«The ontological principle in philosophy of religion may be stated in the following way: Man is immediately aware of something unconditional which is the prius of the separation and interaction of subject and object, theoretically as well as practically.»168

Das unmittelbare Bewusstsein («immediate awareness») des Unbeding-ten steht im Zentrum der ontologischen Methode. Man kann dieses Be-wusstsein nicht aus einer Betrachterhaltung heraus erlangen, sondern nur durch das Bewusstwerden der eigenen Partizipation am Unbedingten. Die Selbstreflexion, die das eigene Bedingtsein vom Unbedingten erhellt, ist der Erkenntnisweg der ontologischen Methode. Die Spaltung zwischen Subjekt und Objekt – sowohl im Blick auf die eigene Person als auch im Blick auf die Beziehung zu Gott – ist darin überwunden. Der Mensch ist ganz bei sich und beim Grund seines Seins.

In der Beschreibung dieser Methode bezieht sich Tillich auf Augustin.

Mit Augustin geht er davon aus, dass sich der göttliche Grund nicht erst als Antwort auf die Frage nach Gott erschließt, sondern schon der Frage nach Gott (wie auch jeder anderen philosophischen Frage) zugrunde liegt.

«God is the presupposition of the question of God.»169

Die kosmologische Methode der Religionsphilosophie geht demgegen-über von der Wahrnehmung der geschöpflichen Wirklichkeit aus und gelangt auf dem Weg der Abstraktion von einzelnen Erfahrungen zu allge-meinen Erkenntnissen. Nach Tillich führt dieser Weg zwar zu einem Wirklichkeitswissen, aber nicht zu einer Seins- bzw. Wesenserkenntnis durch das Sich-Einlassen auf die zu erkennende Wirklichkeit. Er führt nicht in die Tiefe des Seins und nicht zu einer unmittelbaren Gottes-erkenntnis, sondern lediglich zu einer vermittelten. Er stützt sich auf empi-rische Erfahrung, rationale Reflexion oder auch auf autoritative Zeugnisse (wie etwa heilige Schriften). Diese Methode zeigt die Wirklichkeit als in Gott gründende, aber von ihm unterschiedene. Die (existenzial-)ontologi-sche Methode hingegen führt auf den Grund allen Seins, zu seiner Essenz bzw. Substanz, zu Gott als dem Sein-Selbst und der Macht allen Seins.

168 Paul Tillich: The Two Types of Philosophy of Religion (siehe Anm. 159), 296 (der zweite Teil des Zitats ist im Original kursiv gedruckt).

169 A. a. O., 290.

In der Bevorzugung der ontologischen Methode scheint mir ein wich-tiges Motiv für Tillichs Interesse am Dialog mit dem Buddhismus zu lie-gen. Zum einen begegnet ihm dort ein der ontologischen Methode ver-gleichbarer Erkenntnisweg, zum anderen aber stellt das buddhistische Verständnis des absoluten Nichts eine grundlegende Infragestellung jeder Ontologie dar. Es liegt auf der Hand, wie sich Tillich von dieser Spannung angezogen fühlen musste. Der buddhistische Erkenntnisweg versprach, nicht nur die Dinge im Licht des Absoluten zu sehen, sondern das Licht selbst. Dabei war dieses Absolute nicht mehr als das Sein-Selbst gedacht, sondern als Grund von Sein und Nichtsein.

Obwohl der Aufsatz über die zwei Wege der Religionsphilosophie über ein Jahrzehnt vor seiner Begegnung mit dem Buddhismus geschrieben wurde, scheint mir hier eine wichtige Weichenstellung zum Ausdruck zu kommen, die das Interesse an dieser Begegnung erklärt.

4.7. «Gott über Gott»

Tillichs Kritik an einem enggeführten theistischen Gottesverständnis kommt auch in seiner Rede von «Gott über Gott» zur Sprache. Schon vor dem Ersten Weltkrieg entwickelt er diesen Gedanken in seiner Auseinan-dersetzung mit der Spätphilosophie Schellings. Er vertieft ihn während des Krieges in seiner Beschäftigung mit dem Rechtfertigungsgedanken.170 Vor allem seit Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts baut er ihn dann zu einem eigenen Konzept aus. In der Rede vom «absoluten Glauben» und von «Gott über Gott» sind diese Denkformen verdichtet. Werner Schüßler bezeichnete den Begriff «Gott über Gott» als einen «Zentralbegriff» des

170 «Ich bin durch konsequentes Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange zu der Paradoxie des ‹Glaubens ohne Gott› gekommen, dessen nä-here Bestimmung und Entfaltung den Inhalt meines gegenwärtigen religionsphi-losophischen Denkens bildet» (Brief an M. Klein, 5.12.1917, GWE V, 121).

«Meine Fassung des Rechtfertigungsgedankens hat mich bis zu der Paradoxie des

‹Glaubens ohne Gott› getrieben» (Brief an E. Hirsch, 12.11.17, GWE VI, 97).

«Die höchste Leistung des theologischen Prinzips, d. h. des Paradoxes der ‹Recht-fertigung› ist der Begriff ‹Gott des Gottlosen› oder ‹fromm sein als wäre man gott-los – gottgott-los sein als wäre man fromm›» (Brief vom 19.08.1917, GWE V, 107).

Tillich’schen Denkens, «in dem geradezu seine philosophischen und theo-logischen Einsichten kulminieren».171

Tillichs Rede von «Gott über Gott» ist nicht aus der Begegnung mit anderen Religionen erwachsen. Ihre Intention – die Transzendierung des Theismus – spielte später in der Begegnung mit dem Zen-Buddhismus der Kyoto-Schule aber eine wichtige Rolle. So schreibt er etwa in «Das Chris-tentum und die Begegnung der Weltreligionen»: «Das esse ipsum (das ‹Sein selbst›) der klassischen christlichen Lehre von Gott ist eine transpersonale Kategorie, die es dem christlichen Gesprächspartner erleichtert, die Be-deutung des ‹absoluten Nichts› im buddhistischen Denken zu verste-hen.»172 Um dieses esse ipsum geht es, wenn Tillich vom «Gott über Gott»

spricht.

Ich will in diesem Abschnitt 4.7. die Entstehung und Bedeutung der Formel «Gott über Gott» in Tillichs Theologie herausarbeiten und dann in 4.8. zeigen, wie ihn diese Formel auf dem Weg der Begegnung mit dem Buddhismus begleitet hat. Es geht mir dabei wiederum nicht nur um eine theologiegeschichtliche Aufarbeitung, sondern vor allem um die Frage, welches Potenzial in dieser Redeform für die religionstheologischen Re-flexionen der Gegenwart liegen könnte.

4.7.1. Der systematische Kontext: Theismuskritik

Im letzten Kapitel des Buchs «Der Mut zum Sein»173 spricht Tillich vom

«Gott über Gott»174, vom «Gott über dem Gott des Theismus»175, vom

«transzendierten Theismus»176 und vom «Gott, der den Gott der Religio-nen transzendiert»177. Diese Aussagen stehen im Zusammenhang der The-ismuskritik, die gewissermaßen zu den Lebensthemen Tillichs gehört. Die Kritik an einer Festlegung des christlichen Gottesdenkens auf ein theisti-sches Gottesverständnis geht einher mit der Forderung, zwischen den

per-171 Werner Schüßler: «Gott über Gott». Ein Zentralbegriff Paul Tillichs, in:

ders.: «Was uns unbedingt angeht» (siehe Anm. 10), 133ff.

172 GW V, 83f.

173 GW XI, 13–139; Englische Originalausgabe: The Courage To Be (1952), in: MW V, 141–230.

174 GW XI, 134, 137.

175 GW XI, 137–139.

176 GW XI, 135.

177 GW XI, 138.

sonalen Symbolisierungen Gottes und dem Unbedingten, auf das diese Symbolisierungen verweisen, zu unterscheiden. Das Absolute transzen-diert die personalen Konzepte theistischer Glaubensweisen. Diese Trans-zendierungsdifferenz bringt Tillich auf verschiedene Weisen zum Aus-druck: vor allem durch die Gegenüberstellung zwischen «Gott» und «Sein»

und durch Unterscheidung zwischen symbolischem und nichtsymboli-schem Reden von Gott.

Die Gegenüberstellung von «Gott» und «Sein»

In seinem Aufsatz «Zwei Wege der Religionsphilosophie» stellte Tillich 1946 zwei Begriffe des Absoluten einander gegenüber: deus und esse. Deus steht für die religiöse Auffassung des Absoluten, esse für die philosophische.178 Die «zwei Absoluten»179 korrelieren einander in dialektischer Beziehung.

Deus verweist auf die konkreten Symbolgestalten, in denen das Absolute in den Religionen erkannt, gedacht und verehrt wird (d. h. auf die Gottes-vorstellungen), esse weist darüber hinaus auf das Unbedingte, das nicht als Gestalt bzw. als Wesen – auch nicht als höchstes Wesen – verstanden wer-den darf. Es ist «eine Qualität, eine Mächtigkeit, eine Forderung»180.

Das «philosophische» Absolute steht nun nach Tillich nicht neben dem

«religiösen», sondern ist mit diesem polar zusammengeordnet – als Ele-ment am jeweils anderen. Beide verweisen «innerlich» aufeinander. Das

«philosophische» Absolute ist integraler Bestandteil des «religiösen» und umgekehrt. Es ist gleichzusetzen mit dem einen Element des «religiösen», nämlich mit dem Unbedingten, worauf das «religiöse» Symbol «Gott» ver-weist.

Zugleich ist das Unbedingte «größer» als alle seine Symbolisierungen:

«Gott ist unbedingt, das macht ihn zu Gott; aber das Unbedingte ist nicht Gott.»181 Als «die Macht des Seins in allem, was am Sein teilhat»182, trans-zendiert das Unbedingte das Gottsymbol und bleibt doch immer auch auf dieses Symbol und seine Konkretisierungen in der Vorstellungswelt der Religionen angewiesen. Denn die Forderung, die das Unbedingte darstellt, kann nur in symbolischer Verkörperung unbedingt an den Menschen

her-178 GW V, 122.

179 GW V, 131.

180 GW V, 132.

181 GW V, 133.

182 GW V, 133.

antreten. Die Unbedingtheit liegt dabei nicht in der Symbolgestalt, sondern im Telos, das von dieser Form intendiert wird und sich in ihr repräsentiert.

Darum muss jede Rede von Gott über Gott hinaus zum Unbedingten führen und jede Rede vom Unbedingten muss sich umgekehrt auch in der Rede von Gott oder dem Göttlichen konkretisieren. Der theistische Gottesbegriff muss nicht verlassen, wohl aber transzendiert werden.

Echte Religion, die aus dem Gewahrwerden des Unbedingten lebt, geht mit dem «Gefühl für die Unangemessenheit aller ‹Namen› für Gott»183 einher und wird daher allen Tendenzen zur Verabsolutierung des Theis-mus eine a-theistische Religionskritik entgegensetzen.

In der Unterscheidung von deus und esse kann man einen Anklang an Luthers Gegenüberstellung von deus ipse und deus revelatus heraushören.184 Ohne die Unterschiede zwischen beiden Ansätzen in Abrede stellen zu wollen – Luther hat die Rede vom deus ipse nicht als philosophische Got-tesrede im Gegenüber zur theologischen qualifiziert –, so kann man doch von einer Analogie sprechen.

Die Unterscheidung zwischen symbolischem und nichtsymbolischem Reden von Gott Schon in dem genannten Aufsatz aus dem Jahre 1946 hat Tillich die Be-griffe deus und esse als zwei Erschließungsformen des Absoluten nicht nur einander gegenübergestellt, sondern auch so aufeinander bezogen, dass esse Teil von deus wurde. Die mit diesen Begriffen markierte Unterschei-dung war damit in den Gottesbegriff selbst eingeschrieben. In seiner Re-flexion auf «Das Wesen der Religiösen Sprache» – so der Titel des Aufsat-zes aus dem Jahre 1959185 – zog er diese Linie sprachanalytisch weiter aus, indem er zwei Verwendungsweisen des Wortes «Gott» unterschied: eine symbolische und eine nichtsymbolische. Beide Verwendungsweisen – die eigentliche und die verweisende – stehen wiederum in dialektischer Kom-plementarität zueinander und sind nach Möglichkeit parallel auf unter-schiedlichen Sprachebenen zu gebrauchen.

Das nichtsymbolische Sprechen bedient sich der philosophischen Be-griffe der «letzten Wirklichkeit», des «Absoluten», des «Unbedingten», des

183 GW V, 134.

184 Martin Luther: Se servo arbitrio (1525), WA 18, 600–787, hier 685f.

185 GW V, 213–222.

«Seinsgrundes», der «Seinsmacht» bzw. des «Sein-Selbst».186 Symbolisch ist hingegen die theistische Rede von Gott als dem höchsten Wesen zu ver-stehen, «in dem alles Endliche in höchster Vollkommenheit vereinigt ist»187. Die Zuschreibung von Personalität gehört in dieses «Sprachspiel».

Tillich ordnet nun auch hier keineswegs das nichtsymbolische Reden dem symbolischen über, sondern stellt beide in unterschiedliche Sinnho-rizonte, die je für sich ihre Berechtigung und ihre Bedeutung haben. Das symbolische Reden über Gott ist Ausdruck – und zwar notwendiger Aus-druck – der praktizierten und reflektierten Gottesbeziehung. Das unsymbo-lische Reden ist dagegen Ausdruck des philosophischen Gottesdenkens, das nicht aus der gelebten Beziehung zu Gott heraus nach dem Gott pro me, sondern «spekulativ» nach Gott a se als dem Grund des Seins fragt. Beide Formen der Gottesrede müssen aufeinander bezogen sein. Ohne die sym-bolische Redeweise wäre keine Beziehung zu Gott möglich und ohne die nichtsymbolische würde Gottes Ansichsein mit dem personalen Gegen-über identifiziert, als das «er» im Rahmen der gelebten Gottesbeziehung symbolisiert wird. Die kategoriale Differenz zwischen Symbolgestalt und Symbolgehalt und damit auch die Differenz zwischen Seiendem (die Symbolgestalt gehört zum endlichen Seienden) und Sein-Selbst wäre eingezogen.

Das eigentliche Reden von «Gott» durch Gebrauch der Begriffe wie

«das Absolute» oder «das Sein-Selbst» hat also eine kritisch-regulative Funktion. Seine Sachgemäßheit besteht in der permanenten Erinnerung daran, dass es bei der Rede von «Gott» nicht um ein Seiendes geht – weder um «jemand» noch um «etwas», auch nicht um den Superlativ von «je-mand» oder «etwas» –, sondern um das Sein-Selbst. Gegenüber Barth ver-teidigt Tillich den Gebrauch der philosophischen Begriffe für die göttliche Letztwirklichkeit, indem er schreibt: «Nicht als wäre dies ein Ersatzbegriff, sondern es ist ein Schlüssel, um die verschlossene Tür zu dem Sanktis-simum des Namens ‹Gott› sich und anderen zu öffnen, und dann den Schlüssel fortzuwerfen.»188

Die (noetische und sprachliche) Differenz zwischen den symbolischen Vorstellungsformen von Gott und dem Sein-Selbst wird nun auch hier –

186 Vgl. auch die bekannte Aussage aus ST I, 277: «Der Satz, dass Gott das Sein-Selbst ist, ist ein nicht symbolischer Satz.»

187 GW V, 218.

188 GW VII, 241.

wie in der Beziehung der Begriffe deus und esse zueinander – noch einmal innerhalb des symbolischen Redens von Gott zur Geltung gebracht, wie es in der Aussage auf den Punkt gebracht ist: «‹Gott› ist Symbol für Gott.»189 Diese Differenz liegt in der Verweisfunktion des Symbols selbst beschlos-sen. So ermöglicht das Symbol «Person» eine personale Kommunikation mit Gott und hält – als Symbol – zugleich das Bewusstsein dafür wach, dass Gott nicht Person im eigentlichen Sinn ist. «Er ist das, was unsere Erfahrung des Person-Seins unendlich transzendiert, und zugleich das, was unserem Person-Sein so adäquat ist, dass wir ‹DU› zu ihm sagen und zu ihm beten können.»190 Die im Symbol angelegte Transzendierung der symbolischen Gestalt schiebt jeder religiösen Bemächtigung Gottes einen Riegel vor.

4.7.2. Die Rede von «Gott über Gott»

In den beschriebenen beiden Gegenüberstellungen zwischen Gott und Sein sowie symbolischem und nichtsymbolischem Reden von Gott kommt die von Tillich immer wieder geforderte Überschreitung des the-istischen Gottesverständnisses zum Ausdruck. Tillichs Rede vom «Gott über Gott» liegt ganz auf dieser Linie, steht aber in einem eher existenz-theologischen, auf die Situation des radikalen Zweifels zielenden Aussage-zusammenhang.

«Absoluter Glaube»

Tillich will zeigen, dass dieser Zweifel auf den transzendenten Seins- und Sinngrund als die Bedingung seiner Möglichkeit verweist und in diesem den Grund seiner Überwindung in sich hat. Im «absoluten Glauben», der jeder konkreten Inhaltlichkeit entleert im «Ergriffensein von dem Gott über Gott»191 besteht, wird der Mensch dieses Seins- und Sinngrundes ge-wahr. Dort, wo die Inhalte des Glaubens zurückgelassen werden, hat auch der intellektuelle Zweifel an ihnen keine Angriffsfläche mehr. Schon in

189 GW VIII, 111–196, hier 143.

190 GW V, 218.

191 GW XI, 138 – «Der Glaube muss unterschieden werden von den Aus-drucksformen, in denen er jeweils erscheint» (GW VIII, 195).